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Selbstreferenz des Protagonisten

Im Dokument DIE SELBSTAUSLEGUNG DES WORTES (Seite 28-64)

Auf verschiedenen Ebenen des JohEv findet sich eine Reflexion auf die eigene Identität, die den synoptischen Evangelien fremd ist. Es handelt sich um eine der augenfälligsten Eigentümlichkeiten des JohEv, die häufig im Rahmen der Frage nach der "joh Denkbewegung" angesprochen wurde.

Diese "kreisende" oder "spiralige" Denkbewegung, die das JohEv hermetisch, redundant und wenig informativ erscheinen läßt, ist systemtheoretisch gesehen charakteristisch für einen Text, der Anspruch auf universale Bedeutsamkeit erhebt.

Der selbstreferentielle Charakter des JohEv zeigt sich v.a. in drei Texten bzw. Textgruppen: im Prolog (1,1-18), in den Offenbarungsreden63 und in den beiden Schlußbemerkungen 20,30f und 21,24f. Auffällig ist dabei schon formal, daß es sich um die nicht-erzählenden Texte handelt.

Der Prolog stellt die Selbstbezüglichkeit der Offenbarung in einen kosmischen Rahmen: Das Prinzip der Welt ist dasselbe wie das der joh Textwelt, nämlich der Logos. Er war evn avrch/, nichts geht ihm logisch voraus. Er ist das Licht, das die Menschen erleuchten will, damit sie ihn selbst erkennen. Der Inkarnierte bringt Kunde über sich selbst (1,18).

In den Reden spricht demzufolge nicht der Erzähler über die Bedeutung Christi, sondern der Evangelist läßt seinen Protagonisten selbst reden, weil nur er sich selbst adäquat deuten kann. Die Offenbarung geschieht also im Evangelium, es wird nicht über sie gesprochen. Daß der Terminus

"Offenbarung" nicht begegnet, spricht eher für als gegen diese formgebende Konzeption.

Jede Legitimation des Sprechens über den Offenbarer geht von diesem selbst aus. Auch das JohEv begründet sich im Reden Jesu, das aber selbst Teil dieses Evangeliums ist. Das JohEv weiß selbst, daß es nur Text und abgeleitetes Wort ist, und beansprucht dennoch letztgültige Autorität. Es leitet damit diese Autorität aus seinem eigenen Text ab. Dazu legitimiert es sich als Zeugnis des

"geliebten Jüngers", läßt fiktiv Jesus selbst reden und thematisiert immer wieder die Offenbarung durch das Wort.

Auffällig ist, daß der joh Jesus in seinen Reden nicht nur hauptsächlich über sich selbst spricht, sondern auch häufig - wenngleich nicht ausschließlich - gerade sein Reden thematisiert. Insofern ist es richtig zu sagen, daß der Offenbarer offenbart, daß er der Offenbarer ist. Der joh Jesus ist aber nicht nur Offenbarer, denn seine Offenbarung ist Selbstauslegung, und das heißt für Joh Auslegung

63 Ich verwende "Offenbarungsreden" als Textsortenbezeichnung in der synchronen Analyse, also nicht im literarkritischen Sinne.

von Kreuz und Auferstehung. Jesus Christus ist der Heilsbringer zunächst durch seinen Tod, dann aber auch durch seine Selbstdeutung. In seinen Reden im JohEv bringt er beides zur Sprache.

1. Vorjohanneische Selbstreferenz Jesu

Die Selbstreferenz Jesu ist Joh in Ansätzen bereits vorgegeben. So finden sich in den synoptischen Evangelien mehrere mit einiger Wahrscheinlichkeit bereits auf den historischen Jesus zurückgehende, auf jeden Fall aber sehr frühe Überlieferungen, in denen Jesus ebenfalls sein Geschick bzw. sein Handeln erklärt.

