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3.3 Anwendung der vermittelten Inhalte (Schulungstag 2)

3.3.3 Rollenspiele

Die Patienten haben nun die Theorie vermittelt bekommen, die das Fundament einer Entscheidung bilden. Dazu wurden die sogenannten „Softskills“ einer Entscheidungsfindung anhand der Erfahrungsberichte thematisiert, die maßgeblich zur Entscheidung beitragen. Letztlich wird die Entscheidung für oder wider eine Immuntherapie aber im Kontakt mit Ärzten besiegelt. Inwiefern der Arzt in der Entscheidungsfindung mitwirkt ist unterschiedlich und sowohl vom Arzt als auch vom Patienten abhängig (siehe auch Tabelle 4: Das Modell des Shared Decision Making (SDM) (Charles et al. 1999). Dennoch fällt das letzte Wort einer Entscheidung im Arzt-Patient-Gespräch. Deshalb sollen die Patienten im letzten Teil der Schulung im Arzt-Patient-Gespräch geschult werden. Leider kann man nicht immer voraussetzen, dass der Arzt im praktischen Alltag auf die Wünsche der Patienten eingeht. Zum Einen mag das den Grund haben, dass der Patientenwunsch nicht zum Besten des Patienten ist und ärztlich nicht zu vertreten ist. Zum Anderen kann es aber auch durchaus vorkommen, dass Ärzte den Patienten ihre eigenen Entscheidungen aufdrängen möchten. Viel zu oft kommt es vor, dass Ärzte zum Beispiel darauf drängen frühzeitig eine Immuntherapie zu beginnen, auch wenn es eine durchaus

vertretbare Alternative wäre, erst einmal abzuwarten. Ein anderes Problem, vor allem der niedergelassenen Kollegen, ist der finanzielle Druck der Budgetierung. Hierdurch wird vielleicht zuerst die günstigere Therapie bevorzugt, obwohl die teurere Therapie in diesem Fall eventuell die bessere Alternative wäre. Ein weiterer Knackpunkt kann allerdings auch schlicht sein, dass der Arzt nicht auf dem neusten Stand der Forschung ist. Diese These bestätigte sich bereits in den Fokusgruppen. Anhand des Feedbacks der Fokusgruppen 5 bis 8 haben ca. 30% der Patienten bereits eine Erfahrung gemacht, in der sie sich nicht mit der ärztlichen Entscheidung identifizieren konnten oder sogar überrumpelt und nicht ernst genommen fühlten. Ungefähr 80%

dieser Patienten machten diese Erfahrungen bei der Erstmanifestation der MS.

Praktisch alle kategorisierten dies als „schlechte Erfahrung“, etwa die Hälfte betitelte den jeweiligen Arzt als „schlechten Arzt“. Das Resultat dieser Konsultationen war entweder die Non-Compliance oder eine starke Verunsicherung.

Der Arzt per se soll hier in seiner Funktion nicht schlecht dargestellt werden. Die Patienten sollen lediglich damit konfrontiert werden, dass es durchaus schwierige Situationen im Arzt-Patient-Gespräche geben kann. Den Patienten soll die Möglichkeit gegeben werden sich adäquat auf ein Arzt-Patient-Gespräch vorzubereiten und gegebenenfalls ihre Meinung zu vertreten. Dafür haben wir zwei Fallbeispiele entwickelt (siehe Anhang). In zwei unterschiedlichen Szenarien wird eine Patientengeschichte vorgestellt. Beide enden im Arzt-Patient-Gespräch, indem der Patient andere Vorstellungen hat als der Arzt. Die Patienten sollen, nachdem sie sich in Kleingruppen jeweils einem Fall gewidmet haben, Argumente für die Patientenposition sammeln. Diese sollen dann im Rollenspiel durch einen Gruppenvertreter im Gespräch angebracht werden. Der Dozent mimt den „Worst-Case-Arzt“, welcher als Stereotyp an seinen Argumenten festhält. Die Argumente des „Arztes“ sind beispielhaft vorgegeben und sehr pauschal gehalten. Zum Teil versucht der „Arzt“ dem Patienten Angst einzujagen und spielt mit dessen Gefühlen.

