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4. Naturschutz und Nationalsozialismus

4.1. Der Weg ins Dritte Reich

Der Weg des Bund Naturschutz ins Dritte Reich begann mit Richard Wagner. Johann Rueß leitete die Maiausgabe des 16. Jahrgangs der BfNN mit einem Artikel über Wagners Verhältnis zur Natur ein und zitierte ihn mit den Worten: „Zum ersten Male sah ich den Rhein – mit hellen Tränen im Auge schwur ich armer Künstler meinem Vaterlande ewige Treue.“580 Rueß fügte hinzu: „Diese Urkraft der aus dem Naturleben geistig aufbauenden Volksseele leuchtet uns auch aus der schöpferischen Kraft Richard Wagners selbst entgegen.“581 Ansonsten fanden sich keine Hinweise auf die schwerwiegenden Umwälzungen, die sich seit Anfang des Jahres 1933 in Deutschland ereignet hatten. Ebenfalls im Mai hatten sich die Verantwortlichen des BN in einem Brief beim neuen Kultusminister, dem Nationalsozialisten Hans Schemm, zugleich Gauleiter der

‚Bayerischen Ostmark’, vorgestellt. Auch in diesem Schreiben finden sich lediglich die bereits angeführten allgemeinen Hinweise auf die patriotisch-erzieherische Funktion des Naturschutzes verbunden mit der Bitte, die BfNN, „welche ausschliesslich solche Aufsätze enthalten, die geeignet sind, die Freude an der Natur und damit das Gefühl der Liebe und der Schonung für ihre Gebilde zu erwecken“582, als Unterrichtsmittel in den bayerischen Schulen einzuführen. Es steht kaum zu vermuten, daß hiermit das ausgedrückt wurde, was sich die Nationalsozialisten für den zukünftigen Naturkundeunterricht vorstellten. Andere Mitglieder der Naturschutzbewegung hatten dagegen sofort erkannt, daß rassenbiologische Konzepte, Eugenik und natürliche Auslese den direkten Zugang zu den neuen Machthabern boten. Als Beispiele wären hier u. a. Walter Schoenichen, Konrad Guenther oder der Leiter der württembergischen Landesstelle für Naturschutz, Hans Schwenkel, zu nennen.583

Obwohl sich der Naturschutz in Bayern durch die Gründung des BN gewissermaßen

‚privatisiert’ hatte, stand er dem Staat keineswegs distanziert gegenüber. Zudem sah er diesen nicht als einen Körper an, der von demokratischer Legitimation abhängig war, was fast

579 Die ebenso spannende Frage nach den Koninuitäten in Programmen und Personen nach 1945 muß einer späteren Bearbeitung vorbehalten bleiben.

580 JohannRUESS, Richard Wagner und sein Verhältnis zur Natur, in: BfNN 16 (1933) 1, S. 2.

581 Ebd., S. 3.

582 BayHSTA 40501 Schreiben des Bund Naturschutz in Bayern an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 4. Mai. 1933.

583 Vgl. GRÖNING/WOLSCHKE-BULMAHN, Naturschutz und Ökologie, S. 1 – 17; DOMINICK, Environmental Movement, S. 85– 101.

selbstverständlich dazu führte, daß man auch die nationalsozialistische Diktatur als Träger des Staatsgedankens ansah.584 So begrüßte man nach anfänglichem Zögern das neue Regime mit der Hoffnung, es würde dem Naturschutz neue Möglichkeiten eröffnen:

„Ein neues Reich, beseelt von neuem Wollen, neuem Willen, ist entstanden. Was die Seele, den innersten Kern jedes Staates ausmacht, was über alle Gegensätze der Auffassung sich verbinden läßt zu treuer, gemeinsamer Arbeit, ist die Staatsgesinnung als sittliche Kraft.“585

Die Euphorie über eine ‚neue Zeit’, die durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten vermeintlich angebrochen war und die aus den hier zitierten Zeilen greifbar wird, ist nicht ein singuläres Phänomen der Naturschutzbewegung. Vielmehr beschreibt sie eine Befindlichkeit, die, nachdem die NSDAP bei den Reichstagswahlen vom Januar keine absolute Mehrheit erringen hatte können, im Laufe des Jahres 1933 weite Teile der deutschen Bevölkerung erfaßte.

