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5 MATERIALISMUS VERSUS CHRISTENTUM

Im Dokument Diskurse des Kalten Krieges (Seite 188-200)

Der Kampf zwischen Kommunismus und Demokratie, zwischen dem Imperialismus Sowjetrußlands und den Föderationen der freien Völker, zwischen der Religion des atheistischen Materialismus und dem Geist christlicher Liebe und Humanität wird als ‚kalter Krieg‘ bezeichnet. [...]

Wie sich der Kampf des Kommunismus auf geistigem Gebiet in erster Linie gegen die Religion, wie sich der Terror des totalitären Systems in seinen Randgebieten vorwiegend gegen die christlichen Kirchen und insbesondere wieder gegen die katholische Kirche richtet, so tritt auf der anderen Seite der Front neben den vielen geistigen Mächten, die sich zum Kampf für die Freiheit vereinigt haben, das Christentum, repräsentiert durch die großen christlichen Kirchen, immer stärker in Erscheinung.1

Das Dreieck Kommunismus, Amerikanismus, Katholizismus

Die zitierte Charakterisierung des Kalten Krieges durch den Historiker Emil Franzel aus dem Jahr 1951 mag zunächst verwundern: Nicht der ‚freie Westen‘, nicht die USA und ihre politischen Bündnispartner werden als Gegner der Sow-jetunion aufgestellt, sondern das Christentum. Der Gegensatz von Materialis-mus und Spiritualität nimmt im Diskurs des Kalten Krieges eine strukturieren-de Funktion ein. Von Mai bis Juli 1950 publizierte die kommunistische Zeitschrift Tagebuch eine Debatte zum Thema „Materialismus oder Idealismus?“ Einlei-tend heißt es dort:

Das Bekenntnis der Kommunisten zur materialistischen Weltauffassung stellt für überzeugte Christen oder gefestigte Anhänger idealistischer Weltanschauungen nicht selten ein ernstes Hindernis dar, sich der Friedensbewegung anzuschlie-ßen. Für diese und ähnliche Bedenken ist die Stellungnahme Dr. Otto Hellriegls, Bad Hall i. T., charakteristisch [...]:

‚Soll der Krieg vermieden werden, so muß der Materialismus des Wirkens über-wunden werden. Zu dieser Überwindung kann aber ein Idealismus der Anschau-ung führen. Von welcher Seite kann nun die Menschheit diesen Idealismus sich erhoffen? Vom kapitalistischen Amerika, von der dort herrschenden Hochfi-nanz? Aber von dort ist doch der Materialismus der Gesinnung in absoluter Voll-1 Emil Franzel: Geschichte unserer Zeit 1870–1950. München: Oldenbourg 1951, S. 443 f.

kommenheit verwirklicht! [...] Können wir also auf Amerika unsere Hoffnung gründen, wo selbst Gott und die Religion in den Dienst des materiellen Erfolgs gestellt sind? Also müssen wir unsere Blicke auf Sowjetrußland richten. Aber dort ist doch der Materialismus zum Dogma erhoben worden!‘ 2

Der katholische Leserbriefschreiber befindet sich in einem Dilemma, das der Kalte Krieg mit sich bringt: Beide großen Systeme, die politische Akteure zu einer Entscheidung für die eine oder andere Seite drängen, weisen den Pferde-fuß des Materialismus auf. Die Hoffnungen Hellriegls, es handle sich bei dem Materialismus, der in den kommunistischen Staaten proklamiert wird, nur um ein Lippenbekenntnis, das sich dem Konkurrenzkampf mit den kapitalistischen Staaten verdanke, erweist sich als trügerisch, wie die Antwort des Tagebuch-Mit-arbeiters Hans Grümm, dem späteren Generalinspektor der Internationalen Atomenergie-Agentur in Wien, zeigt. Grümm lernte während seiner Kriegsge-fangenschaft in Russland im Rahmen eines Umerziehungsprogrammes den KPÖ-Funktionär Ernst Fischer kennen und ließ sich zunächst für den Kommu-nismus begeistern, wandte sich aber schon 1957 wieder von ihm ab.3 In seiner Antwort schreibt er: „Hellriegl hat recht: Der ‚Idealismus‘ der Wall Street ist scheinheilige Phrase, genau so wie der ‚Idealismus‘ Hitlers.“ Die Kommunisten hingegen seien keineswegs „Anbeter der toten, bewusstlosen Materie“, da nicht der mechanische Materialismus etwa eines „Lametrie“4 vertreten werde, der die Funktionen von Lebewesen mit den Mitteln der Mechanik zu erklären versuche, sondern der dialektische Materialismus,5 welcher dem Bewusstsein, das sich in

