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Rheumatischer Formenkreis

Im Dokument der Akupunktur (Seite 48-51)

Auch nach Ge­

nuß hestimm- ter Speisen können Gelenk- heschwerden auftreten

Immunologi­

sches Rheuma betrifft den ganzen Men­

schen

Außer den autoaggressiven und infektinduzier­

ten Formen des entzündlichen Gelenkrheuma­

tismus, die in der letzten Folge besprochen wurden, gibt es noch zahlreiche andere. Häufig werden all diese Erkrankungen unter dem Be­

griff »Rheumatischer Formenkreis« zusam­

mengefaßt. Nur einige Beispiele dazu: Nach Fehltransfusionen kommt es nicht selten im Rahmen der perakut einsetzenden Immunre­

aktion, neben Asthma, Urtikaria und Schock, auch zu Gelenkbeschwerden. Immer wieder finden sich Leute ein, bei denen nach Genuß bestimmter Speisen Gelenkbeschwerden auf­

treten. Auch im Rahmen ärztlicher Maßnah­

men, wie Schutzimpfungen und Hyposensibili­

sierungstherapie, kann es zu jeweils passage- ren arthritischen Zuständen kommen. Sie alle beweisen ein weiteres Mal, daß Antigene ent­

weder solitär oder, was hier häufiger der Fall ist, als Immunkomplex bis ins Gelenk ver­

schleppt werden. Jetzt müßten wir uns natür­

lich auch fragen, warum denn ausgerechnet im Gelenk eine immunologisch bedingte Entzün­

dungsreaktion ausgelöst wird, wo es doch dem Zufallsprinzip obliegt, wohin diese Immun­

komplexe im Blut gespült werden. Oder liegen wir da mit unserer Vermutung falsch?

»An Rheuma stirbt man nicht?!«

Tatsächlich sind die meisten immunologisch bedingten entzündlichen Gelenkerkrankungen keineswegs auf den Bewegungsapparat be­

schränkt. Es ist ja auch ganz klar, daß solche Immunkomplexe überall hingelangen können und insbesondere in den Kapillaren zu Schä­

den führen. Kapillaren gibt es aber überall, vorzugsweise in Organen. Daher sind bei sol­

chen rheumatischen Prozessen grundsätzlich alle Organe mehr oder weniger ebenfalls ent­

zündlich erkrankt. Extraartikuläre Manifesta­

tionen finden sich am Auge, Herz, Niere, Lunge, Haut und anderen Organen. Sie bleiben häufig unbemerkt, weil sie der Patient nicht spürt und

der Arzt nicht intensiv genug danach sucht. Sie zu kennen ist aber außerordentlich wichtig, weil der Spruch »An Rheuma stirbt man nicht«

bei solchen Patienten nicht zutrifft -, sie ster­

ben an Herzversagen, Nierenversagen oder ei­

ner Lungenerkrankung. Es ist auch schlimm genug, wenn etwa ein Patient im Rahmen rheu­

matischer Erkrankungen sein Augenlicht ver­

liert. Mit Fug und Recht muß daher betont werden, daß der immunologische Rheumatis­

mus eine Erkrankung des gesamten Menschen ist. Seit wann ist das bekannt?

Systemische Immunkrankheiten

Die Verknüpfung insbesondere chronisch fort­

schreitender entzündlicher Gelenkerkrankun­

gen mit anderen Prozessen des gesamten Bin­

degewebes ist eine uralte Erfahrungstatsache des Alltags. Als gemeinsame Matrix wurde ehe­

dem das Kollagen vermutet, worauf die Be­

zeichnung Kollagenose zurückgeht. Dies ist je­

doch unzutreffend, da das Kollagen selbst kei­

neswegs die Ursache für die Immunreaktion darstellt, sondern nur im Feuer dieses Entzün­

dungsprozesses mit verbrennt. Daher ist es auch sinnvoller, entweder von systemischen Immunkrankheiten zu sprechen oder von

Im-VVas fällt alles unter den Begriff »rheumati­

scher Formenkreis?«

Eine jedermann zufriedenstellende Systematik der rheumatischen Erkrankungen gibt es nicht.

Weder histologisch noch immunologisch lassen sich klare Fronten schaffen. Daher scheint zu­

mindest gegenwärtig noch die Orientierung an Organbefall und Symptomen die bestgeeignete Form. Hier lassen sich drei große Gruppen un­

terscheiden:

• Erkrankungen mit vorzugsweise arthriti- schem Charakter,

• Krankheiten mit dominierendem systemi­

schem Einschlag und

• vaskulitische Syndrome.

Z. Allg. Med. 1992;68: 368-370. © Hippokrates Verlag GmbH, Stuttgart 1992

Immunologie Serie (21),

munopathien des Bindegewebes und Gefäßap- parates. Häufig ist auch ganz allgemein vom rheumatischen Formenkreis die Rede.

