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Konkrete Hinweise im Text

Im Dokument DIE SELBSTAUSLEGUNG DES WORTES (Seite 118-143)

1. Synagogenausschluß und tödliche Bedrohung (16,2)

Einen der deutlichsten Verweise aus dem Text heraus auf die Lebenswelt stellt Joh 16,2 dar. Hier kündigt Jesus seinen Jüngern an: avposunagw,gouj poih,sousin u`ma/j. Ja, er spricht sogar davon, daß man es für einen Akt der Gottesverehrung halten werde, sie zu töten.

So klar es ist, daß hier aus dem Text heraus verwiesen wird, so unklar ist, woran dabei konkret gedacht ist. Beide Hinweise auf die historische Referenzebene sind (zumindest für uns heutige Leser) sehr unbestimmt: avposuna,gwgoj ist unabhängig vom JohEv nicht belegt, so daß unsicher ist, um was für eine Maßnahme es sich eigentlich handelt. avpoktei,nw ist zwar in der Wirkung eindeutig (das reicht den Betroffenen, wenn auch nicht den Historikern), aber doch sehr unbestimmt, was den Vorgang angeht: Ist hier an Todesurteile in Gerichtsverfahren gedacht, an Lynchjustiz oder gar an religiös motivierten Mord?

Wegen dieser doppelten Unsicherheit ist Vorsicht angebracht bei dem Versuch, die eine Vershälfte durch die jeweils andere zu interpretieren. Die beiden Ankündigungen sollen deshalb zunächst getrennt untersucht werden.

1) 1) 1)

1) avposuna,gwgojavposuna,gwgojavposuna,gwgojavposuna,gwgoj

Die Vokabel ist vorjoh nicht belegt und findet sich überhaupt nur in christlicher Literatur.400 Möglicherweise hat Joh das Wort also selbst gebildet401 - analog zu Zusammensetzungen wie

400 Vgl. SCHRAGE ThWNT VII, 845.

401 Auch WENGST, Gemeinde 89, vermutet, "daß damit eine spezifische Erfahrung der johanneischen Gemeinde auf den Begriff gebracht und nicht die Bezeichnung eines formellen Aktes, der den Ausschluß aus der Synagoge zum Ziel gehabt hätte, übernommen wird."

avpo,dhmoj402. Aus der außerjoh Literatur läßt sich die Bedeutung von avposuna,gwgoj jedenfalls nicht erheben, und so ist man ganz auf die drei Belege im JohEv neben 16,2 noch 9,22 und 12,42 -angewiesen.403

a) Akteure und Betroffene

Zumindest über die Akteure informiert das Wort selbst den Leser: Es läßt kaum eine andere Deutung zu als, daß das logische Subjekt von Joh 16,2a Juden sind, denn wer sonst sollte andere von der Synagoge trennen können.

Zwar spricht Joh in den Abschiedsreden niemals von "den Juden", sondern immer nur vom ko,smoj, schon in 15,25 ist aber eindeutig an "die Juden" gedacht, wenn das Erfüllungszitat als "in ihrem Gesetz geschrieben" bezeichnet wird.404

In dem Erzählerkommentar 9,22 werden ausdrücklich "die Juden" als diejenigen genannt, die den avposuna,gwgoj−Beschluß gefällt haben.405 Hier wird es so dargestellt, als gründe die Ausschließung der Christus-Bekenner auf einem formellen Beschluß. Die Instanz, die dahinter steht, könnte in 12,42 durch die Nennung der Pharisäer angedeutet sein, nämlich die aus dieser Gruppe entstehenden rabbinischen Behörden.

Es ist das Natürlichste, bei denen, die dieser Beschluß trifft, ebenfalls an Juden zu denken: Die durch avpo, ausgedrückte Trennung impliziert eine vorherige Zugehörigkeit oder Gemeinschaft.406

402 Vgl. MARTYN, History 42.

403 Völlig irreführend ist hier EWNT (I,352), das avposuna,gwgoj gene,sqai als "mit dem Synagogenbann belegt werden", die Formulierung mit poiei/n aber als "aus der Synagoge ausschließen" übersetzt. Dies legt fälschlich nahe, "ausschließen" und "mit dem Bann belegen" bedeutete dasselbe oder die Stellen bezögen sich auf unterschiedliche Sachverhalte. Möglicherweise möchte der (namentlich nicht genannte) Autor es so möglich machen, 9,22 und 12,42 historisch zu verstehen, da es zur Zeit Jesu zwar keinen Ausschluß, wohl aber einen Bann gab. Daß der Unterschied zwischen beiden Formulierungen mehr sei als der zwischen Passiv und Aktiv, wird jedoch durch nichts im JohEv nahegelegt.

