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Geschichte und Natur – Modelle einer Beziehung

Im Dokument » Die Donau ist die Form« (Seite 24-42)

Der Fluss ist die bewegliche Landschaftsformation schlechthin. Als solche ist er immer wieder als ein Sinnbild der Zeit gedeutet worden. Mit Anfang, Ende und einer klaren Richtung versehen, bot er zudem eine willkommene Projekti-onsfläche für das Interesse am Ursprung, eine der Lieblingsbeschäftigungen der Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert. Doch so selbstverständlich der Fluss als Sinnbild der historischen Zeit fungieren konnte (und auch fungierte1), als ein Stück Natur war er – wie auch andere Formen der Landschaft – nicht Gegen-stand der Geschichte. Denn in der traditionellen Opposition von Natur und Zivi-lisation war die Eigenschaft historischer Wandlungsfähigkeit nur letzterer vor-behalten, während die Natur als ihr (ewig gleiches) Gegenüber postuliert wurde.

Der Zusammenhang von Natur und Geschichte wurde – wenn überhaupt – »am meisten auf der Linie des geographischen und klimatischen Determinismus«

behandelt: »Das Wesen der Völker wächst aus ihrer Landschaft mitsamt ihrem Wind und Wetter.«2

Die Historisierung der Landschaft ist eine Entwicklung des zwanzigs-ten Jahrhunderts und wäre wahrscheinlich ohne »die ›Verlebensweltlichung‹

der Geschichte«3 undenkbar. Es sind zwei Impulse in der Historiografie, die 1 Cf. Kapitel »Historisierung der Donau-Landschaft«.

2 Radkau, Joachim: Nachdenken über Umweltgeschichte. Scheuklappen und Sack-gassen der historischen Umweltforschung. In: Wolfram Sieman in Zusammenarbeit mit Nils Freytag: Umweltgeschichte. Themen und Perspektiven. München: C. H.

Beck 2003, pp. 165-186, hier p. 165. Hierzu gehört auch das Thema der »natürlichen«

Grenzen, das im 19. Jahrhundert äußerst beliebt war. In der Donau-Literatur bietet Johann Georg Kohls Die Donau von ihrem Ursprunge bis Pest ein Beispiel, wie die Geografie als Fundament der Geschichte behandelt werden kann.

3 Raulff, Ulrich: Vorbemerkung. In: ders.: Der unsichtbare Augenblick. Zeitkonzepte

in Richtung einer Geschichte der Landschaft weisen, die Problematisierung geschichtswissenschaftlicher Zeitbegriffe in der Annales-Schule und die durch die Umweltkrise und Umweltbewegung der siebziger Jahre4 ins Leben gerufene Umweltgeschichte, die sich von ihrem anfänglichen Interesse an »Außenzonen der Industrie- und Technikgeschichte«5 sowie an einer Geschichte der Umwelt-bewegung und der Naturideen immer mehr in Richtung einer allgemeinen Geschichte der Mensch-Umwelt-Beziehung bewegte.

Für das Problem, das die Annales-Schule beschäftigte, ist es bezeichnend, wie Georges Duby in seinem autobiografischen Buch Eine Andere Geschichte seine Hinwendung zur Landschaft bei seinen Mittelalterforschungen schildert. Von der Komplexität der schriftlichen Quellen erdrückt, suchte er nach einem »fes-te[n], konkrete[n] Zugriff auf das Reale«:

Ich hatte das starke Bedürfnis, dieses fadenscheinige, durchlöcherte Gewebe, das ich Stück um Stück zu flicken versuchte, indem ich lateinische Wörter las, auf einen festen Untergrund zu heften, auf ein anderes Zeugnis, die Landschaft, die ebenso reich, in ihrem Reichtum aber ganz verschieden und ohne irgendeine Lücke lebendig im vollen Tageslicht zu sehen war – ähnlich, wie wenn man die Fragmente einer verwitterten Freske, ehe sie zu Staub zerfallen, auf Leinwand befestigt. Eine solche Überlagerung erschien mir umso sinnvoller, als der Untergrund hier nicht neutral war: er wies Reliefs und Farben auf, die ich für geeignet hielt, die verschie-denen Aspekte des Schleiers, den ich darüber legte, zu beleben.6

Doch gerade diese Sehnsucht nach etwas Haltbarem und Unveränderlichem muss den jungen Duby eines Besseren belehren. »Das Missverhältnis zwischen

in der Geschichte. Göttingen: Wallstein Verlag 1999 (= Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft Bd. 9), p. 11.