Es sei hier gleich vermerkt und eingestan­

den, daß ja letztlich all diese Erkrankungen in irgendeiner Form vaskulitisch sind und auch die serösen Häute mit befallen. Systemische und von vornherein arthritische Erkrankungen haben jedoch eine Manifestation an kleinsten Gefäßen, wogegen bei der Vaskulitis vorzugs­

weise große Gefäße außerhalb von den End­

strecken in den Organen betroffen sind. Diese rein klinisch orientierte Einteilung läßt die Na­

tur des auslösenden Antigens völlig unberück­

sichtigt, weil eben unabhängig davon die Be­

schwerden und Erscheinungen stets identisch sind. Wer dies akzeptiert, wird keine Mühe haben mit der Einteilung in der Tabelle /.

Dabei ist es wichtig zu wissen, daß sich nicht selten aus der einen Krankheitsgruppe plötz­

lich eine andere entwickelt, wenn etwa der systemische Lupus erythematodes zunächst nur polyarthritisch beginnt und später andere Organe mit einbezogen werden. Darüber hin­

aus gibt es noch andere Verknüpfungen, bei denen teilweise die Krankheitsbezeichnung auf die Zusammenhänge hinweist, wie etwa Ente- roarthritis die Kombination von Polyarthritis und entzündlicher Darmkrankheit, gegebenen­

falls auch eine Beteiligung des Achsenskeletts und der Regenbogenhaut umschreibt. Da all diese Dinge nicht trennscharf sind, kommt es immer wieder vor, daß gerade zu Beginn der Beschwerden eine »falsche Diagnose« gestellt wird, die der späteren Korrektur bedarf

Immunreaktion, genetische Disposition, Umwelteinflüsse

Bislang wurden diese entzündlichen rheumati­

schen Erkrankungen als Immunkrankheit hin­

gestellt, doch der Beweis noch nicht erbracht.

Tatsächlich war es lang umstritten, ob all diese Erkrankungen wirklich durch die Immunreak­

tion ausgelöst werden. Die besten Argumente sind die bei solchen Erkrankungen auftreten­

den Immunphänomene in Form zirkulierender Antikörper, die Infiltration der erkrankten Or­

gane mit Elementen des Immunsystems und der Erfolg von Therapiemaßnahmen, die das Immunsystem in seiner Aktivität reduzieren.

Was noch bleibt ist die Frage, inwieweit Erb­

gut und Umwelt, also Disposition und

Exposi-Von vornherein polyarthritische Erkrankungen

Von vornherein systemische Erkrankungen

Vaskulitische Syndrome

• Infektindu- • Lupus erythe- • Panarteriitis zierte Formen matodes dissemi- • Vaskulitis

• Chronische natus • Wegenersche Polyarthritis • Gemischte Kol- Granulomatose

• Morhus lagenkrankheit Takayasu-Bechterew • Progressiv sy­

stemische Skle­

rose

• Serumkrank­

heit

Erkrankung

Tabelle I: Klinisch orientierte Einteilung von Erkran­

kungen des rheumatischen Formenkreises

tion, eine Rolle spielen. Viel hängengeblieben ist nicht. Fündig ist man lediglich geworden bei den infektinduzierten Erkrankungen. Wer das Merkmal HLA B27 trägt, ist bis zu fünfzigmal häufiger betroffen als Individuen ohne dieses Merkmal. Es gibt eine Geschichte hierzu, wo­

nach eine große Gesellschaft auf den Genuß von verdorbenem Kartoffelsalat hin einen Darminfekt bekam und nur diejenigen, welche HLA B 27-Merkmalsträger waren, zugleich eine Gelenkerkrankung aufwiesen. Besonders eng ist diese Korrelation bei der Bechterewschen Erkrankung - woraus mit einiger Kühnheit ge­

schlossen werden könnte, daß auch sie ein infektinduzierter Prozeß ist. Trotz dieser ho­

hen Assoziation wird keineswegs jeder Merk­

malsträger krank, sondern nur etwa jeder vier­

zigste, wogegen unter den HLA B27-freien In­

dividuen nur jeder zehntausendste diese Er­

krankung entwickelt.

Aus dieser Tatsache haben sich schon man­

che unangenehmen Überlegungen und Ent­

scheidungsansätze herauskristallisiert. So wollten Versicherungen bei HLA B27-Merk- malsträgern rheumatische Erkrankungen total ausschließen. Bei der Anstellung als Beamter hätte der Staat auch gerne die HLA B 27-Träger vom nassen und kalten Forstdienst ausge­

schlossen und dem trockenen und warmen Bi­

bliotheksdienst zugeführt. Ist die Immungene­

tik bei Bechterew und infektinduzierten Er­

krankungen wertvoll, so hat sie bei den übrigen Immunkrankheiten aus dem rheumatischen Formenkreis mehr oder weniger im Stich ge­

lassen, jedenfalls nichts für Prognose und Dia­

gnose Essentielles erbracht. Gibt es überhaupt noch interessierende Fragen und Probleme in der Rheumatologie?

