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O RGANISATIONSSTRUKTUREN UND K ONZEPTION DER KULTURELLEN

1. Organisatoren und Institutionen

Hinter der kulturellen Truppenbetreuung im Zweiten Weltkrieg für fast 30 Millionen britischer und deutscher Soldaten stand ein enormer organisatorischer Aufwand.39 Für dessen Bewältigung waren auf deutscher Seite das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP), die ihm faktisch unterstellte Reichskulturkammer (RKK), die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF) und die Abteilungen Wehrmachtpropaganda (OKW/WPr) und Inland (OKW/J) im Oberkommando der Wehrmacht verantwortlich. In diesen Machtbereich versuchten immer wieder weitere Institutionen und „NS-Größen“ wie Alfred Rosenberg als

„Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung“ einzudringen, spielten aber letztendlich für die Truppenbetreuung nur eine marginale Rolle.

Im „Dritten Reich“ nahmen Auseinandersetzungen zwischen den Führungskräften und Institutionen des Regimes bekanntlich einen erheblichen Raum ein.40 Insbesondere die NS-Kulturpolitik lässt sich dabei „als ein Feld charakterisieren, auf dem unterschiedliche ideologische Strömungen aufeinander trafen und mehrere NSDAP-Größen mit- und gegeneinander agierten“.41 Die nationalsozialistische Ideologie war kein geschlossenes weltanschauliches System, sondern eine Summierung heterogener Denkvorstellungen, „die sowohl konservative als auch revolutionäre,

39 Auf britischer Seite standen etwa acht Millionen Mann während des Zweiten Weltkrieges unter Waffen (Großbritannien, Australien, Kanada, Neuseeland, Indien und Südafrika). Auf deutscher Seite wurde etwa 19,5 Millionen Mann während des Krieges für die Wehrmacht mobilisiert. Siehe hierzu Alex Danchev, The Army and the Home Front 1939-1945, in: David Chandler/Ian Beckett (Hg.), The Oxford History of the British Army, Oxford 1996, S. 298-315, hier S. 302. Und John Ellis, The World War II Databook.

The Essential Facts and Figures for all the Combatants, London 1993, S. 227.

40 Grundlegend für die so genannten „polykratischen Strukturen“ des „Dritten Reiches“ ist immer noch die Arbeit von Martin Broszat, Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, München 14. Aufl. 1995.

41 Peter Reichel, Der schöne Schein des Dritten Reiches. Faszination und Gewalt des Faschismus, Frankfurt/M. 1993, S. 84. Für einen schnellen Überblick über die weit verzweigten Machtkämpfe und konkreten Konflikte auf dem Gebiet der Kultur siehe Ernest K. Bramsted, Goebbels und die nationalsozialistische Propaganda 1925-1945, Frankfurt/M. 1971, S. 104. Sowie Lilian Karina/Marion Kant, Tanz unterm Hakenkreuz. Eine Dokumentation, Berlin 1999², S. 116. Einen zusammenfassenden Überblick unter Berücksichtigung neuester Forschungen gewährt Jan-Pieter Barbian, Die Beherrschung der Musen. Kulturpolitik im „Dritten Reich“, in: Hans Sarkowicz (Hg.), Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienst des Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 2004, S. 40-74.

patriarchalische und völkische Elemente enthielten“.42 Die Truppenbetreuung als ein Teil dieser divergierenden Kulturpolitik und Weltanschauung lief somit von Anfang an Gefahr, Reibungsverluste durch polykratische Konflikte zu erleiden. Die Zuständigkeit mehrerer mächtiger NS-Institutionen für die Truppenbetreuung bot hierfür zusätzlich Gewähr.

Auf englischer Seite war die Entertainments National Service Association (ENSA) als Teil der Navy, Army and Air Force Institutes (NAAFI) für die Organisation der Truppenbetreuung verantwortlich, die im Gegensatz zu ihren deutschen Pendants eigens nur zu diesem Zweck gegründet worden ist. Obwohl auf den ersten Blick alleinverantwortlich, musste auch ENSA seinen Aufgabenbereich immer wieder gegen konkurrierende Institutionen verteidigen.

