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Entwicklung eines Schulungsprogramms - Immuntherapien bei Multipler Sklerose (MS)

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Academic year: 2021

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Aus dem Institut für Neuroimmunologie

und klinische Multiple Sklerose Forschung

des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf

Komiss. Direktor: Prof. Dr. med. Dietmar Kuhl

Entwicklung eines Schulungsprogramms - Immuntherapien bei Multipler Sklerose (MS)

Dissertation

zur Erlangung des Grades eines Doktors der Medizin

Der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg vorgelegt von Nina Gebauer, geb. Voll

aus Sigmaringen Hamburg, 2013

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Prüfungsausschuss, der/die Vorsitzende: Prof. Dr. C. Heesen Prüfungsausschuss, 2. Gutachter/in: PD Dr. J. Denecke Prüfungsausschuss, 3. Gutachter/in: PD Dr. G. Thomalla

Angenommen vom Fachbereich Medizin der Universität Hamburg am: 26.11.2013 Veröffentlicht mit Genehmigung des Fachbereichs Medizin der Universität Hamburg

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ... 5

1.1 Einführung in die Thematik, Zielsetzung und Fragestellung ... 5

1.2 Multiple Sklerose (MS) ... 8

1.2.1 Epidemiologie der MS ... 8

1.2.2 Ätiologie und Pathogenese ... 9

1.2.3 Diagnostik der MS ... 10

1.2.4 Verlaufsformen, Symptomatik und Prognose der MS ... 11

1.3 Therapie der MS ... 15

1.3.1 Schubtherapie ... 15

1.3.2 Immunmodulierende Therapie ... 16

1.4 Patienteninformation ... 21

1.4.1 Evidenzbasierte Medizin (EbM) und Patienteninformation (EBPI) ... 21

1.4.2 Shared Decision Making (SDM), Bedeutung und Anwendung bei MS ... 23

2 Material und Methoden ... 26

2.1 Broschüre „Immuntherapien bei Multipler Sklerose“ ... 26

2.2 Schulung „Immuntherapien bei Multipler Sklerose“ ... 27

2.2.1 Entwicklung eines Schulungsprogramms ... 27

2.3 Fokusgruppen ... 32

2.4 Fokusgruppenanalyse ... 39

2.4.1 Fokusgruppen, Patientengruppen 1 bis 5 ... 39

2.4.2 Probeschulungen, Patientengruppen 6 bis 8 ... 40

2.5 Evaluation ... 33

2.5.1 Erhebung der Daten ... 33

2.5.2 Visuelle Analogskalen (VAS) ... 33

2.5.3 Fragebogen „MS-Risikowissen“ ... 34

2.5.4 Bewertung der emotionalen Ausgangslage und Stabilität ... 34

2.6 Schulungsablauf ... 36

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3 Ergebnisse ... 39

3.1 Entwicklung einer Präsentation (Schulungstag 1) ... 39

3.1.1 Natürlicher Verlauf der Multiplen Sklerose ... 42

3.1.2 Immuntherapien bei MS ... 49

3.1.3 Studienergebnisse – Wie werden sie präsentiert und wie beurteilt man sie? .. 51

3.1.4 Evidenzbasierte Medizin ... 54

3.2 Anwendung der vermittelten Inhalte (Schulungstag 2) ... 64

3.2.1 Bearbeitung der „Abstracts“ ... 65

3.2.2 Erfahrungsberichte ... 68

3.2.3 Rollenspiele ... 70

3.3 Fragebogen „MS-Wissen“ ... 75

3.4 Vergleich der Patientengruppen ... 77

4 Diskussion ... 80

5 Zusammenfassung ... 87

6 Literaturverzeichnis ... 89

7 Anhang ... 96

7.1 Präsentation Immuntherapien bei Mulitpler Sklerose ... 98

7.2 Moderationskärtchen Schulungstag 1 ... 98

7.3 Moderationskärtchen Schulungstag 2 ... 98

7.4 Fragebogen MS-Risikowissen ... 98

7.5 VAS 1: Ist MS eine schlimmer Erkrankung? ... 98

7.6 VAS 2: Wie groß ist der Therapieeffekt? ... 98

7.7 VAS 3: Wie hat die Information auf mich gewirkt? ... 98

7.8 Evaluationsbogen Entschiedenheit („Bergsteiger“) ... 98

7.9 Autonomy-Preference-Index (API) ... 98

7.10 State-Trait-Angstinventar (STAI) ... 98

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1 Einleitung

1.1 Einführung in die Thematik, Zielsetzung und Fragestellung

Die Multiple Sklerose (MS) oder auch „Enzephalomyelitis disseminata“ (ED) ist die häufigste Ursache neurologischer Defizite bei jungen Erwachsenen in den Industrieländern (Kasper et al. 2006).

Im Kontrast zur hohen Inzidenz sind die therapeutischen Möglichkeiten bei der MS eher gering. Gerade die immunmodulierenden Medikamente zur Schubprävention weisen einen mittelmäßigen, nicht sehr gut belegten Therapieeffekt bei erheblichen Nebenwirkungen auf.

Umso wichtiger ist bei einer chronischen Krankheit mit mehreren Therapieoptionen, dass der Patient in die Therapieentscheidung mit einbezogen wird. In einer repräsentativen Befragung von GKV-Versicherten äußerten 68% der Mitglieder den Wunsch, dass der Arzt mit ihnen die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten bespricht und die Entscheidung über das weitere Vorgehen gemeinsam getroffen wird. 27% der Befragten wollen sogar nach ausreichender Information durch den Arzt über die möglichen Optionen selbst über ihre Therapie entscheiden (Müller 2007). Besonders ausgeprägten Bedarf haben hierbei Patienten mit Multipler Sklerose (Heesen et al. 2003; Hamann et al. 2007). In den verschiedenen Studien konnte das Bedürfnis der MS-Patienten nach Information und Autonomie, sowie deren relativ geringes Risikowissen herausgestellt werden. Im Sinne der partizipativen Entscheidungsfindung (engl. Shared Decisison Making) sollen Module entstehen, die dem Patienten die gewünschte Information zur Verfügung stellen, um eine fundierte und individuelle Entscheidung treffen zu können. Untersuchungen dazu haben gezeigt, dass ein Zusammenhang zwischen der Neigung eine Therapie abzubrechen und falschen Erwartungen an die Therapie besteht (Mohr DC 1996). Besonders ins Gewicht fällt dieser Aspekt unter dem Gesichtspunkt, dass die Abbrecherquote bei 30-40% im ersten Jahr nach Beginn einer Interferontherapie liegt (Oschmann P 2006).

Als ein Modul zur Patienteninformation und partizipativen Entscheidungsfindung wurde 2004 eine umfassende Broschüre über Immuntherapien entwickelt, die sich im Sinne der evidenzbasierten Patienteninformation (EBPI) auf die aktuelle Datenlage zu Nutzen und Nebenwirkungen der verschiedenen Therapieoptionen stützt und zusammen mit einem Arbeitsbogen als Entscheidungshilfe dienen soll.

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Mit der Hypothese, dass Patienten nach Lesen der Entscheidungshilfe in der Lage und darin bestärkt seien, Ihre persönlichen Aspekte und Vorstellungen in Entscheidungsprozesse und in der Arzt-Patient-Begegnung einzubringen, und letztlich eine Intervention im Entscheidungsprozess über eine Immuntherapie zu bewirken, wurde eine randomisiert-kontrollierte Studie (RCT) durchgeführt. Man erwartete, dass Entscheidungen für eine Immuntherapie kritischer bewertet oder auf einen späteren Zeitpunkt im Krankheitsverlauf vertagt werden. Dafür verglich man über einen Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren eine Interventionsgruppe, die die

Broschüre als „Decision Aid“ erhielt, mit einer Kontrollgruppe, der

Standartinformationen zur Entscheidungsunterstützung angeboten wurde. Alle Teilnehmer der Studie standen vor der Entscheidung für oder wider eine Immuntherapie. Am Ende der Studie konnte zwischen den Gruppen kein Unterschied hinsichtlich der Entscheidung über eine Immuntherapie festgestellt werden. Es ist somit davon auszugehen, dass die alleinige Intervention mithilfe der Broschüre „Immuntherapien bei MS“ nicht ausreichend ist, um einen nachhaltigen Effekt in der praktischen Umsetzung der Entscheidungsfindung bei Immuntherapien zu verursachen (Kasper et al. 2008). Die Interventionsgruppe entwickelte allerdings eine kritischere Einstellung hinsichtlich Immuntherapien und evaluierte die gegebenen Informationen als nützlicher als die Kontrollgruppe (Heesen et al. 2008).

Ein ähnliches Projekt zur Entscheidungshilfe bei der Schubtherapie der Multiplen Sklerose (MS) zeigte einen eindeutigen Einfluss der Entscheidungshilfe auf die Entscheidungen der Patienten im Schubmanagement hinsichtlich einer medikamentösen Therapie (Köpke et al. 2008). Dies könnte einerseits an der weniger komplexen Materie liegen, andererseits an dem vierstündigen interaktiven Schulungsprogramm, das ergänzend zur Informationsbroschüre angeboten wurde. Hinsichtlich dieses Erfolges soll nun auch eine interaktive Patientenschulung ergänzend zur Immuntherapie-Broschüre entwickelt werden, mit der Hypothese damit einen möglichst intensiven Effekt auf den Prozess der Entscheidungsfindung hinsichtlich einer Immuntherapie zu implementieren.

Eine andere Studie konnte ebenfalls zeigen, dass umfassende Schulungsprogramme nachhaltige Effekte auf ein autonomes Patientenverhalten, in diesem Fall bei Typ-1-Diabetikern, erzeugen (Sämann 2005). Dabei ist vor allem entscheidend, dass

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Schulungsprogramme im umfassenden Sinne Handlungskompetenzen in Alltagssituationen trainieren.

