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4. FORSCHUNGSSTAND

4.2. Stand der medizinethischen und sozialwissenschaftlichen Diskussion

4.2.4. Medizinethische Aspekte des Einsatzes eines zukünftigen Rektumchips

4.2.4.1. Respekt vor der Autonomie des Patienten und der Rektumchip

In den Kapitelabschnitten 4.2.1 bis einschließlich 4.2.3.2 wurde ausgiebig auf die derzeitige Forschung zum Arzt-Patienten-Verhältnis, auf die Geltung der Autonomie des Patienten und die Akzeptanz von Ärzten und Patienten gegenüber genetischen Tests eingegangen. Es konnte gezeigt werden, dass die sozialwissenschaftliche Forschung im Augenblick zu dem Ergebnis kommt, dass sich das Arzt-Patienten-Verhältnis schon seit Längerem dahingehend in einem Umbruch befindet, dass Patienten ein höheres Maß an Partizipation einfordern (siehe 4.2.2). Dass der Patientenautonomie insgesamt im klinischen Alltag und im Forschungsbereich ein höherer Stellenwert beigemessen wird (Schramme 2002,

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Seifert 2005, Simon und Harter 2009), kann auch an Forschungsprogrammen nachgewiesen werden, mit deren Hilfe die Umsetzung einer besseren Beteiligung des Patienten an therapierelevanten Entscheidungen wie beispielsweise in Form einer PEF (Loh et al. 2007a, Vodermaier et al. 2011) (siehe 4.2.2.1) unterstützt werden soll. Weiter konnte auch in den Kapitelabschnitten, die sich mit dem Umgang mit Wahrscheinlichkeiten diagnostischer Tests beschäftigten, (siehe 4.2.3. – 4.2.3.2) gezeigt werden, dass es auf die Situation, in welcher ein genetischer Test durchgeführt wird, ankommt, ob der Test von den Patienten akzeptiert oder abgelehnt wird.

Im Falle der Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom, die zukünftig womöglich mit einem Rektumchip in Ansprecher und Nichtansprecher auf eine RT/CT klassifiziert werden sollen, ist ähnlich wie bei dem von Rogausch in einer empirischen Studie beschriebenen Test (4.2.3.2) davon auszugehen, dass die meisten Patienten den Test befürworten werden. Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern von einer autonomen Entscheidung zur Durchführung eines solchen Tests gesprochen werden kann, falls die Therapie, in diesem Fall die RT/CT, absolut davon abhängig gemacht werden sollte, dass der Patient der Durchführung eines Rektumchips zugestimmt hat. Dabei bezieht sich diese Frage unter anderem auf die Befürchtungen der von Rogausch befragten Ärzte, die davon ausgingen, dass Patienten dazu genötigt werden könnten, einen pharmakogenetischen Tests durchführen zu lassen, wenn die Medikamentenabgabe an diesen Test gekoppelt ist (Rogausch et al. 2006). Falls einem Patienten, der eine prätherapeutische Klassifizierung ablehnt, gleichzeitig die Therapie verwehrt werden würde, könnte in diesem Zusammenhang nicht von einer autonomen Entscheidung gesprochen werden. Mit Bezug auf die hier besprochene Therapie wird folglich von Bedeutung sein, wie die Befragten den Zusammenhang von zukünftiger Testung und davon abhängiger zukünftiger Therapieoption einschätzen.

Der Aspekt der Ablehnung der Durchführung eines Rektumchips ist auch mit Bezug auf das Recht des Patienten auf Nichtwissen bedeutsam. Diesem Recht nach kann der Patient die Informationsweitergabe bzw. das Erlangen bestimmter Information über seine Erkrankung auch ablehnen, und dem Patienten darf aufgrund dieser Entscheidung kein Nachteil entstehen (Beauchamp und Childress 2009). Folglich wäre es nicht vereinbar mit diesem Recht des Patienten, dass ihm aufgrund der Ablehnung der Durchführung eines Rektumchips die damit verbundene Therapie verwehrt werden würde. Das Recht auf Nichtwissen kann in diesem Zusammenhang augenscheinlich zu einem moralischen Konflikt zwischen dem Prinzip des Respekts vor der Autonomie des Patienten und des Prinzips der Nichtschädigung führen. Dieser könnte entstehen, wenn der Patient auf der einen Seite den Test ablehnt und sich auf der anderen Seite zukünftig ein Arzt verpflichtet fühlen könnte, den

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Test durchzuführen, um unnötige Nebenwirkungen zu vermeiden. Auch diesbezüglich ist von Bedeutung, wie die Ärzte und Forscher einen solchen moralischen Konflikt bewerten.