1.1 „Hierbei fehlt jede Kontrolle“ - Propagandaministerium, „KdF“ und Wehrmacht im polykratischen Ämterkampf

Die Organisationsstruktur der nationalsozialistischen Truppenbetreuung kann allenfalls in Momentaufnahmen aufgezeigt werden, die nur für kurze Zeiträume Geltung besitzt.

Das Gefüge auf deutscher Seite war ständig im Fluss; eine Neugliederung der einen Institution folgte eine Neugliederung einer anderen. Ämter und Abteilungen wurden geteilt, um daraufhin wieder in verschiedener Weise miteinander verkoppelt zu werden.

Für das Verständnis der Organisation ist es jedoch wichtiger, den Charakter und die Ideologie der Institutionen und deren Zusammenspiel herauszuarbeiten.

In der deutschen Truppenbetreuung des Zweiten Weltkrieges spielte das am 13. März 1933 errichtete Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda eine entscheidende Rolle.43 Die Nationalsozialisten gründeten das RMVP, um „alle Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation, der Werbung für Staat, Kultur und Wirtschaft, der Unterrichtung der in- und ausländischen Öffentlichkeit über sie und der Verwaltung aller diesen Zwecken dienenden Einrichtungen“ zu übernehmen.44 Für die Kontrolle und Steuerung der einzelnen Medien war das RMVP mit entsprechenden

42 Marianne Faust/Willi Reinkensmeier, Totale Kommunikationskontrolle in der Vorkriegsphase des Dritten Reiches (1933-1939), in: Heinz-Dietrich Fischer (Hg.), Deutsche Kommunikationskontrolle des 15. bis 20. Jahrhunderts, München 1982, S. 229-255, hier S. 229.

43 Michael Balfour, Propaganda in War 1939-1945. Organisations, Policies and Publics in Britain and Germany, London 1979, S. 12.

44 Zitiert aus Boelcke, Kriegspropaganda, S. 123.

Abteilungen ausgestattet.45 Diese überwachten die Veröffentlichungen, Aufführungen und Produktionen im Kulturbereich auf ihre Konformität mit der „Anschauung des Nationalsozialismus“.46 War diese nicht gegeben, konnte das RMVP Aufführungen und Veröffentlichungen verbieten sowie Spielstätten schließen.

An der Spitze des RMVP stand Joseph Goebbels, der „Motor“ der NS-Propagandapolitik.47 Er betrieb „die Entwicklung und Anwendung einseitiger, skrupelloser Propaganda mit einem Ideenreichtum, einem Fingerspitzengefühl und einer Phantasie [...] die an Genialität“ grenzte.48 Das Propagandaministerium war nach seinen Vorstellungen gegliedert, er gab die wichtigsten Direktiven aus und überwachte ihre Durchführung. In seinen Händen liefen somit alle Fäden zusammen.49 Letztendlich stand die Propaganda unter der Kontrolle dieses einzigen Mannes, „eines begabten Redners und Journalisten, eines wendigen Geistes, der imstande war, immer neue Schlagworte, Bilder und Lügen zu erfinden“.50 Das Ministerium, das nach dem Willen Goebbels‘ „ein von bürokratischen Hemmnissen freies, bewegliches und schlagkräftiges Instrument“ sein sollte, entwickelte sich zu einem gewaltigen Apparat. Der ursprünglich avisierte Personalbestand von 1.000 Mitarbeitern verdoppelte sich bereits bis 1941.51 Um seiner Arbeit den größtmöglichen Erfolg zu garantieren, wollte Goebbels ständig über die Stimmung in der Bevölkerung im Bilde sein. Zu diesem Zweck griff er verstärkt auf die Stimmungsberichte des Sicherheitsdienstes (SD) zurück.52 Er musste

„engen Kontakt mit dem Volk haben und wissen, wo der Schuh drückte“.53 In diesem Sinne legte Goebbels auch Wert darauf, die Resonanz der Soldaten auf die Truppenbetreuung in Erfahrung zu bringen: „Es gab nichts, was Joseph Goebbels nicht

45 Goebbels‘ Ministerium war in zehn Abteilungen gegliedert: 1. Abteilung „Recht und Verwaltung“ mit Unterabteilung Haushalt, Personal und Recht; 2. Abteilung Propaganda; 3. Abteilung Rundfunk; 4.