Daher müssen Erklärungsversuche zuerst auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ansetzen und hier fragen, warum die Mehrheit der Deutschen und mit ihr viele Naturschützer der „totalitären Versuchung“586 erlagen.587 Die Deutung der NS-Zeit in der Geschichtswissenschaft unterlag und unterliegt immer auch der politischen und moralischen Bewertung der von höchst unterschiedlichen Standpunkten aus operierenden Betrachter; sie ist, wie Karl-Dietrich Bracher es ausdrückte, „eine Vergangenheit, die keineswegs einfach vergeht, sondern höchst gegenwärtig ist, weil ihre weiteren Konsequenzen, ihre Erfahrungen und Lehren nicht zu verdrängen sind, indem man sie für historisch erklärt, ja ihre ‚Historisierung’ geradezu fordert.“588 In der Tat kann es auch für die historische Erforschung des Naturschutzes in der NS-Zeit nicht nur darum gehen,

„das Thema ‚Naturschutz und Nationalsozialismus’ von Werturteilen über den gegenwärtigen Naturschutz zu entlasten und es erst einmal als historisches Thema in Angriff zu nehmen“, wie Joachim Radkau jüngst in einem programmatischen Aufsatz in einem rhetorischen Kunstgriff formulierte589, nur um am Ende doch ein differenziertes und umfassendes Geschichtsbewußtsein des Naturschutzes einzufordern: „Geschichtsbewußtsein im Naturschutz könnte nicht zuletzt den

584 Anerkannte Juristen wie Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber sekundierten Hitler bei dem Versuch, das absolutistische Führerprinzip mit dem Gedanken des Rechtsstaats in Verbindung zu bringen, der in Deutschland lange Tradition hatte, und trugen so zu dessen völliger Pervertierung bei. Vgl. Michael RUCK, Führerabsolutismus und polykratisches Herrschaftsgefüge – Verfassungsstrukturen des NS-Staates, in: Karl-Dietrich BRACHER/Manfred FUNKE/Karl Adolf JAKOBSEN (Hrsg.), Deutschland 1933 – 1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, Bonn 21993, S. 33 - 36.

585 JohannRUESS, Die neue Zeit und wir, in: BfNN 16 (1933) 2, S. 97.

586 PEUKERT, Weimarer Republik, S. 236.

587 Gerade bei diachronen Studien zur Entwicklung einer Organisation oder einer Bewegung besteht die Gefahr interne Wandlungen vom gesellschaftlichen Kontext abzukoppeln; der Naturschützer, der nur die Natur schützt, nur hierfür existiert und dessen Sozialisation auch nur durch Generationen von Naturschützern geschah, die ebenfalls nur als solche existierten, ist jedoch ein historisches Konstrukt höchsten Grades. Vgl. allgemein zum Problem historischer Kontinuitätsvorstellungen, was das Jahr 1933 betrifft: NIPPERDEY, 1933 und Kontinuität, S. 86 – 111.

588 Karl-Dietrich BRACHER, Nationalsozialismus, Faschismus, Totalitarismus – Die deutsche Diktatur im Macht- und Ideologiefeld des 20. Jahrhunderts, in: Ders./Manfred FUNKE/Hans-Adolf JAKOBSEN (Hrsg.), Deutschland 1933 – 1945. Neue Studien zur Nationalsozialistischen Herrschaft, Bonn 21993, S. 567.

589 Joachim RADKAU, Naturschutz und Nationalsozialismus – Wo ist das Problem?, in: Ders./Frank UEKÖTTER

(Hrsg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt/New York 2004, S. 41.

Sinn haben, diesen mitunter fatalen Prozeß der Entfernung der Naturliebe von der Menschenliebe bewußt zu machen und die Erinnerung von der ursprünglichen Einheit dieser Emotionen wachzuhalten.“590