2 N.N.: T[age]B[uch] diskutiert: Materialismus oder Idealismus? In: Tagebuch 5 (1950) H. 10, 13.5.1950, S. 4.

3 Vgl. Hans Grümm: Drei Leben. Krieg, Partei, Atom. Wien: Löcker 1992, S. 196–206. Grümm arbeitet 1956 in der DDR, nimmt aber bald ein Arbeitsangebot als wissenschaftlicher Mitar-beiter in Stuttgart an. Als Begründung für seinen KP-Austritt nennt er: „Schauprozesse, Strafla-ger, Machtkämpfe im Kreml, Fehlplanungen.“ Ebd., S. 205. Vgl. auch Hans Grümm: Die große Illusion. Gedanken eines ehemaligen Kommunisten. In: Die Furche 13 (1957) H. 6, 9.2.1957, S. 3 f. und H. 7, 16.2.1957, S. 3. Hier spricht er von einer „Entartung des Apparats“.

4 Hans Grümm: [Beitrag im Rahmen von: TB diskutiert: Materialismus oder Idealismus?] In:

Tagebuch 5 (1950) H. 13, 24.6.1950, S. 4. Gemeint ist der französische Mediziner, Philosoph, Naturforscher und Autor Julien Offray de La Mettrie (1709–1751), der das Werk L’homme machine (1748) (dt.: Der Mensch eine Maschine) verfasste.

5 Der Begriff des dialektischen Materialismus wurde innerhalb der marxistischen Theorie-tradition gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit Berufung auf die Schriften Marx’/Engels’

gebildet und im Sowjetkommunismus zu einem wichtigen Bestandteil der – allerdings aus-legbaren – Ideologie. Der Begriff wendet sich gegen Erklärungsmodelle der Geschichte, Natur und Realität, die wie Religionen von prinzipiell unbeweisbaren Faktoren ausgehen und postuliert stattdessen eine erkennbare, jedoch in ständiger, zum Teil sprunghafter Ver-änderung befindliche Materie. Vgl. Wilhelm Goerdt, Wolfgang Knispel: Materialismus, dia-lektischer. In: Joachim Ritter, Karlfried Gründer, Gottfried Gabriel (Hg.): Historisches

Wör-einer materiellen, aber auch durch Elektrizität und Chemie geprägten Welt im Nervensystem höherer Lebewesen entwickelt habe, eine qualitative Sonderstel-lung einräume.6 Es lässt sich vermuten, dass diese Erklärung den Katholiken Hellriegel nicht für den Marxismus begeistern konnte. Die Diskussion weist aber auf eine wichtige Konstellation des Kalten Krieges in Österreich hin: Die beiden großen politischen Komplexe mit ihren assoziierten wirtschaftlichen und poli-tischen Systemen haben es hier mit einem dritten mächtigen und traditionsrei-chen Pol zu tun, dem – zumeist katholistraditionsrei-chen – Christentum. Die Beziehungen innerhalb dieses Dreiecks sind vielschichtig, im Folgenden sollen einige für Österreich zentrale Positionen skizziert werden. So wird in den zeitgenössischen Diskursen zu Politik und Religion nicht nur eine Verbindung zwischen den bei-den Großmächten des Kalten Krieges über die Achse des Materialismus gezogen (wie von Hellriegl), sondern auch eine Verbindung zwischen der katholischen Kir-che und dem Sowjetregime über die Achse des Dogmatismus, der bisweilen mit dem Totalitarismusbegriff verbunden wird. Das wird deutlich, wenn der katholi-sche und pazifistikatholi-sche österreichikatholi-sche Autor und Publizist Friedrich Heer schreibt:

