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3 ROMEO UND JULIA IM KALTEN KRIEG

Im Dokument Diskurse des Kalten Krieges (Seite 94-134)

Orient und Okzident Sind nicht mehr zu trennen;

Wenn dein Herz im Osten brennt, Meins muß westlich brennen.

Neigt sich Ost zum Westen her, West zum Osten findet;

Einer Seele fremdes Meer Liebe überwindet.1

Liebe in Zeiten des Systemkonflikts

„Einzige Liebe, die im einzgen Haß sich fand! / Erst unerkannt gesehn, jetzt viel zu spät erkannt! / Daß Liebe mir als schlimme Mißgeburt erscheint, / Weil ich ihn lieben muß, ihn, den verhaßten Feind!“2 Das Dilemma von William Shake-speares Julia, dass ihre große Liebe gleichzeitig ihr größter Feind ist, wird in der Literatur des Kalten Krieges aktualisiert und fortgeschrieben. Dabei lassen sich zwei unterschiedliche Funktionalisierungen des berühmten Stoffes unterschei-den. Entweder dient eine die Blöcke überschreitende Liebesgeschichte dazu, den politischen Diskurs in einem Text emotional aufzuladen. Dass die elementarsten zwischenmenschlichen Beziehungen von den politischen Verhältnissen behin-dert, sanktioniert oder gar verunmöglicht werden, lässt diese Verhältnisse umso ungerechter erscheinen, der menschlichen Natur widersprechend. „Es dürfte nicht sein“, so der deutsche Journalist und Schriftsteller Josef Müller-Marein 1947 in der Zeit, dass „der Eiserne Vorhang, der Deutschland geographisch in zwei Hälften gespaltet hat, schließlich vielleicht noch quer durch die Herzen geht“.3

Die für den Romeo-und-Julia-Stoff grundlegende Spannung zwischen dem individuellen Glücksanspruch in der Liebe und den restriktiven gesellschaftli-chen Verhältnissen lässt sich andererseits in der Literatur aber auch so anord-nen, dass die Gegnerschaften und Konflikte des Kalten Krieges als bloßer

Hin-1 Ernst Schönwiese: An ein Mädchen aus dem Osten. Orient und Okzident. In: Tagebuch 3 (1948) H. 19, S. 16 f. Erschienen in Ders.: Ausfahrt und Wiederkehr. Wien: Erwin Müller Ver-lag 1947, S. 28–29.

2 William Shakespeare: Romeo und Julia. Zweisprachige Ausgabe. Deutsch von Frank Günther.

München: dtv 1995, S. 65.

3 Jan Molitor (= Pseud. von Josef Müller-Marein): Was nicht im Baedeker steht. Kleiner Reise-führer durch die Ostzone. In: Die Zeit, 20.11.1947.

tergrund dienen, um einer Liebesgeschichte schärfere Konturen zu verleihen.

Die für den Kalten Krieg konstitutive Bipolarität kommt dabei dem strukturel-len Kern dieser Erzählungen entgegen, denn üblicherweise formieren sich die Protagonistinnen und Protagonisten von Liebesgeschichten in zwei entgegen-gesetzten Gruppierungen und deren hierarchische Organisation erlaubt es, sie zwei entgegengesetzten Lagern zuzuordnen.4 Protagonisten mit gleichem sozi-alen Status, gleichen Werten oder gleicher Nationalität bieten dem Liebesroman hinsichtlich eines handlungsbedingten Spannungsverhältnisses weit weniger Möglichkeiten. Die Herausforderung, die die erbitterte Feindschaft zwischen den beiden Blöcken den Liebenden stellt, ergibt also eine höchst produktive Ausgangssituation für Narrationen und trägt wesentlich zur genreübergreifen-den Popularität des Romeo-und-Julia-Stoffes im Kalten Krieg bei. Nicht zufällig wurde für den ersten Auftritt des Bolschoitheaters in Großbritannien, 1956 im Royal Opera House in London, das Ballet Romeo und Julia von Sergei Prokofjew gewählt.5

