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Diskurs(e) und Regulierung

Im Dokument » Die Donau ist die Form« (Seite 81-102)

Die Fragen der Stromregulierung wurden in verschiedenen Zusammenhängen verhandelt, von den internationalen Verträgen, die den rechtlichen Status des Stro-mes sowie das Recht der Zollerhebung darauf regulierten, bis zu den Vorträgen, Veröffentlichungen und Zeitschriftendiskussionen der 70er bis 80er Jahre, die die öffentliche Meinung für einschlägige Maßnahmen mobilisierten. In diesen Zusam-menhängen wurde die Donau unterschiedlich diskursiviert. Diskurs, könnte man anhand von Foucaults Archäologie des Wissens sagen, meint dabei »eine Praxis des Denkens, Schreibens, Sprechens und auch Handelns, die diejenigen Gegenstände, von denen sie handelt, zugleich selbst systematisch hervorbringt.«205 Gerade jene Texte und Prozeduren, die zwischen gewissen abstrakten Ideen und der Praxis ver-mittelten, sind für die hier folgenden Betrachtungen relevant.

»durch Gehorsam besiegen«206

Indem sich die Regulierung Natur aneignet, konstruiert sie zuallererst auch

»Natur«, als das Gegenüber von Kultur und Zivilisation, wie auch das Subjekt dieses Diskurses, den regulierenden, die Natur unter seine Kontrolle bringenden Menschen. Als Grundlage für die technische Umgestaltung der Natur wurde von Wissenschafts- bzw. Umwelthistorikern der mit Francis Bacons Namen gekenn-zeichnete neuzeitliche Naturdiskurs angesehen.207 Als Ausgangspunkt dieses Wissens- und Wissenschaftsverständnisses gilt Bacons im Novum Organon for-muliertes Programm, das die Wissenschaft anstelle eines abschließbaren Kanons von Wissen eher als ein offenes, kollektives, auf Innovation hin orientiertes Sys-tem von Wissen versteht. Bacon propagiert in diesem Werk eine »Logik des Erfindens« und eine unmittelbare Bindung menschlichen Handelns an naturwis-senschaftliches Wissen:

205 Parr: Diskurs. In: Kammler (Hg.): Foucault-Handbuch, p. 234.

206 Bacon, Francis: Neues Organon. Übersetzt, erläutert u. m. einer Lebensbeschrei-bung des Verfassers versehen v. J. H. v. Kirchmann. Berlin: L. Heimann 1870. Erstes Buch, Aph.3., p. 83.

207 Cf. Böhme, Gernot: Am Ende des Baconschen Zeitalters. Studien zur Wissen-schaftsentwicklung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993.

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»von der Natur selbst vorgezeichnet«

Der Mensch, als Diener und Dolmetscher, wirkt und erkennt nur so viel, als er von der Ordnung der Natur durch seine Werke oder seinen Geist beobachtet hat, darüber hinaus weiß und vermag er nichts. Denn keine Kraft vermag die Kette der Ursächlichkeit zu lösen oder zu brechen, und sie wird nur besiegt, wenn man ihr gehorcht. Deshalb fallen jene Zwillingsziele, die menschliche Wissenschaft und die menschliche Macht, in eins zusammen […].208

In einem folgenden Satz steht der oft zitierte Aphorismus: »Die Natur wird nur durch Gehorsam besiegt.«209 Die Tradition des neuzeitlichen technischen Den-kens sah die Natur als eine sinnvolle Einrichtung, als eine Art Weltmaschine an, die in eine Ordnung von Mittel und Zweck eingefügt210 und dem Menschen zur unablässigen Verbesserung zur Verfügung gestellt ist. In der Folge zerfällt die Natur in ein von den Menschen zu erforschendes und zu befolgendes Regelsys-tem und eine ihm Widerstand leistende Materie.

Als Widerpart dieser als Objekt menschlicher Tätigkeit verstandenen Natur wird das Subjekt gesetzt. Es wird durch das Narrativ von der Verbesserung der Natur konstituiert. Durch diese Aufgabe versteht sich das Subjekt einerseits als Schüler der Natur, andererseits aber auch als ihr »Herrscher« oder als ihr

»Eroberer« im Frieden. Dieser Widerspruch (wie auch andere) lassen sich in der Rede über die großen Naturumgestaltungen des späten 18. und des 19. Jahrhun-derts gut nachvollziehen.