Das Recht des Patienten auf Nichtwissen ist rein über einen zukünftigen diagnostischen (siehe 4.2.1) Rektumchip hinaus von großer Relevanz für prädiktive genetische Daten, die innerhalb der Forschungsarbeit der KFO 179 über ihn gewonnen werden könnten. Bei der Forschung mit genetischem Material, wie es bei der KFO 179 der Fall ist, besteht die Möglichkeit, dass genetische Daten des Patienten anfallen, die einen prädiktiven Charakter (siehe 4.2.1) haben und für ihn im Hinblick auf seine zukünftige Gesundheit relevant sein könnten (Nuffield Council on Bioethics 2003). Das Anfallen solcher Daten erzeugt moralische Konflikte, die alle vier Prinzipien betreffen. Im Sinne des Prinzips des Respekts vor der Autonomie des Patienten kann argumentiert werden, dass Patienten sowohl das Recht auf die Weitergabe solcher Informationen haben, als auch das Recht nicht über prädiktive genetische Informationen, die bei der Forschung gefunden wurden, in Kenntnis gesetzt zu werden. Ärzte und Forscher könnten bei der Erkenntnis bestimmter prädiktiver Informationen dem Prinzip des Wohltuns folgend argumentieren, dass sie sich verpflichtet fühlen, den Patienten über diese aufzuklären, um dessen Gesundheit so weit wie möglich zu erhalten.

Weiter könnten Daten anfallen, die für den Um- und Abbau von anderen, womöglich sehr gängigen Arzneimitteln von Relevanz sind, und es könnte seitens der Ärzte und Forscher anhand des Prinzips der Nichtschädigung argumentiert werden, dass sie diese Information an den Patienten weitergeben möchten. Schließlich kann aufgrund des Prinzips der Gerechtigkeit argumentiert werden, dass Patienten, denen ein potentieller Schaden entsteht, wie beispielsweise ein Zeitverlust aufgrund der Teilnahme an der Forschung der KFO 179, auch Vorteile zukommen müssen (Beauchamp und Childress 2009). Das Recht auf die Mitteilung von Forschungsergebnissen könnte somit nicht nur anhand des Prinzips des Respekts vor der Autonomie des Patienten (Marx-Stölting 2007), sondern auch anhand der drei anderen Prinzipien (siehe 3.2.4 und 4.2.4.4) festgemacht werden.

Im Kapitelabschnitt 4.2.1 konnte gezeigt werden, dass in der deutschen Gesetzgebung durch das Gendiagnostikgesetz versucht wird, die Diskriminierung von Patienten durch genetische Testungen zu unterbinden. In diesem Zusammenhang kommt auch dem Datenschutz genetischer Daten eine besondere Rolle bei. Dabei soll in dieser Arbeit mit Hinblick auf die Autonomie des Patienten untersucht werden, welche Bedeutung die Mitarbeiter der KFO 179 dem Datenschutz beimessen und welche Rolle ihrer Meinung nach der Datenschutz bei der Entscheidung eines Patienten, einen zukünftigen Rektumchip durchführen zu lassen, spielen könnte. Hinsichtlich des Prinzips des Respekts vor der Autonomie des Patienten ist außerdem die Arzt-Patienten-Kommunikation bezüglich des Rektumchips von Bedeutung. Im Kapitelabschnitt 4.2.2.2 wurde auf das Informationsverständnis von Ärzten und Patienten und auf die Informationsweitergabe von Ärzten an Patienten eingegangen. Es konnte gezeigt

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werden, dass gerade im Bereich onkologischer Studien und onkologischer Behandlung die Informationsüberlastung ein Problem für den Arzt darstellt und dass Situationen auftreten, in denen sich Patienten zwar gut informiert fühlen, jedoch das Behandlungssetting, in dem sie sich befanden, nicht verstanden hatten (Joffe et al. 2001). Die komplexe diagnostische Grundlage eines zukünftigen Rektumchips (siehe 4.1) geht mit der Frage einher, ob diese zusätzliche Schwierigkeit auch ein Handicap für die Informierte Einwilligung (siehe 4.2.3) des Patienten und somit seiner autonomen Entscheidung darstellt. Dementsprechend gilt es zu analysieren, wie Ärzte und Forscher diese Situation einschätzen.