4 Es werden meistens Rachel Carsons Silent Spring aus dem Jahre 1962, die Einfüh-rung des »Earth Day« 1970 sowie der 1972 veröffentlichte Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit als Eckdaten des entstehenden neuen Umweltbewusst-seins genannt. Cf. Winiwarter, Verena: Zwischen Gesellschaft und Natur. Aufga-ben und Leistungen der Umweltgeschichte. In: Bruckmüller, Ernst (Hg.): Was ist Umweltgeschichte? Wien: IFF 1998. (=Schriftenreihe Soziale Ökologie Bd. 54.) pp.

6–20, hier p. 6, und cf. Siemann, Wolfram/ Freytag, Nils: Umwelt – eine geschichts-wissenschaftliche Grundkategorie. In: Siemann/Freytag: Umweltgeschichte, p. 7.

5 Radkau: Nachdenken über Umweltgeschichte, p. 166.

6 Duby, Georges: Eine andere Geschichte. Aus dem Französischen übersetzt von Grete Osterwald. Stuttgart: Klett-Cotta 1992, p. 41.

25 Donau-Schrifttum im 19. Jahrhundert

dem heutigen und dem ehemaligen Zustand dieser Landschaft«7 klärt ihn über die Veränderbarkeit des Unveränderlichen auf. Das Problem der fast unbeweg-ten Bewegung war es dann auch, was bei einem anderen Historiker der Anna-les-Schule, Fernand Braudel, ihre systematische Ausformulierung fand. Brau-del behanBrau-delte in seiner La Méditerrannée et le monde méditerrannéen à lepoque Philippe II (1949) die elementarsten Bedingungen des menschlichen Lebens, wie Klima und Geologie, als eine »quasi unbewegte[.] Geschichte« – auch »eine Geschichte im Zeitlupentempo«8 – und rechnete sie der Zeitebene der longue durée zu. Im dreiteiligen Werk sind sie unter dem Titel »Die Rolle des Mili-eus« subsumiert und bilden den Gegenpol zum mittleren Zeittempo der öko-nomischen und sozialen Umwälzungen und dem »kurzen Zeitablauf« (auch

»Momentaufnahme«)9 der Ereignisse.

Statt eines Schichtenmodells der Zeit war es die Verflechtung, oder auch:

der »Stoffwechsel«10 zwischen menschlicher Gesellschaft und ihrer natürlichen Umwelt, was für die neuere Umweltgeschichte zur Debatte stand. Wie William Cronon in seiner Einleitung zu Mark Ciocs Rhein-Biografie schreibt, wäre es ebenso verfehlt zu denken, die Geschichte sei ohne Berücksichtigung ihrer mate-riellen Kontexte begreifbar, als umgekehrt die Natur von dem Menschen unab-hängig zu denken. Die Geschichte der Umwelt umfasst sowohl die Transforma-tion der Umwelt durch die Menschen als auch die TransformaTransforma-tion menschlicher Gesellschaft durch ihre (veränderte) Umwelt.

Dadurch wird die Landschaft selbst ein sich kontinuierlich verwandelnder Gegenstand der Geschichte, den man mit einem Vergleich von Siemann ebenso lesen kann, wie früher Georges Duby nur Textquellen zu lesen für möglich dachte:

In einer Landschaft oder einer stillgelegten und inzwischen wieder von Pflanzen überwucherten Industrieregion als einer Archivalie zu lesen und sie zu begreifen 7 Duby: Eine andere Geschichte, p. 41.

8 Braudel, Fernand: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipp II. Übersetzt von Horst Brühmann, Grete Osterwald, Günter Seib. Frankfurt a. M.:

Suhrkamp 1990, Bd. I., p. 31.

9 Braudel, Fernand: Geschichte und Sozialwissenschaften. Die longue durée. In:

Honegger, Claudia (Hg.): M. Bloch, F. Braudel, L. Febvre u.a.: Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systematischen Aneignung historischer Prozesse.

Frankfurt a. M. : Suhrkamp 1977, pp. 47–85, hier p. 50.

10 Diesen Begriff verwendet u.a. Andersen, Anne: Historische Technikfolgenabschät-zung am Beispiel des Metallhüttenwesens und der Chemieindustrie 1850–1933.

Stuttgart: Franz Steiner Verlag 1996, p. 26.

als ein immer wieder beschriebenes Palimpsest, also als ein Verfahren, wie es für den Umgang mit den altägyptischen Pergamenten üblich war [...]11

– dies ist der neue symbolische Ort der Landschaft.

