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Die Organisatoren mussten eine große Anzahl Schauspieler, Sänger, Tänzer und anderer Künstler gewinnen, damit Konzeptionen der Ablenkung, „inneren Stärkung“ und Moralsteigerung in ausreichendem Maße umgesetzt werden konnten. Doch der Mangel an Künstlern war auf beiden Seiten ein vorherrschendes Problem, denn neben der Konkurrenz der kommerziellen Theater galt es die zunehmenden Einberufungen zum Militärdienst und den dadurch bedingten Mangel an männlichen Kräften – und im Verlauf des Krieges zunehmend weiblichen – zu kompensieren. Insofern mussten die Organisatoren immer wieder neue Mittel und Wege finden, eine ausreichende Zahl qualitativ nicht ganz anspruchsloser Kräfte für die kulturelle Truppenbetreuung zu mobilisieren.

Die einfachste Art und Weise genügend Künstler zu gewinnen wäre sicherlich deren dauerhafte Zwangsverpflichtung gewesen. Die deutsche Seite versuchte diesen Weg zu gehen, auf englischer Seite zog man ihn nie ernsthaft in Erwägung. Eine weitere Möglichkeit lag in der Zahlung hoher Gagen, die ein Engagement in der Truppenbetreuung lukrativ erscheinen lassen sollten. Darüber hinaus propagierten die Verantwortlichen in England wie Deutschland ständig den Wert und die Bedeutung der Truppenbetreuung in der Kulturszene, in der Hoffnung dadurch zahlreiche Künstler für den „Dienst an der Truppe“ begeistern zu können.

1.1 „Bevin’s surrender to the glamour of the stage“ – Das Ausschöpfen der personellen Ressourcen. Zwang oder Freiwilligkeit?

Im nationalsozialistischen Deutschland waren die Voraussetzungen für eine Zwangsverpflichtung durch die Erfassung aller Künstler in der Reichskulturkammer gegeben. Aber das NS-Regime vermied in der Regel Einflüsse, die das Leben in der Heimat dramatisch einschränkten, um nicht eine Antikriegs-Stimmung hervorzurufen, wie sie während des Ersten Weltkrieges aufgekommen war.412 Für die

412 Von Wolfram Wette „Bestechungsstrategie sozialpolitischer Zugeständnisse“ genannt. Vgl. hierzu Wolfram Wette, Ideologien, Propaganda und Innenpolitik als Voraussetzungen der Kriegspolitik des Dritten Reiches, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite

98 Nationalsozialisten schien es, als ob im Ersten Weltkrieg zwei Staaten – das Deutsche Reich und Russland – durch Revolutionen der kriegswirtschaftlich belasteten Bevölkerung zusammengebrochen waren. Der von wachsendem politischen Terror begleitete propagandistische Feldzug gegen die drohende Niederlage ab 1944, die dabei stets wiederholte Versicherung, es werde kein neues 1918 geben, spiegelt auf seine Weise wider, welche Langzeitwirkung die revolutionären Erschütterungen auf das deutsche Herrschaftsgefüge ausstrahlten.413 Es stellte sich ihnen somit die Frage nach den innenpolitischen und gesellschaftlichen Faktoren, „die bei dem angestrebten Aggressionskrieg die Gefahr einer Wiederholung der Novemberrevolution auf ein Minimum reduzieren würde“.414 Die Nationalsozialisten beschränkten deshalb die wirtschaftliche Mobilmachung und hielten es für sinnvoll, „den psychologischen Kriegsstoß durch eine [...] nachgiebige Kriegswirtschaftpolitik aufzufangen“.415 Sie erkauften sich gewissermaßen innenpolitische Ruhe durch Vermeidung gesellschaftlicher und politischer Spannungen, „zu denen Zwangsmaßnahmen zur Abschöpfung von Kaufkraft und zur Verteilung von Arbeitskräften unweigerlich geführt hätten“.416 Durch eine Zwangsverpflichtung aller Künstler liefen die

Weltkrieg. Band 1: Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik, Stuttgart 1979, S. 25-176, S. 148-154.

