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Zu jener oben beschriebenen Aneignung und Verinnerlichung von Natur als kulturellem Konstrukt steht ein weiterer Schlüsselbegriff, der seine Wurzeln im 19. Jahrhundert hat, in direkter Verbindung: die Heimat.

Gewiß, eine analytische Trennung der historischen Kontexte Heimat und Natur scheint zumindest gewagt. Die meisten Autoren enthalten sich dieses konstruktiven Eingriffs in die Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts und der Jahrhundertwende. Nichtsdestoweniger ist er sinnvoll, denn wie die bisherigen Beispiele aus der Forschung zeigen,68 werden Natur und Heimat nicht nur zusammen betrachtet, sondern dabei meist der Begriff Natur unter die technischen Hilfsmittel des Heimatdiskurses subsumiert. Naturbewußtsein steht so nicht als eigenständige Kategorie, sondern bleibt ausschließlich dem Heimat- und im weiteren Sinne dem nationalen Diskurs vorbehalten. Automatisch ergibt sich sodann das Junktim Naturschutz ist gleich Heimatschutz.69 Zugegeben, die Schnittmenge ist hier groß. Dennoch wäre es eine inhaltliche Verengung, die frühe Naturschutzbewegung auf den Heimatbegriff zu reduzieren.

Nicht zu Unrecht weist Ina-Maria Greverus auf eine Fehlentwicklung des Heimatschutzes hin,

67 ManfredHETTLING, Die Schweiz als Erlebnis, in: UrsATTERMATT/CatherineBOSSHART-PFLUGER/Albert TANNER

(Hrsg.), Die Konstruktion einer Nation. Nation und Nationalisierung in der Schweiz, 18. und 19. Jahrhundert (Die Schweiz 1798-1998. Staat – Gesellschaft – Politik) Zürich 1998, S. 24.

68 Vgl. Walter SCHOENICHEN, dessen Werk schon dem Titel nach „Naturschutz – Heimatschutz“ in programmatischer Weise Naturschutz mit Heimatschutz verschweißt. Bei Rolf PETRI sind es Blickwinkel und Fragestellung, die Natur zum Instrument der Heimatbewegung werden lassen. (Deutsche Heimat 1850-1950, in:

Comparativ 11 (2001), S. 86-87.)

69Vgl. GertGRÖNING/Joachim WOLSCHKE-BULMAHN, Landschafts- und Naturschutz, in: DiethardKREBS/Jürgen REULECKE (Hrsg.), Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880-1933, Wuppertal 1998 S. 34. Vgl. auch Andreas KNAUT, der sich in einer Monographie unter dem Titel „Zurück zur Natur. Die Wurzeln der Ökologiebewegung“ fast ausschließlich mit dem Bund Heimatschutz beschäftigt.

was den Schutz der Natur betrifft, der anfangs zu den zentralen Programmpunkten dieser Bewegung zählte. Sie spricht von einer „Ablenkung von den eigentlichen politischen Aufgaben eines Umweltschutzes auf verinnerlichte ‚deutsche Werte’.“70 Verfolgt man die Entwicklung des Bund Heimatschutz, auf den noch ausführlicher einzugehen sein wird, so trifft diese Feststellung wohl zu.

Trennt man Natur und Heimat bei der Betrachtung der Grundlagen der Naturschutzbewegung, entgeht man zusätzlich der Gefahr, die reale Veränderung der menschlichen Umwelt um die Jahrhundertwende am Höhepunkt der Industrialisierung zu weit aus den Augen zu verlieren und den Naturschutz zu ausschließlich aus dem sozialen Wandel und den daraus erwachsenden Unsicherheiten zu erklären.71 Ein wichtiger Einwand bei der späteren Analyse der Quellen ist natürlich die Möglichkeit, daß die ‚romantisierten’ Naturschützer naturhistorische, ökologische und ökonomische Gründe sozusagen als Deckmantel verwendet haben könnten, um Zugang zum herrschenden Diskurs zu erlangen, sprich um von den Entscheidungsträgern überhaupt ernstgenommen zu werden. Genauso kann aber dagegen argumentiert werden, daß auch die Heimatidee, deren konstitutive Bedeutung für den deutschen Nationalstaat Rolf Petri nachgewiesen hat,72 von einem Teil der Naturschützer operationalisiert wurde, um sowohl Zugang zu den Entscheidungsträgern zu erhalten, als auch die Basis zur Mobilisierung breiter Unterstützung zu bereiten.73