Insgesamt schien die Machtübernahme der Nationalsozialisten für die bayerischen Naturschützer nach kurzem Zögern eine Erlösung zu sein; daß sie sich hierin signifikant von anderen Gruppen der deutschen Bevölkerung unterschieden, wäre erst noch zu belegen.591 Daß sie den Schutz der Natur in die ‚neue Zeit’ einbringen wollten, stand für die meisten fest. So meinte Johann Rueß im Bericht zur ‚Berchtesgadener Naturschutzwoche’, die der BN 1934 mit großem Aufwand veranstaltet hatte – aus München war ein Sonderzug der KdF-Organisation gekommen, der stellvertretende oberbayerische Gauleiter Rippold hatte gesprochen, dazu ein Vertreter des Reichsbundes für Volkstum und Heimat (RVH) sowie Schwenkel und Schoenichen: „Ich hoffe, daß die Tagung zur Förderung, Sicherung und Ehre des Bundes Naturschutz gereichen wird. Wir bemühen uns in unserer Arbeit durch Erhaltung der deutschen Natur die großen Ziele der Erneuerung des Reiches zu unterstützen.“592 Vieles spricht dafür, diesen Wunsch nach Erneuerung, der so stark war, daß man dafür das Phänomen des Nationalsozialismus in Kauf nahm, einer politischen Bewegung, die in ihrer Brutalität alles bisher dagewesen in den Schatten stellte, als Folge einer vielschichtigen Krise der ‚klassischen Moderne’ (Detlev Peukert) zu interpretieren. Im Jahr 1919 diagnostizierte Max Weber als Ergebnis der vollständigen Rationalisierung der westlichen Lebensweise die ‚Entzauberung der Welt’, die gleichzeitig das Erstarken von völlig neuen und anonymen Zwängen bedeutete, eine soziale Disziplinierung, mit der die Gesellschaft kaum umzugehen verstand:

„Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf. Das aber, was gerade dem modernen Menschen so schwer wird, und der jungen Generation am schwersten, ist: einem solchen Alltag gewachsen zu sein.“593

In den folgenden 14 Jahren bis 1933 verschärfte sich die Situation kontinuierlich. Hatte der Erste Weltkrieg und die verheerende Niederlage manchen an der schnellen gesellschaftlichen Modernisierung der vergangenen Jahrzehnte zweifeln lassen, jedoch die Technisierung und Rationalisierung des Wirtschaftslebens nur noch verschärft, so erschienen der Bevölkerung die 1920er als einzige, zusammenhängende Krise; Parlamentarismus und Republik verloren ihre

590 Ebd., S. 54.

591 Ähnlicher Ansicht ist David BLACKBURN, Natur, Heimat und Landschaft in der deutschen Geschichte, in:

RADKAU/UEKÖTTER (Hrsg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, S. 67. Vergleichsmöglichkeiten böten sich wohl im Bereich der Wissenschaft und den Universitäten, zumal eine Reihe von Akademiker führende Positionen im Naturschutz inne hatten. Vgl. Otto Gerhard OEXLE, „Wirklichkeit“ – „Krise der Wirklichkeit“ – „Neue Wirklichkeit“. Deutungsmuster und Paradigmenkämpfe in der deutschen Wissenschaft vor und nach 1933, in:

Frank-Rutger HAUSMANN (Hrsg.), Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933 – 1945, München 2002, S. 1 – 20.

592 Johann RUEß, Berchtesgadener Tage, in BfNN 17 (1934) 2, S. 106.

593 Max WEBER (1919), Wissenschaft als Beruf, Stuttgart 1995, S. 34.

Glaubwürdigkeit und der anfängliche Kompromiß zwischen Arbeitern und Unternehmern erwies sich bald als hohle Formel. Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit steigerten die Stimmung zur Agonie.594

Von einem „neuen Reich“, von „neuem Wollen, neuem Willen“ hatten die Naturschützer gesprochen. Von der Hitler-Regierung versprachen sie sich die Aufhebung der Blockade, die Deutschland erfaßt zu haben schien. Dahinter steckte aber auch ein tieferer Wunsch, nämlich den Zweideutigkeiten, Komplexitäten und Differenzierungen des modernen Daseins zu entkommen.595 Politik und Gesellschaft sollten wieder überschaubar, personal ausgerichtet sein;

dies versprach das Führerprinzip. So war es keine bloße rhetorische Floskel, wenn der greise Vorsitzende des BN Eduard von Reuter verkündete: „Denn der besondere Schutz dieser Landschaft ist Herzenssache für das ganze deutsche Volk geworden, seitdem in ihr der Führer selbst Entspannung und Erholung sucht nach allem schweren, was ihm die Erfüllung seiner hohen Mission auferlegt.“596 Der Neukantianer Ernst Cassirer, der aus NS-Deutschland in die USA emigriert war, versuchte 1946 dieses Phänomen folgendermaßen zu fassen:

„Der Ruf nach Führerschaft erscheint nur, wenn ein kollektiver Wunsch eine überwältigende Stärke erreicht hat und wenn andererseits alle Hoffnungen, diesen Wunsch auf gewöhnliche und normale Weise zu erfüllen, fehlgeschlagen sind. In solchen Zeiten wird der Wunsch nicht nur lebhaft gefühlt, sondern auch personifiziert.

