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Reales und Imaginäres

Im Dokument » Die Donau ist die Form« (Seite 77-81)

Ein Knabe glaubte einst der Donau durch Zuhalten ihrer Quelle mit dem Daumen ein jähes Ende zu bereiten.190

Karl Kraus So greifbar die Artefakte, Ergebnisse und Folgen der Donauregulierung auch waren, sie basierten oft auf den seltsamsten Spekulationen über die »Optimie-rung« des Flusslaufes. Imagination und Kalkül verliefen nicht nur parallel, son-dern boten sich auch gegenseitig Stoff. Die technischen Errungenschaften galten als »Wunder«, während sich die erstaunlichsten Einbildungen durch »Realien«

beglaubigten. Die Verbesserung der Natur war eine Parole, die zu vielerlei Über-legungen Anlass gab.

In der Tat ist das Diktum, dass die Donau »in die falsche Richtung« und »in das falsche Meer« fließt, gleich alt wie die Überzeugung von der Notwendigkeit ihrer Regulierung. Széchenyi fällte das Verdikt 1829 in seinem Buch Über den Cre-dit über die wirtschaftliche Bedeutung der Donau: »Von der Donau haben wir nicht viel Nutzen, denn sie fließt von uns aus gesehen in die falsche Richtung und wird uns zuliebe nicht umkehren [...].«191

Falsch war die Richtung hauptsächlich aus dem ungarischen Blickwinkel, da die »natürlichen« Märkte für die größtenteils landwirtschaftlichen Produkte Ungarns mehrheitlich im Westen lagen. So schrieb Széchenyi in einem Zeitungs-bericht über eine Donaufahrt im Jahre 1834, dass die Flussrichtung »im morali-schen Sinne« mangelhaft sei, weil die Donau »größtenteils durch unkultivierte und zurückgebliebene Länder fließt und schließlich nicht in den Ozean, sondern nur in einen größeren salzigen Tümpel, in das Schwarze Meer mündet.«192 190 Kraus, Karl: Die Wiener Straße. In: Fackel, Heft 178, 25.3. 1905, p. 6. http://corpus1.

aac.ac.at/fackel/. [1.2.2012].

191 »a Dunának nem vehetjük nagy hasznát, mert miránk nézve visszásan foly, kedvün-kért megfordulni nem fog, torkolatjánál pedig nem miénk, hanem másé« Széchenyi, István: Hitel. [Über den Credit] Szerkesztette és bevezetéssel ellátta Dr. ifj. Ivá-nyi-Grünwald Béla. Budapest: Magyar Történelmi Társulat 1930, p. 356f.

192 »Erkölcsi tekintetben pedig azért hiányos, mert legnagyobb részint műveletlen, min-denekben hátramaradt tartományokon foly keresztül, s végre tulajdonkép nem az Óceánban, de csak egy nagyobbacska sós tóban, t. i. a fekete-tengerben végzi

pályá-77 I. Regulieren und Regieren

Fernerhin war auch die Mündung in den falschen Händen.193 Die russische Obrigkeit hinderte die Schifffahrt, indem sie nichts gegen die Versandung des Hauptarms unternahm und bei dem Durchlassen der Fahrzeuge Willkür walten ließ: »Also werden die Russen unsern Handel, ist er passiv, dulden, – ist er Actif, zerstören!«194

Die folgenden Jahrzehnte brachten viele Veränderungen sowohl in der recht-lichen Lage des Flusses als auch im Stand der Regulierung, doch die Liste der

»moralischen« Mängel der Donau sah bis auf die Freiheit der Donau-Mündung noch am Ende des 19. Jahrhunderts unverändert aus. »Es ist für uns – einen vor-dringlich exportierenden Staat – unvorteilhaft genug, dass die Flussrichtung die-ses Stromes nach Osten führt…« – heißt es noch im Wasserbau-Abschnitt des ungarischen Millenniumskatalogs von 1896. 195

Wenn die »Correction« des Stromes schon für den Berufsstand der Wasser-ingenieure ein Schlagwort war, um wie viel ungehemmter wurde der Lauf der Donau imaginär »korrigiert«.

Unter Umständen wurde diese »Korrekturbedürftigkeit« sogar geografietheo-retisch fundiert. In seiner Rhein-Monografie entwickelte Johann Georg Kohl die These, dass die große Nähe und der parallele Verlauf eines Flusses zu einem Meer im Allgemeinen für den Fluss ungünstig sei, weil ihm Verkehr entzogen wird.

Auch die (vergleichsweise) große Nähe der Donau zur Adria zwischen Wien und Triest bewirke Kohl zufolge einerseits eine »beständige Communication«196 zwi-schen Strom und Meer (bzw. ihren Städten), andererseits aber auch die Leblosig-keit und BedeutungslosigLeblosig-keit der (eigentlichen) Donau-Mündungen. »Die Häfen Venedig, Triest und Salonichi zogen und ziehen Vortheil aus diesen Verhältnis-sen. Es ist als wenn sich Donau-Arme zu diesen Städten heranneigten. Sie sind gewissermaßen Mündungsstädte der Donau.«197

Kohl zieht den Nil in Afrika und den Maraňon in Süd-Amerika als weitere Beispiele heran, um seiner Behauptung einen allgemeineren geografischen Rück-halt zu geben, und da die Donau die sich ihr anbietende großartige Möglichkeit,

ját.« Zichy, Antal (Hg.): Gróf Széchenyi István hírlapi zikkei. Budapest: MTA 1893–

1894, p. 86.