Aus der umfangreichen Diskussion über den Heimatbegriff können hier nur einige für die Naturschutzgeschichte wichtige Aspekte hervorgehoben werden. Trotz einer Vielzahl unterschiedlicher Definitionen74 betonen die meisten Autoren die geographische Komponente der Heimat und damit die Beziehung des Individuums zu seiner natürlichen und sozialen Umwelt. Rolf Petri legt dar, daß es sich bei diesem Heimatbegriff um eine relativ neue Erfindung handelt, die er in der Zeit zwischen der Mitte des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts veranschlagt.75 Mithin liegt nahe, daß es sich hierbei um eine Reaktion auf den Industrialisierungsprozeß handelte. Einer der frühesten Verfechter jener neuen Heimatauffassung war der Schriftsteller und ‚erste Volkskundler’ Wilhelm Heinrich Riehl, der ab 1854 am Münchener Hof König Max’ II. für die volkskundliche Erfassung der bayerischen Territorien zuständig war. Die Stellung des konservativen Riehl zum Gesamtkomplex Industrialisierung ist umstritten,76 seine Bedeutung und sein Einfluß für die Heimatbewegung und den Naturschutz

70 Ina-MariaGREVERUS, Auf der Suche nach Heimat, München 1979, S. 9.

71 Vgl. beispielsweise SIEFERLE, Fortschrittsfeinde, S. 161-173.

72 PETRI, Deutsche Heimat, S. 125-127.

73 Vergleichbar argumentiert William ROLLINS, der in einem revisionistischen Ansatz den ästhetischen Zugang zum Naturschutz seitens der Heimatschutzbewegung verteidigt und diesen Zugang als „tool with which environmental damage could be not only perceived, but also discussed and, for the first time, turned into a public issue“ bezeichnet.

(A Greener Vision of Home, S. 23.)

74 Vgl. die Zusammenstellung von KNAUT, Zurück zur Natur, S. 11-14 oder PETRI, Deutsche Heimat, S. 77-80.

75 Vgl. ebd., S. 83.

76 So sieht SIEFERLE Riehl als „Verfechter eines untergehenden Gesellschaftstypus“, der gegen „den mächtigen Prozeß der Gegenwart […] Amok“ läuft. (Fortschrittsfeinde, S. 149-150.) Für ROHKRÄMER war Riehl „kein

hingegen nicht.77 In dem ersten Band seiner Naturgeschichte des deutschen Volkes78 legt Riehl mit Nachdruck den Finger auf den gesellschaftlichen Wandel im Zuge der Industrialisierung:

„In der alten Zeit blieben die meisten Leute in ihrer Heimath, in ihrer Stadt, und nährten sich redlich. Jetzt können aber viele Tausende gerade nur dann sich redlich nähren, wenn sie ihren Wohnort zeitweiße wechseln.

Besonders für die mächtigsten, ächt modernen Berufsgruppen der Industrie, der Geistesarbeit des Staatsdienstes ist die Gemeinde, der Gau, ja das einzelne Land zu klein geworden. Gut die Hälfte unseres heutigen Bürgerstandes wechselt, nicht von Jahr zu Jahr, aber doch von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ihren Wohnort. […]

Gerade um der Mehrung des nationalen wie des eigenen Wohlstandes willen müssen sie es anders machen, als der Schuster, der auf seines Großvaters Stuhl, in seines Großvaters Fensterecke fortschustert bis an sein seliges Ende, […].“79

Diese Diagnose führt bei Riehl zur Prognose eines sich in den Städten sammelnden Proletariats,

