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Regulierungsvorhaben des 19. Jahrhunderts – Überblick und Fallbeispiele

Im Dokument » Die Donau ist die Form« (Seite 55-77)

Die »Verbesserung« der Donaulandschaft im 19. Jahrhundert

Pläne und Versuche, die Stromlandschaft zu transformieren, den Fluss mensch-lichen Bedürfnissen gefügig zu machen, gab es immer schon. Dabei sind nicht nur die Anstrengungen der Römer zur Überbrückung und Schiffbarmachung der Unte-ren Donau am Eisernen Tor zu erwähnen, sondern auch der Ausbau des sogenann-ten Donaukanals (eigentlich eines Nebenarms der Donau) bei Wien durch Rudolf den zweiten und mehrere Flussdurchstiche unterhalb von Pest am Anfang des 19.

Jahrhunderts. Gegen das Hochwasser haben Menschen und Gemeinden immer wie-der kleinere wie größere Regulierungsarbeiten vorgenommen. Zur Instandhaltung der Fahrrinne wurden ab Ende des 18. Jahrhunderts an bestimmten Stellen auch Sprengungen durchgeführt.

Was das Besondere der im 19. Jahrhundert entstandenen Regulierungspläne und vorgenommenen Arbeiten ausmachte, war ihr Volumen und ihre Systema-tik. Noch niemals zuvor hat man auf der gesamten Stromstrecke in schneller Abfolge eine Reihe so großangelegter Regulierungsarbeiten durchgeführt. Es galt, die ganze Donau von Passau bis Galatz (rum. Galaţi) – eine der Mündung nahe liegende Stadt – direkt befahrbar zu machen. Neben Uferschutzbauten, Absper-rung alter Flussarme, VerbesseAbsper-rung der Fahrrinne und der Beseitigung lokaler Schifffahrtshindernisse auf der bayrischen, österreichischen und ungarischen Strecke, neben den großen Projekten wie dem Durchstich in Wien und der Besei-tigung der Versandung auf der Strecke Preßburg-Gönyű125 wurde die Donauregu-125 Der Beseitigung der Versandungen auf der 150 km langen Stromstrecke Preß-burg-Gönyű, die aus der Perspektive real existierender ökonomischer Interessen betrachtet von immenser Bedeutung war, wurde weit geringere öffentliche Aufmerk-samkeit zuteil als der Donauregulierung bei Wien und der Kataraktenregulierung am Eisernen Tor. In Ungarn wurde sie als Regulierung der oberen Donau bekannt.

Diese wahrscheinlich am meisten verwilderte Strecke der ganzen Donau hinderte den Handel zwischen Wien und Budapest, ihre Erledigung wurde 1886 von der ungarischen Regierung »mit grosser Kraft« aufgenommen und 1896 vollendet. Cf.

Suess: Aufgabe der Donau, p. 20. Wegen Schotterablagerungen und der Veräste-lung der Donauarme konnten die entsprechenden Wassertiefen nicht überall gesi-chert werden. Kovách, Sebestyén Aladár: Vízépítészet.[Wasserbau] In: Matlekovits,

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lierung vor allem im Falle der Schiffbarmachung zu einer spektakulären großpo-litischen Aufgabe.

Die Donau als Ganzes

Der Fluss, der lange Zeit nach imperialen Interessen fragmentiert wahrgenom-men worden ist, wurde durch das Projekt der Regulierung als Einheit gedacht. Es war in der Folge gerade dieser Einheitsgedanke, der auch für die einzelnen Regu-lierungsvorhaben maßgeblich wurde. Die drei Großtaten der Donauregulierung im 19. Jahrhundert, der Durchstich in Wien, die Beseitigung der Versandungen bei Gönyű und die Regulierung der Stromschnellen am Eisernen Tor, sind bin-nen zwanzig Jahren im letzten Drittel des Jahrhunderts entstanden. Diese zeit-liche Nähe ist umso auffallender, als die Regulierung der in etzeit-liche versandete und versumpfte Arme geteilten Donau-Strecke bei Wien seit Anfang des 19. Jahr-hunderts auf der Tagesordnung war, während die Schiffbarmachung des Eisernen Tores erst in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts überhaupt erwogen wurde. Die drei in geografischer und technischer Hinsicht und auch von den Interessenlagen her so entfernten Problemstrecken der Donauschifffahrt wurden durch die Idee der Wasserstraße Donau zueinander in zeitliche und konzeptuelle Nähe gerückt.