Abteilung Presse, a) Inland, b) Ausland; 5. Abteilung Film; 6. Abteilung Schrifttum; 7. Abteilung Ausland; 8. Abteilung Theater; 9. Abteilung Musik; 10. Abteilung Bildende Kunst. Siehe hierzu Heinrich Fraenkel/Roger Manvell, Goebbels. Der Verführer, München 1992², S. 208.

46 Bramstedt, Goebbels, S. 117f.

47 Robert Edwin Herzstein, The war that Hitler won. The most infamous propaganda campaign in history, London 1979, S. 115.

48 Alan Wykes, Joseph Goebbels. Der Reichspropagandaminister, Rastatt 1986, S. 8.

49 Fraenkel, Goebbels, S. 269.

50 Bramsted, Goebbels, S. 101.

51 Genaue Zahlen von der Anzahl der Mitarbeiter im Propagandaministerium sind allerdings nicht erhältlich. Die Belegschaft wechselte ständig in Folge der dauernden Umstrukturierungen in den Abteilungen. Siehe hierzu Peter Longerich, Propagandisten im Krieg. Die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop, München 1987, S. 109.

52 David Irving, Goebbels. Mastermind of the Third Reich, London 1996, S. 373.

53 Bramsted, Goebbels, S. 106f.

interessierte und worauf er keinen Einfluss zu nehmen suchte. Sein Ziel war das absolute Monopol der Meinungsführung.“54

Die organisatorische Koordinierung der Truppenbetreuung im RMVP fiel jedoch in die Zuständigkeit Hans Hinkels. Er leitete seit 1935 die Abteilung „Kulturpersonalien“, der es oblag, „alle Kulturschaffenden personell zu erfassen und sie wie ihre Betätigungen einer laufenden politischen Beurteilung zu unterziehen“.55 Durch diese Aufgabe hatte Hans Hinkel frühzeitig engen Kontakt zur Künstlerschaft, aus der er für die Truppenbetreuung Personal gewinnen konnte. Im Oktober 1939 wurde diese Abteilung in „Besondere Kulturaufgaben“ umbenannt, der Goebbels wiederum im Juli 1940 das Sonderreferat „Truppenbetreuung“ eingliederte.56 Ausgehend von diesem Sonderreferat ergingen, über Goebbels und Hinkel, alle Direktiven zur Truppenbetreuung des Propagandaministeriums.

Hans Hinkel verfügte nicht über die intellektuelle Brillanz wie Joseph Goebbels. Er stammte aus Worms, hatte reiche Eltern und trat bereits am 4. Oktober 1921 der NSDAP bei. Damit war er ein „Mann der ersten Stunde“. Bis 1933 betätigte er sich hauptsächlich bei verschiedenen „völkischen“ Zeitungen, um schließlich nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 als Staatskommissar im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung die „Entjudung“ des gesamten Kulturlebens durchzuführen. Offensichtlich widmete sich Hinkel dieser Aufgabe mit einem derartigen Eifer und Engagement, dass einer steilen Karriere in der Abteilung

„Kulturpersonalien“ des Propagandaministeriums nichts mehr im Wege stand. Zudem war Hans Hinkel seit 1943 SS-Gruppenführer und damit im Generalsrang stehend der ranghöchste SS-Offizier im RMVP.57

Um aber neben der inhaltlichen Überwachung der Kultur eine zusätzliche organisatorische Erfassung aller Kulturschaffenden zu gewährleisten, rief Joseph Goebbels am 22. September 1933 die Reichskulturkammer ins Leben. Goebbels persönlich übernahm die Leitung, wodurch er in der Doppelfunktion als

54 Marlis G. Steinert, Hitlers Krieg und die Deutschen. Stimmung und Haltung der deutschen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg, Düsseldorf 1970, S. 31.

55 Boelcke, Kriegspropaganda, S. 86.

56 Das „Sonderreferat Truppenbetreuung“ wurde bis Juni 1940 vom Hauptgeschäftsführer der Reichskulturkammer, Erich Schmidt, geleitet. Es ist allerdings nicht ganz klar, wann genau das Sonderreferat überhaupt seine Arbeit aufgenommen hat. BArch, Berlin, NS 19 / 867, Bl. 51.