Er steht vor den Augen der Menschen in konkreter, plastischer und individueller Gestalt. Die Intensität des kollektiven Wunsches ist im Führer verkörpert. Die früheren sozialen Bindungen – Gesetz, Gerechtigkeit, Verfassungen – werden außer Kraft gesetzt…“597.

Was Cassirer als die „plötzliche Rückkehr der politischen Mythen im zwanzigsten Jahrhundert“598 bezeichnete, obwohl man diese längst verbannt geglaubt hatte und durch bürgerliche Rationalität auch in der gesellschaftlichen Sphäre verdrängt zu haben schien, bedeutete die unglaubliche Attraktivität der NS-Ideologie in der als fundamental und existentiell wahrgenommen Krise der Moderne. Die Wirkung dieser Ideologie war keineswegs materieller Art, sondern wirkte wie ein emotionaler, reflexartiger Befreiungsschlag auch auf viele bayerischen Naturschützer. In den BfNN hieß es 1933:

„Keine Zeit war für unsere Arbeit so günstig wie die jetzige unter dem Hakenkreuzbanner der nationalen Regierung, in welcher der Mensch nach den langen Jahren der trübsten Aussichten doch wieder Mut gefaßt hat und allmählich aus der Dumpfheit des Lebens und der Trägheit des Herzens empor gehoben werden soll.“599

Was man den neuen Machthabern Anfang des Jahres 1933 anbieten konnte, war bedingungsloser Patriotismus: „Unsere große Aufgabe im Naturschutz ist, die Liebe zur Natur abzuwandeln in die große Liebe zur Nation und zum Vaterland und Mitarbeit an dem großen

594 PEUKERT, Weimarer Republik, S. 136 – 242.

595 Vgl. ähnlich SIEFERLE, Fortschrittsfeinde, S. 211.

596 Eduard von REUTER, Der heimatlichen Natur zum Preis, in: BfNN 17 (1934) 2, S. 101. Gemeint ist Hitlers Domizil auf dem Obersalzberg nahe Berchtesgaden.

597 Ernst CASSIRER (1946), Vom Mythus des Staates, Hamburg 2002, S. 365.

598 Ebd., S. 386.

599 ANONYM, Aus unseren Bundesgruppen, S. 174, in: BfNN 16 (1933), S. 174.

Werk, ein Deutschland hoch in Ehren entstehen zu lassen.“600 Inwieweit diese Einstellung zu diesem Zeitpunkt auch eine Übereinstimmung mit dem nationalsozialistischen Regime als Ganzem darstellte, ist schwer zu beurteilen. Sätze wie „jedes Lebewesen ist wertvoller als die wichtigste Abhandlung darüber, hier liegt der tieffste Sinn des Naturschutzes,“601 lassen Zweifel aufkommen. Andererseits drang Ende 1933 auch nationalsozialistische Rhetorik in die Veröffentlichungen der Naturschützer ein:

„Unser liebes deutsches Vaterland wird wieder von deutschen Männern geleitet. Die Bedeutung der Erhaltung der Rasse wurde wieder erkannt und allgemein verbreitet. [...] Die Sorge um die Erhaltung der Rassenunterschiede bewegt alle – die Grundlage alles Volkstums, die Natur, wird weiter vernichtet.“602

In einem anderen Artikel wurden „völkische Belange [...], Interessen, die dem Erhalten der deutschen Seele dienen“ angeführt und Naturschutzgebiete gefordert: „Wie kann ein Erzieher seinen Zöglingen die Stimmung einer germanischen Opferstätte nahebringen, wenn die gewaltige Eiche fehlt und die Wege und Wälder voll von Reklame- und Verbotstafeln einen Hohnschrei bilden [...].“603

Als eine der durchschlagensten Folgen der nationalsozialistischen Machtübernahme sollte sich die schrittweise Politisierung des seit seiner Gründung nach der Jahrhundertwende dezidiert vor- und apolitisch eingestellten bayerischen Naturschutzes erweisen. Bevor eine Annäherung an dieses Problem gelingen kann, gilt es jedoch die organisatorische Gleichschaltung des Naturschutzes in Blick zu nehmen.