Die große Donauregulierung bei Wien wurde 1870 bis 1875, die Beseitigung der Versandungen auf der Strecke zwischen Pressburg und Gönyű 1886 bis 1896, die Regulierung der Eisernen-Tor-Katarakte 1890 bis 1898 durchgeführt.126

Auch waren es zum Teil dieselben Politiker, Techniker und Experten, die für die Notwendigkeit des einen wie des anderen Unternehmens plädierten. Die

Sándor/Szterényi, József (Hg.): Magyarország közgazdasági és közművelődési állapota ezeréves fennállásakor és az 1896. évi ezredéves kiállítás eredménye: mező-gazdaság, állattenyésztés, vízépítés, erdészet, gazdasági gépipar. [Ungarns wirtschaft-licher und Bildungsstand bei seinem tausendjährigen Bestehen und das Ergebnis der Millenniumsausstellung von 1896: Landwirtschaft, Viehzucht, Wasserbau, Försterei, Maschinenbau] Bd.VI. Budapest: Pesti Könyvnyomda-Részvény-Társaság 1897, p.

674. 1885 wurden dazu 17 Millionen Forint gesichert, 1896 wurden die Arbeiten beendet. Ab diesem Zeitpunkt mussten größere Schiffe nicht mehr im Hafen von Gönyű ausgeladen werden. Gonda, Béla: A magyar hajózás. [Die ungarische Schiff-fahrt] Budapest: Műszaki irodalmi és nyomdai vállalat. Budapest: Műszaki Nyomda 1899, p. 45.

126 Da die in wirtschaftlicher Hinsicht sehr bedeutsame Regulierung der »oberen Donau«, wie man in Ungarn die Preßburg-Gönyű-Strecke nannte, in der Öffentlich-keit weit weniger Ruhm erlangt hatte als die beiden anderen Großtaten der Donau-regulierung, werde ich mich im Folgenden nur mit letzteren beschäftigen.

technische und politisch-finanzielle Lösung der einzelnen Regulierungsarbei-ten war für sie kaum von der Idee der Wasserstraße Donau zu trennen. In der Tätigkeit so mancher in der Donauregulierung involvierter Experten wurde die Argumentation für das eine zur selbstverständlichen Fortsetzung des anderen.

Der Ingenieur Gustav Wex, der von 1870 bis 1875 die Donauregulierung bei Wien leitete, hat 1854 die Möglichkeit der Kataraktenregulierung studiert und zu deren Fragen 1863 in einem Aufsatz Stellung genommen.127 Auch der Wiener Geologe Eduard Suess, der als Experte und Hintergrundpolitiker an der Vorbereitung der Wiener Stromregulierung maßgeblich beteiligt war, förderte 1879-1886 als Vorsit-zender des Donau-Vereins durch die Abhaltung von Vorträgen und Herausgabe von Dokumentationen das öffentliche Interesse an der gesamten Donau und vor allem an der Kataraktenregulierung.

Die große Donauregulierung in Wien: Lokales versus Globales

Wie wichtig die übergreifenden Vorstellungen von der Rolle und der Mission der Donau für jeden einzelnen Regulierungsplan waren, davon zeugt nicht zuletzt auch die große Donauregulierung bei Wien. Wiederholte Überflutungen der Stadt seit Anfang des 19. Jahrhunderts konnten nicht bewirken, was schließlich durch eine Kombination aus strategischen Überlegungen, aus Interessen des wachsenden Verkehrswesens und schlauen Finanzierungsmöglichkeiten 1868 in die Wege geleitet worden ist, als die Donauregulierungskommission sich in der Tat für die Verwirklichung der teuersten Pläne aussprach.

Dieser Vorrang der imperialen Interessen über die lokalen wurde in der Rede des Vorstands der Donauregulierungskommission, Graf von Taaffe, bei der Inau-guration der Regulierungsarbeiten in Wien am 14. Mai 1870 genau rekapituliert, indem er dem Vorhaben über den Hochwasserschutz hinaus »noch eine viel wei-tergehende, hervorragendere Bedeutung« beimaß. Diese bestand darin, dass »die nahe Verbindung der größten Wasserstraße des Reiches mit dessen Hauptstadt verwirklicht« werden sollte. Durch die Errichtung von stabilen Brücken, Häfen und eines das ganze Jahr über schiffbaren Flussbettes sollte Wien nicht nur eine vor Überflutungen geschützte Stadt, sondern geradezu ein »Emporium für den Handel zwischen Orient und Occident« werden.128

Nach der Übergabe des neuen Strombettes 1875 wird dies oft als lediglich erster Schritt in der Errichtung der Wasserstraße Donau gewürdigt, oder wie 127 Wex: Der Donaustrom.

