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Erklärungsmodelle zur Wirkungsweise des Schlafes auf das Gedächtnis

2.3 Schlaf und Gedächtnis

2.3.1 Erklärungsmodelle zur Wirkungsweise des Schlafes auf das Gedächtnis

et al., 2003). Bezüge zur Gedächtnisbildung zeigen sich am Symptom des automatischen Verhaltens (A. Sturm & Clarenbach, 1997). Dieses fremdanamnestisch erhobene Symptom bezeichnet geordnete Aktivitäten für Minuten bis Stunden, für die im Nachhinein eine Amnesie besteht.

Schließlich geht die Konsolidierungstheorie davon aus, dass während des Schlafes aktive neuronale Prozesse stattfinden, die zu einer verbesserten Einspeicherung führen. Nach dieser Hypothese ist es also nicht die Reduktion von Faktoren durch die der Schlaf gekennzeichnet ist, die sich positiv auf die Gedächtnisleistung auswirken, sondern der Schlaf begünstigt solche Faktoren, die die Gedächtnisleistung positiv beeinflussen.

Im derzeitigen Forschungsfeld zum Thema Schlaf und Gedächtnis gehen die Autoren in der Mehrzahl davon aus, dass während des Schlafes neuronale Prozesse stattfinden, die zur Konsolidierung von Erlerntem führen. Die Spurenzerfall- und die Interferenztheorie können immer mehr Untersuchungsergebnisse nicht erklären. So konnte in einer Reihe von Arbeiten gezeigt werden, dass die Konsolidierung in unterschiedlichen Gedächtnissystemen von verschiedenen Schlafstadien abhängt (Wilson & McNaughton, 1994; Karni et al., 1994; Plihal

& Born, 1997). Diese differentielle Wirkung lässt sich nicht mit langsameren Spurenzerfall oder Interferenzlosigkeit während des Schlafes erklären, wäre hiernach doch eine einheitliche Verbesserung für alle Gedächtnissysteme zu erwarten. Auch wenn in dieser Arbeit von einer Konsolidierungsfunktion des Schlafes ausgegangen wird, muss angemerkt werden, dass sich alle drei Erklärungsansätze nicht ausschließen und mit hoher Wahrscheinlichkeit ergänzend zusammenwirken. So werden die Spurenzerfallstheorie als auch die Interferenztheorie immer wieder zur Erklärung einzelner Phänomene im Zusammenhang von Schlaf und Gedächtnis herangezogen:

Coenen und van Luijtelaar (1997) nehmen beispielsweise an, dass sich die gedächtnisbegünstigenden Effekte des Schlafes über denselben Wirkmechanismus erklären lassen, der auch für die Wirkung von Benzodiazepinen auf Gedächtnisbildung angenommen wird. Sie beobachteten als Folge von Benzodiazepineinnahme bei gesunden Versuchspersonen anterograde Amnesien und „retrograde Erleichterungen“. Mit retrograden Erleichterungen meinen die Autoren, dass die Informationen, welche unmittelbar vor der Einnahme von Benzodiazepinen erlernt werden, besser erinnert werden als gewöhnlich (Hinrichs, Ghoneim & Mewaldt, 1984). Es wird angenommen, dass der Abfall der Vigilanz oder die sedierenden bzw. hypnotischen Eigenschaften von Benzodiazepinen zu einer oberflächlicheren Art von Enkodierung und Konsolidierung führen. Dies äußert sich in einer anterograden Amnesie. Die seichtere Enkodierung führt außerdem zu weniger retrograder Interferenz, und die retrograde Erleichterung ist entsprechend das Resultat. Dieser Effekt erinnert an die Wirkungsweise des Schlafes auf das Gedächtnis und ist damit ein gutes Beispiel für die Interferenztheorie des Schlafes. Coenen und van Luijtelaar (1997) nahmen in ihrer Studie an, dass eine verringerte Vigilanz für die anterograden Gedächtnisstörungen nach

Benzodiazepineinnahme verantwortlich sind, und dass demzufolge Versuchspersonen nach totalem Schlafentzug, der ebenfalls eine Verringerung der Vigilanz zur Folge hat, anterograde Gedächtnisstörungen zeigen sollten. Allerdings zeigte eine entsprechende Studie, dass die schlafdeprivierten Personen keine ernsten Zeichen von Amnesie zeigten (Coenen, Gorissen, Unrug & van Luijtelaar, 1999). Coenen und van Luijtelaar (1997) konnten demnach ihre Theorie experimentell nicht belegen. Konsolidierung und Enkodierung geschehen nach Schlafentzug - und damit auch unter erniedrigter Vigilanz - ohne nennenswerte Defizite.