„einer eben im Entstehenden begriffenen socialen Macht“.80 Das herkömmliche soziale Leben der Individuen droht abzusterben und die Massen zur Beute demokratischer, sozialistischer (französischer) Irrlehren zu werden. Zeichen dieser Entwicklung sind die modernen Großstädte,

„die Wasserköpfe der modernen Civilisation“.81 Dagegen setzte Riehl das Programm einer neuen abstrakteren, flexibleren und weniger konkret ortsgebundenen Heimat:

„[…] die social heimatlos gewordenen Glieder der Gemeinde wie der Gesellschaft sollen unter einer neuen beweglicheren Form wieder eingebürgert und seßhaft gemacht, die in der jetzigen Uebergangsphase äußerlich verwischten Gruppenbildungen der Gemeinde wie der Gesellschaft mit neuen festen Linien umrissen werden.“82

Nichts weniger plante Riehl als eine neue, jedoch organisch auf der alten ständisch-subsidiär gegliederten aufbauende Ordnung.83 Die Hoffnung, dieses große Projekt einer ‚konservativen’

Modernisierung auch verwirklichen zu können, bezog Riehl – und das macht ihn für die Geschichte des Naturschutzes wichtig – aus der Vorstellung, der Charakter und die Zukunftsfähigkeit eines Volkes ließen sich aus dessen geographischer Umwelt ableiten. Diese These, die auch schon bei Johann Gottfried Herder und Justus Möser zu finden ist,84 findet bei Riehl ihre Zuspitzung auf den Gegensatz zwischen Feld und Wald. Es wäre zumindest eine Ungenauigkeit, Riehl als einen ‚Agrarromantiker’ zu bezeichnen; vielmehr war er ein

‚Waldromantiker’. Der Wald war für ihn der Jungbrunnen, aus dem sich eine moderne Gesellschaft erneuern konnte: „Ein Volk muß absterben, wenn es nicht mehr zurückgreifen kann zu den Hintersassen in den Wäldern, um sich bei ihnen neue Kraft des natürlichen, rohen

grundsätzlicher Feind des aufkommenden Industriesystems“, wobei „der ländlichen Bevölkerung“ bei Riehl „die Rolle eines notwendigen Korrektivs in der modernen Gesellschaft zu[kam]“. (Zivilisationskritik, S. 44).

77 Vgl. KNAUT, Zurück zur Natur, S. 13. APPLEGATE legt dar, daß Riehls volkskundliche Studien zur Pfalz eine Art Initialzündung für die dortige Heimatbewegung bedeuteten. (A Nation of Provincials, S. 38-39.) Für Klaus Bergmann ist er „der ideologisch wohl bedeutendste Antipode seiner Zeitgenossen Marx und Engels“.

(Agrarromantik, S. 40.)

78Zuerst erschienen: Bd. 1: Land und Leute, 1854; Bd. 2: Die bürgerliche Gesellschaft, 1851; Bd. 3: Die Familie, 1855; Bd. 4: Wanderbuch, 1869.

79 Wilhelm HeinrichRIEHL, Land und Leute, Stuttgart 51861, S. 136-137.

80 Ebd., S. 137.

81 Ebd., S. 118-119.

82 Ebd., S. 152.

83 So paßt Riehl gut in jenes Muster, das PETRI als „die Stilisierung der ‚Umwelt’ zur existentiellen Spur eines verlorenen Bei-Sich-Seins“ bezeichnet (Deutsche Heimat, S. 90).

84 Vgl. KNAUT, Zurück zur Natur, S. 11-12.

Volksthumes zu holen.“85 Der Waldbesitz machte für Riehl die deutsche Gesellschaft zukunftsfähig und erklärte zugleich den deutschen ‚Volkscharakter’:

„Deutschland hat eine größere Zukunft der socialen Freiheit als England, denn es hat sich den freien Wald gerettet. […] Aus dieser deutschen Waldfreiheit, die so fremdartig aus unseren modernen Zuständen hervorlugt, strömt tieferer Einfluß auf Sitte und Charakter aller Volksschichten, als mancher Stubensitzer sich träumen lässt.“86