128 Taaffe, Eduard Graf von: Rede bei der Inauguration der Wiener Donau-Regulie-rung zit. n. Fremden-Blatt v. 15. 05. 1870, p. 3.

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der Feuilletonist der Neuen Freien Presse, Johannes Nordmann, nach der Eröff-nungsfeier ausführt: »Soll das Emporium für den Handel zwischen dem Orient und Occident an der Donau eine Wahrheit werden, dann müßte die Donau-Re-gulirung nur eine Festpause in ihrer Arbeit gemacht haben [...] [denn] es sind bis zum »Eisernen Thore« und darüber hinaus Arbeiten zu vollbringen, deren Bewältigung uns erst berechtigen würde, von einer regulierten Donau als einem verläßlichen Handelswege nach dem Oriente zu sprechen.«129

Die große Donauregulierung bei Wien: Vorrang der Interessen der Schifffahrt

In der Tat ist Wien seit dem ausgehenden Mittelalter immer weniger eine Stadt am Strome geworden. Zwischen dem Kahlengebirge und dem Bisamberg oberhalb beziehungsweise Hainburg und Theben unterhalb der Stadt tritt die Donau in eine Ebene ohne vorgezeichnetes Bett. Daher veränderte der Fluss nach jedem Hochwasser seinen Lauf und verzweigte sich, um Hindernissen auszuweichen, in viele Nebenarme. Während im Mittelalter der Hauptarm der Donau ungefähr dort floss, wo heute der Donaukanal Brigittenau von der Rossauer Lände und die Leopoldstadt von der Innenstadt trennt, verlagerte er sich später immer weiter östlich.130 Gerade wegen dieser Verlagerung wurde auch im ausgehenden Mittelalter auf die Verordnung von Rudolf II. der versandete Arm in der Nähe der Stadt ausgegraben, um seine Schiffbarkeit zu erhalten, und wurde ab dieser Zeit Donaukanal genannt, obwohl er kein Kanal im eigentli-chen Sinne des Wortes war. Die Schiffbarkeit des Donaukanals und die Verhü-tung des Hochwassers waren jene Ziele, um derentwillen man in den nächsten Jahrhunderten immer wieder Schutzarbeiten an der Donau durchführte. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden Pläne zu einer übergreifenden Regu-lierung der Wiener Donaustrecke, teils bedingt durch die Notwendigkeit, eine stabile Brücke zwischen Nussdorf und Floridsdorf zu bauen. Der Hofbau-rats-Direktor Joseph Schemerl von Leythenbach plante 1810 in Verbindung mit dem Brückenbau die ganze Donau mit Ausnahme des Donaukanals in einem Bett zu vereinigen und »mittels eines Durchstiches unter der Brücke

durch-129 Nordmann, Johannes: Das neue Strombett, in: Neue Freie Presse. Morgenblatt v. 1.

06. 1875.

130 Bericht und Anträge des von der Commission für die Donauregulierung bei Wien ernannten Comités. Vorgetragen in der Plenarversammlung am 27. Juli 1868. Wien:

k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1868, p. 4.

zuführen.«131 Obwohl der Plan vom Kaiser genehmigt wurde, scheiterte seine Ausführung »an dem Widerstande der untergeordneten Behörden und Bauor-gane.«132 Der Bericht der Kommission für die Donauregulierung aus dem Jahre 1868 beklagt diese versäumte Chance, ein Projekt zu einem Zeitpunkt in Angriff zu nehmen, als es noch relativ günstig und einfach zu verwirklichen gewesen wäre. Statt dessen wurde der sich stets verändernde Lauf der Donau immer von neuem vermessen und es wurden immer neue Kommissionen zur Ausarbeitung und Begutachtung neuer Pläne gebildet, ihre Vorschläge wurden aber mit der-selben Regelmäßigkeit durch den Einspruch eines Regierungshydrotechnikers verhindert oder einfach nur vertagt. So endeten nicht nur die Verhandlungen zwischen 1818 und 1827 um eine stabile Brücke »und nur im Gefolge derselben«

um die »Regulierung der Donau zwischen Nussdorf und der Ausmündung des Donau-Canales«133, sondern auch die Anträge der Kommissionen, die in Folge der großen Flutkatastrophe von 1830 im Jahre 1830, 1838 und 1850 einberufen worden sind, ohne nennenswerte Ergebnisse. Je nach dem Urteil des jeweiligen Zuständigen wurden verschiedene kleinere Arbeiten, Dammbauten mal zum größeren Schutz der Stadt, mal zur Erhaltung der Schiffbarkeit erledigt, »wie es der Not des Augenblicks erheischte«134.

