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Rollenwechsel und konservierte Spur Eine funktionale Beschreibung von sam

Im Dokument Slavistische Linguistik 1993 (Seite 81-103)

Man muß schon lange suchen, um eine sprachliche Einheit zu finden, die sich so hartnäckig einer überzeugenden Beschreibung entzieht wie das slavi- sehe bzw. russische sam (und von diesem wird hier eigentlich die Rede sein).

Ein sehr deutliches Indiz fü r diesen Sachverhalt ist die Tatsache, daß der Wortartstatus von sam bis heute nicht verbindlich geklärt ist. Kaum eine H ilfe bringt der B lick auf die fremdsprachlichen Äquivalente.

Hier sind die Angebote:

M a r g u l i é s (1924) bezeichnet sam als einen Intensifikator.

I s a č e n k o (1968) nennt sam ein Limitationspronomen.

B o r i s o v a (1990) nennt es ein Pronomen.

N e i d l e (1988) wiederum entscheidet sich für den Terminus adjunct (Adverb).

A d a m e c (1993) entzieht sich einer Entscheidung und referiert auf sam m it dem Terminus vokabula.

B o g u s ł a w s k i (1991/92) verfährt ähnlich und "kategorisiert" das polnische sam als wyraz.

P la n k (1978) hält selbst für einen intensifier.

P rim u s (1992) bezeichnet eine Variante von selbst als non-quantifying scalar adverb.

G i v ó n (1993) sieht in himself ein emphatic reflexive.

Vermutlich ließen sich noch weitere Belege für die unterschiedliche Be- urteilung von sam (selbst und him self1) anführen, aber das Problem ist auch so klar. Das Interessante an der dargestellten Situation ist, daß es hier nicht nur um Termini geht, sondern im Grunde genommen um Beschreibungsentscheidun- gen. Und dies ist natürlich wichtig. Die Entscheidung für den Terminus Pro- nomen lenkt das Interesse auf pronominale Eigenschaften von sam, während die Intensifikatorhypothese Graduierungseigenschaften in den Vordergrund rückt. Nicht alle Forscher begründen ihre Wahl, eine Ausnahme ist A d a m e c ,

der eingehend seine Entscheidung für seine ungewöhnliche Terminologie dar- legt. Gegen die Kategorisierung von sam als Pronomen wendet er ein, daß sam (wie auch samyj) in den meisten Fällen keine pronominale Semantik hätte und wegen seiner verstärkend-selegierenden Funktion an eine Partikel erinnerte.

Partikel nennt er es jedoch nicht, sondern wählt einen Terminus, der seiner An*

sicht nach am wenigsten verfänglich ist: vokabula. Ich denke, daß A d a m e c z u 1 H im self sieht stellvertretend für das ganze Paradigm a (m y se lf y o u rse lf himself).

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früh kapituliert und gar nicht erst den Versuch unternommen hat, den pro- nominalen Charakter von sam zu überprüfen. Dies hat zur Folge, daß er die Spezifik von sam nicht zu erfassen vermag. Dies g ilt grosso modo auch für die Vertreter der Intensifikator- bzw. Adverbauffassung. Leider haben auch die Anhänger der Pronomenauffassung einen Schritt zu wenig getan. Sie haben die Pronominalität von sam nur behauptet, aber nicht nachgewiesen und deshalb auch nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Dies ist allerdings leichter gefordert als getan. Ich w ill hier einen Versuch in diese Richtung unternehmen, weil ich davon überzeugt bin, daß die Spezifik von sam und sein Funktionieren nur auf der Basis seiner Pronominalität entschlüsselt werden kann.

Bevor ich jedoch näher auf sam eingehe, muß ich noch eine kurze Be- merkung zu dem deutschen bzw. englischen Äquivalent von sam machen. Es ist ohne Zweifel grundsätzlich nützlich, bei der Beschreibung von sam auch einen B lick auf selbst und him self zu werfen. Allerdings darf man dabei nicht übersehen, daß selbst und him self keine absoluten Äquivalente von • • sam sind.

Das deutsche selbst korreliert einmal m it sam, zum anderen aber auch m it daze.

Im letzteren Fall liegt augenscheinlich eine Partikelfunktion vor. Das englische him self dagegen entspricht einerseits sam, in seiner zweiten Funktion aber ist him self ein Reflexivpronomen (I helped myself)• M it anderen Worten, die dis- tributionellen und funktionellen Unterschiede zwischen sam, selbst und him self determinieren die einzelnen Beschreibungsansätze, die Ergebnisse sind nicht ohne weiteres übertragbar.