Oft entwickelt sich aus der einen Krank­

heitsgruppe plötzlich eine andere

Wer das Merk­

mal HLA B 27 trägt, hirgt ein erhöhtes Risiko für Rheuma in sich

zifA:pi Serie (21) Immunologie

Im Kindesalter verläuft die rheumatische Erkrankung wesentlich ra­

santer

In der Schwan­

gerschaft ist ein Hückgang rheumatischer Beschwerden typisch

Verschiedene Krankheiten - verschiedene Symptome

Da wären einmal die verschiedenen auch von den Symptomen her zu trennenden Erkran­

kungen zu nennen. Bemerkenswert ist der Un­

terschied zwischen der chronischen Polyar­

thritis, die an den kleinen Gelenken beginnend symmetrischen Charakter aufweist, wogegen die infektinduzierten Prozesse die großen Ge­

lenke wie Schulter, Knie und Ellenbogen be­

treffen und springender Natur sind. Offenbar kommt es hier zur schubweisen Aussaat von antigenem Material in einzelne Gelenke, wobei immer wieder neue einen deutlichen Entzün­

dungsprozeß durchmachen. Die bei der chro­

nischen Polyarthritis auffallende Symmetrie geht verloren, wenn eine E.xtremität gelähmt ist. Auffallend ist nämlich die Tatsache, daß nach Schlaganfall, Verletzung oder Kinderläh­

mung an der gelähmten Extremität die rheu­

matische Erkrankung der Gegenseite nicht auf- tritt. Dies hat zur Spekulation Anlaß gegeben, daß die Symmetrie über eine neurale Kompo­

nente und das Segment im Rückenmark auf­

rechterhalten wird.

Die Lebensumstände beeinflussen das Ausmaß der Erkrankung

Eine weitere auffallende Besonderheit ist die Nosomorphose, nämlich die Änderung des Charakters der Erkrankung in Abhängigkeit von den Lebensumständen. So verläuft die rheumatische Erkrankung im Kindesalter un­

gleich stürmischer. Bekannt ist die Stillsche Variante mit hohem Fieber, Schwellung von Milz, Leber und Lymphknoten, Beteiligung von Augen und Haut sowie Unterhaut als Erythema nodosum und erheblichen Leukozytenzahlen, so daß auch an einen Infekt oder in seltenen

Fällen an eine Leukämie gedacht werden muß.

Da diese Kinder eine gute Chance haben wie­

der gesund zu werden, wenngleich bleibende Gelenkschäden zu verzeichnen sind, liegt der Verdacht nahe, daß auch hier ein Infekt mög­

licherweise viraler Genese die Erkrankung un­

terhält, so daß die Beseitigung der Erreger auch zu einer Gesundung führt.

Im hohen Alter sind dann die entzündlichen Gelenkprozesse deutlich milder, akuter Beginn ist bei 70jährigen und älteren eine große Rari­

tät. Phasen, in denen hauptsächlich die Er­

krankung auftritt oder ihren Charakter ändert, sind Pubertät, Schwangerschaft und Klimakte­

rium. Hier kommt es zu einer erheblichen Ver­

schiebung des hormonellen Status; da die Hor­

mone einen Einfluß auf die Immunreaktion ausüben, verwundert eine Änderung des Krankheitsverlaufes keineswegs. Typisch ist ein Rückgang der Beschwerden während der Schwangerschaft, was zu einem großen Teil auf den erhöhten Kortisolspiegel während die­

ser Zeit zurückzuführen ist.

Rheuma - auch eine überschießende Immun­

reaktion

Unter Würdigung all dieser Gesichtspunkte er­

weist sich der rheumatische Formenkreis als eine sehr große geschlossene Krankheitsgruppe.

Sie ist, zufolge der überschießenden Immunre- aklion als Ursache des Ganzen, sinngemäß den Hypersensitivitäts-Syndromen zuzurechnen.

Wenn man bedenkt, daß all diesen Erkrankun­

gen eine erhebliche Schmerzhaftigkeit und Funktionseinbuße zu eigen ist, dann ist wohl jedem klar, daß sie auch als schmerzhafte Volkskrankheit bezeichnet werden können.

Prof. Dr. med. H. W. Baenkler Medizinische Klinik und Poliklinik der Friedrich-Alexander-Universität Krankenhausstraße 12

8520 Erlangen

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Im Dokument der Akupunktur (Seite 48-51)