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Es lässt sich zusammenfassen, dass Parkinsonpatienten und Patienten der Schädigungsgruppe deklarativ im Mittel im Vergleich zu den Hirngesunden sowohl in der deklarativen als auch in der prozeduralen Gedächtnisverarbeitung beeinträchtigt sind. Trotzdem zeigte sich ein differentieller Schlafvorteil in beiden Gruppen – die Parkinsonpatienten zeigen keinen Schlafvorteil für die prozeduralen Leistungen wohl aber für die deklarativen Leistungen, während die Patienten der Schädigungsgruppe deklarativ einen Schlafvorteil für die prozeduralen Leistungen aber nur einen tendenziell signifikanten Schlafvorteil für die deklarativen Leistungen zeigen. Entsprechend gibt es relativ gute Belege dafür, dass bei den Parkinsonpatienten die nächtlichen prozeduralen Gedächtnisprozesse gestört sind, während die nächtlichen deklarativen Gedächtnisprozesse tendenziell intakt sind. Weiterhin gibt es Hinweise darauf, dass bei Patienten mit Hirnschädigungen, die häufig zu Beeinträchtigungen des deklarativen Gedächtnisses führen, die nächtliche Verarbeitung deklarativer Lerninhalte gestört ist, während die Verarbeitung prozeduraler Inhalte weitgehend intakt ist.

Die hirngesunden Patienten verbrachten in der Experimentalnacht hypothesenkonform mehr Zeit im SWS als in der Basisnacht. Dieser Effekt zeigte sich allerdings nur für das Schlafstadium 3, und nicht ebenfalls für das Schlafstadium 4. Im Sinne der aufgestellten Hypothesen lässt sich dieses Ergebnis damit erklären, dass das vorauslaufende Lernen deklarativer Inhalte eine verstärkte Anforderung an Konsolidierungsprozesse stellt, die während des SWS (insbesondere im Schlafstadium 3) stattfinden, und dass in der Folge davon die Dauer des SWS nach dem Lernen zunimmt. Belege dafür, dass in dieser Gruppe tatsächlich Konsolidierungsprozesse während des Schlafes im Sinne der Hypothesen ablaufen, stammen zudem aus der Auswertung der Gedächtnisdaten, die einen Schlafvorteilseffekt zeigen.

Für die Patienten der Schädigungsgruppe deklarativ war keine Veränderung der Dauer des SWS vorhergesagt worden; im Unterschied zu den Vorhersagen ergab sich jedoch ein tendenziell signifikanter Anstieg von Schlafstadium 4. Dass sich in dieser Gruppe – hypothesenwidrig – ein Anstieg des SWS zeigt, korrespondiert mit der Analyse der deklarativen Gedächtnisleistungen überein, die ja – ebenfalls nicht hypothesenkonform – keine deutlichen Beeinträchtigungen der schlafgebundenen deklartiven Gedächtnisprozesse aufzeigte. Wie bereits an früherer Stelle diskutiert, ist dies möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die Schädigungsgruppe deklarativ relativ heterogen zusammengesetzt war und dass zumindest einige der Patienten keine hinreichend starken Beeinträchtigungen in der deklartiven Gedächtnisbildung aufwiesen. Eine mögliche Erklärung der Ergebnisse in diesen beiden Patientengruppen wäre demzufolge, dass bei Personen mit intakter deklarativer Gedächtnisbildung eine Verlängerung des Anteils von SWS, unabhängig ob Schlafstadium 3 oder 4, durch aktive Konsolidierungsprozesse während dieses Schlafes hervorgerufen wird.

Erschwert wird die Interpretation dieser Ergebnisse allerdings dadurch, dass in den zwei Patientengruppen unterschiedliche Anteile des SWS verlängert waren, nämlich das Schlafstadium 3 in der Gruppe der hirngesunden Patienten und das Schlafstadium 4 in der Schädigungsgruppe deklarativ. Es lässt sich damit nicht ausschließen, dass die Schlafstadien 3 und 4 in Bezug auf das Gedächtnis eine unterschiedliche Bedeutung haben. Es ließe sich beispielsweise vermuten, dass das Schlafstadium 3, das bei den hirngesunden Patienten verlängert war, eine gedächtniskonsolidierende Funktion hat, wie es in vielen Untersuchungen zum Zusammenhang von Gedächtnis und SWS angenommen wurde (Plihal & Born, 1997, 1999b; Squire & Alvarez, 1995). Die Verlängerung des Schlafstadium 4 in der Schädigungsgruppe deklarativ könnte möglicherweise auch die Beeinträchtigungen der deklarativen Gedächtnisbildung in dieser Gruppe spiegeln und damit funktional eher einer

Schwächung von Gedächtnisinhalten im SWS entsprechen, wie sie im theoretischen Teil dieser Arbeit beschrieben wurde (Gardner-Medwin & Kaul, 1995; Guidetta et al., 1995). Im Verlauf der Diskussion wird diese Interpretation der Ergebnisse ausführlicher dargestellt.