„Die Dogmatisierung, die Ausbildung der marxistischen totalitären Heilskirche beginnt mit Marx und Engels selbst. Das ist eine bittere Wahrheit.“7 Er vergleicht weiter den Marxismus mit einer dogmatischen manichäischen Weltanschauung, welche die christliche Kirche in Europa im Laufe ihrer Geschichte selbst nie über-wunden habe.8 Nur eine undogmatische, für das ‚Andere‘ oder sogar für den ‚Feind‘9 offene Haltung könne sich aus dem Dunstkreis des Totalitarismus entfernen. Dazu seien aber nicht nur Christentum und Kommunismus selten bereit, auch Friedrich Torbergs Forvm lehnt Heers Konzept ab, indem es dessen Beitrag mit einem Zitat des spanischen Journalisten und Historikers Salvador de Madariaga kommentiert:

„Solange der Westen zerrissen und anfällig für Schlagwörter, für Ost-West-Handel und ‚Gespräche‘ ist, arbeitet die Zeit für die Sowjetunion, und in ein paar Jahren kann der Kalte Krieg verloren sein ...“10 Der Dogmatismus verband, oder besser gesagt, trennte also verschiedenste politische und religiöse Positionen.

Rudolf Henz, katholischer Autor, Präsident der Katholischen Aktion und Direktor des österreichischen Radiosenders RAVAG, dementierte hingegen den

terbuch der Philosophie. 13 Bde. Basel: Schwabe 1971–2007, Bd. 5, L-Mn. Basel: Schwabe 1980, S. 851–854.

6 Vgl. Hans Grümm: [Beitrag im Rahmen von: T[age]B[uch] diskutiert: Materialismus oder Ide-alismus?] In: Tagebuch 5 (1950) H. 15, 22.7.1950, S. 4.

7 Friedrich Heer: Das Kommunistische Manifest als religiöses Dokument. In: Forvm 1 (1954) H. 4, S. 8–10, hier S. 10.

8 Vgl. ebd., S. 9.

9 Vgl. Friedrich Heer: Gespräch der Feinde. Wien, Zürich: Europa 1949. Der Titel wurde zu einem Schlagwort für Heers Position zum Kalten Krieg.

10 N.N.: Zum Thema ‚Gespräch mit dem Feind‘. In: Forvm 1 (1954) H. 4, April, S. 10.

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Zusammenhang von zeitgenössischer Religionsauffassung und Totalitarismus und erklärt sich von dem Umstand ‚fasziniert‘, dass die Kirche eine „Wandlung von der Inquisition zur letzten Zuflucht der persönlichen Freiheit“11 vollzogen habe. Nichtsdestotrotz erklärt er sich bereit, einen religiösen totalen Anspruch auf Definitionsmacht im Gegensatz zu einem politischen zu dulden:

Wenn ich einem Gebiet totale Ansprüche zubillige, dann doch eher der Religion als der Politik. Hier gründet ja die Tatsache, daß Kirche und sozialistische Partei-politik nicht zusammenfinden. (Ein Burgfriede aber ist möglich.) Jede sozialisti-sche Partei, die vom Marxismus herkommt, tritt mit totalen Ansprüchen auf. Je marxistischer, umso totaler.12