Kehren w ir zurück zu sam. Es scheint sinnvoll, anknüpfend an die Ter- minologieproblematik kurz einen Überblick über die Forschung zu sam zu ge- ben.2 Die einzelnen Aussagen sind z.T. sehr knapp. Hier das Wichtigste:

Ma r g u l ié s:

Nach ihrer Auffassung verstärkt sam die Reflexiva und hebt hervor, um wel- chen Gegenstand es im gegebenen Fall geht. Diese Auffassung suggeriert, daß sam nur mit Reflexiva kookkurriert. Dies ist natürlich nicht der Fall. Sam kommt ebenso häufig oder noch häufiger mit nichtreflexiven Verben vor. Das ist aber nur ein untergeordneter Punkt. Auch die sam zugeschriebene Funktion der Hervorhebung bereitet große Probleme. Selbst wenn geklärt wäre, was im Fall von sam Hervorhebung bedeutet, so scheinen sich doch Sätze wie ־ A vy sam i, Margareta Petrovna, čto sčitali pravil'nym? nicht einordnen zu lassen.

ISAČENKO:

Für ihn, der offen eingesteht, daß sam schwierig zu beschreiben ist, besteht die wesentliche Funktion darin, daß dieses Pronomen den Gedanken an andere Per- sonen (soweit es um Personen geht) ausschließt, den Gedanken der Selbstän- digkeit unterstreicht, den Geltungsbereich begrenzt - Sam étomu ne verit.

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-2 Für Hinweise au f Literatur und interessante Beispiele danke ich an dieser Sicile Do r is B u r k h a r d t , Ge r dF r e i d h o f , Martin a Lam pertund Daniki. Wkiss.

Auch diese Beschreibung ist nur schwierig nachzuvollziehen angesichts von Vorkommen wie

(1) Jurka vytaraščil na nego glaza i ne poveril, как éto možno ne lju b it’ kino?

Sam on chodil v kino, tol'ko kogda byval и babuški v gorode.

[Hervorhebung hier und im folgenden von m ir]

OŽEGOV:

Ož e g o v zählt fü n f Bedeutungen für sam auf, die ich nicht weiter kommentiere:

1. Sam podčerkivaet, čto reč' idet как raz o dannom lice ili predmete, v značenii - imenno on, ne kto inoj, как on.

Beispiel: Sam direktor rasporjadilsja.

2. Svoimi silami. Bez pomošči ili trebovanija so storony.

- Sam spravilsja.

3. Oboznačaet, čto kto־ n. lično proizvodit dejstvie ili is- pytyvaet ego. - On sam éto sdelal.

4. In Verbindung m it Substantiven, die eine innere Eigen- schaft, eine Qualität bezeichnen, bedeutet sam :

voploščennyj, olicetvorennyj. - Čelovek étot - sama spra- vedlivost'.

5. Unter Verweis auf die Vollform samyj (3): Podčerkivaet opredeljaemoe suščestvitel'noe v značenii - vzjatyj sam po sebe, как takovoj. - Dostatočen sam fakt soglasija.

Bo g u s ł a w s k i:

B o g u s ł a w s k i unterscheidet wie O ž e g o v fünf Bedeutungen, z .B . SAM ן ze znaczeniem "wskazania na informatywność bieżącej wypowiedzi o przedmio- eie myśli znanym jako taki słuchaczowi i wyróżnionym wśród innych", por. Ty sam jesteś głupi. SAM2 ze znaczeniem "przedmiotowej szczytowości aktualnej realizacji danej relacji", por. Rozmawiał z samym Wałęsą.

Ohne hier ins Detail gehen zu können, zumal auch B o g u s ł a w s k i sich im wesentlichen auf SAM\ beschränkt, läßt sich feststellen, daß als relevante Merkmale die Aussonderung eines Gegenstandes von anderen (nie mówię F о kimś lub o czymś innym niż a), der parenthetische metatextuelle Charakter von

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SAM ], aber auch der Aspekt der Überraschung (nieoczekiwanie) angesehen werden. Es ist sicherlich richtig, daß diese Merkmale in irgendeiner Weise für sam aktuell sind, aber sie sind mehr oder minder oberflächlicher, lexikalischer Natur und erfassen nicht die Spezifik von sam. Als besonders schwierig sehe ich dabei das Merkmal der Informiertheit von Sprecher und Hörer an.