57 Boelcke, Kriegspropaganda, S. 86. Ferner sorgte Hinkel dafür, dass auch der überwiegende Teil seiner Mitarbeiter der Schutzstaffel angehörten. Hierzu Vossler, Propaganda, S. 93.

Propagandaminister und Präsident der RKK das Kulturleben umfassend beherrschte.58 Die Reichskulturkammer erfasste mittels ihrer sieben Fachkammern, die den Abteilungen des RMVP grob nachempfunden waren, alle kulturellen Tätigkeitszweige mit Ausnahme von Wissenschaft und Unterricht.59 Jeder, der im kulturellen Bereich tätig war, musste Mitglied einer Fachkammer sein. „Politisch Unzuverlässige“ konnten damit auf einfache Weise vom Kulturleben ferngehalten werden, indem man ihnen die Mitgliedschaft in einer Fachkammer verweigerte.60 Wie eine Verordnung erklärte, hatte

„die Reichskulturkammer die Aufgabe, durch Zusammenwirken der Angehörigen aller von ihr umfassten Tätigkeitsbereiche unter der Führung des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda die deutsche Kultur unter Verantwortung für Volk und Reich zu fördern, die wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten der Kulturberufe zu regeln und zwischen allen Bestrebungen der ihr angehörigen Gruppen einen Ausgleich zu bewirken“.61 Durch die Erfassung aller Künstler in den Karteien der Reichskulturkammer und der inhaltlichen Überwachung durch das Propagandaministerium waren die beiden Körperschaften geradezu dafür prädestiniert und geeignet, die Truppenbetreuung zu organisieren. Doch besaßen sie keine Alleinzuständigkeit, was deren Effizienz entscheidend schwächte.

Als starker Konkurrent zum RMVP und der RKK agierte die NS-Gemeinschaft „KdF“.

Sie unterstand der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und wurde im November 1933 nach dem italienischen Vorbild „Opera Nazionale Dopolavoro“ (OND) gegründet.62 Mit dieser Freizeitorganisation wollten die Nationalsozialisten die „Leistung, Zufriedenheit und Werksverbundenheit“ des Arbeitnehmers fördern und die „Beschäftigten und ihre Familien durch ein umfassendes Angebot von kulturellen Veranstaltungen, Sportkursen

58 Uwe Julius Faustmann, Die Reichskulturkammer. Aufbau, Funktion und rechtliche Grundlagen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im nationalsozialistischen Regime, Jur. Diss. Bonn 1990, S. 46.

59 Die Fachkammern waren 1. Reichsschrifttumskammer, 2. Reichspressekammer, 3.

Reichsrundfunkkammer, 4. Reichstheaterkammer, 5. Reichsmusikkammer, 6. Reichskammer der bildenden Künste, 7. Reichsfilmkammer. Jutta Wardetzky, Theaterpolitik im faschistischen Deutschland.

Studien und Dokumente, Berlin/Ost 1983, S. 33.

60 Peter Longerich, Nationalsozialistische Propaganda, in: Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen (Hg.), Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, Düsseldorf 1992, S. 291-314, hier S. 297.

61 „Erste Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes vom 1. November 1933“, Paragraph 3. Zitiert aus Bramsted, Goebbels, S. 128.

62 Heinz Boberach, Robert Ley (1890-1945), in: Rheinische Lebensbilder, Band 14, Köln 1994, S. 273-292, hier S. 285. Organisatorisch wurde KdF mit einer Verordnung Hitlers vom 24.10.1934 de jure der Parteigliederung DAF unterstellt, und der seit November 1933 de facto bestehende Zustand damit verrechtlicht, da die Gründungsfeier bereits am 27. November 1933 stattgefunden hatte. Siehe hierzu Hermann Weiß, Ideologie der Freizeit im Dritten Reich. Die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“, in:

Archiv für Sozialgeschichte 33 (1993), S. 289-303, hier S. 294.

sowie Fahrten und Reisen jeder Art“ betreuen und darüber hinaus selbst in ihrer Freizeit einer stärkeren Kontrolle unterwerfen.63 Reichsleiter der DAF war Robert Ley. Unter seiner Leitung generierten DAF wie NS-Gemeinschaft „KdF“ zu vielgestaltigen und weit verzweigten Organisationen. Der Grund hierfür war einerseits das unablässige Streben nach Kompetenzen, „das eines der Kennzeichen des Dritten Reiches war“, andererseits ersann Robert Ley immer grandiosere Methoden, um das deutsche Volk zu erziehen und zu „betreuen“, was ständig neue Strukturen in der Organisation nach sich zog.64 Die NS-Gemeinschaft „KdF“ hatte 1939 etwa 7.500 fest angestellte Mitarbeiter;

hinzu kamen jedoch noch etwa 135.000 ehrenamtliche Helfer.65 Damit verfügte sie über eine weit größere Personaldecke als RMVP und RKK zusammen.