»von der Natur selbst vorgezeichnet«211

Bezeichnend für diese Ambivalenz sind die Äußerungen eines Mannes, der als Naturwissenschaftler und als Politiker unmittelbar mit der Donauregulierung in Wien und mit vielen anderen Modernisierungsprojekten der liberalen Ära 208 Bacon: Neues Organon. Erstes Buch, Aph.3., p. 83.

209 Bacon: Neues Organon. Erstes Buch, Aph.3., p. 83.

210 »Das sogenannte technische Zeitalter, in dem moderne Naturwissenschaften, Maschinenbau und arbeitsteilige Industrie völlig neue Formen technischer Natur-beherrschung und Naturausbeutung ausbilden, beginnt im 19. Jahrhundert. Vorbe-reitet wird dieser Umbruch auf technischem Gebiet durch die Maschinenbaukunst, die sich – parallel zur New Science – seit der Mitte des 16. Jahrhunderts entwickelt hatte.« Cf. Groh, Ruth u. Groh, Dieter: Religiöse Wurzeln der ökologischen Krise.

Naturtheologie und Geschichtsoptimismus in der frühen Neuzeit. In: dies.: Welt-bild und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur. Frankfurt a. M.: Suhr-kamp, p. 60.

211 Suess: Erinnerungen, p. 194.

verbunden war und auch den Donau-Verein geleitet hat. Für einen Mann wie Eduard Suess, der Geologie studiert und als Professor der Wiener Universität unterrichtet hat, war Natur ein ernstzunehmendes Wort. Wenn es um Gesamt-darstellungen der Ziele der Donauregulierung ging, wie in einer 1880 gehaltenen Rede über »Die Aufgabe des Donau«, berief sich Suess gern auf die »natürlichen«

Gegebenheiten der Donau und der Region, wie etwa die »geografische Lage« des Stromes und die »Lebensprozesse des Staates«.

Doch aus seinen Erinnerungen erfährt man, wie verhandelbar oft der Zeigefinger der Natur war. So etwa auch bei den Plänen zur großen Donauregulierung bei Wien.

In seinen Erinnerungen geht er auf die Reifung des Planes und auf den Vorgang des Entscheidungsfällens für ein bestimmtes, (schließlich) verwirklichtes Szena-rio ein, aber kaum auf die technische Verwirklichung, die nicht ihm zustand. In seiner sonst oft skizzenhaften Erzählung befasst er sich besonders eingehend mit seinen – übrigens von dem mit der Leitung der Regulierungsarbeiten betrauten Ingenieur Gustav Wex geteilten – Zweifeln bezüglich der richtigen Ausbildung des neuen Strombettes.

Diese verantwortungsvollen Fragen lasteten auf mir als dem technischen Bericht-erstatter im Sommer 1869 [...], und ich gestehe, dass mir während des ganzen Baues der Hochquellenleitung in technischer Beziehung kein Augenblick so sor-genvoll geworden ist, wie dieser Sommer durch die Regulierung der Donau. Dort [beim Bau der Wiener Hochquellwasserleitung – E.K.] lag eine von der Natur selbst vorgezeichnete Aufgabe vor; hier [bei der Donauregulierung – E.K.] hatten wir es mit widersprechenden Gutachten zu tun [...].212

Die natürliche Wasserstraße, Regulierung als Disziplinierung

Die Semantik dieses Widerspruchs lässt sich genauer erfassen, wenn man Suess‘

Schilderungen mit den Donau-Kapiteln des gemeinhin als Kronprinzenwerk bekannten Kompendiums Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild zusammenliest. In dieser repräsentativen landeskundlichen Bestandsauf-nahme der Österreichisch-Ungarischen Monarchie aus den Jahren 1886–1902 spielt die Donau eine eminent wichtige Rolle. Ihrer Darstellung kommt hier

212 Suess: Erinnerungen, p. 194. Auch bei der Mündung der Donau geht es um die Verhandelbarkeit der »natürlichen« Wasserstraße. Denn von den Donau-Mün-dungen wurde etwa statt dem St. Georgskanal, der »natürliche[n] Mündung der Donau« auf russischen Einfluss hin der Sulinakanal für den Ausbau gewählt. Suess:

Donau-Regulierung von Passau bis zum Eisernen Thore, p. 7.