Wie die Landschaftsformation Fluss als historischer Gegenstand im zwanzigs-ten Jahrhundert entdeckt wurde, kann man zwei beispielhafzwanzigs-ten Flussbiografien entnehmen, die allerdings nicht der Donau, sondern dem Rhein gewidmet wor-den sind. Die eine ist Teil der Bemühungen der Annales-Schule, Geschichte auf ein breiteres Fundament zu stellen, als es die Ereignisgeschichte bietet, das andere ist ein Werk der Umweltgeschichte, das gerade die Interaktion zwischen Natur und Gesellschaft thematisierte.

Lucien Febvres 1935 veröffentlichtes Buch, Le Rhin. Problèmes dhistoire et d‹economie – ein Buch, das den Rhein von nationalistischen Vereinnahmungen

›reinzuwaschen‹ versuchte – behandelte die Natur als eine Gegebenheit, als »geo-graphische Rahmenbedingung[.] der Geschichte«12, und war dabei doch sehr darauf bedacht, die geografische Lage des Flusses zum Faktum, nicht aber zum Fatum zu erklären.13 Der »Flußkörper selbst«14 war für Febvre lediglich Träger des materiellen Lebens einer Gesellschaft,15 gab deren Regeln aber nicht vor. Er fungierte in Febvres Ausführungen als ein »Leitkabel«16, mit der »Fähigkeit zu verbinden und anzunähern«17. Wurde er auch zu verschiedenen Zeiten als »blu-tige und unfruchtbare Grenze« angesehen, seine Geschichte war maßgeblich doch von Austauschbeziehungen, von menschlicher und geistiger Kommunikation geprägt.18

Febvre wollte nicht »nur die [politischen, verbalen] Gesten« erfassen, sondern auch all das, »was diese Gesten im Bewußtsein der Menschen und der Völker

11 Siemann, Wolfram/ Freytag, Nils: Umwelt – eine geschichtswissenschaftliche Grundkategorie. In: dies.: Umweltgeschichte. Themen und Perspektiven. München:

C. H. Beck 2003, p. 12.

12 Febvre, Lucien: Der Rhein und seine Geschichte, Herausgegeben. Übersetzt und mit einem Nachwort von Peter Schöttler. Frankfurt a. M., New York: Campus 2006, p. 13.

13 Mit der Lage des Flusses sind nicht etwa »natürliche Grenzen« zu erklären: »Über-lassen wir [...] die ›natürlichen Grenzen‹ den Schlaumeiern oder Einfaltspinseln.

Alle Grenzen werden von Menschen gezogen.« Febvre: Der Rhein, p. 13.

14 Febvre: Der Rhein, p. 10.

15 Cf. Febvre: Der Rhein, p. 22.

16 Febvre: Der Rhein, p. 19.

17 Febvre: Der Rhein, p. 186.

18 Febvre: Der Rhein, p. 186.

27 Die »Eroberung der Natur« oder eine »friedliche [...] Mission«?

allererst erklärt und bestimmt.«19 Also: Nicht nur die Texte, sondern auch die Kontexte, oder, mit einem anderen Bild, das, was »sich nur auf der Rückseite der Papiere findet, die zur Schau gestellt werden…«20 Wie sich die Landschaft unter der Hand der Menschen verändert, interessierte Febvre jedoch nicht.

Es war Mark Ciocs The Rhine. An Eco Biography 1815-2000 aus dem Jahre 2002, das den Rhein aus einer Rahmenbedingung zu einem Objekt menschli-cher Geschichte machte. Es untersuchte, wie der Strom in Folge der Tätigkeit der Rhein-Kommission durch die Dampfschifffahrt und durch die Regulierung in den vergangenen zweihundert Jahren umgestaltet worden ist, sowie auch die unbe-absichtigten Folgen dieser Transformation.21 Für Cioc ist der Fluss, wie William Cronon in seiner Einleitung schreibt, nicht einfach eine sich ewig gleichbleibende Naturbühne, auf der die großen Dramen der Geschichte ausgetragen werden, sondern hat selber eine Geschichte.22 Der Umweltgeschichte geht es letztendlich immer auch um die Verortung der »Natur« in einer bestimmten Kultur. Denn es sind menschliche Vorstellungen und Konventionen, die den Umgang mit der Umwelt bestimmen. Sie bestimmen aber nicht nur die materiellen Mitteln, sondern auch jene Sprache, in der wir, wie Cronon formuliert, diese Systeme begreifen.23 Die »Eroberung der Natur«24 oder eine »friedliche [...] Mission«25? Einer der imponierendsten Versuche der letzten Jahre, die großangelegten Land-schaftsumgestaltungen der Neuzeit in Deutschland nicht nur in ihren materiellen Gegebenheiten, sondern auch von ihrer Sprache her in ein historisches Modell 19 Febvre: Der Rhein, p. 164.

