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Die Zuordnung visueller Aufmerksamkeit

Im Dokument Nebenbei Raum (Seite 81-89)

Umfang und Aufbau

2. Implizite visuelle Wahrnehmung

2.2 Aufmerksam - Unaufmerksam

2.2.1 Die Zuordnung visueller Aufmerksamkeit

Personen allzu leicht zu verwechseln.111 Während eine solche visuelle Verfol-gung meist bewusst vor sich geht, gelangt ein Großteil der Informationen, die visuell gesammelt, kategorisiert und erkannt werden, nicht in das Be-wusstsein. Wie im Folgenden beschrieben, wird aber auch dieser Teil der Informationen bis zu einem gewissen Grad analysiert. Es gibt also neben der bewussten Aufmerksamkeit immer auch einen großen Bereich der unbe-wussten Aufmerksamkeit, der zu impliziten Wahrnehmungen führt.

Die Psychologie unterscheidet im Wesentlichen zwei Arten, wie visuelle Aufmerksamkeit zugeordnet wird: ‚reizabhängige‘ und ‚zielgerichtete‘ Selek-tion.112

Bei der ‚reizabhängigen‘ Selektion ziehen - unabhängig der momentanen geistigen Verfassung des Betrachters - bestimmte Elemente die Aufmerk-samkeit auf sich: Ein einzigartiges Element unter vielen ähnlichen, plötzlich aus dem Nichts auftauchende Elemente oder etwas Neues und Unbekanntes erscheint in unserem peripheren Sichtfeld. 113 In der ersten Kontaktzeit der

111 Vgl. hierzu: Egeth, Yantis (1997) S.281-284. Heute wird u.a. versucht, dieses erfolgreiche Analysesystem des menschlichen Gehirns im Computer zu simulieren. Für einen Einblick in die Analysemethoden des Gehirns siehe in diesem Kontext: Riesenhuber, Poggio (2000).

112 ‚Reizabhängig‘ und ‚zielgerichtet‘ wird in der meist englischsprachigen Literatur auch als bottom-up und top-down bezeichnet. Die meisten Experimente zu diesem Thema basieren auf der Interpretation von Reaktionszeiten und -präzision (reaction time and accuracy). Vgl.

hierzu Egeth, Yantis (1997) : Den Probanden wurde die Aufgabe gestellt, möglichst schnell auf ein Ziel in einem Bild zu reagieren. Beispielsweise: drücken Sie diese Taste, wenn Sie ein ‚C‘

erkennen. Indikator für einen Einfluss auf die Selektion der Aufmerksamkeit waren Ver-spätungen in der Reaktionszeit durch bewusst eingestreute Ablenkungselemente. Bsp.: farbige Elemente, Buchstaben, die in der Peripherie auftauchen, nur kurz blinkende Elemente etc..

D.h. die zielgerichtete Selektion wurde durch reizabhängige Selektion gestört.

113 Ein einzigartiges Element unter vielen anderen gleichen, wird in der meist englischsprachi-gen Literatur als feature singleton bezeichnet: „Feature singletons are judged as subjectively salient, and there is ample evidence that such stimuli can be found efficiently in visual search.

For example, Neisser (1967) observed that curved letters could be found easily among straight letters, and using a somewhat different paradigm, Egeth et al (1972) drew a similar conclusion.

Treisman & Gelade (1980) also showed, using a visual search paradigm like that of Egeth et al

Augen mit einer neuen Szenerie wird vor allem diesen auffälligen Reizen Aufmerksamkeit geschenkt.

Bei der ‚zielgerichteten‘ Selektion dagegen spielt es eine Rolle, welche Reize der Betrachter in seiner Umgebung sucht. Sucht der Proband beispielsweise nach vertikalen roten Stäben in seinem Blickfeld, so wird sowohl alles Rote als auch alles Vertikale eine gewisse Aufmerksamkeit erwecken. Am meisten jedoch rote UND vertikale Elemente.114 In diese Situation kann man sich als Autofahrer auf verschneiter Straße hineindenken: Rote Stäbe ragen aus der weißen Schneelandschaft heraus und zeigen die Fahrbahnkanten an. Das Auge sucht die Umgebung nach diesen Signalen ab, was dazu führen kann, dass der Betrachter anderen Objekte und Veränderungen in der Umwelt nicht nur keine Beachtung schenkt, sondern sie überhaupt nicht bewusst wahrnimmt. In diesem Fall wird unsere ganze Aufmerksamkeit von dieser, auf rote Stäbe konditionierten visuellen Suche115 beansprucht. Eine Ablen-kung unserer Aufmerksamkeit muss auch deshalb vermieden werden, da es uns von der dringenden Aufgabe abhalten würde, mit dem Auto auf der Straße zu bleiben.

Besonders eine solche visuelle Suche nach bestimmten Objekten führt dazu, dass andere Teile der visuellen Szene nicht bewusst wahrgenommen werden.