83 Die natürliche Wasserstraße, Regulierung als Disziplinierung

buchstäblich die Bedeutung eines verbindenden Bandes zu, denn sie war eine strukturierende Landschaft der Monarchie, die verschiedene Gegenden und Länder miteinander verband.213 In ihrem Charakter als Bindeglied ist sie sowohl eine natürliche Gegebenheit als auch eine politische (und technische) Aufgabe.

Aus diesem Doppelprofil ergeben sich auch die Schwierigkeiten der Darstellung.

Denn die Stromregulierung bedeutet immer auch die Aneignung der Natur. Ent-sprechend weisen die der Donauregulierung gewidmeten Kapitel des Kronprin-zenwerkes alle Widersprüche und Ambivalenzen eines aufklärerischen Naturdis-kurses auf: Das Natürliche muss auch das Vernünftige sein, und wenn es nicht vernünftig ist, muss es zur Vernunft gebracht werden. Entsprechend gilt es bei der Donauregulierung, »die durch die Natur geschaffene [...] Wasserstraße«214 zual-lererst von der Natur zu erobern.

Aus den der Stromregulierung gewidmeten Kapiteln des Kronprinzenwerkes lässt sich genau entnehmen, wie aus dem »Strom« die »Wasserstrasse Donau«

diskursiv hergestellt wird.

Die Donau, »ein gewaltiger aber ungezügelter Strom, auf große Strecken ver-wildert und vernachlässigt«215, ist nach dieser Logik ein »Strom im Urzustand«216, der dazu gebracht werden muss, »den von der Cultur vorgeschriebenen Lauf« zu nehmen.217 Die Regulierung wird zur Reglementierung, »um das abenteuerlich umherschweifende Gewässer in Fesseln zu legen und es zu zwingen, dort so zu fließen, wo und wie der menschliche Geist es vorschrieb«.218 Auf jeden Fall sind es aber der »Geist« und die »Kultur«, die hier dem natürlichen Lauf der Dinge Einhalt gebieten und den Fluss nach Vorschrift in die Wege leiten. Die binäre Opposition und die implizierte Hierarchie von Kultur und Natur wird durch den Unterschied zwischen den chaotischen Verhältnissen der Gewässer und

213 Sie war unter verschiedenen Bänden aufgeteilt, so etwa dem Wien-Band (1886), dem Oberösterreich-Band (1889), dem Niederösterreich-Band (1888) und dem ersten (1888) und dem vierten (1896) Ungarn-Band.

214 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild. Ungarn. Bd. IV. Wien: k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1896, p. 31.

215 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung I. Wien. Wien: k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1886, p. 321.

216 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung I., p. 321.

217 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung I., p. 325.

218 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild. Ungarn Bd. IV., p. 31.

der übersichtlichen Ordnung der Regulierung samt ihrer formalen Charakteris-tika, wie Geschlossenheit, Einheitlichkeit, Festigkeit und Kontinuität, in Szene gesetzt. Die zur letzteren gehörende (männliche) Subjektposition weist dem Anderen dieser Differenz den Ort zu, der im Diskurs der Aufklärung für Kinder und Frauen vorbehalten ist. In der Terminologie der Regulierung wurde die Ver-wandlung des Stromes in eine Wasserstraße in den Rang eines Erziehungsauf-trags erhoben.219 Es oblag dem Staat, diesen zu verwirklichen.

In diesen Beschreibungen wird der Strom selbst zum Ort eines Bruches.

Das Unbekannte, dessen Grenzen in der Neuzeit immer weiter hinausgescho-ben wurden, taucht hier als eine Kehrseite des längst Bekannten wieder auf – als Tücke des Elements: ein unkontrollierbarer und widerspenstiger Rest.