Ad a m e c:

Invariante Bedeutung von sam ist die Aussonderung einer gegebenen Substanz aus ähnlichen und mit ihr verbundenen Substanzen. Es w ird die Exklusivität des betroffenen Substantivs festgestellt, was A d a m e c dem Phänomen von Zen- trum und Peripherie zuordnet. Sam unterstreicht nach ihm explizit, daß es in der

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-gegebenen M itteilung um die zentrale Person und nicht um jemanden aus der Peripherie geht.

Auch hier gilt, daß eigentlich nur Sekundärphänomene einer tieferen Funktion festgehalten werden. Die verschiedenen Vorkommen von sam lassen sich so m.E. nicht erfassen.

Das ist im wesentlichen das Literaturangebot zu sam, soweit ich es über- sehe, sieht man einmal von der knappen Bemerkung ab, die A p r e s j a n sam widmet. Ihn interessieren die Synonyme von sam \ (= thematisierendes sam = čto kasaetsja, trägt den logischen Akzent) und sam2 (= lično, ohne Satzakzent).

Ich erwähne dieses Problem deshalb, weil hier ein weiterer interessanter Punkt angeschnitten wird: die Abgrenzung von sam, ličnoAičnyj und sobst- allerdings, daß sam als Pronomen interpretiert wird. Ich hoffe, daß die

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genden Überlegungen aufzeigen, worin die behauptete Gemeinsamkeit beste- hen könnte.

Das Manko der bisherigen Forschung ist, so lassen sich die angeführten Ergebnisse zusammenfassen - am besten repräsentiert durch O ž e g o v ־ daß sam im Prinzip lexikalisch beschrieben wird. Dies korrespondiert m it der Beobach- tung, daß in der Regel nur isolierte Sätze als Beschreibungs- und Beleggrund- läge dienen. Der Kontext bleibt meist unberücksichtigt. Sieht man jedoch sam als Pronomen an, wird der textuelle Zugang geradezu erzwungen. Unbefriedi- gend in der bisherigen Forschung ist auch, daß weder die Motivation der Vor- kommen von sam* noch deren textuelle und pragmatische Aspekte, die eigent- lieh nicht zu übersehen sind, diskutiert werden. Zielsetzung dieser Arbeit ist es deshalb, auf der Basis der Pronominalitätshypothese die Funktion, Motivation und Pragmatik von sam näher zu beschreiben. Dabei werden die ersten Punkte ausführlicher, der letzte nur knapp behandelt. Wie andere Forscher gehe ich da- von aus, daß sam in mehreren Varianten auftritt, allerdings postuliere ich

funk-Genau genommen gehört auch noch personal'no in diese Liste, vgl. A zdes' ja ušcl v pustuju bczduchovnuju Ži/.n' dija sebja p erso n al'n o . Eine Untersuchung der Synony- miebcziehungcn wird in Bctracht ziehen müssen, daß Adjektive wie sobstvennyj auch syntaktische Varianten von sam darstellcn, vgl.... zavisclo ćto i ot slučajnostcj i ot moich sobstvennych javno kar'cristskich ustrem lenij; Intcresno, vo skol’ko vy cenile sobstvennoe к sebe uvaženie?

In bezug auf lično, das im übrigen zusammen mit sam auftrcten kann, scheint mir wichtig darauf hinzuweisen, daß hier ein adverbial-m odaler Aspekt im Vordergrund steht, weniger der Aspekt des Rollcnwcchscls, auf den ich noch zu sprechen komme.

Aber dies bedarf einer genaueren Betrachtung.

donale und nicht lexikalische Varianten. Für den Zweck dieser Arbeit genügt es, zunächst drei Varianten anzusetzen, da ich Vorkommen wie die vierte und fünfte bei Ožegov nicht betrachten werde. Trotz dieser Einschränkung ist noch eine weitere notwendig. Es ist im Rahmen dieses Aufsatzes nicht möglich, alle interessanten Oberflächenvarianten von sam-Sätzen ausführlich bzw. überhaupt darzustellen. Aber ich gehe davon aus, daß die ausgewählten Beispiele die Spe- z ifik von sam in angemessener Weise erkennen lassen.

Welche Argumente, und dies ist die entscheidende Frage, gibt es nun für die Pronominalität von sam l Da ist zunächst die Tatsache, daß sam wie andere Pronomina Kongruenzeigenschaften hat. Sam - kongruiert m it einem maskuli- nen Bezugswort, sama mit einem femininen, sami m it einem pluraüschen.