193 Cf. Széchenyi: Hitel, p. 356f.

194 Viszota, Gyula (Hg.): Gróf Széchenyi István Naplói. [Die Tagebücher von Graf Széchenyi] IV. kötet (1830–1836) [Band IV.] Budapest: Magyar Tudományos Aka-démia 1934, p. 98. (Tagebucheintrag v. 7. 8. 1830)

195 »Elég kedvezőtlen reánk, mint főként exportáló államra nézve, hogy ezen folyó irá-nya kelet felé vezet [...].« Kovách: Vízépítészet, p. 692.

196 Kohl, Johann Georg: Der Rhein, Leipzig: F. A. Brockhaus 1851. Bd. 1. p. 71.

197 Kohl: Der Rhein, p. 70.

in die Adria zu münden, nicht in Anspruch nimmt, führt diese Kohl in einem Gedankenexperiment selber vor: »Man denke sich, daß es möglich wäre, das ganze Geäste des Donausystems mit allen daran hängenden Ländern so herum-zuschwingen, daß der Strom ins adriatische Meer ausmündete, und daß er mit seiner Hauptader senkrecht auf des mittelländischen Meeres stände, welches rei-che Leben würde dann das ganze Donausystem durchfluthen!«198

So fantastisch sich Kohls Idee auch anhören mag, es fehlte nicht an Versuchen, die Donau entsprechend zu korrigieren.

Im Plan des künstlichen Wasserstraßennetzes von François Joseph Maire199 aus dem Jahre 1786 nahm die Verbindung Wiens mit Triest eine offenbar bedeu-tungsvolle Rolle ein und als Fortsetzung des Franzenskanals (1793 bis 1802) wurde ein Donau-Adria-Kanal nicht nur anvisiert und geplant, sondern teils sogar in Angriff genommen.200 Für das populäre Fortleben dieser Idee braucht man nur an Jókais parodistisch-futuristischen Roman Ein bejahrter Mann ist kein alter Mann201 zu denken, in dem vier Versionen zur Lösung des Lebensproblems eines alten Mannes entworfen werden und in Verbindung damit auch verschie-dene Weltverbesserungsprogramme. Im zweiten Teil des Romans ist der bejahrte Mann, ein Alter Ego des Autors, damit beschäftigt, den Karst-Adria-Kanal zu erbauen und Budapest in einen Meereshafen zu verwandeln.

In Jókais Science-Fiction, dem Roman des zukünftigen Jahrhunderts, wurden wiederum die bekannteren »Fehler« der Donau korrigiert, so etwa geriet die Mündung der Donau unter ungarische Aufsicht und auch das Eiserne Tor wird seinem Namen entsprechend als eine Art Schleusentor verwendet, das zuerst eine Katastrophe herbeiführen, später jedoch zur Lösung eines Konflikts beitragen sollte.

Es ist ironisch genug, dass einige Jahrzehnte später Jókais Versperrungsfanta-sie unter der Feder eines Wasseringenieurs zum Baustein in der Argumentation für die Öffnung der Donau wurde.202

198 Kohl: Der Rhein, p. 70.

199 Maire: Bemerkungen über den inneren Kreislauf.

200 Cf. Petroviċ: Hajózás és gazdálkodás a Közép-Duna-medencében.

201 Jókai, Mór: Ein bejahrter Mann ist kein alter Mann. Erträumter Roman in vier Abteilungen von Maurus Jókai. [Öreg ember nem vén ember...] Autorisierte Über-setzung von Dr. Béla Diósy. Wien: Spielhagen u. Schurich, 1990.

202 »[…] um aus diesem gefährlichen Labyrinth auf eine sichere Basis zu gelangen. Und den unbändigen Strom zu einer gewissen Regelmässigkeit zu zwingen, um sich auf demselben für immer eine freie unbehinderte Schifffahrt zu sichern.« Gonda: Die ungarische Schifffahrt, p. 2.

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Béla Gonda, Herausgeber der Zeitschrift Vizmérnök203 und Befürworter der Donaukataraktenregulierung am Eisernen Tor erwähnt bei seiner Beschreibung des Kasanpasses, dass Jókai in seinem Romanirrtümlicherweise den engen Pass als Eisernes Tor beschreibt und dieses wie ein wirkliches Tor imaginiert »mit dessen Versperrung [...] der Abfluss der Donau aufgehalten, ein großes Gebiet unter Wasser gesetzt und so wenigstens zum Teile das Süsswasser-Meer der vorgeschichtlichen Zeiten hervorgezaubert werden konnte.«204 Die fantastische Vorstellung einer nach exakten Berechnungen heraufbeschworenen Sintflut, den nicht weniger als zwanzig von Aerodromen herangeflogenen und in eine Rille des Felsens eingefügte Stahlbögen über die Gegend verhängen, um die gespaltene und von Parteizwist gelähmte ungarische Nation von ihren Feinden zu trennen und sie zugleich an den inneren Frieden zu gemahnen, wird damit eingebaut in die populäre Begründung für die Stromregulierung und den Ausbau einer jederzeit befahrbaren Wasserstraße zwischen Okzident und Orient.

203 Wasseringenieur. Béla Gonda hat zudem den Donau-Beitrag im Ungarischen Teil des Kronprinzenwerkes, sowie ein grundlegendes Werk zur Donauregulierung am Eisernen Tor und zur Donaudampfschifffahrt verfasst.

204 Gonda: Die ungarische Schiffahrt, p. 13.

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