Auf eine weitere mögliche Interpretation weist das Ergebnis der Parkinsonpatienten hin. Für die Gruppe der Parkinsonpatienten zeigte sich entgegen der Vorhersage keine Zunahme des SWS in der Experimentalnacht im Vergleich zur Basisnacht. Es ist bemerkenswert, dass dieses Ergebnismuster für die drei Patientengruppen bezüglich des Tiefschlafes – nämlich Unterschiede bei den Hirngesunden und der Schädigungsgruppe deklarativ und keine Unterschiede bei den Parkinsonpatienten – genau dem Muster entspricht, das für Unterschiede vorhergesagt worden ist, die auf prozedurale Konsolidierungsprozesse während des Schlafes zurückzuführen sind. Mit anderen Worten: das Ergebnismuster bezüglich des SWS ließe sich auch dahingehend interpretieren, dass die prozedurale Gedächtnisverarbeitung mit dem SWS in Zusammenhang steht. Auch diese Interpretation – die der dualistischen Annahme von deklarativer Gedächtnisbildung im SWS und prozeduraler Gedächtnisbildung im REM (Dotto, 1996; Karni et al., 1994; Plihal & Born, 1997; Plihal et al., 1999; C. T. Smith, 1995; Wilson & McNaughton, 1994) soll zu einem späteren Zeitpunkt in der Diskussion noch einmal aufgegriffen werden.

Die Überprüfung der Lernauswirkungshypothesen hinsichtlich des REM-Schlafes ergab keine Veränderungen der REM-Schlaf-Dauer für alle drei Untersuchungsgruppen. Dies steht im Gegensatz zu den Hypothesen, denn für die hirngesunden Patienten als auch für die Patienten der Schädigungsgruppe deklarativ waren Anstiege der REM-Schlaf-Dauer vorhergesagt worden, während nur die Parkinsonpatienten unveränderte REM-Schlaf-Dauern im Vergleich Experimental- und Basisnacht aufweisen sollten. Insgesamt zeigen die Ergebnisse dieser Untersuchung, dass die REM-Schlaf-Dauer bei diesen Patientengruppen und bei diesen Aufgabentypen nicht mit der Gedächtnisverarbeitung in Zusammenhang steht, ein Befund der gerade im Verlauf der letzten Jahre immer häufiger gefunden und diskutiert wurde (Vertes & Eastman, 2000). Allerdings zeigten bereits in der Vergangenheit einige Untersuchungen, dass nicht die Dauer, sondern andere REM-Parameter wie beispielsweise Anzahl und Dichte der REMs durch vorauslaufendes Lernen verändern werden, und dadurch einen Hinweis auf gedächtnisbegünstigende Prozesse während des REM-Schlaf liefern (C. T.

Smith & Lapp, 1991; Verschoor & Holdstock, 1984) . Zudem weisen neuere Untersuchungen auf eine Funktion des REM-Schlafes an der Verarbeitung von emotionalem Material hin (Wagner et al., 2001).

Möglicherweise könnte der Zusammenhang von REM und der Verarbeitung von emotionalen Material dazu beitragen, einige der heterogenen Ergebnisse hinsichtlich der Gedächtnisverarbeitung während des REM-Schlafes aufzuklären. Hinweise auf gedächtnisverarbeitende Prozesse während des REM stammen vor allem aus Untersuchungen aus dem tierexperimentellen Bereich, innerhalb derer Gedächtnisdefizite nach REM-Deprivationen gezeigt wurden. REM-Deprivation im Tierexperiment hat jedoch bestimmte Nebeneffekte: insbesondere kann davon ausgegangen werden, dass diese Manipulation neben der gewollten Veränderung des Schlafes zusätzlich Stress bei den Versuchstieren induziert.

Aus diesem Grund lässt sich bei solchen Untersuchungen nicht abschätzen, in welchem Ausmaß die Gedächtnisbeeinträchtigungen auf den REM bzw. auf die stressinduzierenden Deprivationsbedingungen zurückgeführt werden können (Vertes & Eastman, 2000).

Weitere nicht vorhergesagte Veränderungen der Dauer einzelner Schlafstadien im Vergleich zwischen Basis- und Experimentalnacht stammen von den Patienten der Schädigungsgruppe deklarativ. Diese Untersuchungsgruppe verbrachte in der Basisnacht im Vergleich zur Experimentalnacht mehr Zeit in leichter bis mittlerer Schlaftiefe (insbesondere Schlafstadium 2). Tatsächlich zeigte sich dieser Effekt auch über alle drei Untersuchungsgruppen (siehe 5.2); eine Betrachtung der Ergebnisse der einzelnen Gruppen legt jedoch nahe dass er vor allem auf die Patienten der Schädigungsgruppe deklarativ sowie in der Tendenz auf die Hirngesunden zurückgeht. Dieser Effekt könnte im Sinne einer Kompensation der erhöhten Dauer von lernabhängigen Prozessen verstanden werden die in anderen Schlafstadien ablaufen und entsprechend Raum am Gesamtschlaf fordern.