Dieses Phänomen des ‚Blind-Seins‘ für bestimmte Veränderung in unserem Sichtfeldt wird als change blindness bezeichnet. Bei einer der bekanntesten Studien, die David Simons zu diesem Phänomen durchführte, ignorierten die meisten Testpersonen sogar einen als Gorilla verkleideten Menschen, der sich unter eine Gruppe von Basketballspielern mischte.116 Während die Pro-banden die Aufgabe hatten, die Anzahl der Pässe der Basketballspieler zu

Egeth, Yantis (1997) S.271. Ein plötzlich auftauchender Reiz wird mit abrupt visual onset beschrieben. Vgl. hierzu: Egeth, Yantis (1997) S.274-276.

114 Egeth, Yantis (1997) S.277.

115 Die Suche nach bestimmten visuellen Eigenschaften wird in der meist englischsprachigen Literatur als visual search bezeichnet.

116 Vgl. hierzu: Simons, Chabris (1999). Das Video ist online verfügbar. Siehe hierzu: Simons (1999).

Abb. 20: Der menschliche Gorilla unter den Basketballspielern.

zählen, bewegte sich der Affe geradewegs durch die Mitte des Bildes und der Spieler. Er war dabei so präsent, dass er unmöglich übersehen werden konn-te (Abb. 20). Hätkonn-ten sich die Zuschauer nicht auf eine spezielle visuelle Auf-gabe konzentriert, würde der Affe sofort Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. In diesem Fall jedoch waren die meisten Probanden so von ihrer Zählaufgabe eingenommen, dass sie sich bei der anschließenden Befragung nicht an einen Gorilla erinnern konnten. Dass der Gorilla unbemerkt blieb, obwohl er genau denselben Teil des Sichtfelds durchquerte, in dem sich auch die aufmerksam betrachteten Spieler bewegten, legt den Schluss nahe, dass das Gehirn den Gorilla zwar wahrnahm, dies aber zugunsten des Zählens der Ballpässe unterdrückte noch bevor die Probanden bewusst entscheiden konnten, ihn nicht zu beachten. Die Verblüffung der Probanden über ihre eigene Blindheit, als sie bei der nochmaligen Präsentation des Films den Gorilla mitten durch die Szene marschieren sahen, war auch der Überra-schung geschuldet, dass ihr Gehirn scheinbar eine unabhängige Entschei-dung getroffen hatte.117

Das Phänomen der change blindness zeigt deutlich, dass eine Art Regulie-rungsventil oder „Flaschenhals“118 existiert, der eine Vielzahl von Informati-onen herausfiltert, bevor sie in das Bewusstsein gelangen. Neben der eben

117 Auf eine ähnliche Studie verweisen der Sportpsychologe Daniel Memmert in seiner Review zu den Mechanismen von Aufmerksamkeit: „For example, a series of studies used a dynamic monitoring inattentional blindness task by Most, Simons, Scholl and Chabris (2000), in which the participants had to count the total number of times that letters cross a horizontal line in the middle of a display. During a critical trial, an unexpected object moved horizontally over different distances (on-line, near, far, very far) from the line passing through the center of the display. Less than half the observers noticed the unexpected object, even though the object always stayed on what was presumably the focus of attention and was clearly visible for 5 s.“

Memmert (2010) S.1098-1099. Für die hier beschriebene Studie siehe: Most u.a. (2000) . Für eine differenzierte Diskussion der Phänomene um die change blindness, sowie den Begriffen ittatentional blindness und misdirection paradigm siehe auch: Memmert, Furley (2010) und Memmert, Furley (2007) .

118 Itti und Koch bezeichnen dieses Ventil als „bottleneck“. Vgl. hierzu Itti, Koch (2000) S.1489.

genannten Notwendigkeit der konzentrierten Aufmerksamkeit für die effek-tive Bearbeitung einer bestimmten Aufgabe wie das Zählen der Pässe, wird als eine weitere Begründung dafür auch die begrenzte ‚Rechenkapazität‘ des Gehirns angeführt, welche nicht ausreiche, alle Informationen, die uns aus unserer Umgebung zur Verfügung stehen, bewusst zu verarbeiten. Laurent Itti und Christof Koch, die sich am CalTech mit der Simulation von neuro-logischen Prozessen im Computer beschäftigen, schreiben dazu:

„However, in any physical computational system, processing resources are limited, which leads to bottlenecks [...]. Nowhere is this more evident than in the primate’s visual system, where the amount of information coming down the optic nerve - estimated to be on the order of 108 bits per second - far exceeds what the brain is capable of fully processing and assimilating into conscious experience.“119

Viktor Lamme von der Cognitive Neuroscience Group Amsterdam unter-stützt die Theorie eines Flaschenhalses. In einer Review beschreibt er den Prozess, wie visuelle Reize von den Augen aus das Gehirn in einer zeitlichen Abfolge durchlaufen. Dabei werden nacheinander bestimmte Areale akti-viert, die unterschiedliche Analyseaufgaben ausführen.120 Dieser Ablauf, wird auch als feedforward sweep - vorwärts gerichteter Durchlauf - bezeichnet.