Der Patient kommt somit automatisch in eine Position, in der er von den rationalen Argumenten abgebracht und auf eine emotionale Ebene versetzt wird. Hier liegt die Kunst des Rollenspiels. Der Patient soll sich über die emotionale Propaganda des

„Arztes“ hinwegsetzen und auf die sachlichen Argumente konzentrieren. Schafft er dies, kann der „Arzt“ seine Position schlecht aufrecht halten. Dies soll dem Patient zeigen, wie man den Wissensgrundstock, der einem auch teils in der Schulung vermittelt wird, letztlich umsetzen und anwenden kann. Ihm soll vermittelt werden,

dass es auch in Ordnung ist, eine Entscheidung aufzuschieben und sich weitere Informationen einzuholen. Im Prinzip wird der Patient an die partnerschaftliche Arzt-Patient-Beziehung im Sinne des „Shared-Decision-Makings“ herangeführt.

In einer Feedbackrunde nach jedem Rollenspiel berichtet als erster der „Patient“, wie er sich im Gespräch gefühlt hat und wie er mit der Argumentation zu Recht kam. Die Reaktionen darauf sind hier zusammengefasst:

• Der „Patient“ hat sich bedrängt gefühlt.

• Der „Arzt“ hat Wut beim „Patienten“ ausgelöst.

• Der „Arzt“ hat Hilflosigkeit beim „Patienten“ verursacht.

• Der „Patient“ wäre bei einem solchen Gespräch stark verunsichert gewesen.

• Der „Patient“ hätte ein solches Gespräch abgebrochen und den „Arzt“ nie wieder aufgesucht.

• Der „Patient“ hat gemerkt, dass der „Arzt“ bei sachlichen Argumenten ins Straucheln kommt.

Im Prinzip reagierten die Patienten in den Probeschulungen wie erwartet. Manche Patienten konnten sich gut gegen den Arzt behaupten, andere hatten Probleme und wurden durch ihre Gruppe unterstützt. Insgesamt konzentrierten sich die Patienten auf ihre sachliche Argumentation und stellten gezielte Fragen. Die Vorbereitung in der Gruppenarbeit erbrachte somit das gewünschte Ergebnis.

Das Feedback der Gruppe war dem des „Patienten“ ähnlich. Interessanter Weise konzentrierte sich die Kritik der Gruppe häufig auf die Rolle des „Arztes“. Oft wurde das Verhalten des „Arztes“ bemängelt, vor allem dass er Fragen ausgewichen ist und nur schwammige Aussagen gemacht wurden. Das lässt darauf schließen, dass die Patienten ein klares Bild eines guten Arztes haben. Das sollte ihnen bei der Beurteilung eines Arztes hilfreich sein.

Im Rahmen der Rollenspiele sollte der Wunsch nach Autonomie von den Patienten evaluiert werden. Hierzu wurde zu Beginn des zweiten Schulungstages in den Patientengruppen sechs bis acht der Autonomy Preference Index (API) ausgefüllt. Es sollte erfasst werden, in welchem Umfang die Patienten vor dem Schulungsabschnitt an einer Entscheidung teilhaben wollen (Abbildung 18).

Bei dem ersten Item (Wichtige medizinische Entscheidungen sollten von Ihrem Arzt getroffen werden“) gab es eine große Verteilungsbreite der Antworten. „Von „sehr dagegen“ bis „sehr dafür“ wurden alle Antworten gegeben. Dennoch lässt sich eine Tendenz Richtung „sehr dagegen“ erkennen. Anders waren die Antworten zu Item 2 („Sie sollten sich dem Rat Ihres Arztes anschließen, auch wenn sie anderer Meinung sind“). Während sich die Antworten im neutralen Bereich häufen, hat keiner die Angabe gemacht, dass er „sehr dafür“ sei. Bei Item 3 („Während eines Krankenhausaufenthaltes sollten Sie keine Entscheidungen über Ihre eigenen Behandlungen treffen“) befand sich die Mehrheit der Antworten ebenfalls im neutralen Bereich. Die Antworten zu Item 4 („Über alltägliche medizinische Probleme sollten Sie selbst entscheiden“) befanden sich hauptsächlich im Bereich „dagegen“.