Im Hollywood-Film diente die Systemkonkurrenz zwischen Ost und West bereits vor dem Kalten Krieg als Folie für spannungsreiche Liebesgeschichten.6 So konvertiert in Ernst Lubitschs Ninotschka (1939) eine linientreue Kommu-nistin, die von Moskau als Sonderbeauftragte nach Paris entsandt wurde, auf-grund ihrer Liebe zu einem französischen Grafen zum Westen. Obwohl der Film dem Genre der romantischen Komödie folgt, gibt es zahlreiche Anspielungen auf die repressiven Verhältnisse im stalinistischen Russland, wie etwa die „Säu-berungen“ zwischen 1936 und 1939 oder die Angst eines der Protagonisten, nach Sibirien in ein Arbeitslager verschleppt zu werden. Als Ninotschka sich schuldig fühlt, weil sie die Sowjetunion aufgrund ihrer Liebe zu einem „Westler“ verraten hat, spielt sie betrunken ihre Exekution vor.7 Der Film wurde am 14. Novem-ber 1950, also kurz nach dem sogenannten „Okto14. Novem-berstreik“, als man im besetz-ten Österreich eine kommunistische Machtübernahme befürchtete, erstmals in den Kinos der Internationalen Zone in Wien gezeigt und zählte dort in seinem ersten Monat mehr als 80.000 Besucher.8 Die zentralen Motive des Films

wur-4 Vgl. George Paizis: Love and the Novel. The Poetics and Politics of Romantic Fiction. Hound-mills, Basingstoke [u.a.]: Macmillan Press Ltd. 1998, S. 74. „From the outset, the characters are deployed in two opposite groupings. Their hierarchic arrangement allows them to be classified in two opposing camps.“

5 Vgl. Caute: The Dancer Defects. S. 474.

6 Weitere Filme, die sich des Motivs Romeo und Julia unter dem Vorzeichen des Kalten Krieges bedienen sind u.a. die britische Produktion The Young Lovers (1954), Eine Berliner Romanze (1955/56) sowie Peter Ustinovs Romanoff and Juliet (1961), vgl. Stiftung Deutsche Kinemathek (Hg.): Kalter Krieg. 60 Filme aus Ost und West. Berlin: Gallus 1991, S. 272 f., 275 f..

7 Vgl. Tony Shaw: Hollywood’s Cold War. Edinburgh: Edinburgh Univ. Press Ltd. 2007, S. 19.

8 Vgl. Markus Feigl: Kulturelle Visitkarten. Die (Re-)Präsentation der Besatzungsmächte in Wien 1945–1955. Wien: Stadt Wien MA9, S. 40.

den später in zahlreichen Hollywood-Filmen im Kontext des Kalten Krieges wiederholt.9

Ein anderes prominentes filmisches Beispiel systemübergreifender Liebe ist Billy Wilders10 Parodie One Two Three (1961), die den überzeugten Jungkom-munisten Otto Ludwig Piffl aus dem Osten Berlins vorführt, der seine ideolo-gischen Prinzipien ausgerechnet aus Liebe zu Scarlett Hazletin, der Tochter des Vorsitzenden des Coca-Cola-Konzerns, aufgibt und zum Kapitalismus konver-tiert.11 Als der Film 1961 in die Kinos kam, konnte in der BRD freilich kaum jemand darüber lachen, denn noch während der Dreharbeiten war die Berliner Mauer gebaut worden. Der Film fiel beim Publikum durch und erfuhr erst bei seinem Neustart in den 1980er-Jahren die verdiente Anerkennung.