In diesem Sinne wurde der Fokus in der Schulung auf die genaue Information zu jeder Therapieoption gelegt, wie sie in der Broschüre nachzulesen ist, sondern vor allem darauf exemplarisch aufzuzeigen, wie man mit der Information umgeht und welche Rolle diese im praktischen Alltag spielt. Es geht also viel mehr darum, den Patienten ein Werkzeug an die Hand zu geben, Information zu verstehen und Studienergebnisse einzuordnen.

Zielsetzend sollte die Schulung patientennah gestaltet werden und die Information verständlich sein. Der Inhalt sollte zudem die Patienten nicht verängstigen oder verwirren.

Desweiteren soll untersucht werden, ob EBPI im Sinne der Schulung in Kombination mit der Broschüre einen messbaren Effekt auf die Entscheidungsfindung der Patienten hat.

Da das Lesen der Broschüre allein nicht den gewünschten Einfluss auf das Risikowissen der Patienten hatte, ist nun die Schulung als eine vertiefendes Instrument zu entwickeln - unter anderem in der Annahme, dass die vermittelten Inhalte ergänzend zur Patienteninformation in der Broschüre zu einer nachhaltigen Verbesserung des Risikowissens führen. Diese Theorie muss im Anschluss an die Entwicklung der entsprechenden Studie in einer anknüpfenden randomisiert-kontrollierten Studie untersucht werden.

Der Begriff Patient soll in dieser Arbeit der Einfachheit wegen einheitlich für an MS erkrankte Personen weiblichen und männlichen Geschlechts ohne Wertigkeit gelten.

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1.2 Multiple Sklerose (MS)

1.2.1 Epidemiologie der MS

Die MS, eine demyelinisierende entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, wurde erstmals ausführlich im 19. Jahrhundert von dem französischen Neurologen Charcot als „sclerose en plaques“ beschrieben. Seither befindet sich die Erkrankung im Fokus der Forschung und noch immer sind viele Zusammenhänge unklar. Heute gilt die Multiple Sklerose, oder auch Enzephalomyelitis disseminata, als die häufigste neurologische Erkrankung des jungen Erwachsenen und die häufigste Ursache für Behinderungen in dieser Altersgruppe (Compston and Coles 2002).

Hochrechnungen epidemiologischer Studien berichten von 122.000 Menschen in Deutschland, die an MS erkrankt sind (Hein 2000). Daraus ergibt sich eine Prävalenz von ca. 149 Erkrankten pro 100.000 Einwohner. Damit zählt Deutschland zu den Hochrisikogebieten (Kurtzke 2000). Im Gegensatz dazu stehen Gebiete mit einer niedrigen Prävalenz von unter 5 pro 100.000 Einwohner wie zum Beispiel Japan. Auffällig ist hierbei ein geographisches Nord-Süd-Gefälle, wobei die Nordhalbkugel eine höhere Prävalenz aufweist als die Südhalbkugel. Auch ist auffällig, dass die Prävalenz mit ansteigendem Breitengrad nördlich des Äquators zunimmt. So gibt es zum Beispiel in den Mittelmeerregionen Europas deutlich weniger MS-Fälle als in Deutschland oder Großbritannien. Dieses Phänomen lässt den Einfluss von Umweltfaktoren auf die Pathogenese der Multiplen Sklerose vermuten. (Ebers GC 1993).

Weltweit geht man von etwa 2,5 Millionen MS-Erkrankten aus. Der Häufigkeitsgipfel für die Krankheitsmanifestation liegt zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr und gilt somit vor allem als Erkrankung des jungen Erwachsenenalters. Allerdings werden auch immer mehr Fälle beschrieben, bei denen sich die Erkrankung bereits vor dem 10. Lebensjahr manifestiert (Confavreux and Vukusic 2006).

Bei der demographischen Verteilung stellt sich ein klarer Unterschied bei der Geschlechterverteilung dar. Frauen sind rund doppelt so häufig betroffen wie Männer. Diese Verteilung zeigt sich besonders bei der schubförmig-remittierenden Verlaufsform, während die primär chronische Form der Multiplen Sklerose Frauen und Männer gleichermaßen betrifft.

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1.2.2 Ätiologie und Pathogenese

Die Multiple Sklerose ist nach den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen eine entzündliche, demyelinisierende, T-Zellvermittelte Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), bei der es schon in der Frühphase der Erkrankung zu neurodegenerativen Veränderungen kommt (Compston and Coles 2002). Die Ursache der MS konnte bislang aber noch nicht eindeutig geklärt werden. Ein familiär gehäuftes Auftreten der Erkrankung und verschiedene Zwillingsstudien weisen auf eine genetische Komponente in der Krankheitsentstehung hin. Verwandte ersten Grades einer an MS erkrankten Person haben ein 2-5% höheres Risiko selbst an einer Multiplen Sklerose zu erkranken. Es konnte unter anderem ein direkter

Zusammenhang zwischen bestimmten HLA-DR/DQ-Antigenen und einer

genetischen Prädisposition für die Erkrankung gezeigt werden (Sospedra and Martin 2005). Desweiteren scheinen zusätzlich verschiedene Umweltfaktoren die Krankheitsentstehung zu beeinflussen, was die geographische Verteilung und Migrationsstudien vermuten lassen. So konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass Jugendliche bis zum 15. Lebensjahr das Erkrankungsrisiko ihres neuen Umfeldes annehmen und nicht etwa das Erkrankungsrisiko ihres Geburtslandes entscheidend ist. Auch werden verschiedene Triggerfaktoren angenommen, die den Einfluss auf den Autoimmunprozess nehmen, so z.B. Viren und Bakterien, sowie toxische oder metabolische Einflüsse (Kurtzke 1993).

Insgesamt kann man bei der MS eine entzündlich-demyelinisierende von einer neurodegenerativen Komponente unterscheiden. Die Entzündung scheint hierbei eine führende Rolle in der schubförmigen Phase zu übernehmen, während die degenerative Komponente mit axonaler Schädigung im ZNS in der progredienten Phase der Erkrankung überwiegt (Bruck and Stadelmann 2003).

Die MS wird klassischerweise als Erkrankung des Myelins und somit der weißen Substanz angesehen. In neueren Arbeiten wird allerdings auch von Läsionen in kortikalen Strukturen ausgegangen (Gold 2007). Die Läsionen stellen sich als Entmarkungsherde dar, sogenannte Plaques, mit bevorzugter Lokalisation in der weißen Substanz paraventrikulär, um die Nervi optici, im Hirnstamm und verteilt über das Rückenmark. Histopathologisch werden zwei Läsionsmuster und verschiedene Subtypen der Plaques unterschieden, wobei Patienten mit einer primär immunologisch induzierten Entmarkung (Subtyp I+II) von Patienten mit einer Störung des Oligodendrozytenstoffwechsels (Subtyp III+IV) abgegrenzt werden. Die primär

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immunologisch induzierte Entmarkung macht dabei die Hauptmasse mit 80% der Patienten aus (Gold 2007).

1.2.3 Diagnostik der MS

Die Diagnosestellung einer MS ist nicht einfach. Nicht ohne Grund ist ein häufig verwendetes Synonym der MS auch die „Erkrankung der tausend Gesichter“. Im Laufe der Zeit wurden deshalb mehrere Kriterien festgelegt, anhand derer die Diagnosestellung festgemacht werden kann (Schumacher 1965; Poser 1983; McDonald et al. 2001). Die McDonald-Kriterien sind 2005 erneut modifiziert worden (Polman et al. 2005). Zu der Standarddiagnostik der MS zählen heute neben der kranialen und spinalen Magnetresonanztomographie (MRT) die Liquordiagnostik und die Evozierten Potentiale (EP). Allerdings beträgt die durchschnittliche Zeit vom Erstsymptom bis zur Diagnosestellung immer noch 3,4 Jahre (Simeoni et al. 2008). Um die immer noch komplizierten Kriterien zu vereinfachen, erfolgte 2010 eine erneute Überarbeitung der McDonald-Diagnosekriterien (Polman et al. 2011). Die Änderungen sind wie folgt:

Für den Nachweis der räumlichen Dissemination:

• ≥1 T2-Läsion in mindestens 2 von 4 ZNS-Bereichen (periventrikulär, juxtakortikal oder infratentoriell, Rückenmark)

• Gd-anreichernde Läsionen sind für den Nachweis der räumlichen Dissemination nicht erforderlich

• Symptomatische Läsionen sind kein Bestandteil der Kriterien und zählen nicht zur Läsionslast bei vorliegen von Hirnstamm- und Rückenmarksyndromen Für den Nachweis der zeitlichen Dissemination:

• Eine neue T2-Läsion und/oder Gd-anreichernde Läsion(en) in einem Nachbeobachtungsscan unabhängig vom Zeitpunkt des Baseline-Scans • Gleichzeitiges Vorliegen von asymptomatischen Gd-anreichernden und

nicht-anreichernden Läsionen zu irgendeinem Zeitpunkt

• Damit entfällt der zeitliche Abstand für den Nachweis einer neuen T2-Läsion nach 30 Tagen bzw. einer neu Gd-anreichernden Läsion nach 3 Monaten in einem Scan nach dem initialen Ereignis.