413 Werner Müller, Das Novemberrevolutionssyndrom während des „Dritten Reiches“, in: Schriftenreihe der Marx-Engels-Stiftung 21: 75 Jahre deutsche Novemberrevolution, Bonn 1994, S. 257-261, hier S.

261.

414 Mason, Sozialpolitik, S. 17. Der vom Konsumniveau vorgegebene Lebensstandart und dessen Berurteilung durch die Bevölkerung stellen nach Hartmut Berghoff „Schlüsselgrößen für die Akzeptanz politischer Systeme dar“: „Politische Systeme gewinnen ihre Stabilität nicht nur, aber zu einem gewichtigen Teil durch die Fähigkeit, ihre Bürger mit lebensnotwendigen bzw. für unverzichtbar erachteten Waren zu versorgen oder zumindest die Versorgung nicht zu verhindern. Aufgrund der überragenden politischen und ökonomischen Bedeutung des Konsums sahen sich alle deutschen Regierungen im 20. Jahrhundert dazu veranlasst, eine aktive Konsumpolitik zu betreiben.“ Hierzu Hartmut Berhoff, Von der „Reklame“ zur Verbrauchslenkung. Werbung im nationalsozialistischen Deutschland, in: Hartmut Berghoff (Hg.), Konsumpolitik. Die Regulierung des privaten Verbrauchs im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999, S. 77-112, hier S. 100.

415 Ludolf Herbst, Der Totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft. Die Kriegswirtschaft im Spannungsfeld von Politik, Ideologie und Propaganda 1939-1945, Stuttgart 1982, S. 109.

416 Mason, Sozialpolitik, S. 300f. Vgl. hierzu auch Brian Bond, War and Society in Europe 1870-1970, Leicester 1983, S. 173. Zu den gleichen Ergebnissen kommt auch Dietrich Eichholtz. Er spricht von einer Hilfsvariante der Doktrin des „Totalen Krieges“, mit der die Lebenshaltung der deutschen Bevölkerung auf einem Niveau aufrecht erhalten wurde, „das soziale und innenpolitische Probleme entschärfen half.“

Siehe Dietrich Eichholtz, Ökonomie, Politik und Kriegführung. Wirtschaftliche Kriegsplanungen und Rüstungsorganisation bis zum Ende der „Blitzkriegs“phase, in: Dietrich Eichholtz (Hg.), Krieg und Wirtschaft. Studien zur deutschen Wirtschaftsgeschichte 1939-1945, Berlin 1999, S. 9-41, S. 22. Die These Eichholtz’ wird auch unterstrichen von Rolf-Dieter Müller, Totaler Krieg und Wirtschaftsordnung:

Ausnahmezustand oder Chance eines grundlegenden Wandels? Deutsche Experimente in zwei Weltkriegen, in: Thoß, Erster Weltkrieg, S. 43-55, hier S. 49. Und S. P. MacKenzie, The Second World War, 1939-45, in: Jeremy Black (Hg.), European Warfare 1815-2000, New York 2002, S. 126-146, hier S. 136. Soziale Besserstellungen führt Thomas Kühne auch als Grund für die Akzeptanz der Judenvernichtung an: „Anders als gegen die Euthanasie-Maßnahmen protestierte die Bevölkerung nicht gegen die Judenvernichtung. Abgesehen von der durch den traditionellen Antisemitismus bedingten Gleichgültigkeit gegenüber den Juden lag dies daran, daß die Bevölkerung durch die sozialen und

99 Nationalsozialisten Gefahr, sich den Unmut der Kulturschaffenden zuzuziehen, unter denen gerade die bekannten Filmschauspieler ein hohes Ansehen in der Bevölkerung genossen, und das kulturelle Leben in Deutschland und damit den Alltag vieler Deutscher empfindlich zu stören. Goebbels war deshalb lange Zeit gegen rigide einschränkende Maßnahmen auf dem kulturellen Sektor und handelte stets nach dem Motto: „Die gute Laune muß erhalten bleiben“.417

Doch trotz bereits bestehender Einschränkungen im zivilen Unterhaltungsangebot wollten die Verantwortlichen im Propagandaministerium und der NS-Gemeinschaft