Damit erscheint es allerdings auch fraglich, ob die durch Benzodiazepineinnahme ausgelösten anterograden Gedächtnisbeeinträchtigungen ausschließlich durch einen Abfall der Vigilanz zu erklären sind, oder ob der Abfall der Vigilanz nach Benzodiazepineinnahme vergleichbar mit dem Abfall der Vigilanz während des Schlafes ist.

2.3.2 Experimentelle Befunde zum Zusammenhang von totalem Schlafentzug und kognitiven Leistungen

Überraschenderweise dauert es beim Menschen relativ lange, bis sich nach Schlafentzug Gedächtnisdefizite nachweisen lassen. Es konnte etwa gezeigt werden, dass Versuchspersonen nach 24stündigem totalem Schlafentzug im Vergleich mit Kontrollpersonen keine Gedächtnisbeeinträchtigungen zeigten (Coenen & van Luijtelaar, 1997). Möglicherweise haben schlafdeprivierte Menschen aber den subjektiven Eindruck von einer eigenen beeinträchtigten Gedächtnisbildung. Probanden unterschätzten ihre kognitiven Leistungen zum Beispiel im Hinblick auf logisches Schlussfolgern (Ravens Matrizen Test) nach 29-50-stündigem totalem Schlafentzug im Vergleich zu Kontrollprobanden ohne Schlafentzug, ohne allerdings wirklich schlechter zu sein (Blagrove & Akehurst, 2000).

Möglicherweise ist in diesem Zusammenhang auch entscheidend, welche Gedächtnisarten untersucht werden. So konnten Deming und Mitarbeiter (Deming, Zhenyun, Daosheng & Shanxun, 1991) zeigen, dass Schlafdeprivation einer ganzen Nacht das Kurzzeitgedächtnis stark beeinträchtigt. Die Probanden bearbeiteten abends zwischen sieben und neun Uhr eine Batterie von fünf Gedächtnistests und wurden zufällig in Experimental- und Kontrollgruppe unterteilt. Die Experimentalgruppe blieb eine Nacht wach, die Kontrollgruppe schlief normal. Am nächsten Morgen zwischen sieben und neun Uhr wurden die Probanden nochmals mit hinsichtlich Schwierigkeit und Inhalt parallelisierten Gedächtnistests untersucht. Es zeigte sich, dass eine Nacht Schlafentzug einen negativen Effekt auf das Kurzzeitgedächtnis bei gesunden Probanden hat und dass der Grad der Beeinträchtigung mit dem Schwierigkeitsgrad der Aufgabe zunahm.

Harrison und Horne (2000) konnten eine signifikante Beeinträchtigung des temporalen Gedächtnisses nach 35stündigen Schlafentzug zeigen. Den 40 Versuchspersonen wurden Bilder von erwachsenen unbekannten Gesichtern über einen Overheadprojektor präsentiert.

Zunächst wurden 2x12 Bilder (Serie A und B) dargeboten, mit einer 5 Minuten langen Pause zwischen den zwei Blöcken. Nach weiteren fünf Minuten Pause wurden den Versuchspersonen nun 48 Bilder präsentiert, und zwar die vorauslaufend gezeigten 24 Bilder und 24 neue Bilder. Die Versuchspersonen wurden bei jedem Bild gefragt, ob sie es schon einmal gesehen haben oder nicht (Rekognition), und falls sie es schon einmal gesehen hatten, ob es aus Serie A oder B stammt (temporales Gedächtnis). Es zeigte sich, dass die Schlafdeprivation die Rekognition der Gesichter nicht signifikant beeinflusste, aber es zeigte sich eine signifikante Verschlechterung des temporalen Gedächtnisses nach Schlafentzug. Ein weiteres interessantes Ergebnis war, dass sich die Teilnehmer der Experimentalgruppe mit zunehmender Dauer des Schlafentzuges zunehmend sicherer in ihrer temporalen Zuordnung waren, insbesondere dann wenn ihre Angabe objektiv falsch war. Die Autoren stellen im Anschluss an ihre Untersuchung die interessante Hypothese auf, dass Tests die sensitiv für präfrontale Schädigungen sind, generell besser geeignet sind um Defizite durch Schlafentzug aufzudecken, sei es weil sich der Schlafentzug auf ähnliche Hirnareale auswirkt, oder weil frontalhirnassoziierte Tests einfach aufgrund ihrer generell höheren Schwierigkeit eher durch Schlafentzug beeinflussbar sind. Unterstützend für die erstere Möglichkeit lassen sich Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren anführen (Petiau, Harrison, Delfiore et al., 1998), die zeigen, dass sich im präfrontalen Kortex der größte Abfall in der zerebralen Stoffwechselrate nach nur einer Nacht Schlafentzug zeigt.