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1.2.4 Verlaufsformen, Symptomatik und Prognose der MS

Die Erstmanifestation der MS wird als Klinisch-isoliertes Syndrom (CIS) bezeichnet, bis die Diagnose MS nach den aktuellen McDonald-Kriterien (Polman et al. 2005) gestellt werden kann. Der weitere Verlauf der Erkrankung ist sehr variabel. Es wird sogar diskutiert, ob den verschiedenen Krankheitsverläufen eventuell verschiedene Pathomechanismen zugrunde liegen. Allerdings ist bislang eine Einteilung in drei übergeordnete Verlaufsformen gängig und allgemein anerkannt (Lublin and Reingold 1996). Diese unterscheidet einen schubförmig-remittierenden Verlauf (RRMS) von dem primär (PPMS) oder sekundär (SPMS) chronisch progredienten Verlauf, wobei die RRMS nach aktueller Studienlage in 90% der Fälle nach 20 Jahren in einen sekundär progredienten Verlauf übergegangen ist (Trojano et al. 2003).

Abbildung 1: Verlaufsformen der MS

Ungefähr 80% der Betroffenen zeigen zu Beginn der Erkrankung einen schubförmig-remittierenden Verlauf (RRMS), welcher über viele Jahre in eine SRMS übergehen kann. Es treten verschiedene Beeinträchtigungen auf, die sich über mehrere Tage entwickeln können, und sich im weiteren Verlauf wieder teilweise oder komplett zurückbilden. Typisch ist gerade zu Beginn einer MS die Neuritis nervi optici,

sensible oder motorische Störungen sowie Hirnstammsymptome. Die

Beeinträchtigungen sind generell sehr vielfältig in ihrer Manifestation durch eine große mögliche Verteilungsbreite der ZNS-Läsionen (in Abb.1 als viereckige und dreieckige Schübe verdeutlicht).

Der sekundär-chronisch progrediente Verlauf (SPMS) äußert sich in einer schleichenden Zunahme der Beeinträchtigung nach einer schubförmig-remittierenden Phase unterschiedlicher Länge. Bei der SPMS können entweder zusätzlich zur Progredienz Schübe aufgelagert sein oder die Schübe gehen vollständig zurück, während die Beeinträchtigung stetig zunimmt. Im späteren

RRMS! SPMS! PPMS!

Zeit! Zeit! Zeit!

Be ei nt rä cht ig ung ! Be ei nt rä cht ig ung ! Be ei nt rä cht ig ung !

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Krankheitsverlauf sind Symptome wie Fatigue, kognitive Störungen und Blasen-und Mastdarmstörungen von größerer Bedeutung (Richards et al. 2002).

In seltenen Fällen, man geht von etwa 10-15% aus, beginnt die MS mit einer schleichenden Zunahme der Beeinträchtigung, ohne dass je ein Schub aufgetreten ist. Hier spricht man von der primär-chronisch progredienten MS (PPMS). Besonders häufig ist bei dieser Verlaufsform das Gehen beeinträchtigt.

Insgesamt ist die MS eine chronische Erkrankung, d.h. sie besteht lebenslang. Auch wenn meist Folgeerkrankungen und nicht die Multiple Sklerose direkt Einfluss auf die Lebenserwartung haben, geht man von einer Reduktion derselben um 5 bis 10 Jahre aus (Ebers and Daumer 2008). Die mediane Überlebenszeit liegt nach Diagnosestellung bei 35 bis 42 Jahren. Zur Zunahme der Beeinträchtigung gibt es aktuell eine Studie aus Frankreich (Confavreux et al. 2003), bei der der Verlauf von 1.844 Patienten über 30 Jahre zusammengefasst wurde. Der Grad der Beeinträchtigung wurde an der Expanded-Disability-Status-Scale (EDSS, s.u. (Kurtzke 1983)) gemessen. Der EDSS ist ein Instrument, mit dem man möglichst objektiv die klinische Beeinträchtigung des Pat. durch die MS-Erkrankung angeben kann. Schwachpunkt der Skala ist die Orientierung an der Gehfähigkeit des Pat. ohne andere Beeinträchtigungen mit einzubeziehen. So ist ein Pat. der noch 200 m ohne Hilfsmittel gehen kann, aber fast vollständig erblindet ist, nach EDSS mit einem Wert von 5,0 weniger betroffen als ein Pat. mit voller Sehkraft, der aber eine Gehstrecke von maximal 5 m mit Gehhilfe bewältigen kann und somit einen Punktwert von 7,0 erreicht.

Abbildung 2: Expanded-Disability-Status-Scale (EDSS; aus „Immuntherapien der Multiplen

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Nach acht Jahren lag der durchschnittliche Beeinträchtigungsgrad bei 3,0 Punkten auf der EDSS-Skala. Nach 20 Jahren erreichte der Durchschnitt der Patienten noch eine Gehstrecke von 100 Metern mit Gehhilfe, was einem EDSS von 6,0 Punkten entspricht und nach 30 Jahren war der durchschnittliche EDDS-Wert bei 7,0 Punkten.

Abbildung 3: Entwicklung der Beeinträchtigung über 30 Jahre ((Confavreux et al. 2003) aus

„Immuntherapien der Multiplen Sklerose“ Heesen et al. 2008)

Insgesamt ist es aber sehr schwierig eine Prognose für den Krankheitsverlauf der MS aufzustellen. Es gibt Faktoren, die den Verlauf der Erkrankung beeinflussen sollen. Als prognostisch ungünstig werden hierbei unter anderem das weibliche Geschlecht, hohes Alter bei Erkrankungsbeginn, eine hohe Schubrate oder eine hohe Läsionslast im MRT benannt (Confavreux et al. 2003). Bislang konnte allerdings nur das hohe Alter bei Erstmanifestation als prognostisch ungünstiger Faktor belegt werden (Confavreux and Vukusic 2006).

Die großen Unstimmigkeiten hinsichtlich des Krankheitsverlaufs lassen sich auch erkennen, wenn man verschiedene Studien ähnlichen Inhalts vergleicht. So wurde in zwei unabhängigen Studien der Krankheitsverlauf von Patienten, die bei 10 Jahren Erkrankungsdauer höchstens einen EDSS von 3,0 Punkten hatten, über 10 Jahre beobachtet. Einmal wurden hierbei Patienten aus einem universitären MS-Zentrum in Dublin beobachtet (Hawkins and McDonnell 1999), einmal alle MS-Betroffenen eines Bundesstaates in Amerika (Pittock et al. 2004). Die Patienten aus dem MS-Zentrum

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Beeinträchtigungsprogression, während Pittock et al. zeigen konnten, dass es sogenannte „benigne“ MS-Verläufe gibt, bei denen die Behinderungsprogression gemessen am EDSS nur geringfügig ist. Nun ist anzunehmen, dass Patienten mit schwereren Verläufen eher an ein MS-Zentrum angebunden sind, während bei einer Studie, die alle MS-Betroffenen eines Gebietes einbezieht, auch die leichteren Verläufe mit eingeschlossen werden, die eventuell gar nicht in kontinuierlicher ärztlicher Behandlung sind. Dieses Beispiel zeigt eine große Unsicherheit der Datenlage hinsichtlich des Krankheitsverlaufs der Multiplen Sklerose (MS). Anzunehmen ist eine Zunahme benigner Verläufe in Zukunft, da durch die verbesserte Diagnostik immer mehr leichte Verläufe diagnostiziert werden.

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1.3 Therapie der MS

1.3.1 Schubtherapie

Zur Therapie des akuten Schubs stehen Kortison und die Plasmapherese zur Verfügung. Laut Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) wird der akute Schub mit der intravenösen Gabe von einer Hochdosis Methylprednisolon bestenfalls innerhalb von 3 – 5 Tagen nach Beginn der klinischen Symptomatik mit einer Dosierung von 1 g an 3 bis maximal 5 aufeinander folgenden Tagen therapiert (Milligan et al. 1987; Beck et al. 1992; Grauer et al. 2001).

Dabei hat jeder vierte einen Nutzen von der Kortisontherapie. Nutzen heißt, die Beeinträchtigung bildet sich schneller zurück als ohne Therapie. Vermutlich wird auch die Schwere des Schubes vermindert. Ein längerfristiger Therapieeffekt konnte allerdings nur für Optikusneuritiden belegt werden. Die Sehleistung der mit Kortison behandelten Patienten war sechs Monate nach Therapie geringfügig verbessert (Filippini et al. 2000).

Vergleichbar in der Wirksamkeit scheint auch die hochdosierte orale Therapie mit 500 mg Methylprednisolon zu sein (Sellebjerg et al. 1998). Allerdings wird sie in der Praxis deutlich seltener angewendet.

Bei ungenügender Besserung nach zwei Wochen nach Beendigung der Kortisontherpaie empfiehlt die Leitlinien der DGN eine erneute intravenöse Pulstherapie ggf. auch mit erhöhter Dosis von bis zu fünfmal 2 g Methylprednisolon (Oliveri et al. 1998; Rieckmann 2006).

Zeigt sich nach zweimaligem Therapieversuch mit der Kortisonstoßtherapie erneut keine Besserung kann über eine Plasmapherese in einem MS-Zentrum nachgedacht werden. Hierbei werden alle nicht-zellulären Blutbestandteile herausgefiltert und durch eine Eiweißlösung ersetzt. Bei einer kontinuierlichen Verschlechterung der Symptomatik unter der ersten Kortisonstoßtherapie kann eine Plasmapherese-Behandlung auch an Stelle einer Wiederholung der Pulstherapie in Erwägung gezogen werden (Ruprecht et al. 2004; Keegan et al. 2005; Schilling et al. 2006). Die Multiple Sklerose Therapie Konsensus Gruppe (MSTKG) empfiehlt die Plasmapherese nur bei schweren Schüben einzusetzen. Zur Wirksamkeit gibt es bislang nur eine kleine Studie mit 22 Patienten mit schweren Schüben, die davor noch keine größeren Beeinträchtigungen hatten und eine Kortisontherapie keine Besserung der Symptomatik brachte. Hier zeigt sich eine statistisch signifikante

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Überlegenheit der Plasmapherese (Weinshenker et al. 1999). Offiziell ist weder das Kortison noch die Plasmapherese zur Therapie der MS zugelassen.