„KdF“ eine Zwangsverpflichtung aussprechen. Die Idee hierfür entstand im Juli 1942 aus der Notwendigkeit heraus, den zunehmenden Bedarf an Akteuren für die Truppenbetreuung zu decken und insbesondere deren Gagen in ein angemessenes Maß zu lenken.418 Der große Bedarf an Künstlern zu diesem Zeitpunkt lag offen auf der Hand. Das „Dritte Reich“ befand sich auf dem Höhepunkt seiner territorialen Ausbreitung – von Hans Hinkel zynischer Weise „Ausweitung unseres künstlerischen Lebens“ genannt – und die Wehrmacht hatte im Sommer 1942 mit 8,7 Millionen Mann eine gigantische Stärke erreicht.419 Die große Anzahl von Besatzungs- und Fronttruppen konnte nur noch unzulänglich betreut werden, obwohl das OKW verstärkt den Einsatz der Truppenbetreuung forderte.420

Urheber der Idee einer Zwangsverpflichtung war das „Sonderreferat Truppenbetreuung“

im Propagandaministerium. In einem Brief Hans Hinkels an Joseph Goebbels vom 18.

Juli 1942 führte dieser aus, dass eine „bedenkliche Entwicklung“ der Truppenbetreuung nur „in der Heranziehung der Künstler zum Truppeneinsatz im Wege der

Sicherheitsverheißungen des Regimes, dann durch die deutschen Siege korrumpiert war.“ Hierzu Thomas Kühne, Der nationalsozialistische Vernichtungskrieg und die „ganz normalen“ Deutschen.

Forschungsprobleme und Forschungstendenzen der Gesellschaftsgeschichte des Zweiten Weltkrieges, in:

Archiv für Sozialgeschichte 39 (1999), S. 1-83, S. 31.

417 Zitiert in Frank Grube/Gerhard Richter, Alltag im Dritten Reich. So lebten die Deutschen 1933-1945, Hamburg 1982, S. 159.

418 Zu der Gagenentwicklung siehe Kapitel B 1.2.

419 Zitat Hinkels in einem Entwurf einer Presseverlautbarung: „Der Kriegseinsatz von Kulturschaffenden“. Anlage zu einem Brief Hans Hinkels an Joseph Goebbels vom 18. Juli 1942. BArch, Berlin, R 56 I / 28, Bl. 101. Zur Stärke der Wehrmacht siehe Bernhard R. Kroener,

„Menschenbewirtschaftung“, Bevölkerungsverteilung und personelle Rüstung in der zweiten Kriegshälfte (1942-1944), in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Band 5/2: Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs, Stuttgart 1999, S.

777-1002, S. 820.

420 Siehe hierzu Kapitel A 2.2.

100 Dienstverpflichtung“ zu vermeiden sei.421 Mit der „bedenklichen Entwicklung“ war primär die „Zahlung großzügiger Gagen“ durch die NS-Gemeinschaft „KdF“ gemeint, aber auch die immer dünner werdende Betreuungsdichte. Damit lag die Stoßrichtung seines Vorschlags klar auf der Hand. Hans Hinkel wollte durch eine Zwangsverpflichtung unter der Ägide der Reichskulturkammer die NS-Gemeinschaft

„KdF“ als Konkurrent matt setzen, die Gagen beschränken und genügend Künstler zur Hand haben, um den Bedarf weitgehend in den besetzten Ländern zu decken.422 Zur Grundlage der Zwangsverpflichtung machte Hinkel die „Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung“ vom 13.

Februar 1939. Die Verpflichtung der Künstler auf „unbestimmte Zeit“ sollte von den Arbeitsämtern ausgesprochen werden und die Verordnung zum 1. September 1942 in Kraft treten.423 Hinkel ging davon aus, dass allein eine Bekanntgabe in der Fachpresse viele Künstler dazu bewegen werde, sich für die Truppenbetreuung zu melden, „ohne daß in der Praxis von der Dienstverpflichtung [...] Gebrauch gemacht zu werden braucht“.424 Diese Ansicht sollte sich allerdings als falsch und die Verordnung als unbrauchbar erweisen.