Wie aktuell und populär das Erzählen von einer Liebe über die Blockgrenzen hinweg war, zeigt sich auch an einem Bestseller des Kalten Krieges, Arthur Koest-lers The Age of Longing (1951, dt. Gottes Thron steht leer)12, der seinem Autor den Titel „Ehrenburg des Antikommunismus“ einbrachte.13 Auch in diesem dystopischen politischen Roman, der von der Besetzung Europas durch die Sow-jetunion, hier „Freies Friedensreich“ genannt, erzählt, bildet eine Liebesgeschich-te das Movens der Handlung. Hydie, die TochLiebesgeschich-ter eines amerikanischen Beauf-tragten in Paris, verliebt sich in Fedya Nikitin, einen Kulturattaché des „Freien Friedensreiches“. Die beiden finden, wenn auch sehr zwiespältig, Gefallen anei-nander. Während eines Liebesabenteuers demonstriert er ihr, dass der Mensch, wie ein Hund, nur das Produkt seiner Dressur sei, ein Sklave seiner Reflexe, was Hydies Liebe in Hass umschlagen lässt. Dies umso mehr, als sie erfährt, dass Nikitin bereits Listen jener französischen Persönlichkeiten zusammenstellt, die dann, wenn das „Friedensreich“ die gesamte Welt umspannen würde, liquidiert werden sollen. Sowohl aus Rache als auch aus politischem Sendungsbewusstsein schießt Hydie mit einem Revolver auf ihren ehemaligen Liebhaber: „Wäre es Hydie gelungen, Fedya ganz totzuschießen, statt ihn bloß auf stümperhafte Wei-se in der Lende zu verwunden […] hätte zumindest ein Sinn darin gelegen“14, kommentiert der Erzähler.

Einem der populärsten Spione des Kalten Krieges hingegen, dem britischen Agenten im Auftrag ihrer Majestät, James Bond, wird trotz wechselhafter

eroti-9 Vgl. Shaw: Hollywood’s Cold War, S. 27.

10 Wilder war bereits am Drehbuch von Ninotschka beteiligt.

11 Pia Le Moal-Piltzing: Billy Wilders Satiren: Schauplatz Österreich und Deutschland. Im Ange-sicht der Angst, des Schreckens, hilft am besten das beißende Lachen. In: Jeanne Benay, Alfred Pfabigan, Anne Saint Sauveur (Hg.): Österreichische Satire (1933–2000). Exil – Remigration – Assimilation. Bern [u.a.]: Lang 2003. S. 241–276.

12 Arthur Koestler: Gottes Thron steht leer. Frankfurt/M.: Fischer 1951.

13 Vgl. Caute: Politics and the Novel during the Cold War, 126 f.

14 Arthur Koestler: Gottes Thron steht leer, S. 430.

Liebe in Zeiten des Systemkonflikts 95

scher Abenteuer mit exotisch-mysteriösen „Pal“-Girls15 die Liebe verwehrt. Als er im ersten Roman der Reihe von Ian Fleming, Casino Royale (1953; dt. erst 1960 bei Ullstein), beschließt, Vesper Lynd zu heiraten, zeigt sich die Unverein-barkeit beider Systeme. Sie nimmt sich das Leben, weil sie als sowjetische Dop-pelagentin im Dienste des „Ministeriums für innere Angelegenheiten“ (MWD, ab 1946 Nachfolgebezeichnung des „Volkskommissariats für innere Angelegen-heiten“, abgekürzt: NKWD) den britischen Agenten nicht lieben darf.

In der österreichischen Literatur des Kalten Krieges erfreute sich der Stoff vor allem in den 1950er-Jahren großer Beliebtheit. Als Modell der literarischen Aus-einandersetzung mit dem Systemkonflikt schien einigen Autoren Romeo und Julia besonders geeignet. Die Geschichte der beiden verfeindeten Familien in Verona, aus deren „unheilschwangeren Schoß“ ein „Liebespaar, von bösem Stern bedroht“ hervorgeht, dessen „elend unglücklicher Sturz“ den „Streit der Eltern mit dem eignen Tod“16 beschließt, wurde vor allem unter deutlichen ideologi-schen Vorzeichen gestaltet. Es ist nie ein „dritter Weg“, den Romeo und Julia in diesen Bearbeitungen einschlagen, vielmehr bleiben die Figuren den bipolaren Strukturen verhaftet. Dabei ist die jeweilige ideologische Position des Autors der ausschlaggebende Faktor, wie in der Folge zu zeigen sein wird.