Otto Mauer wiederum, Priester und Mitbegründer der Katholischen Aktion sowie Mitherausgeber der katholischen Zeitschrift Wort und Wahrheit,13 wehrt sich gegen den Totalitarismusvorwurf des antiklerikalen Westens an die Kirche, der sich im Titel seines Aufsatzes, Rom – ein schwarzes Moskau?, mani-festiert. Er postuliert einen grundlegenden Unterschied zwischen dem kirchli-chen Dogma und der politiskirchli-chen Ideologie. Das Dogma beziehe

sich nicht auf die wechselnden Aspekte des Weltlichen, auf das geschichtlich Ver-änderliche, um es etwa verabsolutierend zu fixieren. Es ist Aussage über das Gott-verhältnis des Menschen und knüpft an jene Schichte des Menschen an, die, dem Ewigen zugewendet, selbst unveränderlich, in der Geschichte existiert [...]14 Mauer unterstreicht die Differenz zwischen religiösen und politischen Machtins-tanzen und grenzt mithin die Kirche gegen beide politischen Systeme des Kalten Krieges ab, die einer weltlichen, veränderlichen und nicht zuletzt an materiellen Werten interessierten Sphäre zugehören würden. Auch im Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe 1956 wird diese Abgrenzung der Kirche von beiden Systemen des Kalten Krieges, die von wirtschaftlichem Machtstreben und einem

‚ungeistigen‘ mechanischen Prinzip bestimmt seien, klar ausgesprochen:

Bei dem Aufbau der modernen industriellen Arbeitswelt sind zwei Systeme her-vorgetreten, die eindeutig abzulehnen sind. Es sind dies der liberale Kapitalis-11 Rudolf Henz: Fügung und Widerstand. Wien, Graz: Stiasny 1962, S. 356.

12 Ebd., S. 357.

13 Mauer leitete die Galerie St. Stephan, die moderne, abstrakte Kunst ausstellte, was von christ-lichen und in ÖVP-Kreisen nicht gern gesehen wurde und stattdessen den kulturpolitischen Intentionen des CIA entsprach. Vgl. Gerhard Habarta: Frühere Verhältnisse. Kunst in Wien nach ‚45. Wien: Der Apfel 1996, S. 208 und 308. Vgl. auch Kap. 12.

14 Otto Mauer: Rom – ein schwarzes Moskau? In: Forvm 1 (1954) H. 4, April, S. 15–16, hier S. 16.

mus und der Kommunismus . [...] Im übrigen haben beide Systeme etwas gemein-sam, nämlich das mechanische Prinzip: Der Kapitalismus ist beherrscht von dem Mechanismus des freien Marktes, der Kommunismus vom Mechanismus der Zwangsgesetze. [...] Jede Religion baut auf der Anerkennung von selbständigen geistigen Werten auf. Mit der sozialistischen Weltanschauung, die im Grund ma-terialistisch ist, kann sie sich nicht vertragen.15

Die Strategie der rigiden Trennung zwischen dieser Sphäre der politischen Macht-kämpfe und der religiös verbürgten immateriellen Werte bietet sich für die christ-lich orientierten Schriftstellerinnen und Schriftsteller an und spielt besonders in Österreich eine wichtige Rolle. Daneben lassen sich aber auch Bestrebungen finden, den von Henz angesprochenen ‚Burgfrieden‘ mit einer der politischen Parteien auszuhandeln. Henz erklärt, diese Strategie selbst vorzuziehen und nicht wie andere „an der Unvereinbarkeit von Kirche und Welt (von Kreuz und Atom-bombe, Liebesgebot und Kaltem Krieg)“16 zu zerbrechen.

Eine andere Kooperationsbestrebung zwischen Politik und Kirche geht von kommunistischer Seite aus und baut auf Schlagworte wie Humanismus, Men-schenwürde, Gemeinschaft und Frieden – insbesondere im Atomzeitalter. Der Wiener Kulturstadtrat und ‚unorthodoxe‘17 Kommunist Viktor Matejka ruft etwa den erzbischöflichen Koadjutor Franz Jachym in einem offenen Brief im Tagebuch auf, „mit dem Evangelium in der Hand die Wechsler aus dem Tem-pel zu treiben“.18 Jachym solle sich auf das „kommunistische Prinzip der urchrist-lichen Gemeinde“ besinnen und „das Krebsgeschwür des Kapitalismus, wie es der ‚Osservatore Romano‘ vor einigen Jahren nannte“, bekämpfen.19 Matejka hebt die Vorarbeit der Kirche in puncto Humanismus hervor, an die sozialisti-sche Denker anknüpfen konnten:

15 Paul Rusch (Hg.): Der Sozialhirtenbrief der Österreichischen Bischöfe. Herausgegeben im Auf-trag der Bischofskonferenz und mit Kommentar versehen von Bischof Dr. Paul Rusch. Inns-bruck, Wien, München: Tyrolia 1957, Kap. 2. Online-Quelle iupax.at/fileadmin/documents/

pdf_soziallehre/1957-oebk-sozialhirtenbrief.pdf [zuletzt aufgerufen 11.4.2017; Kursiv. i. Orig.].

Vgl. auch Hanisch: Der lange Schatten des Staates, S. 427.

16 Henz: Fügung und Widerstand, S. 357.

17 Vgl. den Untertitel von Viktor Matejka: Widerstand ist alles. Notizen eines Unorthodoxen.

Wien: Löcker 1984.

18 Viktor Matejka: Dr. Franz Jachym in Wien. Offener Brief an den erzbischöflichen Koadjutor.

In: Tagebuch 7 (1952) H. 5, 1.3.1952, S. 3.

19 Der Kapitalismus wurde in der kommunistischen Presse gerade auch für Christen als proble-matisch dargestellt: „Das Gebet der amerikanischen Monopolisten lautet: / Vater, [sic] unser, / der du bist im Himmel, / erhalte uns unsere Profite, / Coca-Cola. [Statt: Amen.] / Es ist nicht unser Gebet. Es ist die Gotteslästerung der ‚Freiheit‘.“ Peter Alt: Am Ende des Gebetes: Coca-Co-la. In: Tagebuch 7 (1952) H. 7, 29.3.1952, S. 2.

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Ich bin dafür, daß sich die großen Lehrer und Kämpfer für die Solidarität ‚außer-halb der Kirche‘ wie Karl Marx und Lenin noch im Grabe dafür bedanken, daß sie aus dem christlichen Erbe von der unendlichen Würde des Menschen und des Ebenbildes Gottes Kräfte ziehen durften, die sie befähigten neue Grundlagen dafür zu erarbeiten, daß niemand den anderen wie eine Sache oder ein Tier als Mittel zum Zweck benutzen darf.

Auch Fischer behauptet: „Der christlichen und marxistischen Konzeption der Gesell-schaft liegen gemeinsame ethische Werte zugrunde.“20 Solche Aktualisierungen der gemeinsamen humanistischen Bestrebungen von Christentum und Kommunismus setzten freilich voraus, dass nicht nur die inhumanen Aspekte der Geschichte bei-der Ideologien verdrängt werden, sonbei-dern auch die „Unversöhnlichkeit entgegen-gesetzter Positionen“21 negiert wird. Wenn Akteure dieser Debatte sich um eine Annäherung zwischen Kommunismus und Christentum bemühen – wie etwa Mate-jka oder Heer –, werden diesbezügliche Differenzen nivelliert, wenn eine Abgren-zung angestrebt wird – wie bei Mauer – werden sie unterstrichen.

Bekannter als die kommunistisch-katholischen Annäherungsversuche sind die Bestrebungen westlicher Politiker, Brücken zur katholischen Kirche zu schla-gen, wobei Atheismus und Materialismus des Sowjetregimes betont und verur-teilt werden. Diese Position erlangte im österreichischen Ständestaat besondere Bedeutung, dessen ‚christliche‘ Grundlage explizit gegen den Nationalsozialis-mus und den MarxisNationalsozialis-mus, aber auch gegen den LiberalisNationalsozialis-mus gewendet war, wie etwa der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß anlässlich seiner Trabrennplatzrede deutlich machte:

So ist dem Zeitalter des Liberalismus ein Zeitalter der Willkür und der reinen Macht, ein Zeitalter gefolgt, das seinem Ideengang nach nicht weniger materia-listisch war, das ebenso ohne Gottes- und menschliche Gesinnung einfach rein formalistisch, organisatorisch die Übel der damaligen Zeit heilen wollte. So kam die Epoche des Marxismus, des brutalen Materialismus.22

20 Ernst Fischer: Koexistenz und Ideologie. In: Ders.: Kunst und Koexistenz. Beitrag zu einer modernen marxistischen Ästhetik. Reinbek/H.: Rowohlt 1966, S. 33–82, hier S. 49. An anderer Stelle lobt Fischer den Diskussionsbeitrag eines Priesters auf dem Weltfriedenskongress in Wrocław Ende August 1948: „Und kaum weniger eindrucksvoll war die antiimperialistische Rede eines Priesters aus Frankreich, der das Kapital als den Inbegriff des Materialismus, als den Feind Gottes und des Menschen brandmarkte, [...]“. Ernst Fischer: Die gemeinsame Mensch-heitssprache. In: Österreichisches Tagebuch 3 (1948) H. 18, Oktober, S. 1 f.

21 Walter Hollitscher: Materialismus-Diskussion in Graz . In: Tagebuch 10 (1955) H. 24, 3.12.1955, S. 7 f.

22 Engelbert Dollfuß: [Rede am 11.9.1933 am Trabrennplatz in Wien]. In: Walter Kleindel: Urkund dessen ... Dokumente zur Geschichte Österreichs 996 bis 1955. Wien: Österr. Bundesverl. 1984, S. 331–337, hier S. 332.

Die Verurteilung des Kommunismus als atheistischer Materialismus findet sich in der Propagandarhetorik des Kalten Krieges immer wieder, so etwa auch beim US-Präsidenten Eisenhower.23 Der stimmgewaltigste Verfechter der Allianz von westlicher Welt und Christentum war aber wohl der amerikanische Prediger Billy Graham, der zum Kampf gegen den mit dem ‚Satan‘ verbündeten Kommu-nismus aufrief.24 Die Abwehr des Atheismus verstärkte sich durch die Logik des Kalten Krieges, wie Monique Scheer feststellt: „One of communism’s most sali-ent features was its self-proclaimed atheism; by inverse conclusion, to be anti-Communist (and therefore a ‚good American‘) was to be God-fearing.“25

In Deutschland – und ebenso in Österreich – war nach dem Zweiten Welt-krieg das Bedürfnis nach Sinngebung und einer verlässlichen Geschichtsdeutung besonders groß. Hinzu kam, dass die katholische Kirche den Ruf genoss, weni-ger als andere Institutionen für die nationalsozialistische Indoktrination anfällig gewesen zu sein.26 Sie bot zudem Deutungsmuster an, durch welche die Schre-cken des Zweiten Weltkrieges eingeordnet werden konnten: „the cult of Mary provided cultural resources for coping with war experience by providing inter-pretative schemes with which to make sense of political events that ultimately caused people to suffer greatly.”27 Der Krieg erschien als eine Sühne für die fort-schreitende Säkularisierung im Laufe der Moderne: „From the Catholic point of view in Germany after 1945, Nazism had been the logical extreme of a gene-rally anthropocentric trend that had begun with the Renaissance – or, at the latest, with the French Revolution.“28

Dieser anthropozentrische Trend sei verbunden gewesen mit einer Aufwer-tung der Empirie, der Materie und der ‚Naturkräfte‘ – bis hin zur Konzeption des Menschen als eines ‚Produzenten‘ oder ‚Motors‘ dieser Naturkräfte. Aus der christlichen Perspektive wird das Zeitalter der Produktionssteigerung mittels des ‚Motors Mensch‘ wegen seiner Vernachlässigung spiritueller, moralischer und ‚ewiger‘ Werte scharf verurteilt. Für diese Vernachlässigung stand die The-orie des wissenschaftlichen Materialismus, die

23 Vgl. Whitfield: The Culture of the Cold War, S. 90.

24 Vgl. ebd., S. 77–82.

25 Monique Scheer: Catholic Piety in the Early Cold War Years, or How the Virgin Mary Protec-ted the West from Communism. In: Annette Vowinckel, Marcus M. Payk, Thomas Lindenber-ger (Hg.): Cold War Cultures. Perspectives on Eastern and Western European Societies. New York, Oxford: Berghahn 2012, S. 129–151, hier S. 129.