Unter den ausgearbeiteten Plänen gab es welche, die ähnlich wie Schemerl einen Durchstich der Donau und dadurch ein Zusammenfassen des Wassers in ein einziges Flussbett unter Beibehaltung des Donaukanals befürworteten – die Donau sollte all diesen Plänen zufolge »in einer sanft gekrümmten Linie mittels eines mehr oder weniger langen Durchstiches«135 sowohl die Schiffbarkeit des Stromes, als auch die Abführung der Hochwässer gewährleisten – und andere, die eine Beibehaltung von drei Armen vorschlugen.136 Gegenüber Vorwürfen, dass dies die Sicherheit der Stadt gefährden würde, beriefen sich die Anhänger des Durchstiches in der Kommission von 1850 und 1868 auf Erfahrungen, die an anderen Flüssen gemacht worden sind. Eine Meinung, wie jene des Sektionsrates von Mitis, »welcher den Strom mit allen seinen Verzweigungen als ein organi-sches, nicht ohne üble Folgen zu störendes Ganze betrachtet wissen wollte«137, galt eindeutig als Unikum, wenn nicht sogar als skurril.

131 Bericht und Anträge 1868, p. 5.

132 Bericht und Anträge 1868, p. 6.

133 Bericht und Anträge 1868, p. 6.

134 Bericht und Anträge 1868, p. 10.

135 Bericht und Anträge 1868, p. 13.

136 Zu der ersteren Gruppe gehörte neben dem Gutachten von Schemerl 1811 auch das von Rauchmüller 1826 und von Negrelli 1849. Cf. Bericht und Anträge, p. 9.

137 Bericht und Anträge 1868, p. 10.

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Der oft betonte direkte Zusammenhang zwischen dem Hochwasser von 1862 und der 1864 einberufenen und schließlich 1868 tatsächlich gebildeten Kommis-sion scheint »nicht wirklich zu bestehen«, denn die KommisKommis-sion trat erst 1868 zusammen und zu ihrer unmittelbaren Vorgeschichte gehörte neben einem Antrag der Wiener Gemeinde auch eine Mitteilung des königlichen ungarischen Ministerpräsidenten vom 7. Oktober 1867, die darauf drängte »dass die Donaure-gulierung in beiden Reichstheilen im Einklange und nach gleichen Grundsätzen zur Ausbildung gelange.«138

Diese Kommission scheint auch verhandlungstechnisch entschiedener vorge-gangen sein, denn um einen Einspruch seitens eines Regierungshydrotechnikers

138 Die Mitteilung erklärte, »dass die Regulirung des Donaustromes von österreichisch ungarischen Grenze abwärts eine der wichtigsten Aufgaben des königlich ungari-schen Ministeriums für Communicationen und öffentlichen Arbeiten bilde, und beantragte, da es wünschenswerth sei, dass die Donauregulirung in beiden Reichs-theilen im Einklange und nach gleichen Grundsätzen zur Ausbildung gelange, die Delegierung eines Mitgliedes des königlich ungarischen Ministeriums zu den Sit-zungen dieser Donau-Regulierungs-Commission«. Bericht und Anträge 1868, p. 12.

Bild Nr. 1. Wien: Donauregulierung. Strombett der Donau bei Wien vor der Regulierung 1860 und das regulierte Strombett 1881, nach 1881

und in der Folge die Vereitelung all ihrer Bemühungen zu vermeiden, wählte sie europäisch anerkannte Größen des Wasserbaus als Gutachter aus.