Übertragungen des „Romeo und Julia“-Stoffes in den Kalten Krieg

Milo Dors und Reinhard Federmanns gemeinsam verfasster Unterhaltungsro-man Romeo und Julia in Wien (1954)17 transponiert den Shakespeare’schen Stoff in das Wien der Besatzungszeit. Statt der Montagues und der Capulets stehen sich nun die USA und die UdSSR gegenüber, Romeo (Wilson) ist ein amerika-nischer Journalist und ehemaliger Koreakämpfer, Julia (Mischkin) eine russische Übersetzerin. Aus dem hilfreichen Pater Laurenz ist ein Hofrat Lorenz gewor-den, aus dem aufbrausenden Tybalt der linientreue Major Tubaljow. Nachdem sich die beiden Protagonisten auf einem diplomatischen Empfang kennengelernt haben, ziehen sie sich in ein Lokal zurück. Als sie erst jetzt erfährt, dass Romeo Amerikaner ist, reagiert Julia, die für die russische Nachrichtenagentur TASS tätig ist, höchst erschrocken: „Sie blickte hilfesuchend um sich, als hätte jemand sie angegriffen, und machte eine impulsive Bewegung. Es schien Romeo einen Augenblick, als wolle sie davonlaufen.“ (RJW 35) Die Blockfrage, gleichsam eine

15 Furio Colombo: Bonds Frauen. In: Oreste del Buono, Umberto Eco (Hg.): Der Fall James Bond.

007 – Ein Phänomen unserer Zeit. München: dtv 1966, S. 120–144.

16 William Shakespeare: Romeo und Julia, S. 9.

17 Milo Dor, Reinhard Federmann: Romeo und Julia in Wien. Gütersloh: Signum 1963 [im Fol-genden abgek. RJW].

politische „Gretchenfrage“, bringt das Gespräch zunächst zum Verstummen, denn auch Wilson zeigt sich über die sowjetische Staatsbürgerschaft von Mischkin irritiert:

‚Haben Sie nicht gewußt, daß ich Russin bin?‘ Sie sah ihm zum ers-tenmal wieder in die Augen. ‚Nein, ich dachte mir zuerst, Sie seien eine Deutsche, und dann hielt ich Sie für eine Schwedin.‘ ‚Schweden ist gar nicht so weit von Leningrad‘ […]. Ich habe nichts gegen die Russen‘, sagte Romeo.

‚Ich bin nur kein Verehrer ihres Systems.‘ (RJW 36)

Dass Dor und Federmann ihre Protagonisten den jeweiligen Medien der Besat-zungsmächte zuordnen, ist in ihrer Bearbeitung des Stoffes als besonderer Kunst-griff zu werten. Denn die von den Besatzungsmächten gelenkten Medien spiel-ten eine „nicht unbedeuspiel-tende Rolle“ auf dem Wiener Schauplatz des Kalspiel-ten Krieges, da sie „bald nach Kriegsende in einen Wettstreit um die öffentliche Meinung traten und dadurch den ‚Krieg der Worte‘ anfachten“18.