Die NS-Gemeinschaft „KdF“ war aber nicht nur der Personalstärke wegen ein großer Konkurrent für das RMVP. Viel schwerer wog der enorme finanzielle Spielraum, über den die Freizeitorganisation verfügte. Die DAF hatte im Mai 1933 das gesamte Vermögen der zerschlagenen Gewerkschaften beschlagnahmt, und, weit wichtiger, stand in der Folgezeit dank der Mitgliedsbeiträge auf einer mehr als gesunden finanziellen Basis.66 Die DAF war 1942 mit 25,1 Millionen Mitgliedern die zahlenmäßig größte und mit einem jährlichen Finanzaufkommen von mehr als einer halben Milliarde RM die finanzkräftigste NS-Massenorganisation. Viele dieser Gelder kamen der NS-Gemeinschaft „KdF“ zugute.67 Das Propagandaministerium konnte mit dem finanziellen Spielrahmen der DAF auf keine Weise konkurrieren, wies ganz im Gegenteil des Öfteren finanzielle Lücken im eigenen Haushalt auf, die vom

63 Matthias Frese, Betriebspolitik im „Dritten Reich“. Deutsche Arbeitsfront, Unternehmer und Staatsbürokratie in der westdeutschen Großindustrie 1933-1939, Paderborn 1991, S. 371.

64 Ronald Smelser, Robert Ley. Hitlers Mann an der „Arbeitsfront“. Eine Biographie, Paderborn 1989, S.

151.

65 Buchholz, „Kraft durch Freude“, S. 202.

66 „Zunächst erntete Ley für seine NS-Gemeinschaft KdF nur Spott und Mißtrauen […] Aber die Prophezeiungen vom ‚Staatsbegräbnis erster Klasse’ für das ‚totgeborene Kind’ erfüllten sich nicht; denn Gegner und Kritiker übersahen, dass nicht nur enorme Mittel aus Beiträgen und kassierten Gewerkschaftsvermögen vorhanden waren, sondern KdF auch ein echtes Bedürfnis der Arbeiterschaft nach besserer Freizeitgestaltung, Bildungsmöglichkeit und kultureller Anteilnahme ansprach.“ Zu diesem Aspekt schreibt ausführlich Hans-Gerd Schumann, Nationalsozialismus und Gewerkschaftsbewegung.

Die Vernichtung der deutschen Gewerkschaften und der Aufbau der „Deutschen Arbeitsfront“, Hannover 1958, S. 139.

67 „Allein ihre zahlenmäßige Stärke und finanzielle Kraft waren ein Grund, der andere NS-Organisationen und –Institutionen das Fürchten lehrte, sie gegenüber der Arbeitsfront auf Distanz halten ließ und Kompetenzansprüchen der DAF von vornherein ein erhebliches Gewicht verliehen.“ Siehe hierzu Rüdiger Hachtmann, Die Deutsche Arbeitsfront im Zweiten Weltkrieg, in: Dietrich Eichholtz (Hg.), Krieg und Wirtschaft. Studien zur deutschen Wirtschaftsgeschichte 1939-1945, Berlin 1999, S. 69-108, hier S. 72.

Reichsfinanzministerium nachträglich ausgeglichen werden mussten.68 Insofern war es für Goebbels von vornherein aussichtslos, den quantitativen Ausmaßen der NS-Gemeinschaft „KdF“ auf dem Gebiet der kulturellen Truppenbetreuung Paroli bieten zu können.

Die NS-Gemeinschaft „KdF“ wurde während ihres Bestehens mehrfach umgegliedert.