Nilsson und Mitarbeiter (Nilsson, Bäckman & Karlsson, 1989) nehmen an, dass die Gedächtnisdefizite, die sich typischerweise mit dem Alterungsprozess entwickeln, funktional dieselben sind, wie die vorübergehendem Gedächtnisstörungen, die sich nach moderatem Alkoholkonsum oder nach Schlafdeprivation zeigen. Diese Gedächtnisbeeinträchtigungen bei alten, alkoholisierten und schlafdeprivierten Personen sind möglicherweise verursacht durch erschöpfte Verarbeitungsressourcen, die zu ineffizienten Enkodierungs- und Abrufprozessen führen. Tatsächlich unterschieden sich in der von Nilsson et al. durchgeführten Untersuchung die älteren und alkoholisierten Versuchspersonen signifikant von einer Kontrollgruppe in der Wiedergabe schwach assoziierter Wortpaare; die schlafdeprivierten Versuchspersonen unterschieden sich allerdings nicht von den Leistungen der Kontrollprobanden, so dass die Analogie zwischen Auswirkungen des Alters und von Alkohol einerseits und Schlafentzug andererseits nicht bestätigt werden konnte.

Es existieren aber auch Untersuchungen, die zeigen, dass eine mäßige Schlafrestriktion durch vier aufeinanderfolgende Nächte mit sechs Stunden Schlaf zu Gedächtnisbeeinträchtigungen führen kann (Roehrs & Roth, 2000). Allerdings ist es bislang ungeklärt, ob es die Schlafrestriktion ist, die zu Gedächtnisbeeinträchtigungen führt oder die verstärkte Tagesmüdigkeit. Es ist also möglich, dass ein Schläfrigkeitszustand die Reizregistrierung bzw. Enkodierung beeinträchtigt, und dass die gemessenen Gedächtnisbeeinträchtigungen hierauf zurückzuführen sind und nicht auf (eingeschränkte) Konsolidierungsprozesse während der Nacht.

Im Tierexperiment konnten Guan und Mitarbeiter (Guan, Peng & Fang, 2004) zeigen, dass Abnahmen in der extrazellulären signalregulierenden Kinase (ERK) Phosphorisierung im Hippocampus durch Schlafentzug verursacht werden. ERK ist in die Gedächtniskonsolidierung bei verschiedenen Aufgaben involviert und notwendig für die Vermittlung neuronaler Antworten auf synaptische Aktivierungen. Die Autoren trainierten Ratten im Labyrinthlernen und fanden dass vorauslaufender Schlafentzug keinen Einfluss auf das Lernen hatte, aber dass das ERK Phosphorisierungsniveau nach 6 stündiger totaler Schlafdeprivation signifikant reduziert war. In einer erneuten Überprüfung des erlernten Verhaltens nach 24 Stunden zeigten sich dann Beeinträchtigungen. Die Autoren schließen daraus, dass abfallende ERK Aktivierungen im Hippocampus für die durch Schlafdeprivation hervorgerufenen Beeinträchtigungen im räumlichen Gedächtnis verantwortlich sind.

Insgesamt lässt sich resümieren, dass kurzandauernder kompletter Schlafentzug nur zu geringen Gedächtnisbeeinträchtigungen führt, die häufig auch nur in schwierigeren Aufgaben messbar werden und möglicherweise mit Veränderungen im Hippocampus in Zusammenhang stehen.