Die beste Übersetzung von avposunagw,gouj poiei/n ist m.E. "zu von der Synagoge Geschiedenen machen"; vgl.

STRACK/BILLERBECK IV, 331.

404 Vergleichbar ist die vierte Seligpreisung in Lk 6,22: Auch Lk wählt mit oi` a;nqrwpoi ein allgemeines Subjekt, doch das Verb avfori,zw läßt kaum eine andere Deutung als die auf Juden und Synagogenausschluß zu. Allerdings ist bei Lk wohl eher an ein

"Hausverbot" für Missionare zu denken.

STEGEMANN, Synagoge 120ff, lehnt sowohl Trennung von Synagoge und Ekklesia wie auch Bann oder "Ketzersegen"

als Deutungsmuster ab und möchte nicht an "Ausschluß", sondern an "Distanzierung gegenüber Dritten", die keine vorherige Gemeinschaft voraussetzt, denken. Für das lk Doppelwerk mag das zutreffen, für Joh sicher nicht.

405 Zum unterschiedlichen Sprachgebrauch beim Erzähler und in den Redestücken s.u. S. 152.

406 Vgl. MARTYN, History 42, der meint, die Wortbildung sei "...probably quite analogous to the word apodhmoj which means »away from one's people«...".

Dem entspricht, daß die Aufhebung dieser Gemeinschaft für die joh Christen offenkundig ein Problem, ein ska,ndalon (vgl. 16,1) darstellt. Nur für Juden bedeutet die erzwungene Trennung von der synagogalen Gemeinschaft des jüdischen Volkes selbst ein Problem und nicht erst eine daraus etwa resultierende Bedrohung.407

"Diese traumatische Spaltung des Gottesvolks und der schmerzliche Ausschluß der jüdischen Christen aus ihrer Synagoge"408 müssen im JohEv verarbeitet werden.

Die von WOLFGANG STEGEMANN vorgetragene Idee, die avposuna,gwgoj-Stellen würden "eine Situation ansprechen, in der solchen »Gottesfürchtigen« der Besuch der Synagogen bzw. die Teilnahme an synagogalen Gottesdiensten verwehrt wurde, die Jesus als Messias glaubten und sich zugleich auch zur christlichen Gemeinschaft hielten"409, ist intelligent, aber unhaltbar. Zwar wird hier eine Lösung angeboten für das Problem, wie es ein seiner Intention nach dauerhaftes Synagogenverbot geben könne und warum keine sonst bekannte Synagogenstrafe mit dem avposunagw,gouj poiei/n identifiziert werden kann, aber dagegen spricht zunächst einmal der Vers 12,42, den STEGEMANN sogar für seine Interpretation anführt.

Die dort genannten a;rcontej möchte er offenkundig als Gottesfürchtige oder Freunde des Judentums verstehen, wenn er schreibt: "Gerade unter den Sympathisanten des Judentums fanden sich ja eher hochgestellte Persönlichkeiten."410 Diese Argumentation wird von STEGEMANN

allerdings selbst zunichtegemacht, wenn er in diesem Kontext auf Nikodemus verweist, der ebenfalls nur im Geheimen mit Jesus Kontakt aufnimmt. Gerade Nikodemus wird von Joh aber als a;rcwn tw/n VIoudai,wn bezeichnet (3,1). Er ist ein jüdischer Sympathisant Jesu, nicht ein Sympathisant des Judentums.411 Es gibt kein Indiz im JohEv, daß es sich mit den a;rcontej in 12,42 anders verhielte. Auch die beiden anderen Stellen, an denen a;rcontej im JohEv erwähnt werden,

407 Ähnlich urteilt auch WENGST, Gemeinde 155f: "Nur für eine vorwiegend judenchristliche Gemeinde in einer jüdisch bestimmten Umwelt kann der Ausschluß aus der Synagoge ein ernsthaftes Problem darstellen."

408 THYEN, Johannesevangelium 212.

409 STEGEMANN, Synagoge 141. Vgl. ebd. 104f Anm.24. Die Argumentation übernimmt AUGENSTEIN, Liebesgebot 86.

Vgl. dazu aber jetzt STEGEMANNS eigene Darstellung in Sozialgeschichte 200f und 209-211. In den vom Synagogenausschluß Betroffenen sieht er nun christusgläubige Juden.