20 Febvre: Der Rhein p. 166.

21 »Yet rarely did the engineers correctly anticipate the full consequences of their manipulative actions, and more often than not they were caught off guard when the river responded in unexpected ways.« Dieses Verhalten vergleicht Cioc mit dem des

»Zauberlehrlings«. Cf. Cioc, Marc: The Rhine. An Eco-Biography 1815–2000, Uni-versity of Washington Press 2002, p. 15.

22 Cronon, William: Time and the River Flowing. In: Cioc: The Rhine, pp. ix–xii, hier p. ix.

23 »they point to the importance of human ideas and human cultural conventions not just in reshaping natural systems, but in providing the very language and concept with which we understand these systems«. Cronon: Time and the River Flowing, p. x.

24 Blackbourn, David: Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Land-schaft. Übersetzt von Udo Rennert. München: DVA 2007.

25 Kanitz, Felix: Das Eiserne Tor. Vortrag gehalten am 27. Jänner 1874 in der k.k. geo-graphischen Gesellschaft zu Wien. In: Mittheilungen der k.u. k. Geogeo-graphischen Gesellschaft in Wien 1874 (Bd. XVII.), pp. 49–58, hier p. 51.

zu integrieren, stammt von David Blackbourn. Die »Eroberung der Natur«, wie Blackbourn »die Geschichte der deutschen Landschaft« für den Zeitraum von etwa 1750 bis etwa 1950 in eine kurze Parole fasste und in einem langen Werk auch eindrucksvoll darstellte, unterscheidet sich nicht nur im Maßstab von frü-heren menschlichen Eingriffen in die Landschaft, sondern, wie Blackbourn zeigt, auch in ihren gesellschaftshistorischen Folgen. Denn die Trockenlegung und Kul-tivierung des Oderbruchs, die Begradigung des Rheins, der Ausbau des preußi-schen Meereshafens am Jade-Busen u. a. m. waren Projekte, die zugleich Teile eines gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses waren.26

Sie unterscheiden sich Blackbourn zufolge von früheren Landschaftsumgestal-tungen zudem auch im Diskurs. Nämlich darin, dass die Menschen diese Tätig-keit als Eroberung und Unterwerfung bezeichnen und damit implizieren, dass die Natur ihr Feind sei. Friedrich der Große betrachtete die Trockenlegung der Sümpfe als »Eroberungen von der Barbarei«27, der Rheinbegradiger Johann Gott-fried Tulla gilt als der »Bändiger des wilden Rheins«.28 Diese Metaphorik der Kriegsführung,29 meint Blacksbourn, ist aber durchaus auch wörtlich zu nehmen, denn »[w]eit häufiger als wir denken, war die Entwässerung eines Flusses weniger das ›moralische Äquivalent des Krieges‹30 als das Abfallprodukt oder Dienerin

26 Cf. Das Lob von Mathias Mutz, der David Blackbourn zugutehält, dass er in seinem Buch Die Eroberung der Natur nicht nur die »Umformung der deutschen Landschaft beschreibt, sondern auch zeigt, wie sich das moderne Deutschland in diesem Prozeß selbst formte.« Mutz, Mathias: Infrastrukturen und Unternehmen in der Umwelt-geschichte. In: Saeculum 58/I, 2007, p. 84.

27 Schwarzbach, Beheim: Hohenzollernsche Colonisation. Leipzig: Duncker und Humblot 1874, p. 266. zit. n. Blackbourn: Die Eroberung der Natur, p. 97 u. p. 106.

28 Dies steht auf einem Gedenkstein in Tullas Geburtsstadt Karlsruhe.

29 Auch in Mark Ciocs Rhein-Biografie spielt jenes Vokabular, mit der das Projekt der Umgestaltung des Rheins in einen »romantischen Abwasserkanal« vorangetrieben worden ist, eine Rolle: »the Rhine Commissioners set out to manipulate and control the river as fully as possible (to »tame«, »train«, »rectifiy«, »ameliorate«, »straigh-ten« and »improve« it in their terminology).« Cioc: The Rhine, p. 5. Diese Verfahren sind aber durchaus nicht vorrangig militärischer Natur.