1.3.2 Immunmodulierende Therapie

Eine kurative Therapie der Multiplen Sklerose (MS) ist bislang nicht vorhanden. Die Hauptziele der Therapie sind demnach an die vorhandenen Möglichkeiten angepasst. So sollen in der immunmodulierenden Therapie Krankheitsschübe verhindert und die Behinderungsprogression aufgehalten bzw. verlangsamt werden. Ergänzend dazu kommt die symptomatische Therapie der dauerhaften neurologischen Defizite, wie z.B. die Behandlung der Spastik oder des Fatigue-Syndroms.

Zur Immuntherapie sind momentan sechs Medikamentenklassen zugelassen: Interferone, Glatiramerazetat (Copaxone®), Natalizumab (Tysabri®), Azathioprin, Mitoxantron und nun seit 2011 auch Fingolimod (Gilenya®) als orales Medikament. Daneben stehen diverse Medikamente zur Verfügung, die als individueller Heilversuch zur Anwendung kommen, wie z.B. die Immunglobuline. Hier sollen nur die zugelassenen Medikamente kurz vorgestellt werden.

Tabelle 1: Zugelassene Medikamente zur Immuntherapie bei MS

1.3.2.1 Interferone

Die ausführlichste Studienlage gibt es hierbei für die Interferone, die gleichzeitig die ersten zugelassenen Medikamente für die MS-Therapie waren. Interferone sind körpereigene Substanzen der viralen Immunabwehr. Sie sollen in der MS-Therapie

Erstmanifestation SRMS SPMS PPMS

Avonex® Avonex® Mitoxantron Keine zugelassenen

Medikamente

Betaferon® Betaferon® Betaferon®

Rebif® Rebif® Azathioprin

Copaxone® Tysabri® Azathioprin Gilenya®

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die Entzündungsreaktion eindämmen. Interferone können gentechnologisch hergestellt werden. Man unterscheidet drei Substanzklassen: Alpha-, Beta- und Gamma-Interferone. Von diesen konnte nur für die Beta-Interferone (ß-Interferone) ein Nutzen für die MS-Therapie belegt werden. Sie wurden 1979 erstmals für die Immuntherapie der MS zugelassen. Inzwischen sind drei ß-Interferone zugelassen, zwei 1A-ß-Interferone und ein 1B-ß-Interferon (Betaferon®, Bayer Schering Pharma, Berlin, Deutschland; Avonex®, Biogen Idec, Cambridge, Massachusetts, USA; und Rebif®, Merck, Darmstadt, Deutschland). Sie werden vor allem für die Frühtherapie bei Erstmanifestation und beim schubförmig-remittierenden Verlauf (SRMS) eingesetzt. Nach aktueller Studienlage werden bei der Erstmanifestation bei 16% der Betroffenen (VB 10-21) weitere Schübe durch Interferone verhindert (Jacobs et al. 2000; Comi et al. 2001; Kappos et al. 2007). Bei der SRMS haben 14% (VB 8-21) einen Nutzen von der Therapie. Eine Zunahme der Beeinträchtigung konnte durch Interferone bei 10% (VB 4-15) der Studienteilnehmer verhindert werden. Es sei erwähnt, dass der Therapienutzen sich zum Einen zusammensetzt aus Patienten, die in der Therapiegruppe z.B. keinen Schub haben, und aus Patienten, die dasselbe Ergebnis in der Plazebogruppe haben. Die Anzahl der Patienten aus der Plazebogruppe muss von der Anzahl an Patienten der Therapiegruppe abgezogen werden, um den Therapieerfolg herauszustellen.

Allgemeine Nebenwirkungen der Interferone sind vor allem grippeähnliche Symptome und Einstichreaktionen.

1.3.2.2 Glatiramerazetat

Glatiramerazetat (Copaxone®, TEVA, Petah Tikva, Israel und Sanofi Aventis, Paris, Frankreich) ist eine Eiweißgemisch aus vier Aminosäuren, die in ihrer Zusammensetzung dem menschlichen Myelin ähnelt. Der Grundgedanke der Wirkung ist, dass die überschießende Autoimmunreaktion, von der bei der MS ausgegangen wird, sich gegen das Glatiramerazetat anstatt gegen das körpereigene Myelin richtet. Es ist zugelassen für die Behandlung der RRMS mit vielen Schüben (>2 Schübe/Jahr) für gehfähige Patienten zwischen dem 18. und 50. Lebensjahr (Bornstein et al. 1987; Johnson et al. 1995; Munari et al. 2004). Insgesamt ergab sich ein Therapienutzen hinsichtlich der Reduktion der Schubrate von 10% (VB 0-21) und eine Reduktion der Behinderungsprogression von 7% (VB -3 -17). Nebenwirkungen sind vor allem Einstichreaktionen und das systemische Post-Injektions-Reaktions-Syndrom (SPIRS), bei dem für Minuten anhaltende Gesichtsröte, Herzklopfen,

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Engegefühl der Brust, Luftnot und Angst auftreten. Bei einem direkten Vergleich von Copaxone® mit Rebif® (REGARD, Rebif versus Glatirameracetate in relapsing MS disease) und mit Betaferon® (BEYOND, Betaferon efficacy yielding outcomes of a new dose) bei RRMS konnte in keiner der beiden Studien ein signifikanter Unterschied im Therapienutzen gezeigt werden.

1.3.2.3 Natalizumab

Natalizumab (Tysabri® Elan, Dublin, Irland und Biogen Idec, Cambridge, Massachusetts, USA) ist ein biotechnologisch hergestellter Antikörper. Er bindet an ein Integrin auf Leukozyten und verhindert damit deren Austritt aus den Blutgefäßen ins Gewebe. Damit werden Entzündungsreaktionen, wie sie bei der MS im Zentralen Nervensytem (ZNS) vorkommen, eingedämmt.

Natalizumab wurde 2006 zum ersten Mal in Deutschland für die Therapie der MS zugelassen. In zwei großen Zulassungsstudien aus Amerika (Polman et al. 2006; Rudick et al. 2006) konnte gezeigt werden, dass Natalizumab die Behinderungsprogression bei 12% der Patienten verhindern konnte und bei 26% der Patienten therapiebedingt keine Schübe auftraten. Die Zahlen beziehen sich auf Patienten mit hochaktiver RRMS und zwei Jahre Studiendauer. Allerdings kam es in einer Studie (Polman et al. 2006) zu Fällen schwerer Hirnentzündung, der Progressiven Multifokalen Leukenzephalopathie (PML), die bei Patienten auftrat, die eine Kombinationstherapie aus Tysabri® und Avonex® erhielten. Zwischen 2006 und 2009 konnten dann weitere 28 Fälle von PML bei mit Natalizumab-behandelten MS-Patienten verzeichnet werden. (Clifford et al. 2010). Aufgrund dieser potentiell schweren Nebenwirkungen ist das Medikament nur als Monotherapie des schweren schubförmigen Verlaufs und bei ungenügendem Therapieerfolg der Basismedikation, z.B. mit Interferonen, zugelassen. Behandelte Patienten müssen zudem über fünf Jahre beobachtet werden. Vorteil der Natalizumab-Therapie ist auch die einmalige Gabe als Infusion pro Monat. Insgesamt konnte eine Verbesserung der Lebensqualität durch die Therapie erreicht werden (Rudick et al. 2007).

1.3.2.4 Azathioprin

Azathioprin ist ein orales Immunsuppressivum. Es findet in Deutschland vor allem bei rheumatischen Erkrankungen und in der Krebsbehandlung Anwendung. Auch bei MS kommt es seit den siebziger Jahren zum Einsatz. Es ist für die Therapie der RRMS und der SRMS zugelassen. Die Studien zur Wirksamkeit von Azathioprin sind sehr

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inhomogen, eine Aussage zum Nutzen eher schwierig. Aus einer Metaanalyse (Casetta et al. 2007) konnten bei 16% der Patienten Schübe während der Studiendauer von zwei Jahren verhindert werden. Diese Ergebnisse sind vergleichbar mit einer Interferontherapie. Ein Vorteil der Azathioprintherapie ist die orale Gabe. Als Nebenwirkungen treten Leberwerterhöhungen, gastrointestinale Störungen und allergische Hautreaktionen auf. Eine Erhöhung des Krebsrisikos konnte bislang nicht eindeutig belegt werden, ist aber denkbar (Amato 1993; Confavreux et al. 1996).