410 STEGEMANN, Synagoge 141.

411 Es ist übrigens auch nur eingeschränkt richtig, Nikodemus mit den a;rcontej in 12,42 in Verbindung zu bringen, da von ihm nie gesagt wird, daß er glaube. Es handelt sich bei ihm eher um einen Sympathisanten als um einen "heimlichen Jünger". 19,38 bezieht sich nur auf Joseph von Arimathäa - Nikodemus kommt erst später dazu.

7,26 und v.a. 7,48, wo sie zusammen mit den Pharisäern genannt werden, geben keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß Joh die jüdische Führungsschicht meint.412

Die Ansicht STEGEMANNS, "gerade die untypische Formulierung der Maßnahmen mit avposuna,gwgoj könnte darauf deuten, daß die Betroffenen keine Juden, sondern eben Heiden, nämlich Gottesfürchtige sind"413, läßt sich also nicht halten.414

Richtig ist aber wohl seine Vermutung, daß die "untypische Formulierung" auch eine ungewöhnliche Maßnahme bezeichnet und nicht eine der (bekannten) innersynagogalen Strafen.415 Das Außergewöhnliche ist einerseits, daß die Gemaßregelten damit aus dem Geltungsbereich der Maßregelung ausscheiden, andererseits aber auch, daß diese nur während eines äußerst begrenzten Zeitraumes stattgefunden hat, nämlich in der Zeit ca. von 70 bis 100, d.h. zwischen der Tempelzerstörung und der Einfügung des "Ketzersegens" ins Achtzehnbittengebet. Danach ist die Trennung vollzogen, und es ist deshalb nicht verwunderlich, daß uns in der erst danach einsetzenden rabbinischen Literatur die Verfahrensweise für den Ausschluß der christusgläubigen Juden nicht geschildert wird. Deutlich wird dagegen die Situation der Minim nach dem Aus-schluß416: "Jeder persönliche u. geschäftliche Verkehr mit ihnen wurde verboten; das geschah so gründlich, daß die Heiden (Nichtisraeliten) in dieser Hinsicht wesentlich günstiger dastanden als jene; niemand sollte ihnen in einer Gefahr Hilfe bringen; ihre Opfergaben im Tempel wurden abgewiesen, sie selbst aber in den Gottesdiensten feierlich verwünscht, sooft das Achtzehnbittengebet gebetet wurde..."417

412 Selbst der "Hauptmann von Kapernaum", der bei Mt und Lk eindeutig als Gottesfürchtiger gezeichnet wird, ist im JohEv nicht als e`kato,ntarcoj bezeichnet, sondern als basiliko,j, womit unklar bleibt, ob es sich tatsächlich um einen heidnischen Offizier handelt. Die Gegenüberstellung "Ablehnung durch das Gottesvolk / Glaube bei den Heiden" fehlt im JohEv völlig. Zu demselben Ergebnis kommt PANCARO, Church 405: "John is not at all concerned with Gentiles...

There is no question of having to explain how non-Jews can be said to have become the »people of God«."

413 Synagoge 105, Anm.24.

414 STEGEMANNS Darstellung entspringt wohl dem Wunsch, den Synagogenausschluß als weniger schwerwiegende Maßnahme von seiten der Juden darzustellen, um nicht in den antijudaistischen Ton des JohEv einzustimmen.Doch indem er den Antijudaismus vermeidet, verliert er zugleich die jüdische Identität des JohEv und der joh Christen - wie überhaupt der ersten Christen - aus dem Blick. Eine solche Darstellung gerät in die Gefahr, den Antijudaismus durch eine Verleugnung des Judenchristentums zu ersetzen. In seiner Sozialgeschichte zeigt STEGEMANN dagegen jetzt eine hohe Sensibilität für die Problematik der joh Judenchristen.

415 Vgl. MARTYN, History 44.

416 Während

~ydiM,'Wvm.

(oder

~rimWm

) sich als "Abtrünnige" selbst lossagen, sind

~yniymii

"Ketzer", die aus der jüdischen Gemeinschaft ausgeschlossen worden sind. Vgl. STRACK/BILLERBECK IV, 330.

417 STRACK/BILLERBECK 331; vgl. die dazu dort 332f angegebenen Stellen.

b) Art der Maßnahmen

In welcher Weise aber findet diese Ausgrenzung der joh Christen statt?