Die Kommission fasste in 9 Punkten die Zielsetzungen der Donauregulie-rung zusammen und benannte die Zusammenfassung des ganzen Stromes »in ein Normalbett«, den Abbau aller Nebenarme, den Schutz der Stadt Wien und des Nebenlandes an der Donau »vor Ueberschwemmungen und schädlichen Seichwässer« »durch eine entsprechende Führung des Stromes« sowie »zweck-mässige Uferbauten«, ferner die Beseitigung der »Schiffahrtshindernisse und die Herstellung einer solchen Wasserstrasse [..], als sie für die gegenwärtigen auf dem Strome verkehrenden Dampf- und Ruderschiffe grössten Tiefganges im befrach-teten Zustande erforderlich ist«139 im Einzelnen als deren Hauptzweck. Die Erfordernisse der Schifffahrt und des Hochwasserschutzes sollten alles in allem mit der Errichtung einer »Wasserstrasse« gewährleistet werden.

Die vorhandenen Pläne unterschieden sich auch diesmal hauptsächlich an dem Punkte, ob sie die Regulierung des damaligen Hauptstromes, der heutigen

»Alten Donau«, oder dessen Näherrücken an die Stadt mittels eines Durchstichs empfahlen. Die eingeladenen internationalen Gutachter waren sich nicht einig.

Während zwei, Abernethy (London) und Serauer (Karlsruhe), für den Durch-stich votiert haben, sprachen sich zwei, Hegen (Berlin) und Tostain (Paris), gegen den Durchstich aus. Daraufhin wurden die Gutachten fünf einheimischen Fach-männern vorgelegt, die sich drei gegen zwei für den Durchstich entschieden. Aus den Erinnerungen von Eduard Suess erfährt man, dass selbst der mit der Leitung des Baues betraute Oberbaurat Wex, der sein Votum für den Durchstich abgege-ben hat, sich in Bezug auf die exakte Ausführung des Planes nicht gewiss war.140

139 Bericht und Anträge 1868, p. 65.

140 Suess, Eduard: Erinnerungen. Leipzig: Verlag S. Hirzel 1916, p. 192. Ausschlagge-bend war schließlich die in Suez bei der Eröffnung des Suez-Kanals im Jahre 1869 erhaltene Information, dass bei der Ausbaggerung des gesamten Profils von dem mit den Arbeiten betrauten französischen Firma [A. Castor, A. Couvreux & H. Her-sent] »eine Mehrleistung um einen wesentlich geringeren Preis geboten werden könne«. Diese Lösung bot eine größere Sicherheit als die Alternative, nach der das neue Flussbett teils durch das einströmende Wasser hätte gebildet werden sollen – ein Verfahren, das in Suez nicht funktioniert hatte. »Damit fiel unsere Haupt-sorge, und Wex und ich waren nun überzeugt, daß wir erfolgreich und mit gutem Gewissen die Aushebung des ganzen Profils des Durchstiches vor der Kommission würden vertreten können. Dieses Ergebnis bedeutete die Geburt der Donaustadt, und zwar, um es genau zu sagen, am Serapeum zwischen Suez und den Bitterseen.«

Suess: Erinnerungen 207f.

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Den ersten Spatenstich tat Kaiser Franz Joseph am 15. April 1870 und in 5 Jahren wurde das neue Strombett auch termingerecht übergeben. Am 14. April 1875 erfolgte der Durchstich des sogenannten Rollerdammes und am 30. Mai 1875 wurde die »neue« Donau durch eine feierliche Inauguration eingeweiht.

Als Ergebnis des immer wieder mit den höchsten Superlativen ausgestatten Unternehmens wurde in erster Linie ein neues Strombett in der Länge von etwa 14 km gebaut, das ab jetzt als Hauptverkehrsroute funktionieren sollte. Im Anschluss daran sind anstelle der zwei alten Holzbrücken fünf neue Steinbrücken erbaut worden, die Wien mit Transdanubien verbanden.141 In die Regulierung wurde auch der Donaukanal einbezogen. Zum Schutze der Stadt wurde ein Sperrschiff bei Nussdorf, am nördlichen Ende von Wien geplant bzw. gebaut. Dies war eine Art Absperrvorrichtung, die die »bei Hochwasser und Eisgang innerhalb des Canales sich bildenden Eisschoppungen« beseitigen sollte. Das Sperrschiff war eine Art Schwimmtor, es sollte nur das Eis, nicht aber das Wasser vom Kanal abhalten.142 Alles in allem wurde dabei das Hauptstrombett (damals: Neue Donau) der Stadt näher gebracht, und das »ausgehobene Erdreich«143 zur Aufschüttung des Kaiser-wassers verwendet. Das hierbei gewonnene, insgesamt etwa 10 Quadratkilome-ter Bauland, von dem mehr als ein Fünftel für Privatbauten bestimmt war, diente zugleich zur (teilweisen) Finanzierung des äußerst kostspieligen Unternehmens.144

