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Santa Costanza als Vorbild

Im Dokument Nebenbei Raum (Seite 193-199)

Umfang und Aufbau

3. Mechanismen der impliziten visuellen Raum- Raum-wahrnehmung im Dialog mit Architektur

3.2 Stehende Betrachter im Raum

3.2.3 Santa Costanza als Vorbild

Es gibt mehrere Gründe, warum wir davon ausgehen können, dass Borromi-ni Santa Costanza kannte: Aus eiBorromi-nigen auffallenden strukturellen Verwandt-schaften und aus der Ähnlichkeit der Dimensionen des Mausoleums mit seinem Entwurf für eine Pamphili Grabkapelle bei „S. Maria in Vallicella“ in Rom schließt Martin Raspe, dass hier „Santa Costanza“ Borromini als Refe-renz gedient haben könnte. Es ist belegt, dass Borromini die antiken Bauten schätzte und studierte.246 Unter anderem besuchte er Ausgrabungen, die zu seiner Zeit in Rom stattfanden. Und schließlich findet sich das Ornament, welches Borromini in seiner berühmten Kuppel von San Carlo verwendet, auch als Mosaik in einem Deckenabschnitt im Umgang des Mausoleums (Abb. 66 u. Abb. 67).247 Betrachtet man den Bau des Mausoleums im Ver-hältnis zu den oben beschriebenen Eigenarten von „San Carlo“, so werden zunächst keine Ähnlichkeiten auffallen. Eine kurze Analyse kann jedoch zeigen, dass auch die Struktur des Mausoleums eine ähnliche, wenn auch weit subtilere Form der Gleichzeitigkeit aufweist. Der Zentralbau besteht aus einem inneren überkuppelten Zylinder, der von einem kreisförmigen, ton-nengewölbten Umgang mit Wandnischen umgeben ist. Die massiven Zie-gelmauerwände des Zylinders lösen sich im unteren Bereich in Arkaden auf, die jeweils von doppelten Säulen getragen werden. Diese umlaufenden Arka-den verbinArka-den Arka-den natürlich belichteten Zentralraum mit dem dunklen Um-gang. Auf den ersten Blick erscheinen die Interkolumnien der Arkaden

246 Vgl. hierzu: Raspe (1996) S.322 sowie Portoghesi (1977) S.11.

247 Dieses Muster kommt allerdings nicht nur in Santa Costanza vor. Leo Steinberg führt eine Sammlung von mehr als 20 Orten auf, an welchen das Muster schon vor dem Bau von San Carlo verwendet wurde. Davon unter anderem auch in Sankt Peter in Rom, wo Borromini vor seinem Auftrag für San Carlo unter Bernini gearbeitet hat. Steinberg zeigt auf, dass Borromini das Muster sehr wahrscheinlich aber doch in Santa Costanza kennenlernte. Möglicherweise über das 3. Buch von Sebastiano Serlio, in welchem das Muster aus Santa Costanza dokumen-tiert ist und das Borromini gekannt haben muss. Vgl. hierzu Steinberg (1977) S.252 ff und Serlio (1987) . Für eine weitere Dokumentation des Musters in Santa Costanza siehe: Polacco (1987).

Abb. 68: „Santa Costanza“: angedeutetes Kreuz im Grundriss.

Abb. 69: Grundriss: perspektivische Beziehung zwischen Nischen und Arkaden.

allesamt gleich. „Bei näherem Hinsehen jedoch“ schreibt Raspe, „bemerkt man in den Hauptachsen geweitete Arkaden und vergrößerte Wandnischen;

leise, aber deutlich durchdringt die Figur des Kreuzes das richtungslose Rundgebilde.“248 In den dominanten, deutlich lesbaren Grundformen des Raumes, Kreis und Zylinder, ist gleichzeitig mithilfe eines subtilen Wechsels in den Säulenabständen ein kreuzförmiger Raum angedeutet (Abb. 68, Abb.

70).

Es wird angenommen, dass Constantia249, Tochter des römischen Kaisers Constantin, das Mausoleum im 4. Jh. für sich selbst errichten ließ. Ursprüng-lich war es einer Basilika angegliedert, welche Constantia vermutUrsprüng-lich zu Eh-ren der Märtyrerin „Sant' Agnese“ über den Katakomben errichten ließ, in welchen die Heilige begraben ist. Von dieser Basilika sind heute nur noch Überreste zu sehen. Über eine dem Bau zu Grunde liegende räumliche Kon-zeption ist nichts weiter bekannt. Allerdings entspricht das virtuelle Kreuz der gängigen Deutung des Baus am Übergang von der römischen zur christ-lichen Religion. So wie sich in den erhaltenen Deckenmosaiken heidnische und christliche Symbolik vermischt, so vermischen sich in der räumlichen Struktur die Merkmale eines antiken Zentralbaus mit der christlichen Kreuz-form.