Auszuschließen sind die Synagogalstrafen: Die davon Betroffenen bleiben Juden und Synagogenangehörige418, selbst wenn sie vom Gottesdienst womöglich sogar lebenslang -ausgeschlossen werden.419

Selbst der Synagogenbann ist von seinem Sinn her eine nur vorübergehende Maßnahme. "Um den einfachen oder verschärften Synagogenbann handelt es sich nicht, weil dieser zeitweise Ausschluß von der religiösen Gemeinschaft und zum Teil vom gesellschaftlichen Verkehr eine Besse-rungsstrafe war, die einen Juden von der Synagoge nicht trennen, sondern als gehorsamen Gesetzeserfüller wieder zu ihr zurückbringen sollte."420

Näher liegt es, an die Birkat ha-Minim zu denken, die ein christusgläubiger Jude unmöglich mitsprechen konnte.421 Doch auch hier tun sich bei näherer Betrachtung Schwierigkeiten auf: Zwar ist die Einfügung des "Ketzersegens" eine Art offizieller Maßnahme der Rabbinen (unter Gamaliel II. um 90 n.Chr.), was dazu passen würde, daß in Joh 9,22 eine Beschlußfassung berichtet wird.422 Historisch ist ein solcher Beschluß - etwa der in der in der Forschung umstrittenen Synode von Jabne - jedoch fragwürdig: Zwar wurde die Birkat ha-Minim unter Gamaliel II. in das Achtzehnbittengebet eingefügt; es ist aber nicht sicher, wann diese erweiterte Form überall in Gebrauch war und ob sie schon zu Beginn die "Nazarener" (

~yricnoo

= Christen) ausdrücklich nannte.423Zudem ist schwer vorstellbar, daß es zur Ausscheidung der Häretiker aus der Synagoge

418 Vgl. MARTYN, History 44 : "...the preposition away from (apo) shows clearly that whatever may be taking place, it is not a matter of inner-synagogue discipline." (MARTYN selbst identifiziert Synagogenausschluß und Ketzersegen.) Daß es sich um eine dauerhafte Trennung handelt, unterstreicht der joh Gebrauch von "die Juden" (vgl. S.137-141 das ent-sprechende Kapitel).

419 Vgl. STRACK/BILLERBECK IV, 329ff.

420 SCHNACKENBURG II, 317.

421 Anders MAIER, Auseinandersetzung 141: "Es ist fraglich, ob Judenchristen sich selbst als Minim einstuften und sich daher betroffen fühlten..." Vielleicht sind die von Joh als "heimliche Jünger" bezeichneten Christen eben solche, die sich nicht betroffen fühlten.

422 MARTYN schreibt zu 9,22: "The first two elements show us clearly that the subject under discussion is a formal agreement or decision reached by some authoritative Jewish group at some time prior to John's writing." (History 38) 423WENGST, Gemeinde 94, kommt sogar zu dem Schluß, daß

~yricnoo

sekundär seinmuß.

Da die jüdischen Gebete in tannaitischer und auch noch amoräischer Zeit nicht aufgeschrieben werden durften, ja der Wortlaut bewußt offen gehalten wurde, weil der jeweilige Beter nicht "plappern" (vgl. Mt 6,7), sondern spontan formulieren sollte, gibt es überhaupt keine Urform des "Ketzersegens". Festgelegt waren auch beim Achtzehnbittengebet Gamaliels II. lediglich die Reihenfolge der Bitten und der jeweilige ungefähre Inhalt. Vgl. HEINEMANN, Prayer 26 u.ö., PETUCHOWSKI, Geschichte 24ff und DIETRICH RGG3 V 1462.

genügte, den "Ketzersegen" im Gottesdienst sprechen zu lassen, ohne daß vorher klar war, wer als Häretiker zu betrachten war. Der Einfügung der Birkat ha-Minim muß deshalb m.E. ein längerer Klärungsprozeß vorausgegangen sein.424

Hinzu kommen Hinweise im JohEv, daß der Synagogenausschluß mehr war als eine automatische Selbstausschließung durch Selbstidentifikation als "Minim".