Schon der historische Jesus hat nach allem, was wir wissen, über sich selbst gesprochen, also einfach-selbstreferentielle Aussagen gemacht. Hier ist zunächst an die Leidensankündigungen zu denken. Allerdings spricht Jesus in diesen und anderen Menschensohn-Worten über sich selbst in der 3.Person. Das ausdrückliche "Ich" des joh Jesus hat hier keine Parallele. Es gibt allerdings auch Selbstaussagen Jesu in der 1.Person, etwa in den h=lqon-Worten64, die Jesu Wirken progammatisch zusammenfassen. Viele Forscher sind der Ansicht, diese seien ursprünglich alle in der 1.Person65 formuliert gewesen und erst sekundär tlw. in Menschensohn-Worte66 umgeformt worden, aber von Jesus selbst stammt wohl nur Lk 12,49.

Diese Worte stellen einen Übergang zu einer zweiten Form der Selbstreferenz her, die sich vielleicht schon beim historischen Jesus festmachen läßt: die Selbstinterpretation des eigenen Tuns.

Wie ein atl Profet erklärt Jesus mit den Deuteworten die Zeichenhandlung "Abendmahl". Wann dieses Mahl stattgefunden hat, ob es etwa ein Passamahl war, ob die Deuteworte korrekt tradiert wurden, ist dabei irrelevant. Wichtig für die Historizität der Selbstinterpretation Jesu ist allein die Struktur "Zeichenhandlung mit Selbstdeutung".

In den synoptischen Evangelien, nicht zuletzt in den Überlieferungen der Redenquelle, macht Jesus sich selbst jedenfalls nicht selten zum Thema. Besonders Mt 11,25-30 zeigt einen Ansatz zur selbstreferentielle Rede Jesu. Hier findet sich ein gehäuftes "Ich" Jesu, v.a. im Heilandsruf (VV27-30, par. Lk 10,21f).

Eine besonders auffällige Ähnlichkeit zu den joh Selbstaussagen Jesu in der 3.Person zeigt das deshalb so genannte "joh Logion" (Mt 11,27 par. Lk 10,23).

64 Vgl. HARNACK, Ich bin gekommen, und ARENS,HLQON −Sayings. Es ist wahrscheinlich, daß diese Worte eine der Wurzeln der joh Gesandten-Christologie bilden.

65 So jetzt noch Mt 5,17; Mt 15,24; Mk 2,17 parr; Lk 12,49.

66 So jetzt Mk 10,45 parr; Lk 9,55; 19,10.

Der Text lautet in der Übersetzung von LUZ:

Alles wurde mir von meinem Vater übergeben, und niemand kennt den Sohn außer der Vater, und niemand kennt den Vater außer der Sohn, und jeder, dem es der Sohn offenbaren will.

Folgende Johanneismen finden sich in diesem Vers:

1. absoluter Gebrauch von "der Sohn" (von LUZ gut aufgrund der rhetorischen Gegenüberstellung Vater-Sohn erklärt67)

2. Reziprozität Vater/Sohn (typisch, allerdings lexikalisch natürlich nicht zu erfassen)

3. Universalität (pa,nta, der-wer-Struktur; wahrscheinlich nicht auf Herrschaft, sondern auf Wissen bezogen)

4. Exklusivität (von Wissen und Vermittlung!) 5. "Offenbarung"

6. "kennen" (allerdings schreibt Joh nie evpiginw,skw)

Bei diesen Punkten handelt es sich sämtlich nicht nur um Phänomene, die im JohEv mit spezifischer Häufigkeit begegnen, sondern just um die Faktoren, von denen wir behaupten, daß sie für die joh Umstrukturierung prägend sind.

Versuchsweise könnte man die These vertreten, daß sich aus diesem Logion heraus das gesamte joh Modell entwerfen ließe. Jedenfalls dürfte hier - ob nun durch die Synoptiker vermittelt oder direkt aus der Tradition übernommen - eine der Wurzeln der joh Christologie liegen.