Für die Truppenbetreuung waren zunächst die Ämter „Feierabend“ und

„Wehrmachtheime“ relevant; letzteres wurde kurz vor Beginn des Krieges zum „KdF-Verbindungsamt zu Wehrmacht − Reichsarbeitsdienst“ erweitert. 1943 war KdF durch weitere kriegsbedingte Umstellungen nur noch für die kulturelle Betreuung der Soldaten und Rüstungsarbeiter zuständig.69 Die Ämter wurden zusammengelegt, und man konzentrierte sich auf die Schwerpunkte Truppenbetreuung“ und „KdF-Betreuung der Werkschaffenden“.70

Was Hans Hinkel in seiner Funktion für Joseph Goebbels gewesen ist, war Bodo Lafferentz für Robert Ley. Bodo Lafferentz fungierte seit Januar 1938 als Leiter der NS-Gemeinschaft „KdF“ und über ihn ergingen die organisatorischen Maßnahmen. Robert Ley griff nur dann ein, wenn es galt, ein gewichtiges Wort für „KdF“ in die Waagschale zu werfen. Bodo Lafferentz war erst am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten und konnte keine großen Verdienste für die Partei nachweisen. Jedoch hatte er sich bei Robert Ley in seiner Funktion als Geschäftsführer der „Gesellschaft zur Vorbereitung des deutschen Volkswagenwerkes mbH“ sehr beliebt gemacht. Bodo Lafferentz vertrat

„den Typus des nazifizierten, jungen Verwaltungsmanagers, der über beträchtliche organisatorische Fähigkeiten verfügte, die er auch für sein persönliches Fortkommen nutzbringend“ einsetzte.71

Blieb als drittes Standbein der Organisationsstruktur die Wehrmacht. Auch hier gab es organisatorische Zuständigkeiten für die Truppenbetreuung. Zwei Abteilungen waren von Bedeutung: zum einen die Abteilung Inland (J) und zum anderen die Abteilung

68 1933 betrug der Haushalt des RMVP 14,3 Millionen RM, auf dem Höhepunkt seiner Macht 1942 verschlang das RMVP 187 Millionen RM, lag damit aber weit unter der halben Milliarde der DAF. Siehe hierzu Herzstein, War, S. 125f. Ebenso Balfour, Propaganda, S. 15.

69 Weiß, Ideologie, S. 296.

70 Buchholz, „Kraft durch Freude“, S. 302.

71 Hans Mommsen/Manfred Grieger, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996, S. 140-144. Bodo Lafferentz (1897-1974). Seit dem 16. September 1938 Geschäftsführer der Volkswagenwerk GmbH neben Ferdinand Porsche. Im Februar 1939 trat Lafferentz zudem als Obersturmbannführer in die SS ein. Erich Stockhorst, 5000 Köpfe. Wer war was im 3. Reich, Kiel 1985, S. 259.

Wehrmachtpropaganda (WPr).72 Die Aufgaben der Abteilung Inland im Bereich der kulturellen Truppenbetreuung lag in der Bearbeitung aller Fragen, die den Einsatz von Theatern, Kleinkunstbühnen usw. für die gesamte Wehrmacht betrafen sowie für Berufsförderung, das Laienschaffen und die Versorgung mit Betreuungsmaterial aller Art. Dagegen hatte die Wehrmachtpropaganda-Abteilung vor allem mit ihren Propagandatruppen und den Führern der Propagandakompanien (I Prop) in Zusammenarbeit mit den so genannten „Ic“, derjenigen Stelle eines Stabes, die alle einschlägigen Angelegenheiten und Vorkommnisse in der Truppe zentral erfasste, die Frontbetreuung zu besorgen.73 Die Ics nahmen Wünsche und Forderungen der Truppeneinheiten bezüglich der Betreuung entgegen und leiteten sie an das

„Sonderreferat Truppenbetreuung“ bzw. an das „KdF-Verbindungsamt zu Wehrmacht − Reichsarbeitsdienst“ weiter.