1.3.2.5 Mitoxantron

Die bislang größte Studie (MIMS) ist basisgebend für die Zulassung des Mitoxantrons, eines Chemotherapeutikums, bei SPMS. Untersucht wurde der Therapieeffekt von zwei unterschiedlichen Dosierungen von Mitoxantron, wobei die höhere Dosierung von 12mg/m² Körperoberfläche in die Auswertung einfloss. Es konnte eine Reduktion der Behinderungsprogression bei 14% der Patienten und eine Verhinderung von Schüben bei 21% der Patienten über zwei Jahre Studiendauer gezeigt werden. Allerdings treten unter der Mitoxantrontherapie, wie bei allen Chemotherapien, erhebliche Nebenwirkungen auf. Neben Übelkeit, Haarausfall und

Blutbildveränderungen können auch Langzeitschädigungen wie eine

Kardiomyopathie auftreten (Ghalie et al. 2002). Das Risiko hierfür steigt mit ansteigender kumulativer Mitoxantrondosis, weswegen eine Therapiedauer länger als 3 Jahre nicht zu empfehlen ist. Zudem sollte die Herzfunktion regelmäßig sonographisch kontrolliert werden. In einer Studie aus der Krebstherapie stieg das Krebsrisiko unter Mitoxantrontherapie um das Vierfache an (Chaplain et al. 2000)

1.3.2.6 Fingolimod

Fingolimod ist ein chemisch verändertes Produkt eines Pilzes. Als partieller Sphingosin-1-Phosphat-Agonist verhindert er die Migration von Lymphozyten aus den sekundären Lymphorganen. Unter anderem führt Fingolimod zu einem verstärkten Verbleiben von Lymphozyten in Lymphknoten. Dadurch hat es einen dämpfenden Effekt auf das Immunsystem. Fingolimod wurde mit 5 und 1,25 mg als Tablette gegen Plazebo in Phase-2 und Phase-3-Studien bei 1272 Patienten mit schubförmig-remittierender MS geprüft. Über 24 Monate Therapiedauer fand sich ein deutlicher Effekt auf Kernspinparameter, die Behinderungsprogression und auf die

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Schubrate. An Nebenwirkungen fanden sich Entzündungen im Nasen- Rachenraum, Luftnot und Durchfall sowie kardiovaskuläre Störungen (Kappos et al. 2010). Eine andere Phase-2-Studie verglich die Anwendung von oralem Fingolimod mit der intramuskulären Gabe von Interferon bei schubförmiger MS über 24 Monate bei 1292 SRMS-Patienten (Cohen et al. 2010). Auch hier konnte sowohl bei der Dosierung von 0,5 mg Fingolimod als auch bei der höheren Dosierung von 1,25mg ein positiver Effekt auf Kernspinparameter und die Schubrate im Vergleich zum Interferon gezeigt werden. Ein Effekt auf die Behinderungsprogression konnte nicht nachgewiesen werden. Die positiven therapeutischen Effekte bei akzeptablem Nebenwirkungsprofil führten 2011 zur Zulassung von oralem Fingolimod (Gilenya®) als Therapie der SRMS.

1.3.2.7 Cladribin

Cladribin ist ein Purin-Nukleotid-Analogon und wurde ursprünglich für die Behandlung maligner Lymphome und Leukämien entwickelt. Es ist strukturell verwandt mit Azathioprin. Es wird selektiv in den Lymphozyten angereichert und verursacht durch Veränderung der DNA den programmierten Zelltod. Dadurch kommt es durch das Medikament zu einer gezielten und langanhaltenden Lymphozytenreduktion. Eine Phase-3-Studie (CLARITY) untersuchte die Wirkung

von Cladribin-Tabletten auf Kernspinparameter, Schubrate und

Behinderungsprogression bei 1326 SRMS-Patienten über 96 Wochen und konnte auf alle Parameter positive Effekte im Vergleich zu Plazebo nachweisen (Giovannoni et al. 2010). Trotz der beschriebenen positiven Effekte von Cladribin bei MS-Patienten, wurde die Zulassung des Medikaments durch die europäische Zulassungsbehörde EMA aufgrund der erheblichen Nebenwirkungen (Immunschwäche, Leukämiefälle) abgelehnt. Ein erneuter Zulassungsantrag soll eingereicht werden, sollten andere Studien ein besseres Sicherheitsprofil zeigen. Durch eine Erweiterung der Studie mit 800 Patienten (CLARITY EXTENSION) sollen Daten zur Langzeitsicherheit der Therapie erfasst werden. In einer weiteren laufenden Studie soll die Verträglichkeit von oralem Cladribin in Kombination mit IFNß bei SRMS-Patienten untersucht werden (ONWARD) und in einer anderen Phase-3-Studie wird derzeit der Effekt von Cladribin auf Patienten mit Isoliertem Klinischen Syndrom (KIS) untersucht

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1.4 Patienteninformation

1.4.1 Evidenzbasierte Medizin (EbM) und Patienteninformation (EBPI)

Der Begriff Evidenz leitet sich aus dem Englischen von „evidence“ ab, übersetzt Beweis, Aussage, Zeugnis, Ergebnis, Unterlage oder Beleg. Daraus lässt sich der Begriff Evidenzbasierte Medizin (EbM) erschließen. Er beschreibt die individuelle medizinische Versorgung von Patienten auf der Basis der besten zur Verfügung stehenden Information. Diese Information stammt bestenfalls aus wissenschaftlichen Studien und systematisch zusammengetragenen klinischen Erfahrungen, die die Evidenz, also den Beweis, zur Aussagekraft prognostischer Faktoren und zur Wirksamkeit und Sicherheit therapeutischer, rehabilitativer oder präventiver Maßnahmen erbringen (Sackett et al. 1996). Wissenschaftliche Studien werden hierbei als externe Evidenz bezeichnet und klinische Erfahrungen als ärztliche Expertise. Diese Faktoren sollten in der Patientenversorgung Hand in Hand gehen um eine optimale Versorgung zu gewährleisten, die zum einen individuell auf den Patienten abgestimmt ist und zum anderen die aktuelle Datenlage berücksichtigt. Für eine optimale Patientenbetreuung im Sinne der EbM ist auch die Einbeziehung des Patienten in den Entscheidungsprozess erforderlich. Damit der Patient die Entscheidung mittragen kann, muss er umfassend über die Sachverhalte informiert sein. Hier kommt der Begriff der Evidenzbasierten Patienteninformation (EBPI) zum Tragen. Das Ziel der EBPI ist die Unterstützung der individuellen Entscheidungsfindung durch das Zusammenbringen von evidenzbasierter Information mit den persönlichen Werten des Patienten (Sackett et al. 2000; Kalso et al. 2001). Dabei soll dem Patient die aktive Teilnahme an Entscheidungsprozessen durch die Bereitstellung der dafür notwendigen Information ermöglicht werden und eine freie Auswahl gesichert werden. Ein Anspruch auf vollständige und balancierte Information ist sogar als ethische Norm in den europäischen Patientenrechten verankert (European Charta of Patients´ Rights 2002). Allerdings ist dafür eine hohe Qualität der zu vermittelnden Information erforderlich, d.h. die Information muss gewisse Anforderungen erfüllen (Tab. 2, (Steckelberg et al. 2005). Doch diesen Ansprüchen gerecht zu werden kann durchaus schwierig sein und erfordert einen hohen Aufwand. Eine Herausforderung bei der Herstellung der EBPI ist eine ausgewogene Präsentation der Information, das heißt dass alle zugelassenen bzw. vertretbaren Therapien oder Untersuchungsoptionen gleichberechtigt erscheinen

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sollen. Nutzen und Schaden einer Therapie bzw. Untersuchungsoption sollen gleichermaßen herausgestellt werden. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die Vermittlung von Wahrscheinlichkeitsaussagen (Kasper et al. 2009). Ebenfalls gehört zur vollständigen und wertfreien Bereitstellung von Informationen die Kommunikation der zugrundeliegenden Evidenz. Diese beinhaltet die breite Spanne von der Expertenmeinung bis hin zur gut durchdachten und ausgeführten randomisiert-kontrollierten Studie (RCT). Damit führt die Evidenzbasierte Patienteninformation (EBPI) nicht unbedingt zur Gewissheit über den Nutzen oder Schaden medizinischer Maßnahmen, da auch das Fehlen und die Unsicherheiten von Evidenz klar dargestellt werden. Allerdings kann aber erst eine in diesem Sinne vollständige Information eine robuste Grundlage für eine informierte Entscheidung liefern (Kasper et al. 2009).

Oftmals liegt aber genau hier der entscheidende Punkt (Steckelberg et al. 2005; Trevena et al. 2006; Koch 2008). Hinter einer großen Vielfalt an bereitgestellten Informationen steht auch eine große Vielfalt an Interessen. Hinter den Informationen stecken Apelle. Die gegebene Information soll überzeugen und ist deswegen häufig verzerrt. Besonders im Vordergrund steht hierbei die Nichtkommunikation von Inhalten, die sich negativ auf eine Entscheidung auswirken könnten, wie z.B. Risikofaktoren und Nebenwirkungen einer Therapie (Jorgensen and Gotzsche 2004; Coulter 2006; Feldman-Stewart et al. 2007; Meyer et al. 2007; Mühlhauser 2008). Insgesamt besteht immer noch eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem Anspruch des Patienten auf EBPI und dem tatsächlichen Informationsangebot (Mühlhauser 2008).

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1. Berücksichtigung der Anforderungen an Informationen und Metainformationen

2. Kommunikation der Qualität der wissenschaftlichen Beweislage orientiert an patientenrelevanten Endpunkten.

3. Kommunikation des Fehlens von Evidenz

4. Darstellung der Zahlen unter Berücksichtigung vorhandener Erkenntnisse 5. Keine alleinige sprachliche Darstellung von Risiken

6. Ergänzung durch angemessen grafische Darstellung ist sinnvoll

7. Darstellung von Verlust und Gewinn gleichzeitig nebeneinander (Wirkung und Nebenwirkung).

8. Berücksichtigung kultureller Besonderheiten. 9. Berücksichtigung von Layout Aspekten.

10. Verwendung von der Zielgruppe angepasster Sprache.

11. Einbeziehung der Patienten in den Prozess der Informationserstellung

Tabelle 2: Kriterien für die Erstellung von Evidenzbasierter Patienteninformation (EBPI) nach Steckelberg et al., (2005)

1.4.2 Shared Decision Making (SDM), Bedeutung und Anwendung bei MS

Für Patienten ist die Bedeutung von Information dann besonders hoch, wenn aktuell eine wichtige Entscheidung zwischen mehreren Möglichkeiten einer Behandlung oder Untersuchung ansteht (Charles et al. 1997). Dies ist vor allem der Fall bei chronischen Krankheiten, für die es bislang keine kurative Therapie gibt, sondern lediglich mehrere Optionen einer krankheitsmodulierenden Behandlung zur Verfügung stehen. Die MS ist eine solche chronische Erkrankung.