Nach Goebbels’ Genehmigung der Vorschläge Hinkels trat die Verordnung wie geplant am 1. September 1942 in Kraft.425 Schnell kam jedoch ihr bedingter Nutzen zum Vorschein. Die Hauptgeschäftsführung der RKK konnte Künstler nur dann zwangsverpflichten, wenn sie dazu die Zustimmung der betroffenen Fachabteilungen im Propagandaministerium und in der Reichskulturkammer ausgesprochen bekam.426 In

421 Brief Hans Hinkel, Leiter des Sonderreferates Truppenbetreuung im RMVP, an Reichspropagandaminister Joseph Goebbels vom 18. Juli 1942: „Neuregelung des Künstlereinsatzes in der Truppenbetreuung“. BArch, Berlin, R 56 I / 28, Bl. 103.

422 Hans Hinkel stand der Hauptgeschäftführung der RKK seit April 1941 vor und wollte eine Höchstmonatsgage von 800 RM durchsetzen, die bereits durch eine „Anordnung der Reichskulturkammer zur Regelung des Einsatzes von Kulturschaffenden im Rahmen der Truppenbetreuung“ vom 21.3.1942 auf diese Summe festgelegt war. Siehe hierzu einen Brief Hans Hinkels an Joseph Goebbels vom 24. Juli 1942. BArch, Berlin, R 56 I / 28, Bl. 97. Zu Hinkel und der Leitung der Hauptgeschäftsführung der RKK siehe Alan E. Steinweis, Art, Ideology & Economics in Nazi Germany. The Reich Chambers of Music, Theater, and the Visual Arts, London 1993, S. 62.

423 Brief Hans Hinkel, Leiter des Sonderreferates Truppenbetreuung im RMVP, an Reichspropagandaminister Joseph Goebbels vom 18. Juli 1942: „Neuregelung des Künstlereinsatzes in der Truppenbetreuung“. BArch, Berlin, R 56 I / 28, Bl. 104.

424 Brief Hans Hinkel, Reichskulturkammer, an Reichspropagandaminister Joseph Goebbels vom 24. Juli 1942: „Neuregelung des Kriegseinsatzes von Kulturschaffenden“. BArch, Berlin, R 56 I / 28, Bl. 97.

425 Dies geht aus einer amtlichen Mitteilung der Reichsmusikkammer vom 15. September 1942 hervor:

„Um den [...] Einsatz aller Kulturschaffenden ausreichend und gerecht regeln zu können, hat der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz mit Wirkung vom 1. September 1942 eine Regelung für den Kriegseinsatz Kulturschaffender getroffen“. BArch, Berlin, R 56 I / 28.

426 Brief der Abteilung Theater an die Hauptgeschäftsführung der RKK vom 6. Oktober 1942:

„Kriegsdienstverpflichtung von Kulturschaffenden“. BArch, Berlin, R 56 I / 28, Bl. 76. Und Brief des

101 dieser Vorgabe zeichnete sich zum einen eine bürokratische Barriere ab, die eine problemfreie und vor allem schnelle Verpflichtung der Künstler unmöglich machte.

Zum anderen mussten die verantwortlichen Fachabteilungen Künstler und

„Betriebsführer“ befragen, ob und inwieweit diese für einen Einsatz in der Truppenbetreuung zum angefragten Zeitraum überhaupt freigestellt werden konnten.

Ergo: die „Betriebsführer“, Intendanten oder Theaterleiter, konnten gegen eine Verpflichtung Einwände erheben.427 Damit beinhaltete die Verordnung vom 1.