Im Gegensatz zur Rheinbegradigung nach Tullas Plänen 1825 bis 1866, die noch größtenteils durch menschliche Arbeit ausgeführt wurde, war bei der Donauregulierung in Wien ein großer Maschinenpark vorhanden. Neben etwa 1000 Arbeitern, vorwiegend Italienern, Polen, Tschechen und Slowaken, arbei-teten Grabungsmaschinen und Schiffsbagger, Dragues genannte Schaufelma-schinen, Excavateurs, Lokomotiv-Maschinen u.a. bei der Aushebung von ca. 12 Millionen Kubikmeter Erde145 mit.

141 Der Reihe nach: Brücke der Nordwestbahn, Kaiser Franz Joseph-Brücke, Brücke der Kaiser Ferdinands-Nordbahn, Reichsbrücke, Stadlauerbrücke. Cf. Schwei-ger-Lerchenfeld: Die Donau als Völkerweg, p. 486.

142 »Das Schwimmthor ist mit einem starken Eisrechen und mit Einrichtungen ver-sehen, welche es gestatteten, dasselbe tiefer ins Wasser zu senken oder zu heben.«

Schweiger-Lerchenfeld: Donau als Völkerweg, p. 488f.

143 Klusacek, Christine u. Stimmer, Kurt: Leopoldstadt. Mit Geleitworten von Bürger-meister Leopold Gratz und Bezirkvorsteher Rudolf Bednar. Wien: Kurt Mohl 1978, p.

16.

144 Schweiger-Lerchenfeld: Donau als Völkerweg, p. 484f.

145 Grim, Franz: Die Donau-Regulirung bei Wien: nach authentischen Quellen bear-beitet; ein Führer für Besucher der Donauregulirungsarbeiten. Wien: Hölzel 1872.

Diskussionen um die große Donauregulierung bei Wien

Die Sorgen, die durch die Regulierung hätten behoben werden sollen, wurden allerdings durch neue ersetzt, wenngleich von kleinerer Größenordnung. Das neue Donaubett wurde zum Teil durch Ablagerungen aufgefüllt, zum Teil durch das Abtragen des Bodenmaterials ausgehöhlt, was über die Jahre auch zu Proble-men für die Schifffahrt führte. Mochte die Donau auch »gebändigt« worden sein, sie floss immer noch. Die Diskussionen wurden unmittelbar nach Beendigung der Regulierungsarbeiten weitergeführt.

Kritisiert wurde die Donauregulierung bei Wien praktisch von dem Augen-blick seiner Entstehung an. Gleich nach der Fertigstellung der Arbeiten am 18.

Februar 1876 hat ein Hochwasser einen Teil des neuen Dammes durchbrochen, was in der Presse zu heftigen Beschuldigungen Anlass gab.146 In erster Linie wurde

»die Art der Anlage des Durchstiches« kritisiert, weil diese auch in den Augen von Fachkollegen »gegenüber dem früheren Stromlaufe nicht wirksamer war«.147

Der Strom wurde vermessen und beobachtet. Der mit der Leitung der Regu-lierungsarbeiten betraute Ingenieur, Gustav Ritter von Wex, sprach in einem Rückblick nicht mehr über eine Verbesserung ein für allemal, sondern lediglich von einem Optimum: da »keine Macht der Welt, mithin auch nicht die genialste und vollkommenste Strom-Regulierung im Stande ist, die Natur eines geschieb-führenden Stromes vollständig zu verändern.«148 Aus dem Fortschritt wurden Fortschritte.149

Schon während des Baus wurden Bedenken laut, ob das neue Donaubett auch den größten Hochwassern Widerstand leisten kann.150 Bald nach der

Fertigstel-146 Cf. Deutsch, Jakob: Die Überschwemmung und ihre Ursachen. Subjective Anschau-ungen über die Donau-Regulierung bei Wien 1876. Vortrag gehalten am 18.

Fertigstel-146 Cf. Deutsch, Jakob: Die Überschwemmung und ihre Ursachen. Subjective Anschau-ungen über die Donau-Regulierung bei Wien 1876. Vortrag gehalten am 18.

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