Weiterhin gibt es viele язт-Ѵ огкоттеп, bei denen ein anaphorischer Begleiter fehlt, d.h. Vorkommen, in denen die anaphorische Konnektion allein durch sam realisiert wird. Ein drittes Indiz schließlich besteht darin, daß Sätze wie

(2) Ja teper' sam ded.

(3) Sam tovarišč Bardin vo vremja gibeli ženy nachodilsja v služebnoj ko*

mandirovke.

nicht textinitial Vorkommen und auch nicht Vorkommen können. Es ist intuitiv einsichtig, daß sam einen Vortext voraussetzt, und zwar einen m it einem refe- renzidentischen Antezedens (Nomen oder Pronomen). Es spricht also eine Menge für die Pronominalität von sam. Die Frage ist nur, ob sich dies auch über die Rekonstruktion einer syntaktischen Substitutionsbeziehung nachwei- sen läßt. Es gibt in der Literatur einen indirekten, wenn man so w ill, Hinweis auf die Existenz eines transsententialen Antezedens. Es wird nämlich in fast allen Beschreibungen darauf hingewiesen, daß der von dem ,,determinierten"

Nomen bezeichnete Gegenstand von einem anderen Gegenstand abgegrenzt würde (vgl. z.B. I s a č e n k o ) . Syntaktische Schlußfolgerungen werden allerdings nicht aus dieser Aussage gezogen. Und darin liegt das eigentliche Versäumnis und der, positiv formuliert, entscheidende Ansatzpunkt. Ich w ill dies an einem Beispiel aufzeigen:

(4) Gosudarstvo nas ne zaščiščaet, budem zaščiščat'sja sami.

(4) ist ein komplexer Satz, der aus zwei Teilsätzen besteht. Im antezedierenden Teilsatz ist gosudarstvo das Subjekt von z a š č i š č a tim postzedierenden (/ny).

Das Objekt ist in beiden Teilsätzen das gleiche (nas - -sja). D.h., um in der Diktion der Literatur zu bleiben, im vorliegenden Beispiel wird der von (т у ) bezeichnete Gegenstand von dem von gosudarstvo bezeichneten Gegenstand abgegrenzt. Ich w ill versuchen, dies in meinen Ansatz zu übersetzen. Ich schreibe zu diesem Zweck die beiden Teilsätze in leicht formalisierter Weise als zwei Zeilen auf:

1. X ne zaščiščaet Y 2. Y budet zaščiščat' Y

Beide Zeilen kann man m it dem Konnektor poétomu verknüpfen. Dies ist wichtig, aber nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend ist zu berück- sichtigen, daß das X in der ersten Zeile für eine Agensrolle steht und Y für eine Patiensrolle. In der zweiten Zeile dagegen steht das erste Vorkommen von Y für einen Agens, das zweite für einen Patiens. Bei einer entsprechenden Étiket- tierung sehen die beiden Zeilen nun folgendermaßen aus:

1. X Ag ne zaščiščaet Yj Pat 2. Yj Ag budet zaščiščat' Yj Pat

So weit, so gut. Es ist leicht zu sehen, daß eine solche Etikettierung noch nicht ausreicht, die Existenz von sam zu erklären. Es ist noch ein weiterer

« »

Schritt zu tun, und zwar basierend auf der Überlegung, daß « p sam die

"ersatzweise״ Übernahme der Agensrolle durch anzeigt. M it anderen Wor- ten, es ist zu markieren, daß der Agens der zweiten Zeile nicht nur referenzi- dentisch m it dem Patiens der ersten Zeile ist, sondern daß der Agens־Y ur- sprünglich ein Patiens war bzw. als Patiens vorgesehen war. D.h., Y j erfüllt eine Rolle, die fü r Yj eigentlich unspezifisch ist. Ich versuche nun, diese Über- legung in die Notation der beiden Zeilen zu übertragen.