Bei den Synoptikern finden wir zwar etliche Aussagen Jesu über sich selbst, sein Reden hingegen thematisiert der synoptische Jesus kaum. Eine Ausnahme stellt Mk 4 (par. Mt 13) mit der sog.

Parabeltheorie dar. Zwar geht es hier ausdrücklich um das Wort, aber gerade in Mk 4 wird dieses Wort nicht an Jesus zurückgebunden: Weder wird gesagt, daß Jesus dieses Wort gesagt habe, noch daß er der Inhalt dieses Wortes sei. Eine doppelte Selbstreferenz in dem Sinne, daß Jesus darüber spricht, daß er spricht, wie sie im JohEv immer wieder vorkommt, kennen die Synoptiker nicht.

Falls das Sämannsgleichnis ebenfalls auf den historischen Jesus zurückginge und er sich selbst als Sämann verstanden hätte, fände sich sogar bei ihm schon eine Bezugnahme auf das eigene Reden, also ein Ansatz zur doppelten Selbstreferenz. Auf jeden Fall konnte das Gleichnis in seiner synoptischen Form so verstanden werden.

Mit avmh.n le,gw u`mi/n 68 und dem evgw. de. le,gw u`mi/n der mt Antithesen finden sich außerdem schon in den synoptischen Evangelien, besonders im redenreichen MtEv, Formeln der betonten Rede, die Aufmerksamkeit für den Sprecher und seine Autorität erheischen. Hier kommt nicht nur das "Ich"

Jesu in den Blick; zugleich kommt zur Sprache, daß er spricht.

67 Vgl. LUZ, Mt II 208-210.

68 Nicht nach Sg. und Pl. unterschieden 31mal im MtEv, 13mal im MkEv und 6mal im LkEv.

Diese Beispiele zeigen, daß Joh sein Konzept der Selbstoffenbarung und Selbstdeutung nicht aus dem Nichts entwirft, sondern sich dabei auf ihm vorgebene Traditionen stützen kann, die wohl auch seinen Lesern bekannt sind. Er verstärkt nun aber diese selbstbezügliche Struktur und macht sie zum Zentrum seines Evangeliums.

2. Der Prolog des JohEv und das Konzept der Selbstoffenbarung

Die Basis für die Selbstreferentialität des JohEv und seines Protagonisten liefert der "Prolog". Er stellt das Evangelium unter das Thema des "Logos".

Die Verse 1f.14 und 18 geben dem Prolog sein Gerüst. Sie sind miteinander stärker verklammert als mit dem Text in ihrer jeweiligen Umgebung. Diese Klammern sind Signale für den Leser, daß er sich an diesen Versen und ihrem Verhältnis zueinander zu orientieren hat.

V1f:

VEn avrch/| h=n o` lo,goj(

kai. o` lo,goj h=n pro.j to.n qeo,n(

kai. qeo.j h=n o` lo,gojÅ

ou-toj h=n evn avrch/| pro.j to.n qeo,nÅ

V14:

Kai. o` lo,goj sa.rx evge,neto kai. evskh,nwsen evn h`mi/n(

kai. evqeasa,meqa th.n do,xan auvtou/(

do,xan w`j monogenou/j para. patro,j( plh,rhj ca,ritoj kai. avlhqei,ajÅ

V18:

Qeo.n ouvdei.j e`w,raken pw,pote\

monogenh.j qeo.j

o` w'n eivj to.n ko,lpon tou/ patro.j evkei/noj evxhgh,satoÅ

Übersicht 1: Die Rahmenverse des Prologs

"Die Logos-Metapher bildet die Einheitsklammer des Prologs, insofern sie zu Anfang für den »vor-inkarnatorischen« Logos [...], in der Mitte für den »Inkarnierten Logos« [...], am Schluß (im letzten Wort des Prologs) als J 1,18c exhghsato für den vom Inkarnierten Logos (J 1,14a) praktizierten

»instrumentalen Logos« formuliert wird."69 Der Prolog stellt also dem Leser Jesus Christus als Schöpfungslogos und als fleischgewordenes Wort Gottes vor, das sich selbst durch das wiederum von ihm gesprochene Wort auslegt.