Der Wald stellte den letzten Rest einer mittelalterlich ständischen Ordnung dar, allein hier galten althergebrachte Nutzungsrechte des Feudalsystems.87 Für Riehl bot er die einmalige Möglichkeit, eine konservative, ständische Erneuerung der deutschen Gesellschaftsstruktur zu vollziehen. Würde der Wald abgeholzt, ginge diese einzigartige Gelegenheit verloren:

„Dieser Gedanke, jeden Fleck Erde von Menschenhand umgewühlt zu sehen, hat für die Phantasie jedes natürlichen Menschen etwas grauenhaft unheimliches; ganz besonders ist er aber dem deutschen Geiste zuwider. Es wäre alsdann Zeit, daß der Jüngste Tag anbräche.“88

Wohlgemerkt, dieser prägnant formulierte und vielzitierte Satz Riehls warnte vor der Umwandlung der Waldgebiete in Ackerland und setzt zu einem Zeitpunkt ein, da ökonomische, auf begrenzte Ressourcen verweisende Argumente aufgrund der noch kaum als endlich betrachteten Kohleförderung ihre Kraft verloren.89 Riehls Aufruf zum Schutz der Wälder war ausschließlich durch ‚sozialpolitische’ Intentionen motiviert: „Wir müssen den Wald erhalten, nicht bloß damit uns der Ofen im Winter nicht kalt werde, sondern auch damit die Pulse des Volkslebens warm und fröhlich weiter schlagen, damit Deutschland deutsch bleibe.“90

Betrachtet man die Wirkungsgeschichte Riehls, so erlebten seine bereits 40 Jahre zuvor verfaßten wichtigsten Schriften in der Stimmung des fin de siècle ihren ersten Höhepunkt.91 In der Zeit des Nationalsozialismus schließlich wurden Riehls politische Schriften für die Blut-und-Boden-Ideologie ausgeschlachtet und er selbst – zu Unrecht wie Klaus Bergmann betont – als früher nationalsozialistischer Denker gefeiert.92

Wilhelm Heinrich Riehl kam hier aus zwei Gründen ausführlich zu Wort. Zum einen beriefen sich viele der frühen Naturschützer der Jahrhundertwende, besonders Ernst Rudorff, auf seine Vorarbeiten93 und zum anderen steht er stellvertretend für den Beitrag, den die Entwicklung des Heimatbegriffs im 19. Jahrhundert in das Naturbewußtsein der deutschen Gesellschaft einbrachte: Rolf Petri zeigt, wie es dem Heimatdiskurs gelang, eine

„kompromißlose Verschränkung“94 der individuellen Identität mit der imaginierten

85 RIEHL, Land und Leute, S. 62

86 Ebd., S. 65-66.

87 Vgl. ebd., S. 67.

88 Ebd., S. 60.

89 Zur Diskussion um den vorindustriellen Waldschutz vgl. JoachimRADKAU, Zur angeblichen Energiekrise des 18.

Jahrhunderts. Revisionistische Betrachtungen über die „Holznot“, in: VSWG 73 (1986), S. 1-37.

90 RIEHL, Land und Leute, S. 62.

91 Vgl. BERGMANN, Agrarromantik, S. 49.

92 Vgl. ebd., S. 39.

93 Vgl. RUDORFF, Heimatschutz, Leipzig 1901, S. 49-51 und EIGNER, Naturpflege, S. 60.

94 PETRI, Deutsche Heimat, S. 127.

Gemeinschaft, der Nation, zu erreichen. Die Vorstellung der Heimat schaffte die bedingungslose Übersetzung des Nationalen ins Subjektive und Erfahrungsweltliche. Die Natur als Heimat wurde dadurch sowohl in die nationale Identität wie das Subjekt integriert, Volk und Natur in fast mystischer Weise gedanklich verzahnt. Einher ging damit natürlich eine immer stärkere Politisierung des vormals eher unpolitischen Naturbegriffs95 und die Integration von Naturobjekten in die politische Symbolik. Als Beispiel mag das Eichenblatt auf deutschen Münzen dienen, welches auch den Wechsel zur europäischen Gemeinschaftswährung überdauert hat.