1. X Ag ne zaščiščaet Yj Pal poétomu

2. Y 1i Ag (als eigentliches Y ^ Pal) budet zaščiščat' Y 3j Pat

Zeile zwei enthält nun drei Vorkommen von Y. Das erste ( Y 1) steht für die Wiederaufnahme des antezedierenden Objekts als Subjekt. Diese Wiederauf- nähme ist transsentential. Das dritte Vorkommen (Y 3) realisiert dagegen einen intrasententialen Bezug. Das Objekt des Satzes ist referenzidentisch m it dem Subjekt. Das zweite Vorkommen von Y (Y2) stellt wie Y 1 eine transsententiale Wiederaufnahme dar, ist aber im Unterschied zu Y 1 semantisch ausgezeichnet, d.h. es hat mehr als nur eine deiktische/anaphorische Funktion. Y2 zeigt an, daß der Agens Y; eine Vorgeschichte hat, nämlich die, eigentlich ein Patiens zu sein. Yj vertritt gleichsam X. Und genau diese Funktion w ird von dem Prono- men sam realisiert. Sam ist ein Pronomen, das anzeigt, daß eine vorliegende semantische Kasusrolle die SPUR einer anderem Rolle enthält. Damit ist nun auch eine Antwort auf die Frage der Kongruenzmerkmale von sam gegeben (in unserem Fall m it Yj in Zeile 1). Sam kongruiert m it einem transsententialen Antezedens und nicht m it seinem nominalen oder pronominalen Begleiter. Ich bezeichne dieses sam als sam 1.

Die Überlegung, sam 1 als Indikator eines Rollenwechsels bei Konservie- rung der Spur einer "eigentlichen" Rolle anzusehen, w irft natürlich neue Pro- bleme auf. Man w ird ohne Mühe Beispiele finden, bei denen auf den ersten B lick weder ein transsententiales Substituendum noch ein kontrastierendes X vorhanden zu sein scheint, vgl.:

(5) Pisali kraskami, tol’ko krasok ne bylo. M y delali ich sami iz čego pri- detsja.

In der Tat, der Vortext enthält weder ein X als Kontrast zu einem Y (my), noch, und dies korreliert damit, ein Antezedens, das durch sam substituiert werden könnte. Aber wenn die obige Analyse zutrifft, dann muß auch hier für sam ein Antezedens angesetzt werden. Daß dies nicht unbegründet ist, zeigt die Tatsa- che, daß der Vortext nicht getilgt werden kann, ohne daß das sam-Vorkommen unmotiviert erschiene. Man vermißt ein X. Und dieses X ist tatsächlich auch vorhanden. Um dies zu zeigen, ist es erforderlich, den Teilsatz tol'ko krasok ne bylo nicht einfach als Existenzaussage aufzufassen, sondern als Aussage dar- über zu verstehen, daß es niemanden gab (keinen Hersteller und/oder Verkäu- fer), der Y Farben zur Verfügung stellt. Hier verbirgt sich der Antezedens. Der Teilsatz läßt sich nun wie folgt notieren:

Niemand (=X ) stellt Y Farben zur Verfügung.

Y realisiert in dieser Aussage die Rolle eines Rezipienten oder Käufers o.a., d.h. eine Rolle, die für einen Maler als normal gelten kann. Da es aber nun, so die Information unseres Satzes, kein X (=Produzent/Verkäufer) gibt, der Farben zur Verfügung stellt, muß Y von der Rolle des Rezipienten, des eigentlichen Rezipienten, in die uneigentliche Rolle des Produzenten wechseln, d.h. als ei- gentlicher Rezipient produzieren. Es lassen sich in Analogie zu (4) ebenfalls zwei Zeilen notieren, die die Quelle und den Weg der iam-Pronominalisierung explizieren.

1. Net Х-аргоф kotoryj delaet kraski dija Yj-a 2. Y 1 j (als eigentlicher Y2! RCzj p) delaet kraski

Wie oben wird auch hier Y ; zweimal über die Satzgrenze hinweg substituiert:

durch das Subjekt ту (Y *j) und sam als konservierte Spur von Y 2-t .

Beispiel (5) hat also die gleiche Grundlage wie (4). Bei Ožegov und anderen wird jedoch hier eine eigene Variante von sam angesetzt: Variante 2 - svoimi silami ... Diese Interpretation basiert offensichtlich auf der Lexik des beteilig- ten Verbs/Prädikats. Zweifellos liegt hier ein instrumentaler Aspekt vor - Y; s pomoščju Y j-а /svoimi silam i/ delaet kraski, aber diese Beobachtung darf nicht die Einsicht verstellen, daß in (5) ein Rollenwechsel thematisiert wird. Die

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kenntnis, die (5) vermittelt, ist die, daß der transsententiale Antezedens von sam explizit und im p lizit versprachlicht sein kann.

Hier noch ein Beispiel des Typs (5):

(6) ... djadja V itja skazal: - A čto molodye ljudi, ne predprinjat' li nam ékspediciju v ... Tete Jule echat' ne chočetsja, no my, ja dumaju, spra- vimsja i sami, bez ženščin?