1) VEn avrch/| h=n o` lo,gojVEn avrch/| h=n o` lo,goj (VEn avrch/| h=n o` lo,gojVEn avrch/| h=n o` lo,goj ( (V1) ( 1)1)1)

Absichtsvoll beginnt Joh sein Evangelium mit den ersten Worten der Bibel. "Wenn er mit seiner

»neuen Information« einsetzt und nicht, wie man erwarten könnte, sagt: »Der Logos war im

69 LAUSBERG, Prolog 194.

Anfang«, dann wird das daran liegen, daß er die Assoziation von Gen 1,1 nur bei dieser dem Bezugstext entsprechenden Wortfolge sichern konnte ..."70

Damit wird sowohl der eigene Anspruch erhoben, unbedingt bedeutsamer Text zu sein71, wie der Anspruch des Protagonisten auf kosmische Bedeutung. Daß dieser Anspruch kein Selbstzweck ist, wird erst in V18 deutlich.

Joh führt o` lo,goj in V1 ohne erklärendes Attribut ein. Dennoch kann man daraus nicht folgern, daß dieses Wort den Lesern als Christus-Titel geläufig war; der Prolog selbst ermöglicht in seinem Fortgang durchaus die Identifikation des lo,goj mit Jesus Christus.

Der lo,goj ist auch keine vorgegebene Person oder Personifikation, mit der Jesus jetzt identifiziert würde: Obwohl "das Logos-Konzept, das in den verschiedensten philosophischen und religiösen Strömungen der Zeit [...] beheimatet war, zu den Allerwelts-Ideen des Hellenismus gehörte"72 und darum Joh wie auch seinen Lesern bekannt gewesen sein dürfte, bestimmt doch in Joh 1,1 die Anspielung auf Gen 1,1 die Assoziationen. Zwar wird der Begriff hier absolut gebraucht, doch der Kontext macht klar, daß dieser Logos das Wort des atl Gottes ist.

Hervorgehoben wird die Uranfänglichkeit des Logos vor aller Schöpfung (1a), seine unmittelbare Nähe zu Gott (1b), ja seine Wesenseinheit mit ihm (1c). Diese Attribute lassen sich zunächst als bloße Würdeprädikationen des Logos begreifen, gewinnen aber vom Ende des Prologs her den Charakter einer Legitimation des letztgültigen Offenbarers. Ebenso wird auch die Schöpfungsmittlerschaft zur Begründung der universalen Bedeutung des Offenbarers.

Wichtiger als all die Aussagen über den Logos, die im Prolog getroffen werden, ist aber, daß Jesus Christus nun gerade als lo,goj bezeichnet wird. Wird die konkrete Bedeutung "Wort" in V1 noch lediglich für das intertextuelle Spiel mit Gen 1,1 genutzt - der lo,goj ist das bei der Schöpfung gesprochene Wort Gottes -, so findet sie ihr eigentliches Ziel doch erst am Ende des Prologs.

Dabei ist dort vom lo,goj im Grunde genommen nicht mehr die Rede, denn in V14 ist das "Wort"

"Fleisch" geworden. Der Logos des Prologs ist keineswegs ein terminologischer Fremdkörper im JohEv, sondern sowohl in seinem Vorkommen in 1,1.14 wie auch in seinem Nicht-Vorkommen im restlichen Evangelium ein Grundpfeiler joh Theologie. Weil das "Wort" kein Titel ist, sondern

"Fleisch" wird, sagt Joh in V18 nicht mehr (substantivisch) lo,goj, sondern (verbal) evxhgh,sato.