Spuren eines geordneten "Ketzerprozesses" lassen sich im JohEv nicht ausmachen. Die geschilderten "Verhöre" von Jesus-Anhängern (Täuferbefragung, Befragung des Blindgeborenen und seiner Eltern, Petrus am Kohlenfeuer) sind sämtlich nicht als Befragungen vor einem ordentlichen Gericht gezeichnet.425

Andererseits deuten diese Texte darauf hin, daß der Synagogenausschluß nicht allein durch das Nicht-Mitsprechen der Birkat ha-Minim geschah. Der "Ketzersegen" ist möglicherweise als institutionalisiertes Verfahren am Ende eines Ausscheidungsprozesses zu verstehen. Zunächst wur-den wohl Juwur-den mit auffälligen Sondermeinungen (über Jesus o.a.) einer kritischen Prüfung durch Schriftgelehrte unterzogen, die auf Dauer dazu führten, daß sich gewisse Routinen herausbildeten, die dann im "Ketzersegen" zu einem schnellen und im kultischen Vollzug verankerten Lackmustest vereinigt wurden wie in einem standardisierten Fragebogen.

Aus dem Text des JohEv läßt sich nicht eindeutig erschließen, ob der "Ketzersegen" zur Abfassungszeit tatsächlich schon in das Achtzehnbittengebet eingefügt war.426 Jedenfalls geht es hier wie dort um dieselbe Auseinandersetzung.

Das Ergebnis läßt sich als Exkommunikation beschreiben, d.h. als einseitige Aufkündigung der Gemeinschaft.427 Die joh Christen verloren damit ihre alte Identität. Da die jüdische Gemeinschaft sie nicht länger anerkannte, waren sie keine Juden mehr, sondern "Unpersonen".

c) Datierung

Die Frage, wann die joh Christen diese einschneidende Erfahrung machten, läßt sich nicht eindeutig klären. Während die absolute Datierung des Ausschlusses abhängig davon ist, an welche Maßnahmen konkret zu denken ist, ist die relative eindeutig vor der Textabfassung anzusetzen,

424 Zu dem Schluß, daß der Synagogenausschluß vor der Birkat ha-Minim liegt, kommt auch WENGST, Gemeinde 100ff.

Ähnliche Zweifel an der Gleichsetzung hegt MEEKS, Funktion 260 Anm.40.

425 Anders also als in der synoptischen Verfolgungsankündigung Mk 13,9-13 parr.

426 MAIER, Auseinandersetzung 140, hält es für unsicher, ob der "Ketzersegen" vor 135 n.Chr. im Wortlaut fixiert war.

Vgl. zu diesem Problem o. Anm.423.

427 Die Reaktion auf die Exkommunikation ist dann eine Conversion, vgl. u. Anm. 444, eine subjektive Annahme der fremddefinierten religiösen Identität.

denn die erste Erwähnung von avposuna,gwgoj in 9,22 macht deutlich, daß Joh hier mit einem Vorwissen bei seinen Lesern rechnet. Die distanzierende Bezeichnung oi` VIoudai/oi zeigt zudem, daß der Synagogenausschluß bereits abgeschlossen ist.

Für die Zeit Jesu läßt sich keine entsprechende Maßnahme finden. Die Verse 9,22 und 12,42 sind Anachronismen, was 9,22 mit h;dh selbst andeutet, und 16,2 verweist als Teil der Abschiedsreden in jedem Fall aus der Zeit Jesu in eine spätere.

Der Synagogenausschluß hat also nach dem Tod Jesu und vor der Abfassung des JohEv stattgefunden, wahrscheinlich kurze Zeit davor, denn erstens stellt der "Hinauswurf" (vgl. 9,34f:

evxe,balon) noch ein Problem dar, und zweitens ist die eigene Abgrenzung gegenüber der Synagoge noch nicht so weit fortgeschritten, daß man nicht auch Christen innerhalb der Synagoge kennen würde, wenngleich ihr Status nun zweifelhaft ist.

d) Beschränkung auf das JohEv

Warum aber hat diese Ausgrenzung der christusgläubigen Juden aus der Synagoge im übrigen NT anscheinend keinen Niederschlag gefunden? Wenn der Ausschluß nicht einfach mit der Einfügung des "Ketzersegens" gleichzusetzen ist, kann die zu vermutende spätere Abfassung alleine nicht ausschlaggebend sein.

Ein weit verbreitetes Lösungsmodell geht davon aus, daß die joh Christen eine isolierte Existenz als Sekte führten. M.E. läßt sich dieser Begriff hier aber nur insofern anwenden, als es sich um eine Art jüdischer Sekte handelt. Zu joh Zeit gibt es keine "Großkirche", von der man "Sekten"

unterscheiden könnte, sondern einen bunten Flickenteppich christlicher Gruppen, die sich v.a. in einem Punkt einig waren, nämlich daß Jesus der Christus ist.