September 1942 keine Verpflichtung, sondern allenfalls eine Neuregelung im Engagement von Künstlern. Viele „Betriebsführer“ erhoben natürlich Einspruch gegen eine Verpflichtung ihrer Mitarbeiter, denn schließlich hing der eigene Spielbetrieb nicht unwesentlich von ihnen ab. Da Goebbels das Angebot kultureller Unterhaltung in Deutschland aufrechterhalten wollten und dafür „die Mehrzahl der Künstlerschaft grundsätzlich auf ihrem eigenen Betätigungsfeld eingesetzt bleiben“ musste, taten sie sich schwer, die Argumente der Spielstätten zu ignorieren.428

Warum gewährte man den „Betriebsführern“ solche Rechte? Diese Rechte waren in der

„Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung“ vom 13. Februar 1939 festgeschrieben. Da diese als Grundlage fungierte, konnte von der darin vorgesehenen Befragung des

„Betriebsführers“ und der „zu verpflichtenden Person“ und deren Einverständnis für den

„anderweitigen Einsatz“ kein Abstand genommen werden.429 Damit hatte sich Hans Hinkel selbst ins Fleisch geschnitten. Im Sinne einer schnellen und unbürokratischen Durchführung durch die Verwendung alter Verordnungen übersah er offensichtlich diesen Stolperstein, der seine „Zwangsverpflichtung“ ad absurdum führte. Es blieb daraufhin bei diesem einzigen erfolglosen Versuch einer Kriegsdienstverpflichtung von Künstlern durch die Nationalsozialisten.430

RMVP an die Reichsmusik- und Reichstheaterkammer vom 12. Oktober 1942:

„Kriegsdienstverpflichtung Kulturschaffender“. BArch, Berlin, R 56 I / 28, Bl. 75.

427 Brief der Reichskulturkammer an den Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel vom 21. Dezember 1942: „Kriegseinsatz Kulturschaffender“. BArch, Berlin, R 56 I / 28, Bl. 66.

428 Bekanntmachung „‘Künstler-Einsatzstelle‘ der Reichskulturkammer geschaffen“. Undatiert, vermutlich aber August 1943. BArch, Berlin, R 56 I / 110, Bl. 179.

429 Brief des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel an die Präsidenten der Landesarbeitsämter vom 14. Januar 1943: „Kriegseinsatz Kulturschaffender“. BArch, Berlin, R 56 I / 28, Bl. 63.

430 Verschiedentlich wird in der Literatur behauptet, dass die deutschen Künstler seit 1942 zu einem sechswöchigen Einsatz in der Truppenbetreuung verpflichtet waren. Nach allen vorliegenden Befunden muss dies aber als falsch angesehen werden. Siehe zu dieser falschen These beispielsweise John London (Hg.), Theatre under the Nazis, Manchester 2000, S. 32.

102 Ein solcher Versuch fand auf englischer Seite nicht statt. Eine dauerhafte Zwangsverpflichtung der Künstler war in Großbritannien zudem schwerer durchzusetzen. Gesetze bedurften der Zustimmung des Parlaments, konnten also nicht willkürlich implementiert werden. Andererseits verstand es die britische Regierung, die personellen wie materiellen Ressourcen besser zu mobilisieren als die Nationalsozialisten.431 Dies machte sich an vielen Punkten fest. Ernest Bevin, der Arbeitsminister (Ministry of Labour and National Service), besaß durch den Emergency Powers (Defence) Act vom Mai 1940 das Recht, Arbeiter zwischen rüstungswichtigen Betrieben zu deligieren und machte davon während des Kriegs bei immerhin 250.000 Männern und 90.000 Frauen Gebrauch.432 Dies betraf aber weniger Kulturschaffende als vielmehr Fachkräfte im Handwerk und Industrie. Abgesegnet war diese rigide Handhabung mit den Gewerkschaften, um Missstimmungen und Streiks wie im Ersten Weltkrieg zu vermeiden.433 Bevin ließ viele Arbeitsschritte und Arbeitstechniken vereinfachen („dilution“), um ungelernte Arbeitskräfte schnell einarbeiten zu können, was später vor allem dem verstärkten Einsatz von Frauen in der Rüstungsindustrie zugute kam. Im Juni 1944 waren 55 Prozent der britischen Bevölkerung entweder im Militärdienst oder in rüstungswichtigen Betrieben beschäftigt und damit ein weit höherer Prozentsatz als in Deutschland.434 Erst ein Führererlass vom 13. Januar 1943

„über den umfassenden Einsatz von Männern und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung“ schuf auf deutscher Seite die Grundlage für eine Mobilisierung aller personellen Ressourcen; zu diesem Zeitpunkt waren allein noch 5,2 Millionen Männer in Deutschland uk-gestellt.435 Die frühzeitige totale Mobilisierung der Kräfte in

431 In Großbritannien koordinierte ein sogenanntes „Defence Committee“ den Bedarf zwischen dem Militär und der Industrie. Frauen wurden in Großbritannien weit mehr für die Rüstungsindustrie mobilisiert, als es auf deutscher Seite geschah. Vgl. hierzu David Morgan/Mary Evans, The battle for Britain. Citizenship and ideology in the Second World War, London 1993, S. 38-61.