Dabei bleiben die Aktivierungen innerhalb der sogenannten niederen visuel-len Areale, die ausschließlich visuelle Reize verarbeiten. Nur eine kleine Auswahl von Reizen, die sich in der Konkurrenz unterschiedlicher Reize um die Aufmerksamkeit durchgesetzt haben, die das Gehirn also in der jeweili-gen Situation als wichtig bewertet hat, überwindet den Flaschenhals. Im Ge-hirn manifestiert sich dies durch eine wesentlich aufwendigere Verarbeitung

119 Itti, Koch (2000) S.1498. Übersetzung durch den Verfasser: „In jedem physischen Rechen-system jedoch sind die Verarbeitungsressourcen begrenzt, was zu Flaschenhälsen führt […].

Nirgendwo wird dies deutlicher als im visuellen System des Primaten, in dem die Menge an Informationen, die den Sehnerv durchläuft - schätzungsweise in der Größenordnung von 108 Bits pro Sekunde - bei weitem das übersteigt, was das Gehirn in der Lage ist, vollständig zu verarbeiten und in die bewusste Erfahrung aufzunehmen.“

der Reize in den Hirnarealen, die Informationen von mehreren Sinnen erhal-ten. Dort werden Assoziationen ausgelöst, Erinnerungen geformt und Akti-onen geplant. Erst hier, so argumentiert Lamme, entstehe eine bewusste Wahrnehmung.Bliebe die Information innerhalb der niedrigen visuellen Areale, entstünden Sinneserfahrungen außerhalb der bewussten Aufmerk-samkeit. Diese könnten in spontane reflexartige Reaktionen resultieren, oder sie könnten später noch ins Bewusstsein gelangen. 121 Auch Lamme sieht also den Grund für eine selektive Auswahl der Reize für die bewusste Wahrneh-mung in dem hohen ‚Rechenaufwand‘, den eine bewusste WahrnehWahrneh-mung erfordert und der unzureichenden Kapazität des Gehirns, solche aufwendi-gen Prozesse für alle verfügbaren visuellen Reize durchzuführen.

Deutlicher noch als die ‚Gorilla-Studie‘ zeigt eine weitere Untersuchung, dass auch Informationen außerhalb der bewussten Wahrnehmung verarbei-tet und genutzt werden. 122 In dieser Studie sollten sich die Probanden an einem Empfangstresen für ein Experiment anmelden. Hier sollten ihnen die Fragebögen zum Test ausgehändigt und der Weg in den Testraum gewiesen werden. In Wirklichkeit fand das Experiment dabei schon am Tresen statt:

Unter dem Vorwand, nach etwas zu suchen tauchte die Empfangsperson

121 "Suppose a visual scene is presented to the eyes. The feedforward sweep reaches V1 at a latency of about 40 ms. If multiple stimuli are presented, these are almost all represented at this stage. Next (60-80 ms), this information is fed forward to the extrastriate areas. At these intermediate levels, there is already some competition between multiple stimuli, in particular when they are close by. Not all stimuli can be processed in full by the receptive fields, which grow larger and larger going upstream in the visual cortical hierarchy. This results in crowd-ing phenomena. Attentional selection (in one way or another, see above) may resolve this competition (Desimone, 1998). In the end, only a few stimuli reach the highest levels, up to and including areas in executive space. This whole feedforward event evolves very rapidly (within ~120ms) and is hypothesizedto be fully unconscious. Feedforward activation alone may, in certain circumstances, result in a behavioral response (or modify ongoing behavior), but if it does, it will be a reflexlike action that is fully unconsciously initiated (which is not to say that we may not become aware of it later) Lamme (2005) S.170. Sowie: “The major find-ing is that conscious perception seems to require attention. Memmert (2010) S.1098.

122 Levin u.a. (2002). Das Video zu dieser Studie ist online verfügbar. Siehe hierzu: Simons (2008).

Abb. 21: Scanpfad der Augen auf einem Bild aus einer Militärdatenbank. Ge-sucht wird ein Militärfahrzeug (im grünen Kreis - Vergrößerung in der oberen linken Ecke). Der Scanpfad wurde von der Software von Itti & Koch errechnet.

kurz hinter dem Tresen ab und tauschte unsichtbar für den Probanden mit einer anderen Person. Beide Empfangspersonen waren etwa gleich alt und männlich. Als die neue Person dann hinter dem Tresen wieder auftauchte und die Ausgabe der Dokumente fortführte, bemerkten 75% der Probanden den Wechsel nicht. Das ist insofern bemerkenswert, als eine bedeutungsvolle mündliche und räumliche Interaktion zwischen Proband und Empfangsper-son stattfand, welche eine direkte Auswirkung auf das Verhalten der Pro-banden hatte (Annahme der Testbögen und Wegbeschreibung in den Test-raum). Es kann also ausgeschlossen werden, dass die Empfangspersonen nicht wahrgenommen wurden, selbst wenn der Wechsel nicht bemerkt wur-de.

Im Dokument Nebenbei Raum (Seite 81-89)