Dor und Federmanns Bearbeitung des Stoffes ist durch eine Rahmenerzäh-lung umschlossen, die den alten Hofrat Lorenz, der dem Liebespaar helfend zur Seite steht, die tragische Liebesgeschichte erzählen lässt. Die „moderne Todes-art“, die Romeo Wilson wählt, er fährt auf der Wiener Höhenstraße mit seinem amerikanischen Wagen zu schnell und hat einen tödlichen Unfall, bildet den Ausgangspunkt der Erzählung in Form einer Befragung Lorenz’ durch den Lei-ter der polizeilichen Ermittlungen. Das Autorenduo bleibt dabei nahe am

klas-18 Wolfgang Mueller: „Wildwest in Wien dauert an.“ Das Amerikabild in der Sowjetischen Besat-zungs- und kommunistischen Parteipresse in Österreich 1945–1953. In: Jan C. Behrends, Árpád von Klimó, Patrice G. Poutrus (Hg.): Antiamerikanismus im 20. Jahrhundert. Studien zu Ost- und Westeuropa. Bonn: Dietz 2005, S. 114–142, hier S. 114.

Milo Dor, Reinhard Federmann: Romeo und Julia in Wien. Güthersloh: Sig num 1963, Buchcover.

Übertragungen des „Romeo und Julia“-Stoffes in den Kalten Krieg 97

sischen Stoff, bis hin zu Details und den übertragenen Figuren. Und ist es im Original „die Nachtigall und nicht die Lerche“19, die die berühmte Morgenszene eröffnet, so geht es bei Dor und Federmann um die Frage, ob man nun ein spä-tes Auto oder schon die erste Straßenbahn gehört hat (vgl. RJW 118).

Romeo, der von Liebeskummer geplagt ist, da er von seiner Verlobten Rosa-lind verlassen wurde, begleitet seinen Kollegen Mark Roberts, die moderne Ver-sion des Mercutio, auf die Abschiedsfeier eines französischen Kulturoffiziers, die in einem Hotel an der Wiener Ringstraße stattfindet: „Großartiges Büfett.

Alkohol in Massen. Hübsche Mädchen, soviel du willst. Und alles umsonst. Dort gehen wir hin.“ (RJW 20) Auf dieser Feier tummeln sich hohe Vertreter der vier Besatzungsmächte, aber auch ein kommunistischer Redakteur, ein junger Mann,

„der einen pseudoeleganten grauen Anzug und eine dicke schwarze Hornbrille“

(RJW 22) trägt, Vertreter des französischen Auslandsnachrichtendienst Deuxiè-me Bureau, sowie zwei Kognak trinkende junge Männer (lesbar als Selbstport-räts von Dor und Federmann), die „von den Kommunisten als Kriegshetzer gebrandmarkt worden“ seien, so Roberts. Es gebe sogar Gerüchte darüber, dass die Russen die beiden vor einiger Zeit verschleppen lassen wollten, da sie „immer gegen die Kommunisten“ (RJW 25) schreiben würden.20 Roberts erklärt Romeo den fragilen Spannungszustand des Kalten Krieges und dass auf dem diploma-tischen Parkett der Systemkonflikt auf „Eis“ liegen würde:

Aber das ist doch interessant! Das ist der Kühlschrank, in den der Krieg gelegt ist. Schau, wie nett sie zueinander sind. Dabei hassen sie einander. Sie sind bereit, einander exekutieren zu lassen, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt. (RJW 24) Unter den misstrauischen Blicken des vierschrötigen Major Tubaljow, eines Kor-respondenten der russischen Nachrichtenagentur TASS und Julias Vorgesetzten,

19 William Shakespeare: Romeo und Julia, S. 161.

20 Milo Dor und Reinhard Federmann waren beide mit den totalitären Systemen des 20. Jahr-hunderts in Berührung gekommen: Dor während seiner Untergrundarbeit für die Kommunis-tische Partei in Belgrad während der nationalsozialisKommunis-tischen Herrschaft und Federmann als

„Halbjude“, der zur Wehrmacht eingezogen wurde und an der Ostfront in sowjetische Kriegs-gefangenschaft geriet. Gemeinsam produzierten sie Unterhaltungsliteratur, darunter vier Kri-minal- und drei Liebesromane, die sie in der BRD verkauften, verfassten literarische Rund-funksendungen sowie zahlreiche Artikel, die u.a. in der Arbeiter-Zeitung erschienen. In der Literatur sahen sie „keine ästhetische Beschäftigung, sondern ein Kampfmittel“, kritisierten jedoch nicht nur die Sowjetunion, sondern auch ehemalige hochrangige Nazifunktionäre und -schriftsteller: „Wir sind mit der Welt, wie sie ist, nicht zufrieden. Wir wollen sie besser haben.