Tetja Julja ist, das signalisiert sami, als potentieller Agens (Helfer) in bezug auf einen Adressaten (Hilfsempfänger) zu interpretieren. Da dieser Agens (=X) nicht tätig wird, übernimmt der eigentliche Adressat (=Y ) diese Rolle, wobei mit H ilfe von sam die Spur konserviert wird. Es ist eigentlich überflüssig festzustellen, daß in keinem der angeführten Sätze sam getilgt werden kann, ohne daß die Satzkohärenz empfindlich gestört würde.

Auch wenn die Oberfläche der nächsten beiden Beispiele anders aussieht, so sind sie dennoch analog zu (6) zu interpretieren.

(7) Menja ne nužno učit' somnevat'sja. Ja sama somnevajus' vo vsem.

(8) Ćtoby sdelat' mame prijatnoe, ja govorju, čto étoj polbutylki vpolne do- statočno, a esli Juročke pokažetsja malo, to pust' i pokupaet sam: na nich, mužčin, ne napaseš'sja.

Für (7) könnten die der Verwendung von sam zugrundeliegenden zwei Zeilen so aussehen (ich formuliere sie in deutscher Sprache):

1. Es ist nicht nötig, daß ein X Ag ein (a) lehrt, denn

2• Y*j Nichibcncf (a*s Benefizient von (a) vorgesehener Y 2;) tut (a) Und für (8) könnte man folgende Zeilen notieren:

1. X ist ein potentieller Agens (Donor) von (a) fü r einen Rezipienten Y, aber wenn Y (a) nicht akzeptiert,

dann muß

2. Y *j (als eigentlich vorgesehener Rezipient Y 2j) Donor von (a) für Y j sein.

Diese beiden Beispiele machen auf eine grundsätzliche Schwierigkeit aufmerk- sam, nämlich in einfacher Weise, m it einem einfachen Rolleninventar, etwa dem der Kasusgrammatik, die jeweiligen Rollen bzw. die Rollenwechsel zu be- schreiben. Die Rollen, mit denen w ir es bei sam zu tun haben, ergeben sich nicht notwendigerweise aus der Prädikatssemantik, wie es vielleicht den An- schein hat. Dazu später noch Beispiele. Es ist im Augenblick nicht möglich.

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-eine einfache und endliche Liste dieser Rollen vorzulegen. Deshalb ist auch die Notation der zugrundeliegenden Strukturen eher vorläufig. Sehen w ir uns nun folgendes Beispiel an:

(9) Obeščajte mne, čto vy ujdete. M ilaja, obeščajte! Zavtra že, chorošo?

Nataša kolenjami stala na divan, na kotorom sidela Sofja Petrovna, i umoljajušče složila pered nej ruki. Potom ona sela к stolu, schvatila pero i sama napisala zajavlenie ot imeni S of i Petrovny.

Auch hier wird, wenn man es verkürzt form uliert, eine vorgesehene Rollenver- teilung nicht realisiert. Der Adressat einer Bitte erfüllt die Bitte nicht, wird nicht zu einem Agens, und der Adressant der Bitte begnügt sich nicht m it der Rolle des Adressanten, sondern wird zum Agens (anstelle des Adressaten). Wie oben ist auch hier der Rollenwechsel kausal motiviert.

Eine Variante von (9) ist das folgende Beispiel:

(10) Zametiv na stole znakomyj mundštučok, Kirvenko poprosił, čtoby ego dali emu. Oficer zasmejalsja, i sam protjanul emu mundštučok.

Im Unterschied zu (9) ist es nicht der Adressant der Bitte, der eine neue Rolle übernimmt, auch nicht der eigentliche Adressat, sondern ein zufälliger Zeuge, der nicht als potentieller Agens vorgesehen war bzw. vorgesehen werden konnte. Der O ffizier, der aufgrund seines Ranges eigentlich nicht zuständig ist, übernimmt die Rolle des Agens für den vorgesehenen Adressaten (die Nichtof- fiziere). Es ist interessant, daß die neue Rolle des Offiziers durch das Prädikat

Im Unterschied zu (9) ist es nicht der Adressant der Bitte, der eine neue Rolle übernimmt, auch nicht der eigentliche Adressat, sondern ein zufälliger Zeuge, der nicht als potentieller Agens vorgesehen war bzw. vorgesehen werden konnte. Der O ffizier, der aufgrund seines Ranges eigentlich nicht zuständig ist, übernimmt die Rolle des Agens für den vorgesehenen Adressaten (die Nichtof- fiziere). Es ist interessant, daß die neue Rolle des Offiziers durch das Prädikat

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