Die Regulierung bedeutet jedoch nicht nur eine diskursive Unterwerfung des unsicheren Elementes, sondern geht mit einer tatsächlichen »Kolonisierung« ein-her. Am unteren Lauf der Donau, wo nach den Türkenkriegen Boden vom Fluss und Sumpf (zurück)erobert wurde, werden die neugewonnenen Donau-Ufer mit

»Colonisten« aus der Bukowina besiedelt.220 Im Begriff des »Nutzbar-Machens«

kommt die Bedeutung von Kultur und Kolonie wieder einmal zur Deckung, indem er sowohl auf das Kultivieren des Bodens als auch auf die Übertragung,

»Verpflanzung« dieser Praktiken in einen fremden Raum verweist.221 Das Paradies der Auwälder

Doch die Begeisterung für die segensreichen Folgen der Stromregulierung geht im Kronprinzenwerk mit der Trauer um ein verlorenes Paradies einher. Das pat-riotische Werk, welches »dem wissenschaftlichen und künstlerischen Selbstge-fühl der einzelnen Nationen Rechnung tragen, der ganzen Monarchie und allen ihren Theilen zur Ehre gereichen«222 sollte, fasste ein Material, das für einzelne Teile der Monarchie vorlag, zusammen und versammelte damit auch für ein und dieselbe Landschaft verschiedene Gesichtspunkte. Die Donau wurde je nachdem, 219 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung I, p. 13, p. 98, p. 321, p. 325.

220 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie. Ungarn Bd. II. Wien: k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1891, p. 544f.

221 Honold, Alexander und Simons, Oliver: Kolonialismus als Kultur? In: dies. (Hg.):

Kolonialismus als Kultur. Literatur, Medien, Wissenschaft in der deutschen Grün-derzeit des Fremden. Tübingen Basel: A. Francke Verlag, 2002, (=Kultur – Herr-schaft – Differenz Bd. 2.) pp. 7–15.

222 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie. Übersichtsband. Abtheilung I. Naturgeschichtlicher Theil 1887, Einleitung, p. 7.

85 Das Paradies der Auwälder

ob sie unter landschaftlichen oder volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten verhan-delt wurde, unterschiedlich dargestellt, oft sogar in denselben Bänden. Werden in den Wien-Kapiteln die technischen Raffinessen der Flussregulierung gefeiert, so beklagt der Kronprinz im Band Niederösterreich im Kapitel »Die Donau-Auen von Wien bis zur ungarischen Grenze« das Schrumpfen der kaiserlichen Jagdrevie-re.223 Während in den Wien-Kapiteln die Berechenbarkeit des Schiffverkehrs gelobt wird, beschreibt dieses die Auen als »eine Welt für sich«224 und hebt ihre Undurch-dringlichkeit hervor.

Im Weichbild der Großstadt erscheint das Gegenbild der reglementierten Flusslandschaft, die Donau-Au. Die Auen und Haufen am Stromrand beherber-gen einen berückenden Reichtum an Tier- und Pflanzenarten: »dies Alles mischt sich untereinander in bunter Unordnung und gibt ein Bild urwüchsiger Wildniß, das gewiß Niemand in unmittelbarer Nähe einer Weltstadt vermuthen würde.«225 Das Paradies wäre allerdings ohne das Zusammenschrumpfen, ohne die Reduk-tion auf einen Parkcharakter kein Paradies und die Naturschönheiten würden ohne die melancholische Lust an der Rekonstruktion des Verlorenen nie zum Katalogisieren einladen.

Das Kapitel über die niederösterreichischen Donau-Auen ist eines der bemer-kenswertesten Schilderungen ihrer Tierwelt, die die Regulierung der Donau nicht als historische Notwendigkeit oder als eine Optimierung ansieht, sondern als einen Prozess, der den Boden überall in Felder verwandelt, die »recht einsame und ganz für sich allein charakteristische Wildniß«226 der Auen verkümmern lässt und dem »unbehinderte[n] Treiben«227 der Natur »ein Riegel wohl für immer vorgeschoben«228 hat.