432 Zum Emergency Powers Act siehe Donnelly, Britain, S. 45f.

433 Streiks waren während des Zweiten Weltkrieges offiziell in England durch eine Anordnung („Order 1305“) verboten, um Produktionsausfälle zu vermeiden. Dennoch kam es gerade im Krisensommer 1940 und gegen Ende des Krieges zu vermehrten Streikaktionen, die die britische Regierung aber nicht bestrafte. Siehe hierzu Peter Hain, Political Strikes. The State and Trade Unionism in Britain, Harmondsworth 1986, S. 32f. Und Harold L. Smith (Hg.), Britain in the Second World War. A social history, Manchester 1996, S. 10. Sowie Bond, War, S. 176.

434 Messenger, Second World War, S. 216f. Sowie Donnelly, Britain, S. 54-63. Aber auch Birthe Kundrus, Kriegerfrauen. Familienpolitik und Geschlechterverhältnisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1995, S. 348f. Und Timothy W. Mason, Women in Germany, 1925-1940. Family, Welfare and Work, in: Jane Caplan (Hg.), Nazism, Facism and the Working Class. Essays by Tim Mason, Cambridge 1995, S. 131-211, hier S. 201.

435 Herbst, Totale Krieg, S. 207f. Auch die männlichen Künstler waren mit Beginn des Krieges generell zum Wehrdienst verpflichtet. Um jedoch die Aufrechterhaltung des Spielbetriebs zu gewährleisten, wurden die dazu benötigten Künstler zum Zweck der UK-Stellung auf eine „Reichsliste“ gesetzt. Eine generelle UK-Stellung hatte Goebbels abgelehnt, um gegenüber den Künstlern ein zusätzliches Druckmittel in der Hand zu behalten. August, Stellung, S. 189. Auch bei Boguslaw Drewniak, Der

103 England erkannte auch das Auswärtige Amt in Berlin. Dort gewann man im Sommer 1943 die Erkenntnis, dass der totale Einsatz aller Kräfte in England „schon seit 2½ Jahren“ stattfand, in Deutschland dagegen „erst seit kurzer Zeit“.436 Im Gegensatz zum Deutschen Reich stellte sich Großbritannien gleich zu Beginn des Krieges auf einen langen Abnutzungskrieg ein. „Whereas Germany tailored its military effort to alleged capabilities of its industry, Britain allowed the war to create its own demands, regardless of whether the economy could take the strain.“437 Bereits vor der Niederlage in Frankreich im Juni 1940 hatte Churchills Kabinett alle entscheidenden Befugnisse und Lenkungsinstrumente der Kriegswirtschaftspolitik in die Hände einer kleinen Ministerialgruppe gelegt: des Lord President’s Committee.438 Schon 1941 hatte diese Institution, geleitet von Sir John Anderson, die Grundlagen für die am meisten koordinierte Kriegswirtschaft unter den Kriegsteilnehmern gelegt. „It was a notable achievement to create a ‚siege economy’ in a democracy largely through popular consent.“439 Diese „Zentralisierung“ der britischen Kriegswirtschaft äußerte sich in der Mobilisierung weiter Teile der männlichen wie weiblichen Bevölkerung für Wirtschaft und Armee, ihrer gezielten Schulung für die betreffenden Aufgaben und letztendlich dem Produktionsausstoß an Kriegsgerät der Industrie.440

Diese Mobilisierung der personellen Ressourcen für Militär und Rüstung mit dem Amtsantritt Churchills und Bevins im Juni 1940 musste sich zwangsläufig auch auf die Situation in der „Unterhaltungsindustrie“ auswirken.441 Doch auch bis zum Sommer 1940 waren die Bedingungen für ENSA günstiger als auf deutscher Seite. Als die Organisation Basil Deans am 3. September ihre Arbeit aufnahm, schloss die Regierung zur gleichen Zeit alle kommerziellen Theater und Kinos.442 Die Schließung aller

deutsche Film 1938-1945. Ein Gesamtüberblick, Düsseldorf 1987, S. 178. Vgl. hierzu auch Drewniak, Theater, S. 350.