Weiter scheint mir die Überlegung von WENGST zu führen, daß der Synagogenausschluß "nur für eine vorwiegend judenchristliche Gemeinde" wirklich ein Problem darstellte.428 Bei den joh Christen scheint es sich um eine streng judenchristlich geprägte Gruppe zu handeln, die sich selbstverständlich weiterhin zur Synagoge gehalten hatte, während sich andere christliche Gruppen innerlich selbst schon viel weiter von der Synagoge entfernt hatten und deshalb vom Ausschluß genau so betroffen waren, sich aber wesentlich weniger betroffen fühlten.

Hinzukommen dürfte eine lokale Ausprägung in der Haltung der Synagogenleitungen: Zwar versuchte das rabbinische Judentum unter Gamaliel II. sich flächendeckend durchzusetzen, zunächst aber war das eher Wunsch als Wirklichkeit. Auch hier muß man darum berücksichtigen, daß eine

428 Gemeinde 155f.

Uniformität im Wortlaut des "Ketzersegens" eher unwahrscheinlich ist.429 Je nach lokaler Tradition ist es also möglich, daß die Formulierung sich deutlicher oder weniger deutlich gegen christusgläubige Juden richtete.

e) Gründe für den Ausschluß

Zumindest in der joh Textwelt ist das Kriterium für den Ausschluß allein das Christus-Bekenntnis:430 In 9,22 heißt es explizit "wenn ihn einer als Christus bekennt" (eva,n tij auvto.n o`mologh,sh| cristo,n), in 12,42 geht es jedenfalls um ein Bekenntnis, wenngleich dessen Inhalt nicht deutlich wird ouvc w`molo,goun i[na mh. avposuna,gwgoi ge,nwntai). Für 16,2 ist die Begründung wohl in 15,21 zu finden, zwar ohne das Stichwort "bekennen", aber dafür mit der Erwähnung des

"Namens" (dia. to. o;noma, mou).

Dazu paßt, daß auch an anderen Stellen des JohEv ein besonderes Gewicht auf dem Christus-Bekenntnis liegt: Der vom Evangelium selbst genannte Abfassungszweck lautet, daß die Leser glauben sollen, "daß Jesus der Christus, der Sohn Gottes ist" (20,31). Und man kann wohl (mit Blick auf das joh Zeugnis-Motiv) hinzufügen, daß sie das nicht nur glauben, sondern auch bekennen sollen. Daß das Christus-Bekenntnis hier genannt wird, zeigt, daß seine Bedeutung nicht auf die Textwelt beschränkt ist, denn der Abfassungszweck verweist ja aus dem Text in die Lebenswelt.

Deckungsgleich mit 20,31 ist das Christus-Bekenntnis der Martha in 11,27. Außerdem findet sich im sog. Hohepriesterlichen Gebet eine bekenntnishafte Formel mit dualem Aufbau: "Das aber ist das ewige Leben, daß sie dich, den allein wahren Gott und, den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen." (17,3)431

Zudem gibt uns Joh selbst in 1,41 und 4,25 die Übersetzung Messias = Christus432 und betont mit dieser Doppelung die Bedeutung des Wortes "Christus". Und in der Passionsgeschichte wird deutlicher als bei den Synoptikern, daß Jesus als der Messias des jüdischen Volkes stirbt.

Der Wortlaut der joh Bekenntnisse könnte darauf hinweisen, daß besonders die Verbindung Christus = Sohn Gottes auf seiten der Rabbinen als anstößig empfunden wurde. Denn daß der Messias der Sohn Gottes ist, wird im JohEv nicht mehr als Annahme an Sohnes statt, sondern

429 Vgl. Anm..423.

430 Vgl. hierzu auch den Abschnitt "Bekenntnis und Zeugnis" S.142ff.

431 Daß Jesus in diesem Vers selbst von "Jesus Christus" spricht, legt die Vermutung nahe, daß hier eine Bekenntnisformel aufgenommen wurde. "Jesus Christus" begegnet in den Evangelien nie in der Erzählung, und auch der joh Jesus, der von sich häufig in der 3.Person spricht, tut das sonst nie mit diesem Kurzbekenntnis. S.u. S.145

432 Messi,aj im NT nur an diesen beiden Stellen.

essentiell verstanden433. Hierin sahen die Rabbinen einen Verstoß gegen den Monotheismus, also

essentiell verstanden433. Hierin sahen die Rabbinen einen Verstoß gegen den Monotheismus, also

Im Dokument DIE SELBSTAUSLEGUNG DES WORTES (Seite 118-143)