70 THEOBALD, Fleischwerdung 218.

71 THEOBALD, Fleischwerdung 229, erkennt im Beginn des JohEv den Anspruch eines "Metatextes": "Daß Joh 1,1-5 als Buchanfang an den Anfang der Bibel erinnert, signalisiert zunächst den Anspruch seines Autors an die Rezeption seines Buches durch die Hörer [...] Joh 1,1-5 macht also indirekt über den Bezug auf Gen 1 einen überragenden Anspruch geltend."

72 THEOBALD, Fleischwerdung 478.

Joh reaktiviert damit die wörtliche Bedeutung von lo,goj. evxhgh,sato ist nicht zufällig das letzte Wort des Prologs.

2) evkei/noj evxhgh,satoevkei/noj evxhgh,satoevkei/noj evxhgh,satoevkei/noj evxhgh,sato (V18)

V18 zeigt formal keine Verbindung zum vorangegangenen Vers. Stattdessen nimmt V18 das

"Sehen" aus V14 auf, ebenso monogenh,j und "Vater", 18b aus V1b.d die Gottesprädikation des Logos, 18c greift auf 1b zurück, 18d schließlich auf 1a, nur daß jetzt der Logos ins Verbale gewendet erscheint. V1f und V18 bestehen beide aus vier Gliedern mit einer mehrfachen Nennung des Subjekts, wobei jeweils im letzten Versglied das Subjekt betont wieder aufgenommen wird.

Inhaltlich entspricht diesem Befund, daß nach V1f erst V18 wieder vom Gottesverhältnis des Logos handelt, dieses nun aber mit der "Anschaulichkeit" des Inkarnierten aus V14 verbindet.

a) Übersetzungen

Bei der Übersetzung von Joh 1,18d stellen sich zwei zu unterscheidende, allerdings aufs engste miteinander verwobene Probleme: 1. Was bedeutet evxhgh,sato? Handelt es sich um einen religiösen terminus technicus, der als "offenbaren" übersetzt werden kann? Und 2. Ist ein Objekt zu ergänzen, und wenn ja welches?

Werfen wir einen Blick auf die Bandbreite möglicher Lösungen:

Die Luther-Übersetzung von 1545 lautet "der hat es uns verkündiget", und das ist der Text auch noch 1912. Seit der Revision von 1956 heißt es hingegen "der hat ihn uns verkündigt". Ähnlich schreibt die Zürcher Bibel "der hat Kunde [von ihm] gebracht". Man ist in der Nachfolge der Offenbarungstheologie also dazu übergegangen, als Objekt von evxhgh,sato "Gott" (18a) oder

"Vater" (18b) anzusehen. Auch Exegeten wie BECKER übersetzen: "der hat (von ihm) Kunde gebracht", oder gehen wie O'DAY (Revelation) noch weiter: "he has made him known". Bringt der joh Jesus das Evangelium des unbekannten Gottes?

Vorsichtiger ist die Übersetzungsvariante ohne eine Ergänzung des bei Joh nicht vorhandenen Objekts, die sich bei SCHNACKENBURG oder THEOBALD (Im Anfang) findet: "er hat Kunde gebracht".

GESE (Johannesprolog) verzichtet ebenfalls darauf, ein Objekt zu ergänzen, führt aber den bedeutungsschweren Begriff "Offenbarung" ein: "jener offenbarte". Auch DE LA POTTERIE (Vérité, 227) schreibt: "lui, apporta la révélation". Schließlich kommt er zu der Umschreibung (228): "il fut, lui, la révélation". Das ist m.E. besonders unglücklich, weil DE LA POTTERIE die Umformung der Aussagen über das Wesen in V1f zu einer Aussage darüber, was der Inkarnierte tut, in V18 damit zunichtemacht.

Eine ganz andere Übersetzungsmöglichkeit wählen IBUKI (Wahrheit) und THEOBALD

(Fleischwerdung). Sie übersetzen: "er hat ausgelegt". Auch diese Variante gibt es mit einem ergänzten Objekt: LAUSBERG (Epiphonem 258) gibt 18d als "Jesus hat [...] die »Innergöttliche Rede« des Vaters ausgelegt" wieder.