Im Gegensatz zu den vorher gegangenen Items liegt der Hauptteil der Antworten zu Item 5 (Sie werden krank und Ihre Erkrankung verschlechtert sich. Möchten Sie, dass Ihr Arzt Ihre Behandlung in stärkerem Maße in die Hand nimmt?“) im Bereich

„dafür“. Während bislang die Aussage eher auf einen stärkeren Wunsch nach Autonomie schließen lassen konnten, scheint in diesem besonderen Fall das Bedürfnis nach Autonomie nicht so ausgeprägt zu sein. Es fällt auf, dass kein Patient gegen die Aussage ist. Item 6 (Sie sollten selbst entscheiden, wie oft Sie eine allgemeine Gesundheitsuntersuchung benötigen“) hingegen schließt sich wieder an die vorhergegangenen Items 1 bis 4 an. Die meisten Patienten sind gegen diese Aussage.

Zusammenfassend könnte man diese Ergebnisse so interpretieren, dass die Patienten im Alltag einen ausgeprägten Wunsch nach Autonomie hegen. Dieser relativiert sich aber, wenn sich ihre Erkrankung verschlechtert und somit ein

„ernsterer“ Fall eintritt. In diesem Falle soll der Arzt wieder mehr Anteil an Entscheidungen übernehmen.

Der Test wurde nach den Rollenspielen wiederholt, also am Ende des zweiten Schulungstages. Dabei war die Frage nach einer Änderung zur aktiveren Patientenrolle durch die vermittelten Inhalte im Fokus des Interesses. In den Items 1 bis 4 und 6 konnte kein signifikanter Unterschied festgestellt werden. Allerdings gab es einen statistisch signifikanten Unterschied (p=0,023) bei Item 5. Hier gab es eine Tendenzverschiebung in Richtung mehr Autonomie, das heißt mehr Patienten gaben an eher dagegen zu sein, dass ihr Arzt bei Verschlechterung ihrer Erkrankung mehr Entscheidungsgewalt bekommen sollte. Interessanterweise war Item 5 zuvor der

einzige Punkt, indem sich der ehr ausgeprägte Autonomiewunsch der MS-Patienten nicht wiederspiegelte. Es bleibt offen, ob die Patienten hier ermutigt wurden, sich mehr auf ihr eigenes Urteilsvermögen zu verlassen oder ob sie der Meinung des Arztes skeptischer gegenüber stehen. Die Hintergründe wurden an dieser Stelle nicht erfasst. Es ist lediglich die Aussage möglich, dass sich eine Tendenz Richtung größerem Autonomiewunsch nach dem zweiten Schulungstag abzeichnet.

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Abbildung 18: Auswertung Fragebogen API vor (n=24) und nach dem 2. Schulungstag (n=18) Item 1: „Wichtige medizinische Entscheidungen sollten von Ihrem Arzt getroffen werden“, Item 2: „Sie sollten sich dem Rat Ihres Arztes anschließen, auch wenn sie anderer Meinung sind“, Item 3:

„Während eines Krankenhausaufenthaltes sollten Sie keine Entscheidungen über Ihre eigenen Behandlungen treffen“, Item 4: „Über alltägliche medizinische Probleme sollten Sie selbst entscheiden“ , Item 5: „ Sie werden krank und Ihre Erkrankung verschlechtert sich. Möchten Sie, dass Ihr Arzt Ihre Behandlung in stärkerem Maße in die Hand nimmt?“, Item 6: „ Sie sollten selbst entscheiden, wie oft Sie eine allgemeine Gesundheitsuntersuchung benötigen. Man-Whitney-U-Test.