5.2.2 Patientengruppen und Schlafarchitektur

Die drei Untersuchungsgruppen unterschieden sich zudem in der Dauer einzelner Schlafstadien. Die Parkinsonpatienten verbrachten signifikant mehr Zeit im Schlafstadium 1 als die Hirngesunden und auch als die Patienten der Schädigungsgruppe deklarativ.

Möglicherweise werden die Parkinsonpatienten aufgrund der motorischen Beeinträchtigungen (Rigor, Tremor) länger als Kontrollpersonen am Einschlafen gehindert und in den Leichtschlafstadien gehalten Dieses Ergebnis stützt die Ergebnisse anderer Studien, die zeigten, dass die Schlafeffizienz der Parkinsonpatienten reduziert ist (Clarenbach, 2000). So verbringen Parkinsonpatienten mehr Zeit im leichten Schlaf (Schlafstadium 1 und 2), aber weniger Zeit im Tiefschlaf (Schlafstadium 3 und 4) bzw. im REM-Schlaf. Eine Verkürzung der Tief- und REM-Schlaf-Phasen im Schlaf der Parkinsonpatienten zeigte sich in dieser Untersuchung allerdings weder in der Basis- noch in der Experimentalnacht.

Die Patienten der Schädigungsgruppe deklarativ verbrachten signifikant mehr Zeit im Schlafstadium 4 als die Parkinsonpatienten (der Vergleich mit den Hirngesunden ging in die gleiche Richtung). Wie bereits angeführt, ist die Verlängerung dieses Schlafstadiums bei dieser Untersuchungsgruppe nicht hypothesenkonform. Es war ursprünglich davon ausgegangen worden, dass die Patienten der Schädigungsgruppe deklarativ Defizite in den schlafgebundenen Konsolidierungsprozessen deklarativer Lernmaterialen aufweisen würde, welche während des SWS ablaufen. Diese Defizite sollten zu einer Verkürzung des SWS führen. Die Dauer des SWS war bei dieser Patientengruppe jedoch chronisch erhöht, einerseits im Vergleich zwischen Untersuchungsgruppen andererseits im Vergleich zwischen Experimental- und Basisnacht innerhalb der Untersuchungsgruppe. Eine mögliche Erklärung dieses Ergebnisses wurde vorauslaufend bereits kurz diskutiert. Es wäre denkbar, dass die im Mittel gezeigten Beeinträchtigungen der deklarativen Gedächtnisleistungen in dieser Untersuchungsgruppe sich in der Verlängerung von Schlafstadium 4 spiegeln. Dem Schlafstadium 4 würde damit funktional eher eine gedächtnisschwächende, als eine gedächtniskonsolidierende Rolle zugeschrieben werden (Guidetta et al., 1995; Gardner-Medwin & Kaul, 1995).

5.2.3 Abschließende Diskussion der Schlafdaten

Insgesamt ergab die Auswertung der Schlafdaten Hinweise darauf, dass der SWS funktional eine Bedeutung für die Gedächtnisverarbeitung hat. Gleichzeitig waren die diesbezüglichen Ergebnisse komplexer als erwartet worden war, denn während die hirngesunden Patienten einen Anstieg in Stadium 3 zeigten, zeigte die Schädigungsgruppe deklarativ einen Anstieg in Stadium 4. Auch entsprach das Muster der Ergebnisse nur zum Teil den Vorhersagen: insbesondere war der Anstieg in der Schädigungsgruppe deklarativ nicht erwartet worden, während sich der vorhergesagte Unterschied bei den Parkinsonpatienten nicht zeigte. Zudem unterschieden sich die Patienten der Schädigungsgruppe deklarativ von den anderen Untersuchungsgruppen in einem höheren Anteil von Schlafstadium 4 am Gesamtschlaf. Interpretationen der Ergebnisse deuten auf gedächtniskonsolidierende Funktionen von Schlafstadium 3 aber möglicherweise gedächtnisschwächende Funktionen von Schlafstadium 4. Abschließend wird der Beitrag von Schlafstadium 4 an der Gedächtnisverarbeitung weiter erläutert werden.

Allerdings erbrachte die Auswertung der Schlafdaten keine Hinweise darauf, dass die Dauer des REM-Schlafes einen Einfluss auf die Gedächtnisverarbeitung - weder auf die

prozedurale noch auf die deklarative - hat. Offenbar hat der REM-Schlaf, zumindest für die in dieser Arbeit untersuchten Lernaufgaben, keine gedächtnisbildende Funktion.

Ungerichtete Vergleiche ergaben zudem Hinweise auf eine mögliche gedächtnisverarbeitende Funktion des Schlafstadiums 2 über alle Patientengruppen, wobei dieser Verlängerung allerdings auch im Sinne einer Kompensation des Platzbedarfes auch anderer gedächtnisverarbeitender Prozesse zu verstehen sein könnte.