Eine weitere Eigenart des Mausoleums führt zu der Überlegung, dass die räumliche Struktur dieses und verwandter spätantiker Bauten möglicher-weise tatsächlich in Bezug auf den Blick des Betrachters konzipiert sein könnte. Diese Eigenart betrifft die Beziehung der Nischen im Umgang zu den Arkaden. Während auf dem Grundriss deutlich zu erkennen ist, dass die beiden Elemente in keiner axialen Beziehung zueinander stehen, kann eine perspektivische Beziehung entdeckt werden. Steht der Betrachter an der äu-ßeren Grenze des inneren Zylinders unter den Arkaden in der Achse des Kreuzes, so ist von dort aus durch jede Arkade dahinter eine der Mauer-

248 Raspe (1996) S.322.

249 Oder auch Constantina oder Costanza.

Abb. 70: „Santa Costanza“: angedeutetes Kreuz im Raum.

nischen zu sehen (Abb. 69, Abb. 71 u. Abb. 72).250 Die Schnittzeichnung eines unbekannten Autors aus dem 16. Jahrhundert dokumentiert dieses Verhältnis (Abb. 65). Der Punkt, an dem der Blick durch die plötzlich sich ergebende Übereinstimmung der Arkaden mit den dahinterliegenden Ni-schen quasi einrastet, liegt nur wenige Schritte vom Eingang entfernt.

Gleichzeitig befindet sich der Betrachter an dieser Stelle in dem Volumen des angedeuteten, kreuzförmigen Raumes.

Es überrascht, festzustellen, dass in einen scheinbar so einfachen Bau solche inszenierenden Beziehungen einbeschrieben sind. Sie bleiben dabei - dem allgemeinen Charakter des Baus entsprechend - sehr subtil und werden sich ohne Hilfestellung nur dem aufmerksamen, analytisch suchenden Betrachter bewusst erschließen. Aufgrund der weiter oben diskutierten Forschungslage in der Psychologie ist aber davon auszugehen, dass diese subtilen Verbin-dungen von uns auch dann registriert werden, wenn sie nicht ins Bewusst-sein gelangen. Mit dem Abschätzen von Abständen, der Ordnung von Vor-dergrund zu Hintergrund, dem Erkennen von Ähnlichem, Gleichem und Unterschiedlichem trifft diese subtile Manipulation der architektonischen Struktur sozusagen genau die grundlegenden Aufgaben der visuellen Wahr-nehmungsmechanismen. Verglichen mit Borrominis viel ausdrücklicherer Art und Weise ist die Architektur von Santa Constanza ein wesentlich einfa-cherer, stiller Gesprächspartner, der sich dem Wahrnehmungssystem des Betrachters für unterschiedliche Interpretationen anbietet. Das Bewusstsein scheint für diese subtile Manipulation zu behäbig zu sein. Hier tritt die un-mittelbare, implizite Interaktion mit dem Raum an die erste Stelle der Wahrnehmung, auf die ein mögliches bewusstes Verstehen und ein Reflek-tieren aufbauen können. Allerdings stellt sich auch die Frage, ob ein bewuss-tes Verstehen der zugrunde liegenden Struktur für die Erfahrung des

250 Diese perspektivische Beziehung wurde von Martin Raspe dokumentiert. Er verweist da-rauf, dass Krautheimer diese Beziehung in seiner Beschreibung von Santa Costanza kurz notiert hatte. Raspe (1996) S. 322. Sowie: Krautheimer, Ćurčić (1986) S.67.

Abb. 71: „Santa Costanza“, Rom: Blick kurz nach dem Eintreten.

Abb. 72: „Santa Costanza“, Rom: Perspektivische Beziehung zwischen Nischen und Arkaden.

Raumes und damit auch für die Kommunikation zwischen Raum und Be-trachter überhaupterforderlich ist, oder ob die Tätigkeit des Wahrneh-mungssystems an sich schon der bedeutende Teil der Architekturerfahrung ist.

Im Dokument Nebenbei Raum (Seite 193-199)