Patienten erwarten zunehmend, dass sie umfassend informiert werden und in alle wichtigen Entscheidungen mit einbezogen werden (Heesen et al. 2006). In Studien konnte gezeigt werden, dass bis zu 75 % der Patienten, die an Multipler Sklerose erkrankt sind, aktiv an Entscheidungen teilnehmen möchten (Mohr DC 1996). Ein Grund hierfür könnte sein, dass die MS eine individuelle Prognose nur begrenzt zulässt. Das heißt, viele MS-Patienten haben ein Gefühl des Kontrollverlustes. Ein weiterer Punkt könnte sein, dass der Therapienutzen der momentanen Therapieoptionen eingeschränkt ist (Hamann et al. 2007).

Die Umsetzung die evidenzbasierte Patienteninformation (EBPI) in einen Entscheidungsprozess einfließen zu lassen, ist das Konzept des Shared Decision making (SDM), auf Deutsch „Partizipative Entscheidungsfindung“. Dies beschreibt

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ein Arzt-Patienten-Modell, das sich auf die partnerschaftliche Beziehung von Arzt und Patient bezieht (Tab. 3). Es bewegt sich zwischen den zwei extremen Polen des paternalistischen Modells, bei dem der Patient eine völlig passive Rolle einnimmt, und dem Informed Choice-Modell, bei dem der Arzt eine passive, rein informierende Rolle übernimmt (Charles et al. 1999; Hamann et al. 2004).

Letztlich ist das SDM eine Entscheidung, die von zwei Personen getroffen wird (Arzt und Patient). Beide Beteiligten nehmen am Prozess der Entscheidungsfindung teil. Die gegenseitige Bereitstellung von Informationen ist dabei eine Voraussetzung des SDM. Beide Beteiligten sollten mit der getroffenen Behandlungsentscheidung einverstanden und zu deren aktiver Umsetzung bereit sein.

Paternalistisches Modell Shared Decision Making Informed Choice

Rolle des Arztes Aktiv: Hat alle

Informationen, wählt die Therapie aus, die er für die beste hält

Aktiv: Teilt dem Patienten alle Informationen und

Behandlungsmöglichkeiten mit, kann eine Option empfehlen, beschließt gemeinsam mit dem Patienten die Therapie

Passiv: Teilt dem Patienten alle Informationen und

Behandlungs-möglichkeiten mit, fällt keine Entscheidung

Rolle des Patienten Passiv: „Akzeptiert“ den Vorschlag des Arztes

Aktiv: Bekommt alle

Informationen, bildet sich ein Urteil, bespricht mit dem Arzt seine Präferenzen, beschließt gemeinsam mit dem Arzt die Therapie

Aktiv: Bekommt alle Informationen, bildet sich ein Urteil, entscheidet alleine

Informations-fluss Arzt Patient Arzt Patient Arzt Patient

Wer entscheidet? Arzt Arzt und Patient Patient

Tabelle 3: Modell von Interaktionsstilen (SDM) (Charles et al. 1999)

In einem systematischen Überblick über Studien, in denen der Effekt von Shared Decision making (SDM) untersucht wurde, gelangte man zu dem Schluss, dass die Effektivität von SDM besonders hoch ist, wenn es sich um längerfristige Entscheidungen handelt, bei denen es zu mehreren Arztkonsultationen kommt (Joosten et al. 2008).

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Es ist davon auszugehen, dass eine aktive Rolle des Patienten am Entscheidungsprozess auch die Adhärenz, früher Compliance, erhöht. Die Abbrecherquote im ersten Jahr einer Interferontherapie liegt momentan bei 30 bis 40% (Jorgensen and Gotzsche 2004; Oschmann P 2006). Dies liegt wohl vor allem daran, dass falsche Erwartungen an die Therapie gestellt werden (Koch 2008). Solche Effekte sollen durch das Modell des SDM vermindert werden. Auch kann man davon ausgehen, dass durch eine kritischere Bewertung und Beobachtung von Therapiemaßnahmen weniger nicht-wirksame oder gar schädliche Therapien durchgeführt werden und die Therapieentscheidung insgesamt optimiert wird (Heesen et al. 2006).

In diesem Sinne soll ein umfassendes Programm zur Patientenschulung im Rahmen der EBPI entwickelt werden, die dem Patienten die Grundlagen für eine fundierte Entscheidung im Rahmen des SDM ermöglicht. In verschiedenen Modulen, bestehend aus jeweils einer Broschüre und einer darauf aufbauenden Schulung, soll den Patienten und deren Angehörige zum einen ein Zugang zu evidenzbasierter Information ermöglicht werden und zum anderen die Fähigkeiten zum Umgang mit solchen Informationen vermittelt werden. Ein entsprechendes Programm zur Schubtherapie bei MS wurde bereits entwickelt (Kopke et al. 2009). Ein alternierendes Programm zur Immuntherapie bei MS ist im Aufbau. Die

entsprechende evidenzbasierte Information wurde bereits in einer

Patientenbroschüre zusammengestellt und veröffentlicht (Kasper et al. 2008). Auf deren Grundlage soll nun eine Patientenschulung entstehen, die dem Patienten neben der Information auch den adäquaten Umgang mit dieser ermöglicht. Die Entwicklung dieser Schulung ist das Thema dieser Arbeit.

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2 Material und Methoden

2.1 Broschüre „Immuntherapien bei Multipler Sklerose“

Um die Patienten bei der komplexen Entscheidung hinsichtlich einer Immuntherapie zu unterstützen, entwickelten Heesen et al. 2004 ein „Decision Aid“, also eine Hilfe zur Entscheidungsfindung, in Form einer umfassenden Broschüre zu Immuntherapien bei MS. Der Bedarf nach ausführlicherer Information zeigte sich aus einer Fokusgruppenstudie (Heesen et al. 2004). Bei der Entwicklung der Entscheidungshilfe wurde eng mit betroffenen Patienten zusammengearbeitet. Im Mittelpunkt dieser, ungefähr 100 Seiten umfassenden, Broschüre stehen Informationen zum Nutzen und Schaden der verschiedenen immunmodulierenden Therapieoptionen zusammengefasst. Der Aufbau der Broschüre lässt eine Unterteilung nach der Verlaufsform und nach der Komplexität der vermittelten Informationen zu. Das erlaubt dem Patienten zum einen die Broschüre mit Fokus auf „seine“ Verlaufsform durchzulesen und bietet zum anderen die Option, die Informationen von einer überblickenden Zusammenfassung bis hin zu komplexeren Zusammenhängen zu vertiefen. Nach einem allgemeinen einleitenden Teil, der auch eine Anleitung beinhaltet, wie die Broschüre zu lesen ist, werden die Therapieoptionen für die Verlaufsformen vorgestellt, das heißt für die Erstmanifestation (oder auch „Isoliertes klinisches Symptom“ (CIS)), den schubförmig-remittierenden Verlauf (SRMS), den sekundär chronisch-progredienten Verlauf (SPMS) und den primär chronisch-progredienten Verlaufs (PPMS). Anschließend geben die Autoren noch einen Überblick für alternative Therapieformen und Therapien in der Entwicklung. Der Broschüre ist ein Arbeitsbogen beigelegt, der verschiedene Aspekte der Entscheidungsfindung beinhaltet, und dem Patienten die Möglichkeit gibt, die verschiedenen Aspekte in ihre eigene Entscheidung mit einzubeziehen und für sich persönlich zu gewichten.

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2.2 Schulung „Immuntherapien bei Multipler Sklerose“

2.2.1 Entwicklung eines Schulungsprogramms

Ziel der Schulung soll sein, Inhalte, die in der Broschüre vermittelt werden, richtig zu verstehen und die Informationen im Alltag umzusetzen. Da die Broschüre mit ca. 100 Seiten sehr umfassend ist, und für jede Verlaufsform der MS jede mögliche Therapie im Detail beschrieben wird, kann es nicht Inhalt der Schulung sein, Detailinformationen zu vermitteln. Vielmehr soll sie ergänzend zur Broschüre den Patienten zum einen Werkzeug an die Hand geben, die Hintergründe von Therapieergebnissen zu verstehen und richtig deuten zu können. Zum anderen sollen Patienten üben, die Theorie im Alltag umzusetzen und letztlich in der Lage sein, das erlangte Wissen in den Entscheidungsprozess und das Arzt-Patient-Gespräch einzubringen.

Um die Schulung möglichst patientennah zu gestalten, soll die Entwicklung in enger Zusammenarbeit mit Patienten stattfinden. Einzelne Abschnitte der Schulung sollen hierfür von Patienten in sogenannten Fokusgruppen vorgestellt und dort evaluiert werden um ein direktes Feedback zu erhalten. Fehler in Inhalt und Zeitmanagement, sowie unerwartete Komplikationen können so schon im Entwicklungsprozess enttarnt und verbessert werden. Das Ziel ist hierbei eine gut zu verstehende Schulung zu entwickeln, die dem Informationsbedürfnis der MS-Betroffenen entspricht und eine Hilfe im Entscheidungsprozess über eine Immuntherapie bietet.