Die Übersetzung "auslegen" hat den Vorzug, damit zu korrespondieren, daß das JohEv selbst sich von Anfang an, nämlich schon in Joh 1,1, in Beziehung zu einem anderen Text setzt: "Daß Joh 1,1-5 als Buchanfang an den Anfang der Bibel erinnert, signalisiert zunächst den Anspruch seines Buches an die Rezeption seines Buches durch die Hörer. [...] Der joh. Gemeindeverband hat aber die Bibel der »Juden« nicht außer Kraft gesetzt, weshalb man statt von »Substitution« von der Schaffung eines »Metatextes« zur Bibel sprechen sollte, der erst den rechten Schlüssel zu ihrer Interpretation bereit stellt. Joh 1,1-5 macht also indirekt über den Bezug auf Gen 1 einen überragenden Anspruch geltend."73 Bezieht sich evxhgh,sato auf diese metatextuelle Funktion des JohEv? Ist also Jesus der Exeget des AT?

Dagegen spricht nun allerdings, daß evxhgh,sato ohne Objekt gebraucht wird.

(1) Offenbarung

BÜCHSEL behauptet: "... die Objektlosigkeit von evxhgh,sato gestattet es nicht, es als "erklären" zu verstehen. Es muß dann entsprechend dem religiösen Sprachgebrauch im Griechischen als

"offenbaren" verstanden werden."74

Wie DE LA POTTERIE bemerkt, verzeichnen allgemeine Wörterbücher des Griechischen diese Bedeutung jedoch nicht.75 Der Versuch, evxhge,omai mit "offenbaren" zu übersetzen, ist offenbar auf die theologisch-exegetische Welt beschränkt.

(2) Die Politei,a-Stellen

Die beiden in diesem Zusammenhang häufig angeführten Stellen aus PLATONS Politei,a, IV 427c und V 469a, lassen sich keineswegs als Belege für die Bedeutung "offenbaren" anführen76: Zwar ist

73 THEOBALD, Fleischwerdung, 229.

74 BÜCHSEL, ThWNT II 910. SCHNEIDER, EWNT II, 15, folgert aus dem Aorist in Joh 1,18 zusätzlich die Einmaligkeit der Offenbarung in Christus, was angesichts der angeblich einmaligen Bedeutung von evxhge,omai gar nicht mehr nötig wäre.

75 DE LA POTTERIE, Vérité 218f mit Anm.308. Er führt im Einzelnen auf: THESAURUS LINGUAE GRAECAE, PASSOW, PAPE, BAILLY, ROCCI, LIDDELL-SCOTT.

76 Vgl. DE LA POTTERIE, Vérité 216.

in beiden Fällen o` qeo,j das Subjekt von evxhge,omai - in IV 427b.c ist ausdrücklich vom Apoll zu Delphi die Rede und er ist wohl auch in V 469a gemeint - und ein Objekt nicht genannt, aber der geschilderte Vorgang läßt sich nur dann als "Offenbarung" bezeichnen, wenn man jedes Reden eines Gottes unter diesen Begriff faßt. In IV 427b.c geht es um kultischen Einrichtungen des Staates. Hier will man nicht selbst Regelungen treffen und keinen anderen "Ratgeber" suchen, sondern sich an Apoll um Rat wenden, der der pa,trioj evxhghth,j77 sei und evn mesw| th/j gh/j evpi tou/

omfalou/ kaqh,menoj evxhgei/tai78. Die Schilderung der Umstände unterstreicht, daß es sich hier um nichts anderes als eine Befragung des delphischen Orakels handelt. Der Gott wird um eine Weisung angegangen - die Initiative geht also nicht von ihm aus wie bei einer "Offenbarung" - und soll antworten, indem er einen Rat erteilt, allenfalls vielleicht auch ein Gesetz erläßt, nicht aber indem er göttliche Geheimnisse oder gar sich selbst offenbart.