Im engen Zusammenhang mit den Ic-Abteilungen standen die „Wehrmachtpropaganda-Kompanien“ der kurz vor Kriegsausbruch gegründeten Abteilung Wehrmachtpropaganda. Der Aufbau der Propagandakompanien für den

„journalistischen und propagandistischen Einsatz im Kampfgebiet“ war ein weltweites Novum.74 Allerdings kam es in der Gründungsphase seit 1936 zu erheblichen Differenzen zwischen RMVP und den verantwortlichen Wehrmachtsstellen, „da beide

72 „Zusätzlich kompliziert wurde der Betreuungsapparat innerhalb der Wehrmacht, der ohnehin durch im Laufe des Krieges vom OKW ins Leben gerufene ‚Außenstellen für Truppenbetreuung’ noch komplexer geworden war, als die Wehrmachtsteile ihrerseits mit der Heereswesenabteilung im OKH und den Gruppen Wehrbetreuung im OKM und OKL Organisationsstrukturen einer eigenständigen Truppenbetreuung installierten.“ Hierzu Vossler, Propaganda, S. 99.

73 Unter dem Ic-Wesen ist traditionell der Feindnachrichtendienst zu verstehen. Die Hauptaufgabe dieser Abteilung lag in erster Linie in der Feindbearbeitung durch Aufklärung, in der Abwehr von Feindpropaganda und der geistige Betreuung der Soldaten, wozu neben der Truppenbetreuung hauptsächlich die politische Indoktrination gezählt werden muss. Hierzu Heinz-Werner Eckhardt, Die Frontzeitungen des deutschen Heeres 1939-1945, Stuttgart 1975, S. 26. Der Ic, den es bei jeder höheren Kommandobehörde bis zur Divisionsebene gab (bei den Regimentern existierte lediglich ein „Ic-Bearbeiter“), war damit für die geistige Betreuung der Truppe zuständig. Während des Zweiten Weltkrieges gliederte sich ein Armeeoberkommando (AOK) in eine Führungsabteilung (Ia), eine Quartiermeisterabteilung (Ib), eine Feindnachrichtenabteilung (Ic) und eine Adjutantur. Die drei erstgenannten bildeten den Generalstabsbereich. Der Ic unterstand dem Ia, dem Leiter der Führungsabteilung. Die durch den raschen Heeresaufbau von 1935-1939 eingetretene Generalstabsoffiziersknappheit wirkte sich besonders auf das Ic-Wesen aus: Bei Kriegsbeginn konnten nur teilweise die Heeresgruppen- und Armee-Ic-Stellen mit ausgebildeten Ic besetzt werden. Ab 1942 wurden die Ic-Stellen der Divisionen und der Generalkommandos meistens mit „geeigneten“ Offizieren des Beurlaubtenstandes besetzt. Die Anwärter für den Ic-Dienst wurden während des Krieges bei den Abteilungen „Fremde Heere Ost“ bzw. „Ost“ ausgebildet, die schon zu Friedenszeiten die einzigen Träger des Ic-Wesens im Heer gewesen waren. Siehe hierzu vor allem Vossler, Propaganda, S. 98.

74 Dieter Knippschild/Jochen Udovic, Steuerungsmaßnahmen während des Zweiten Weltkrieges (1939-1945), in: Heinz-Dietrich Fischer (Hg.), Deutsche Kommunikationskontrolle des 15. bis 20. Jahrhunderts, München 1982, S. 256-279, hier S. 256.

um den dominierenden Einfluss bemüht waren“.75 Lange Zeit versuchte die Wehrmacht politische Einflüsse aus den eigenen Reihen möglichst fernzuhalten, auch wenn die Wiederaufrüstung von der Wehrmachtspitze begrüßt wurde.76 Die politische Schulung wollte man dennoch in den eigenen Händen wissen. 1938 legten die beiden Parteien den Streit mit dem „Abkommen über die Durchführung der Propaganda im Kriege“ bei, das festlegte, dass die Propaganda dem Waffenkrieg als gleichrangig anzusehen sei, die

um den dominierenden Einfluss bemüht waren“.75 Lange Zeit versuchte die Wehrmacht politische Einflüsse aus den eigenen Reihen möglichst fernzuhalten, auch wenn die Wiederaufrüstung von der Wehrmachtspitze begrüßt wurde.76 Die politische Schulung wollte man dennoch in den eigenen Händen wissen. 1938 legten die beiden Parteien den Streit mit dem „Abkommen über die Durchführung der Propaganda im Kriege“ bei, das festlegte, dass die Propaganda dem Waffenkrieg als gleichrangig anzusehen sei, die