2.2.1.1 Angewandte Schulungstechniken

Das Konzept der Patientenschulung ist nicht neu. Gerade im Bereich der chronischen Erkrankungen ist die Schulung ein häufig angewendetes Verfahren („patient education“). Während es gerade im Bereich des Asthma bronchiale und des Diabetes mellitus ein großes Angebot an Patientenschulungen gibt, findet dieses Verfahren im Bereich der Multiplen Sklerose (MS) noch keine Anwendung. Erstmals wurde in diesem Rahmen eine Schulung als „Entscheidungshilfe zum Schubmanagement“ (Kopke et al. 2009) entwickelt. Anhand verschiedener Konzepte zur Erwachsenenedukation und der Erfahrungen mit Schulungen in anderen Bereichen chronischer Erkrankungen soll nun eine Patientenschulung zu „Immuntherapien bei MS“ entwickelt werden. Um ein entsprechendes Konzept zu entwickeln, muss der Begriff der „Patientenschulung“ vorab klar definiert werden.

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Erstmals wurde der Begriff 1980 von Squyres als eine Maßnahme definiert, die die Patienten darin unterstützen soll, ihr Verhalten so zu ändern, dass es ihre Gesundheit fördert (Squyres 1980). In der Regel wird die Patientenschulung als Prävention auf verschiedenen Ebenen betrachtet. Werden Patienten über ihre Krankheit, Behandlungen und über verfügbare Dienstleistungen unterrichtet, bewegt man sich im Bereich der Tertiärprävention (Klug-Redman 1996). Die Tertiärprävention ist also die häufigste Präventionsform im Bereich der chronischen Erkrankungen. In der Regel werden in Patientenschulungen sechs zentrale Komponenten zusammengefasst (Petermann 1997):

1. Aufklärung

2. Aufbau einer angemessenen Einstellung zur Erkrankung und ihrer Bewältigung

3. Sensibilisierung der Körperwahrnehmung

4. Vermittlung von Selbstmanagement-Kompetenzen 5. Maßnahmen zur Sekundärprävention

6. Erwerb sozialer Kompetenzen und Mobilisierung sozialer Unterstützung

Ziel einer Patientenschulung ist es, Wissen zu vermitteln und/oder neues Bewältigungsvermögen zu ermöglichen. Da die Schulung „Immuntherapien bei MS“ nicht den Anspruch erhebt, das gesamte Gebiet der Erkrankung Multiple Sklerose (MS) abzudecken, soll in dieser Schulung nicht jeder der sechs zentralen Komponenten nach Petermann ausführlich aufgegriffen werden. Die Schulung ist als Bestandteil einer geplanten Serie an Schulungen zum Thema Multiple Sklerose zu sehen. Grundlage dieser Schulung soll zum Einen das Vermitteln von grundliegendem Wissen sein und zum Anderen einen Rahmen für die eigene Entscheidungsfindung bieten. Die Punkte „Aufklärung“ (1), „Vermittlung von Selbstmanagement-Kompetenzen“ (4) und der „Erwerb sozialer Kompetenzen“ (6) stehen hierbei also im Mittelpunkt.

Nach dem Konzept „Globale Ziele der Patientenschulung“ (Petermann 1997) ist ein fundiertes Wissen die Grundlage einer jeden Schulung (Abb.4). Auf diesem Konzept soll auch die Schulung „Immuntherapien bei MS“ aufgebaut werden.

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Abbildung 4: Globale Ziele der Patientenschulung (Petermann 1997)

Während der erste Teil der Schulung auf das Vermitteln von Grundlagenwissen abzielen soll, geht es im zweiten Teil mehr um die Umsetzung und Anwendung dieses Wissens im Alltag. Für die adäquate Präsentation des Grundlagenstoffes eignet sich die klassische „Power-Point-Präsentation“. Dieser Teil der Schulung findet zum großen Teil als Frontalunterricht statt. Diese Lehrmethode erscheint zur Übermittlung einer großen Informationsfülle am besten geeignet. Desweiteren lässt sich diese Präsentationsform am leichtesten standardisieren. Allerdings ist eine Ausgewogenheit der Arbeitsformen wichtig. Die Abwechslung erhöht die Lebendigkeit des Seminars und damit die Konzentrations- und Arbeitsfähigkeit der Teilnehmer (Meier-Gantenbein 2006). Dafür sind zur Unterbrechung des Vortrages verschiedene Module eingebaut, die die Präsenz der Patienten erfordern. Damit soll ein monotoner Vortrag verhindert werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt hierbei ist,

dass regelmäßige Unterbrechungen für Feedbackrunden Platz für

Gedankenaustausch und eventuelle Fragen bieten. Da das Lernverhalten von Erwachsenen sich anders verhält als das von Schulkindern zum Beispiel, müssen einige Punkte bei der Informationsvermittlung beachtet werden (Meier-Gantenbein 2006): Differenziertes!Wissen:! Krankheits;!und!behandlungswissen! Neues!BewälAgungsverhalten:! AkAves!und!eigenverantwortliches! Mitwirken!bei!der! KrankheitsbewälAgung! (=Krankheitsmanagement)!

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• Erwachsene lernen mehr kontextbezogen statt faktenbezogen. Die Fähigkeit, sich isolierte Fakten zu merken, nimmt mit zunehmendem Alter kontinuierlich ab.

• Erwachsene lernen mehr anwendungsbezogen statt prüfungsbezogen. Sie lernen besonders gut, wenn sie neue Aspekte in direktem Zusammenhang mit bisherigem Wissen oder Erfahrungen bringen können.

• Erwachsene bringen eine eigene Lerngeschichte mit und damit ein ausdifferenziertes System der Wissens- und Erfahrungsverarbeitung.

• Erwachsene lernen selbstbestimmt.

Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten in der Erwachsenenlehre ist in der Schulung „Immuntherapien bei MS“ besonders darauf geachtet worden, alltägliche Beispiele für die einzelnen Inhalte zu benutzen. Abstrakter Stoff soll somit in einen alltäglichen Kontext zum besseren Verständnis und zur Erleichterung des Lernens gebracht werden. Die Übertragung komplizierten Stoffes auf Alltägliches zieht sich durch die gesamte Präsentation. Da lediglich Instrumente zum Verständnis der Broschüre vermittelt werden, ist jedem Patient selbst überlassen, wie intensiv er sich später mit dem angebotenen Stoff befasst. Dass Patienten mit unterschiedlicher Vorbildung im Bereich MS in die Schulung gehen, soll in den Feedbackrunden und Erfahrungsberichten genutzt werden, die weniger Informierten an diesem Wissen teilhaben zu lassen. Dieser Punkt wird für die Schulung als durchaus positiv betrachtet.

Neben dem Frontalunterricht wird auf Methoden wie das Gedankenexperiment zurückgegriffen. Anhand einer alltäglichen Geschichte („Pimples“, Folie 11 Schulung „Immuntherapien bei MS“) wird ein Konstrukt für das Erstellen einer wissenschaftlichen Studie spielend erarbeitet.

Der zweite Teil der Schulung gliedert sich wiederum in drei Abschnitte. Der erste Teil ist die Wiederholung des bereits vermittelten Wissens. Das Wiederholen soll das Wissen festigen. Als Überprüfung für den Patienten, ob er den Stoff verstanden hat, wird in einer Gruppenarbeit ein originaler Abstract bearbeitet. Hier können Lücken im Verständnis entdeckt werden, erneut in der Gruppe über den Stoff nachgedacht werden und von Einander gelernt werden. In einer abschließenden Auflösung der Aufgabe wird der Lerneffekt abgeschlossen.

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Der zweite Teil beschäftigt sich mit den Vorerfahrungen der Patienten. In Erfahrungsberichten hat jeder die Möglichkeit seine persönlichen Erfahrungen in punkto Immuntherapien mit der Gruppe teilen. Dieser Teil übernimmt schon fast ein wenig die Aufgabe einer Selbsthilfegruppe und ermöglicht erneut den Austausch erfahrenerer Patienten mit unerfahrenen Teilnehmern. Während auf ein bis zwei Berichte noch genauer eingegangen wird übernimmt der Dozent die Aufgabe des „Spiegelns“. Er schreibt die genannten Schlagworte auf Karteikarten mit, die auf dem Weg einer Entscheidungsfindung Gewicht tragen mit und gleicht diese anschließend mit dem Betroffenen und der Gruppe ab. Dadurch „spiegelt“, also reflektiert er die Gedanken des Patienten und hält sie im noch einmal vor Augen- Die Argumente werden dann visuell in Pro und Kontra aufgeteilt und an eine Pinnwand geheftet. Diese Methoden gliedern Erfahrungen und Gedanken ganz klar und bringen Struktur in eine individuelle Entscheidungsfindung. Damit kann eine individuelle Geschichte beispielhaft für das Plenum aufgearbeitet werden. Wir erhoffen uns auf der einen Seite eine Reflektion der eigenen Gedanken für den betroffenen Patienten und einen Lerneffekt am Beispiel für das Plenum.

Der dritte Teil steht letztlich unter dem Motto des „handlungsorientierten Lernens“. Schon Goethe (1749-1832) formulierte treffend: „Es reicht nicht zu wissen, man muss auch anwenden, es reicht nicht zu wollen, man muss auch tun“. Auf diesem Grundsatz entwickelten sich diverse Lehransätze (Prinzip „Learning By Doing“, John Dewey 1859-1952) und so soll auch in dieser Patientenschulung dieses Prinzip nicht vernachlässigt werden. Nachdem die Patienten nun einen Grundstock an Wissen vermittelt bekommen haben und die Grundzüge der Entscheidungsfindung erarbeitet haben, geht es um die Anwendung des Erlernten im Alltag. Da Entscheidungen über eine Therapieform letztlich im Arzt-Patient-Gespräch getroffen werden, sollen die Patienten üben, ihr Wissen anzubringen und ihre Meinung zu vertreten. Am Schluss der Schulung sollen die Patienten in der Lage sein, sich nötige Informationen zu beschaffen, diese zu verstehen und einzuordnen, leichter eine Entscheidung zu treffen und diese im Arzt-Patient-Gespräch zu vertreten. Mit diesem Ziel wäre es gelungen mit der Schulung eine Entscheidungshilfe („Desicion Aid“) zu bieten.