30 Das geflügelte Wort stammt von William James und lautet ursprünglich so: »Ent-deckt das moralische Äquivalent für den Krieg! Wenn Behagen und Gewinn die beherrschenden Ziele im Frieden werden, dann bleibt ein elementares Verlangen des Menschen unbefriedigt und liegt auf der Lauer: Die Sehnsucht, einer Sache zu dienen, an die man sich verlieren kann.« Cf. James, William: Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit, Materialien und Studien zu einer Psychologie und Patho-logie des religiösen Lebens. Leipzig: J. C. Hinrichs 1920.

29 Die »Eroberung der Natur« oder eine »friedliche [...] Mission«?

eines Krieges.«31 Durch die Entwässerung von Sumpfgebieten wurden Black-bourn zufolge Aufmarschgebiete geschaffen, durch die Regulierung von Flüssen Grenzen befestigt32, durch den Ausbau des Jade-Busens ein Kriegshafen errichtet, mit dem Plan zur Trockenlegung der Pripjet-Sümpfe im zweiten Weltkrieg die Fruchtbarmachung des Bodens für Siedler und zugleich die Eliminierung eines Partisanenverstecks bezweckt.33 Die »Geschichte der deutschen Landschaft« fügt sich, wie Blackbourn meint, seit der Trockenlegung des Oderbruchs durch Fried-rich den Großen in die Logik eines »Feldzug[s] gegen die Umwelt«34.

So schlüssig Blackbourns Argumentation auch ist, nicht alle seine Beispiele gehen ohne weiteres in der Logik eines »Feldzuges« auf. Was in Zusammenhang mit Friedlich dem Großen plausibel erscheint, bedürfte im Falle der »Ferienorte auf Meeresinseln und an Seen« wie auch der »Kurbäder de[s] Mittelrhein[s]«, die für Blackbourn ebenfalls als »Bändigung der deutschen Gewässer«35 gelten, zumindest einer weiteren Erläuterung. Denn in einem Satz wie diesem: »Die Rei-senden ›eroberten‹ das Wasser auf ihre Weise«36, hat der Gebrauch des Wortes

»erobern« ausschließlich eine metaphorische Bedeutung.

Doch selbst bei deutlich (auch) strategisch angelegten Naturumgestaltungen, wie der Trockenlegung des Oderbruchs, scheint das Schlagwort »Feldzug« nur einen Aspekt zu treffen und nicht einmal den am ehesten bezeichnenden. Aus der Sicht eines Strategen wirkt schließlich alles strategisch. Wie der Titel eines der nachgelassenen Kapitel von Musils Mann ohne Eigenschaften dies auf den Punkt bringt: »General von Stumm läßt eine Bombe fallen. Weltfriedenskongreß«.37

Gewiss charakterisiert die Sprache, in der Menschen über ihre Handlungen und Ziele sprechen, diese selbst. Auch im Falle der Rheinregulierung ist »Krieg«

eine Metapher. Denn die Voraussetzungen der Rheinregulierung wurden zwar durch die Napoleonischen Kriege geschaffen, doch sie war kein Krieg. Die Kriegsmetaphorik wies auf Kontrollbestrebungen und ein systematisch zielge-richtetes Vorgehen hin, aber nicht auf dessen Einordnung in ein tatsächliches Kriegsgeschehen.

Selbst wenn fast alle großen Landschaftsumgestaltungen auch militärischen Zwecken dienten – so auch die Donauregulierung – sind sie keine Kriegsfüh-31 Blackbourn: Die Eroberung der Natur, p. 13.

32 Blackbourn: Die Eroberung der Natur, p. 120f.

33 Blackbourn: Die Eroberung der Natur.

34 Klappentext von Blackbourn: Die Eroberung der Natur.

35 Blackbourn: Die Eroberung der Natur, p. 207.

36 Blackbourn: Die Eroberung der Natur, p. 207.

37 Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Roman/ II. Aus dem Nachlaß. Frisé, Adolf (Hg.): Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1978, p. 1113.

rung per se. Folgten auch die verschiedenen Planungs- und Realisierungsphasen des Eisernen-Tor-Kanals dem Rhythmus militärischer Vorstöße und diese besie-gelnder Friedensabkommen an der unteren Donau,38 wurde auch die regulierte Donau im ersten Weltkrieg eine unverzichtbare Nachschublinie für die Mittel-mächte,39 so war dies nicht das einzige Ziel der Regulierung.