Eine ganz ähnliche Situation liegt auch in V 469a vor, wo sich das Problem stellt, wie man tou.j daimoni,ouj te kai. qei,ouj beisetzen solle. diapuqo,menoi macht deutlich, daß es sich um eine Befragung handelt. Die konkrete Frage verlangt eine konkrete Antwort des Gottes; man wolle dann handeln, wie der Gott evxhgh/tai. Auch hier kann das Wort nicht mehr bedeuten, als "raten",

"bescheiden".

(3) Die Begründung bei DE LA POTTERIE

DE LA POTTERIE behauptet nun aber selbst ebenfalls einen unmittelbar religiösen Sprachgebrauch in Joh 1,18, der "l'idée de révélation" impliziere.79 Die nächste Verbindung zur Verwendung bei Joh sieht er in der Weisheitstradition. Er stützt sich bei seiner Deutung von evxhgh,sato besonders auf Hiob 28,27 und kommt zu dem Schluß: “evxhgei/sqai, pour Dieu, c'est: révéler, manifester."80

M.E. ist es jedoch nicht nötig, für diesen Hiob-Vers eine Sonderbedeutung anzunehmen. In der mythologischen Redeweise von Hiob 28 ist Gott von seiner Weisheit durchaus unterschieden. In keinem Fall handelt es sich hier also um ein objektloses Geschehen ("Selbstoffenbarung"): Gott hat die Weisheit gefunden und hat sie dem Menschen mitgeteilt. evxhgei/sqai wird hier nicht anders verwendet als in den beiden Politei,a-Stellen. Auch hier weiß der Mensch nicht, wie er sich

77 SCHLEIERMACHER übersetzt "vaterländischer Ratgeber"; gemeint ist wahrscheinlich "angestammter Ratgeber",

"Ratgeber von alters her".

78 Wie in Joh 1,18 steht das Verb hier ohne Objekt. SCHLEIERMACHER übersetzt frei, aber inhaltlich korrekt: "seine Sprüche erteilt".

79 DE LA POTTERIE, Vérité 213.

80 DE LA POTTERIE, Vérité 222.

verhalten soll, weiß er nicht, wo die Weisheit zu finden ist. o` qe,oj (V23) aber weiß es und kann aufgrund dieses größeren Wissens dem Menschen Weisung erteilen, ganz wie bei PLATON Apollo Ratschläge für den Umgang mit dem Göttlichen geben kann.

Möglicherweise jedoch trifft schon die Vorausetzung DE LA POTTERIES, daß in Hiob 28,27 eine gemein-weisheitliche Verbindung von "Sehen" und "Sagen" vorliegt, nicht zu, und der Gedanke, daß Gott dieses Wissen dem Menschen mitteilt, bleibt tatsächlich V28 vorbehalten. Dann müßte evxhgei/sqai in V27 als "ausdeuten", "erforschen", "ausloten" übersetzt werden.

(4) Sir 43,31

In der LXX ist das Verb evxhgei/sqai nicht gerade häufig. HATCH / REDPATH verzeichnen 9 Belege, dazu zwei für evxh,ghsij und 3 für evxhghth,j. Hinzu kommen 16 Belege für evkdihgei/sqai, davon allein 10 im Sirach-Buch. Tlw. wird mit diesen Verben

rps

pi. wiedergegeben.

In der LXX ist das Verb evxhgei/sqai nicht gerade häufig. HATCH / REDPATH verzeichnen 9 Belege, dazu zwei für evxh,ghsij und 3 für evxhghth,j. Hinzu kommen 16 Belege für evkdihgei/sqai, davon allein 10 im Sirach-Buch. Tlw. wird mit diesen Verben

rps

pi. wiedergegeben.

Im Dokument DIE SELBSTAUSLEGUNG DES WORTES (Seite 28-64)