436 Ausführungen von Professor Haferkorn des Auswärtigen Amtes auf einer Tagung der Armeebetreuungsoffiziere in Berlin vom 6. bis 10. Juli 1943. BA-MA, RW 6 / 407.

437 Hew Strachan, European Armies and the Conduct of War, London 1983, S. 175.

438 Bond, War, S. 175.

439 Ebenda.

440 Alan Bullock, Ernest Bevin. A Biography, London 2002, S. 252. Messenger, Second World War, S.

72-74. Und George Q. Flynn, Conscription and Democracy. The Draft in France, Great Britain, and the United States, London 2002, S. 85-91.

441 Unter Chamberlain als Premierminister hofften weite Teile der politischen Landschaft den Krieg gegen Deutschland mit einer Blockade aussitzen zu können. Hierzu war eine totale Mobilisierung der Wirtschaft nicht nötig. Erst mit dem Amtsantritt Winston Churchills am 10. Mai 1940 und der Niederlage Frankreichs im Juni 1940 wurden die Weichen auf eine totale Mobilisierung der Kriegswirtschaft gestellt.

Siehe hierzu Ponting, 1940, S. 44.

442 Einzig und allein ein Kino in Aberystwyth an der Westküste von Wales blieb an diesem Tag geöffnet.

Siehe hierzu Taylor, Showbiz, S. 17.

104 Spielstätten geschah aus der Befürchtung heraus, dass es gleich zu Beginn des Krieges zu heftigen Bombenangriffen auf englische Städte kommen würde. Die britische Regierung überschätzte zu diesem Zeitpunkt bei weitem die Schlagkraft der deutschen Luftwaffe und ging für die ersten sechs Monate des Krieges von 600.000 Toten unter der Zivilbevölkerung aus.443 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass gleich zu Beginn des Krieges 650.000 Kinder und Mütter aus London evakuiert und alle öffentlichen Einrichtungen geschlossen wurden. Theater und Kinos gehörten verstärkt dazu.444 Die britischen Künstler sahen sich daraufhin von einer Arbeitslosigkeit bedroht, die sie nicht erwartet hatten.445 Arthur Askey, Komödiant und Schauspieler, erinnerte sich: „The radio informed us that all theatres, cinemas, and studios were to close [...]

After fifteen years‘ struggle to get my name in lights, came the black-out! To say I was depressed is to put it mildly“. Viele seiner Kollegen empfanden die Situation ähnlich.446

ENSA bot den Künstlern in dieser Zeit die Möglichkeit, sich beruflich und finanziell über Wasser zu halten. Viele haben von diesem Angebot in den ersten Wochen des Krieges Gebrauch gemacht und standen ENSA für Auftritte zur Verfügung oder traten direkt mit Truppeneinheiten in Kontakt.447 Doch die Situation änderte sich mit den Wiedereröffnungen der kommerziellen Spielstätten und den zunehmenden Einberufungen zur Army, Navy und Air Force. Bereits der National Service Act vom 2.

ENSA bot den Künstlern in dieser Zeit die Möglichkeit, sich beruflich und finanziell über Wasser zu halten. Viele haben von diesem Angebot in den ersten Wochen des Krieges Gebrauch gemacht und standen ENSA für Auftritte zur Verfügung oder traten direkt mit Truppeneinheiten in Kontakt.447 Doch die Situation änderte sich mit den Wiedereröffnungen der kommerziellen Spielstätten und den zunehmenden Einberufungen zur Army, Navy und Air Force. Bereits der National Service Act vom 2.