Die Eingriffe in die Natur, wie sie ab dem 18. Jahrhundert in immer größe-rem Ausmaß unternommen worden sind, setzen ein Nutzungsverhältnis voraus, wie es in früheren Jahrhunderten tatsächlich unvorstellbar gewesen wäre. Doch bemerkenswert an dieser großflächigen, planmäßigen Umgestaltung der Land-schaft ist, dass sie HerrLand-schaft über die Natur im Sinne einer Kontrolle der (bio-logischen, hygienischen, ökonomischen) Lebensbedingungen verstand. Auch die Bändigung des wilden Rheins war ein »Feldzug« – in ihrer Vorgehensweise, als systematische Zuordnung von Mitteln zu Zwecken. Sie diente jedoch zur Elimi-nierung der Hochwassergefahr, zur Festlegung von Grenzen sowie der Förderung des Handels und einer neuer Art von Landwirtschaft. Dies war auch das spezi-fisch Moderne an ihr.

Der Gestus der Beherrschung und Bezähmung, die oft wiederholten Parolen von »Siegen« oder »Eroberungen in Frieden«, die in Pressemeldungen, in feierli-chen Einweihungszeremonien und deren Medienecho in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tatsächlich eine Rolle spielten, zeugen meiner Meinung nach nicht von einem kriegerischen Verhältnis zur Natur, sondern von der unsichtbar gewordenen Macht des Souveräns, die sich u. a. mit kriegerischen Parallelen und mit dem Hinweis auf die Erhabenheit und Größe der Natur in Szene zu setzen 38 So etwa brachten den zweiten Schub an Regulierungsplänen für das Eiserne Tor die Jahre 1853-56, als während des Krimkrieges die Walachei von österreichischen Trup-pen besetzt wurde. Cf. Cassian, Martin: Noch einmal die Donau als Verkehrsstraße nach dem Orient und die Thätigkeit der Donau-Dampfschifffahrt-Gesellschaft. In:

Österreichische Revue 1865/8, pp. 170–194, hier p. 182.

39 Besonders wichtig war die Donau in den Kämpfen um Beograd 1914-1915 (Beograd wurde am 7. Oktober 1915 von den Mittelmächten eingenommen), als Wasserweg, auf dem man die Mittelmächte mit Getreide und Rohstoff aus Rumänien und die Türkei mit Munition versorgen konnte (besonders Ende 1915 Anfang 1916). Die Mit-telmächte »beherrschten« die gesamte Donau erst, als sie, nachdem sie den Fluss von Minen gesäubert hatten, am 11. April 1918 die Donaumündung bei Sulina erreichten.

Zwischen April und (dem 22.) August 1918 wurde die Donauflottilie in der Ukraine eingesetzt, um den Rohstoff- und Getreidenachschub für die Mittelmächte zu sichern. Sie trat am 22. August 1918 den Rückzug an die Donau, am 13. Oktober den Rückzug auf der Donau an. Cf. Schaumann, Walther, Peter Schubert: Krieg auf der Donau. Die Geschichte der österreichisch-ungarischen Donauflottille. Klosterneu-burg/Wien: Verlag Mayer & Comp. 2000.

31 Die Rede über die Donau im 19. Jahrhundert: Majestät im Bettlergewand

suchte. Wenn man sich die großen Einweihungszeremonien im letzten Drittel des Jahrhunderts, jene nach dem Kanalbau in Suez, nach der großen Donauregulie-rung in Wien oder beim Eisernen Tor mit all der Schar der prominenten Gäste und Könige sowie der ihnen gewidmeten öffentlichen Aufmerksamkeit vergegen-wärtigt, wird man sich dessen bewusst, wie sehr die Natur zu einer Kampfarena des menschlichen Fortschritts wurde, die eine Quasi-Aura um jene Herrscher zog, die in ihr »auftraten«.

Die Rede über die Donau im 19. Jahrhundert: Majestät im Bettlergewand

Ein majestätisch dahin strömender Strom – mit diesem Attribut schmückten Texte mit unterschiedlichsten Agenden immer wieder die Donau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.40 Sie war nicht nur groß, sie war »mächtig«41, unter

Ein majestätisch dahin strömender Strom – mit diesem Attribut schmückten Texte mit unterschiedlichsten Agenden immer wieder die Donau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.40 Sie war nicht nur groß, sie war »mächtig«41, unter

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