223 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie. Wien und Niederösterreich. Abtheilung I., p. 99.

224 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie. Wien und Niederösterreich. Abtheilung I., p. 98.

225 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monarchie 1886–1902. Wien und Niederösterreich. Abtheilung I., p. 107.

226 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung II. Niederösterreich.

Wien: k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1888, p. 98.

227 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung II. Niederösterreich.

Wien: k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1888, p. 98.

228 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung II. Niederösterreich.

Wien: k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1888, p. 98.

Die gewohnte Ordnung von Kultur und Natur wird hier zumindest rheto-risch umgekehrt. Dies ist umso überraschender, als die Schilderung sich eigent-lich derselben Metaphorik bedient. Nur sind es die Donau-Auen, die »allerhand Zugwild« »zur Heerstraße dienen«229 oder aber als »Haupt-Marschroute der befie-derten Welt.«230

Statt den Erfolgsmeldungen der Techniker ist hier Wiens große Donauregu-lierung als eine lange Verlustgeschichte zu lesen:

In unmittelbarer Nähe Wiens verschwanden die Auen, welche noch vor sehr kur-zer Zeit in voller Pracht bestanden, fast gänzlich. In rascher Folge wurde vom Fuße des Kahlenberges und gegenüber dem Bisamberge bis hinab zur Militärschieß-stätte und zum Prater die ganze Ufergegend bebaut, cultiviert, regulirt und mit Brücken, Häusern, Dampfschiffplätzen, Waarengebäuden, großen Mühlen und Badeanstalten so reich besetzt, daß nur hier und da einzelne alte Bäume, versan-dete Plätzchen mit leichtem Weidenanflug und noch nicht gänzlich ausgeroversan-dete dünne Stangenhölzer an frühere Zeiten mahnen.

Und der Prater, der noch vor zwanzig Jahren, einige Alleen und Gehwege ausge-nommen, eine echte, urwüchsig schöne, mit Hochwild reich besetzte Au war, ist jetzt ein arg zusammengeschrumpfter Park, in dem die alten herrlichen Bäume und an manchen Stellen längs der Wasserarme noch spärliche Auvegetation künst-lich erhalten werden.231

Dort, wo noch vor nicht allzu langer Zeit »dichte, wilde Aubestände waren«, findet man heute nur »dünne, spärlich bebuschte Stangenhölzer, die den eigent-lichen Charakter der Vegetation und auch des Tierlebens schon längst verloren haben.«232 Mit dem Zusammenschrumpfen der »wild emporwuchernden«

Vege-229 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung II. Niederösterreich.

Wien: k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1888, p. 98. Hervorhebung von E.K.

230 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung II. Niederösterreich.

Wien: k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1888, p. 108. Hervorhebung von E. K.

231 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung II. Niederösterreich.

Wien: k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1888, p. 98f.

232 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung II. Niederösterreich.

Wien: k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1888, p. 99.

87 Das ökonomische Moment

tation hat sich aber »auch die Thierwelt mehr und mehr zurückgezogen.«233 Die unregulierte Auenlandschaft wird nicht nur mit dem Reichtum der Arten asso-ziiert, sondern auch mit Freiheit. Es ist ein Ort, wo »der Strom frei schalten und walten kann«.234

Die Sympathien des Autors sind unverkennbar: »Diese schmalen Auen wur-den durch die Bauten der Donauregulirung arg mitgenommen, so daß sie jetzt kaum mehr genannt zu werden verdienen.«235

Das ökonomische Moment

Der Regulierungsdiskurs setzt jedoch nicht nur auf eine ihm eigene Art »Natur«

und »Subjekt« ein, sondern eröffnet auch den Raum des Ökonomischen. Denn die Regulierung wird nicht nur als Reglementierung verstanden, sondern auch als die Freisetzung von Kräften: »den vollkommen unvorbereiteten und so zu sagen rohen Fluss in immer bessern Stand zu setzen«.236 Durch die Regulierung werden dem Strom innewohnende Fähigkeiten hervorgeholt, so wird er gleichsam dazu befähigt, seine Kraft auf friedliche Art zum Nutzen aller zu entfalten. Die ein-schlägige Argumentation findet man in beinahe allen von Ingenieuren verfassten Texten.