Wir lassen uns die Freiheit nicht nehmen, das Verdorbene und Verlogene zur allgemeinen Schau zu stellen, Mörder Mörder zu nennen […].“ Milo Dor, Reinhard Federmann: Für eine Literatur der Verpflichtung. In: Die Zukunft. Sozialistische Monatsschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur 4 (1949) H. 7, S. 217–218.

verlässt das Liebespaar die Diplomatenfeier. Der erste Abend der beiden dient dann zum Abbau der durch die sowjetische Propaganda einzementierten Kli-schees über den amerikanischen Konkurrenten im Kalten Krieg, die den beiden durch ihren Beruf bei den Medien nur zu gut bekannt sind und die sie nicht ohne Ironie reproduzieren: „‚Sie sind eigentlich der erste Amerikaner, den ich kennenlerne, und ich habe mir die Amerikaner immer ganz anders vorgestellt.‘

‚Na, und wie? Dick, gefräßig, mit einem fischigen kalten Blick und gefletschten Zähnen?‘“ (RJW 39) Und auf die Frage Julias, für welche amerikanische Zeitung er schreiben würde, meint Romeo, es wäre eine „ganz böse kapitalistische Zei-tung“ und charakterisiert den Chefredakteur als hartgesottenen Antikommu-nisten, der „jeden Tag zum Frühstück zehn gebratene Kommunisten“ verspeist, und dessen Kinder „zu Hause mit Kartoffelkäfern“ (RJW 37) spielen würden.

Romeos ironisches Spiel mit den „schrillen amerikafeindlichen“21 Propagand-aklischees, die im Österreich der Besatzungszeit weit verbreitet waren, konter-kariert hier das Bild des auf sowjetischen Plakaten dargestellten unersättlichen Kapitalisten ebenso wie die „kurios anmutende, aber […] immens wirksame Verschwörungsideologie“22 des sogenannten „Amikäfer“. Gemeint ist der Kar-toffelkäfer, auch „Coloradokäfer“ genannt, der – so die sowjetische Propaganda – von den USA sowohl über der DDR als auch in Nordkorea abgeworfen wurde, um die Ernten zu vernichten.23

Major Tubaljow, der Vorgesetzte Julias, steht den Liebenden als Erster im Weg.

Er propagiert den Systemkonflikt in bester stalinistischer Manier und wittert hinter der Beziehung eine antisowjetische Verschwörung. Er warnt Julia, da sie genau wisse, „was es bedeutet, mit dem Feind zu konspirieren“ (RJW 45). Als eine solche „konspirative Tätigkeit“ wurden im historischen Kontext die sexu-ellen Beziehungen zwischen sowjetischen Besatzungssoldaten und ausländischen Frauen angesehen, die aus der Sicht des Kremls aufgrund der Gefahr „antisow-jetischer Spionage“ unerwünscht waren.24 Die Konsequenz einer solchen Ankla-ge konnte zu mehreren Jahren Haft oder sogar zum Tod durch Exekution für

21 Wolfgang Mueller: „Die Kanonen schießen nicht ... Aber der Kampf geht weiter“. Die Propag-anda der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich im Kalten Krieg. In: Stefan Karner (Hg.):

Die Rote Armee in Österreich, S. 339–362, hier S. 361.

22 Walter Wippermann: Agenten des Bösen. Verschwörungstheorien von Luther bis heute. Ber-lin: be.bra verlag 2007, S. 112.