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2.3 Fokusgruppen

Um die zu entwickelnde Schulung in ihrer Praktikabilität zu überprüfen, wurden Probeschulungen in sogenannten Fokusgruppen gehalten. Dabei wurden anfangs einzelne Abschnitte der Schulung präsentiert, um diese im Entwicklungsprozess der Schulung zu optimieren, bis letztlich die komplette Schulung stand. Die Evaluation zu den verschiedenen Schulungsabschnitten erfolgte teils standardisiert mittels Analogskalen, und teils durch Diskussions- und Feedbackrunden.

Die Fokusgruppen bestanden aus Patienten, die an Multipler Sklerose erkrankt waren und deren Angehörigen. Eine Auswahl der Fokusgruppenteilnehmer erfolgte erst aus der Patientendatenbank der Multiplen Sklerose-Ambulanz des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf (UKE) und später in Zusammenarbeit mit neurologischen Rehabilitationseinrichtungen. Dabei wurden die Patienten direkt in der MS-Sprechstunde auf das Projekt angesprochen, telefonisch informiert oder durch Flyer im MS-Zentrum des UKEs auf das Projekt aufmerksam gemacht. Da die Zeit seit Diagnosestellung unter den MS-Patienten zum Teil stark variierte, und somit auch der Beeinträchtigungsgrad sehr unterschiedlich war, wurde bei der Bildung der Fokusgruppen auf eine gewisse Homogenität in den einzelnen Gruppen geachtet. So sollte verhindert werden, dass Patienten mit einer Erstmanifestation, die sich noch an einem frühen Zeitpunkt des Prozesses der Krankheitsbewältigung befinden, mit schwerstbetroffenen Multiple Sklerose-Patienten konfrontiert werden.

Die ersten fünf von insgesamt acht Patientengruppen bestanden aus dem Patientenkollektiv der Multiplen Sklerose-Ambulanz des UKE und bildeten die eigentlichen Fokusgruppen. Mit ihrer Hilfe wurden einzelne Abschnitte der Schulung überprüft. Diese wurden dann zum Teil entsprechend überarbeitet und an die Bedürfnisse der Patienten angepasst. Die letzten drei Schulungen mit den Patientengruppen sechs bis acht fanden in neurologischen Rehabilitationszentren statt und beinhalteten die komplette Schulung. Während die ersten Fokusgruppen vor allem zum Entwicklungsprozess der Schulung beigetragen haben, wurde in den letzten drei Probeschulungen die Anwendbarkeit der Schulung als Ganzes überprüft.

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2.4 Evaluation

2.4.1 Erhebung der Daten

Die Datenerhebung erfolgte zum Großteil als direkte Überprüfung des Schulungsinhaltes. Durch Fragebögen, Analogskalen und offene Feedbackrunden, welche mit einem Tonbandgerät aufgenommen wurden, wurde der präsentierte Inhalt unmittelbar auf seine Anwendbarkeit überprüft und die Entwicklung der Schulung so als ein dynamischer Prozess gestaltet. Nach jeder Fokusgruppe wurde der Inhalt und die Präsentation erneut auf den Prüfstand gestellt und gegebenenfalls auf die Bedürfnisse der Patienten angepasst. Das Ergebnis zeigt somit auch einen Entwicklungsprozess bis hin zur fertigen Schulung.

2.4.2 Visuelle Analogskalen (VAS)

Die visuelle Analogskala (VAS) ist ein geeignetes Instrumentarium zur Erfassung psychologischer Variablen, die sich einer direkten Messung entziehen. Insbesondere in Studien zur Lebensqualität konnte gezeigt werden, dass die VAS eine reliable und valide Methode der Messung subjektiver Zustandsbeurteilungen darstellen (de Boer 2004). Besonders häufig werden VAS in der Schmerztherapie eingesetzt.

In dieser Arbeit wurden visuelle Analogskalen (VAS) verwendet, um Stimmungsbilder und subjektive Eindrücke der Fokusgruppenteilnehmer standardisiert abzufragen und vergleichen zu können. VAS sind horizontale Verbindungslinien, hier von 200 mm Länge, die von den zwei Extremen des zu erfassenden Zustands begrenzt werden und eine Abschätzung der subjektiven Wahrnehmung zulassen. Sie sind leicht verständlich und nur mit dem Setzen eines Kreuzes auszufüllen. Durch Unterteilung der Analogskala anhand eines virtuellen Nullpunktes, ist eine Tendenz in Richtung eines Extrems schon beim ersten Blick erkennbar. Eine genauere Auswertung erfolgt durch die Abmessung in Plus- oder Minusrichtung vom Nullpunkt aus, also der Mitte der Verbindungslinie, bis zum gesetzten Kreuz. Die Skala erlaubt eine Auswertung auf ordinalem Niveau.

Eingesetzt wurden sie hier zur Evaluation der subjektiven Einordnung der Schwere der Erkrankung Multiple Sklerose (VAS 1), der Einschätzung des Therapieerfolges eines vorgestellten Medikamentes (VAS 2) und zur Abfrage in verschiedenen Dimensionen, inwiefern die präsentierte Information auf die Teilnehmer gewirkt hat (VAS 3).

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2.4.3 Fragebogen „MS-Risikowissen“

In einem Fragebogen „Fragen zum MS-Informationsstand“, den die Teilnehmer ausfüllen sollen, wird das Wissen der Patienten über die Erkrankung abgefragt. Der Fragebogen ist die aktuelle Form eines bereits erprobten Risikowissensinventars (Heesen et al. 2004). Am Anfang des Fragebogens sollen die Patienten ihr Wissen als „hoch“, „mittel“ oder „niedrig“ einstufen. Insgesamt sind es 18 Multiple-Choice-Fragen, die es zu beantworten gilt. Es können maximal 20 Punkte erreicht werden. Mehrfachantworten sind teilweise möglich. Der Fragenkatalog ist in Fragen zur MS allgemein, zur Schub- und Immuntherapie und grob zu Studien untergliedert.

Anfänglich ließen wir den Fragebogen vor den Fokusgruppenterminen ausfüllen, um den Wissenstand der Teilnehmer einzuschätzen. In den Fokusgruppen sechs bis acht, in denen die gesamte Schulung durchgeführt wurde, haben wir die Patienten den Fragebogen erneut nach der Schulung zu Hause ausfüllen lassen. Die Broschüre „Immuntherapien bei MS“ konnte dabei als Hilfe benutzt werden. Wir erwarteten eine deutliche Verbesserung des Ergebnisses.

2.4.4 Bewertung der emotionalen Ausgangslage und Stabilität

2.4.4.1 State-Trait-Angstinventar (STAI)

Der State-Trait-Angstinventar (STAI) ist ein Fragebogen zur Erfassung von aktueller und habitueller Angst. Das Originalverfahren wurde bereits 1970 entwickelt (Gaudry and Spielberger 1970) und 1981 als deutschsprachiges Verfahren etabliert (Laux et al. 1981). STAI besteht aus zwei unabhängigen Fragebogen mit jeweils 20 Items. Die Items sind kurze prägnante Selbstaussagen wie zum Beispiel „Ich fühle mich wohl“. Während der State-Fragebogen den aktuellen Zustand abfragt enthält der Trait-Fragebogen Items, die das situationsabhängige Allgemeinbefinden abfragen.

1992 entwickelten Marteau et al. eine Kurzform des STAI, die sich auf sechs Items beschränkt. In zwei Studien, die eine zur Auswahl der Items, die zweite zur Reliabilität und zur Validität, zeigte sich, dass die Kurzform des Tests vergleichbare Ergebnisse erbrachte wie der komplette Fragebogen. Das Ergebnis ist dementsprechend eine kürzere und praktisch einfacher anzuwendende Form des STAI, die dennoch vergleichbare Ergebnisse wie der Originaltest erbringt (Marteau 1992).

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Zur Evaluation in der Schulung erhielten die Fokusgruppenteilnehmer die gekürzte Version des STAI. Er wurde zur Evaluation von Schulungsinhalten eingesetzt, die potentiell angsteinflößend sein könnten. Dafür wurde der STAI einmal vor und einmal nach der Präsentation von solchen Inhalten von den Teilnehmern ausgefüllt.

2.4.4.2 Autonomy Preference Index (API)

Der Autonomy Preference Index (API) wurde 1989 in den USA entwickelt (Ende et al. 1989) um das Informationsbedürfnis und den Wunsch, an Entscheidungsprozessen teilzunehmen, zu messen. Er besteht aus zwei Subskalen. Die erste Subskala, im Original als „Preference for Decision Making“ (Partizipationspräferenz) betitelt, besteht aus 6 allgemeinen Items und detektiert den Autonomiewunsch der Patienten im Arzt-Patient-Verhältnis. Die zweite Subskala heißt „Preference for Information Seeking“ (Informationsbedürfnis) und besteht aus acht Items. Da das Informationsbedürfnis der MS-Patienten schon früher an anderer Stelle evaluiert wurde (Hamann et al. 2007), stand für die Entwicklung der Schulung vor allem die Partizipationspräferenz im Vordergrund. Deshalb wurde entsprechend nur die erste Subskala zur Evaluation verwendet. Die Reliabiltiät des Fragebogens ist als gut zu bewerten. Die Retest-Reliabilität liegt für die beiden Subskalen bei 0.84 bzw. 0.83. Die Testung der internen Konsistenz ergab jeweils ein Cronbach alpha von 0.82. Der API wurde im Rahmen der Methoden-AG des BMGS Förderschwerpunktes Shared Decision Making (SDM) übersetzt und von Originalautoren autorisiert.

Referenzen

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