Neben diesem Begründungszusammenhang von Handeln und Wissen in Bezug auf die Natur war für den Regulierungsdiskurs auch die Vorstellung von einer ursprünglichen Harmonie und der »Regelhaftigkeit natürlicher Abläufe«237, die seit Mitte des 17. Jahrhunderts mit dem Begriff oeconomia naturae bezeichnet wird, konstitutiv. Der Schöpfer hat im Sinne dieser Auffassung »in seinem Welt-bauplan« »Naturgesetze vorgesehen, die den selbständigen Ablauf der Natur-prozesse regeln und die Erhaltung der natürlichen Ordnung der Welt gewähr-233 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung II. Niederösterreich.

Wien: k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1888, p. 99.

234 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung II. Niederösterreich.

Wien: k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1888. p. 100.

235 Rudolf, Erzherzog von Österreich (Hg.): Die Österreichisch-Ungarische Monar-chie in Wort und Bild. Wien und Niederösterreich. Abtheilung II. Niederösterreich.

Wien: k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1888, p. 105.

236 Kohl, Johann Georg: Geschichte der Entwicklung der österreichischen Dampfschif-fahrt auf der Donau. In: Deutsche Vierteljahresschrift. Stuttgart, Tübingen: Cotta 1853, Bd. 2. 2. Heft, pp. 163–216, hier p. 177.

237 Groh: Weltbild und Naturaneignung, p. 105.

leisten«.238 Das Prinzip der harmonischen (Selbst)regulation wird in Form des Zirkulationsmodells auch für den Regulierungsdiskurs bestimmend.

Zirkulation

Das Modell der Zirkulation integrierte die Schiffbarmachung von Flüssen und den Bau von Straßen in den Verwaltungsbereich eines ökonomisch bestimmten Staatsorganismus. Es begründete zugleich den Zusammenhang zwischen ver-schiedenen Regionen wie auch zwischen verver-schiedenen Bereichen des staatlichen Lebens, indem es

- unterschiedliche wirtschaftliche Abläufe in ein System ordnete;

- diese zum Teil einer großen, den ganzen Staat umfassenden Bewegung machte;

- ein allgemeines Muster von Austauschbeziehungen bot und ein wirtschaftli-ches, politiswirtschaftli-ches, kommunikatives und medizinisches Modell übereinander blendete;

- Austauschbeziehungen als geregelte Beziehungen beschrieb;

- durch das medizinische Grundmodell eine Anschaulichkeit besaß und Ein-griffe als gleichsam »natürlich« darstellen konnte.

»[D]er Zirkulationstopos« diente einerseits als Beschreibungsmodell für den Austausch zwischen verschiedenen ökonomischen Räumen, andererseits bot er die Möglichkeit, den »ökonomischen Gesamtzusammenhang« auf einer neuen Grundlage zu systematisieren.239 Diesem Konzept zufolge existiert Wert aus-schließlich infolge eines räumlichen Gefälles von Wertlosigkeit und Nützlichkeit, das den Umlauf verursacht. »Die Lehre von der Zirkulation öffnete [...] den Blick für die produktive Dimension ökonomischer Verflechtung auf der Basis des Austausches von Gütern und Waren.«240 Zudem interpretierte sie mit Hilfe des Begriffes der

»Umlaufgeschwindigkeit« Reichtum als ein »Produkt der ›umlaufenden Summe des Geldes‹«: denn »[j]e öfters das Geld von Hand zu Hand kömmt, desto meh-reren wird dadurch das Mittel verschafft, etwas zu unternehmen«.241

238 Groh: Weltbild und Naturaneignung, p. 105.

239 Sandl, Marcus: Zirkulationsbegriff und kameralwissenschaftliche Wissensordnung

239 Sandl, Marcus: Zirkulationsbegriff und kameralwissenschaftliche Wissensordnung

Im Dokument » Die Donau ist die Form« (Seite 81-102)