23 Bertolt Brecht verewigte den Schädling in einem 1950 entstandenen Propaganda-Gedicht:

„Mutter ich bin hungrig. / Wie lang ist’s zur Jause hin? / Mutter, ich weiß nicht / Warum ich so hungrig bin. / Die Ammiflieger fliegen / Silbrig im Himmelszelt: / Kartoffelkäfer liegen / In deut-schem Feld“ . Bertolt Brecht: Die Ammiflieger. In: Ders.: Werke: Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. 15: Gedichte 5. Gedichte und Gedichtfragmente 1940–1956, Hg.

Werner Hecht [u.a.]. Berlin [u.a.].: Aufbau und Suhrkamp, 1993, S. 218.

24 Vgl. Barbara Stelzl-Marx: Stalins Soldaten in Österreich. Die Innensicht der sowjetischen Besat-zung 1945–1955. München, Wien: Oldenbourg, Böhlau 2012, S. 488.

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die Beschuldigte führen. Tubaljow hält Romeo für einen „ganz gewöhnliche[n]

Agenten“, dessen Aufenthalt in Korea während des Kriegs ihn verdächtig macht und er weiß, dass die „New York Tides“, die Zeitung, für die Romeo arbeitet, einen „besonders scharfe[n] sowjetfeindliche[n] Kurs“ (RJW 45) fährt. Auch Mark Roberts nimmt seinen Kollegen Romeo Wilson hinsichtlich dieses Ver-hältnisses, das unter ideologisch ungünstigen Vorzeichen steht, ins Gebet und befürchtet dessen Konversion zur Sowjetunion: „‚Hat sie dich bekehrt? Willst du Kolchosbauer werden?‘ ‚Sie ist nicht so.‘ ‚Sag das nicht, die sind die Gefähr-lichsten, die es nicht zeigen.‘ ‚Sie nicht. Sie ist nicht gefährlich.‘“ (RJW 50)

Als Tubaljow schließlich Julia aus Eifersucht bei Oberst Kapulowski denun-ziert, dem er meldet, dass „die Genossin Mischkin […] zum Feind übergelaufen“

(RJW 75) sei, distanziert sich Julia immer mehr von ihrem beruflichen Umfeld:

„Alles hier schien sie zu bedrohen, aber sie war sich keiner Schuld bewußt. Und doch hatte sie Angst.“ (RJW 89) Einer Heirat oder Flucht mit Romeo steht das Schicksal ihrer in Russland ansässigen Familie im Weg. Sie befürchtet, dass die-ser Repressionen drohen, sollte sie sich gemeinsam mit Romeo in den Westen absetzen. Wie Julia ihm erklärt, war bereits ihr Vater

im Krieg nicht befördert worden, weil er als politisch unzuverlässig galt. Man hat mich zuerst auch nicht ins Ausland gehen lassen wollen. Und mein Bruder hat gerade eine Anstellung bekommen, und jetzt … es wird schwer für sie alle sein, vielleicht wird man sie auch verhaften. (RJW 99)

Hier entwirft der Roman das Bild eines Landes, in dem Unterdrückung und Erpressung an der Tagesordnung stehen. Damit kritisieren Dor und Federmann die repressiven Zustände in den von den Sowjets besetzten Ländern hinter dem Eisernen Vorhang und machen insbesondere das totalitäre Prinzip der „Sippen-haftung“ deutlich, das Julia vorerst dazu veranlasst, von einer Beziehung mit Romeo abzusehen. Und diese rechtlichen und gesellschaftspolitischen Zustände

Hier entwirft der Roman das Bild eines Landes, in dem Unterdrückung und Erpressung an der Tagesordnung stehen. Damit kritisieren Dor und Federmann die repressiven Zustände in den von den Sowjets besetzten Ländern hinter dem Eisernen Vorhang und machen insbesondere das totalitäre Prinzip der „Sippen-haftung“ deutlich, das Julia vorerst dazu veranlasst, von einer Beziehung mit Romeo abzusehen. Und diese rechtlichen und gesellschaftspolitischen Zustände

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