26 Ebd., S. 130. Dieses Bild bedingte, dass noch Rolf Hochhuths Drama Der Stellvertreter (1963) als provokante Darstellung der katholischen Kirche aufgenommen wurde.

27 Ebd., S. 133.

28 Ebd.

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[…] zentral für die vielen utopischen gesellschaftlichen und politischen Ideologi-en des frühIdeologi-en 20. Jahrhunderts [war]: Taylorismus, Bolschewismus und Faschis-mus. Obgleich in unterschiedlicher Weise, betrachteten alle diese Bewegungen den Arbeiter als eine Maschine, die der unendlichen Produktivität fähig ist und die, wenn sie in Besitz des wahren Bewußtseins ist, unempfindlich gegenüber Er-müdung ist. Diese Bewegungen begriffen den Körper sowohl als eine Produktiv-kraft als auch als ein politisches Instrument, dessen Kräfte wissenschaftlich ent-worfenen Organisationssystemen unterworfen [werden] können.29

In Anbetracht der Tatsache, dass sowohl in kapitalistischen als auch in kommu-nistischen Wirtschaftssystemen, sowohl in demokratischen als auch in diktato-rischen Regimen auf den wissenschaftlichen Materialismus zurückgegriffen wurde, wird die Bedeutung des katholischen Antimaterialismus im Nachkrieg-sösterreich verständlich: Er behauptete eine Gegenposition sowohl gegenüber dem nach 1945 diskreditierten Hitlerfaschismus als auch gegenüber dem vom Großteil der Österreicher abgelehnten Sowjetkommunismus, gleichzeitig aber auch eine kritische Distanzierung vom Gesellschaftsmodell der westlichen Besat-zungsmächte im Allgemeinen und der Amerikanisierung im Besonderen. Diese Kritik am US-Einfluss besonders durch Medien und Kulturgüter manifestiert sich nicht zuletzt in der übereinstimmenden Ablehnung sogenannter Schmutz-und-Schund-Literatur durch SPÖ, ÖVP und KPÖ.30

Angesichts dieser diskursiven Rahmenbedingungen überrascht es nicht, dass sich unter den literarischen Texten im Nachkriegsösterreich, die politische The-men aufgreifen, auffällig häufig solche finden, die mit christlich-katholischen Positionen operieren und in diesem Sinne irdisches Machtstreben, Atheismus, die Negation der individuellen Seele und das Primat materieller oder sinnlich erfahrbarer Werte kritisieren. Die Inkommensurabilität von ‚Mensch‘ und ‚See-le‘ wird dabei gegen die moderne Technik ausgespielt, mit der beide Kal-ten-Kriegs-Mächte sich hervortaten. Dehumanisierung als Entfremdung im Marx’schen Sinn wird aber auch von sozialistischen und kommunistischen Auto-rinnen und Autoren verurteilt. Diese unterschiedlichen Positionen innerhalb des Materialismusdiskurses, der in der österreichischen Literatur des Kalten Krieges eine zentrale Stellung einnimmt, sollen im Folgenden genauer darge-stellt werden.

29 Anson Rabinbach: Motor Mensch: Kraft, Ermüdung und die Ursprünge der Moderne. Aus dem Amerikanischen v. Erik Michael Vogt. Wien: Turia + Kant 2001, S. 12.

30 Vgl. Oliver Rathkolb: Die katholische Kirche und die politische Kultur der Zweiten Republik.

In: Pia Janke (Hg.): Ritual. Macht. Blasphemie. Kunst und Katholizismus in Österreich seit

In: Pia Janke (Hg.): Ritual. Macht. Blasphemie. Kunst und Katholizismus in Österreich seit

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