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Die Regierungszeit Moḥammad Šāhs

Im Dokument Der östliche Westen (Seite 176-183)

Die Präsenz der Großmächte im Iran

1. Die Regierungszeit Moḥammad Šāhs

In der Zeit nach Fatḥ ʿAlī Šah und seinem Kronprinzen ʿAbbās Mīrzā entwickelte sich der Iran zu einem zentralen Schauplatz des Machtkampfes zwischen den Großmächten. Obwohl zahlreiche Kadscharische Prätendenten ihre Ansprüche auf den Thron angemeldet hatten, verlief die Thronbesteigung Moḥammad Šāhs (1834-48) konfliktfrei. Zu verdanken war dies der russisch-englischen diplomatischen sowie militärischen Unterstützung (vgl. Keddie 1999:

25). Die nachfolgenden Thronbesteigungen waren ebenso durch die beiden Großmächte protegiert. Sowohl Großbritannien als auch Russland wollten gewährleistet wissen, dass der Iran gemäß ihrer eigenen Vorstellungen beherrscht wird. Es wurde nach Machthaber gesucht mit denen sie enge Beziehungen pflegen und strategische Bündnisse eingehen konnten.

Moḥammad Šāh initiierte während seiner Regierungszeit im Vergleich zu seinen Vorgängern nur wenige Reformvorhaben. Sein erster Premierminister, Abo ‘l-Qāsem Qāʾem Maqām , war zwar sehr reformfreudig und autonom in seinen Entscheidungen, konnte aber seine Pläne nicht verwirklichen. Nach seinem ersten Amtsjahr (1835) wurde er auf Moḥammad Šāhs Befehl hin stranguliert.

Die Periode zwischen 1800 und 1850 war durch die Wiederherstellung eines einheitlichen iranischen Staates unter der Herrschaft einer über Generationen mächtigen Dynastie gekennzeichnet. Durch jahrelange kriegerische und politische Auseinandersetzungen mit Russland verlor die Herrschaft einige Gebiete an seinen nordöstlichen Grenzen. Zudem wurde es gleichzeitig von den britischen Einheiten an der östlichen Grenze unter enormen Druck gesetzt (vgl. ebd., 31). Einer konsequenten Reformbewegung standen große strukturelle Hindernisse im Wege, vor allem der Mangel an souveränen sozialpolitisch orientierten Entscheidungen seitens der Herrscher. Aber auch der enorme gesellschaftliche Widerstand gegen eine Umsetzung der Reformen (vor allem angestiftet durch den Ulema, die Religionsgelehrten des Islam) blockierte letztendlich eine Entwicklung im Iran.

Zunächst konzentrierten sich Moḥammad Šāhs Bemühungen darauf, die im Russlandkrieg erfahrenen Verluste auszugleichen. Sein Hauptanliegen war es, in der militärtechnischen

176 Entwicklung aufzuholen. Kurz nach dem Verlust etlicher Gebiete Afghanistans im 19.

Jahrhundert bemühte sich der Schah um die Rückeroberung des verlorenen Landes.

Unmittelbar nach seiner Thronbesteigung verkündete Moḥammad Šāh, er wolle in Afghanistan einfallen (vgl. Framayan 1968: 125), im Jahr 1836 wurde deshalb ein britischer Offizier in den Iran entsandt, um dort die Armee auszubilden (vgl. Ringer 2001: 45).

Herats Belagerung (in den Jahren 1836-38) war eine weitere Niederlage, die dem Iran die große Diskrepanz zwischen den eigenen militärisch-technischen Mitteln und denen des Gegners vor Augen führte. Da sich gleichzeitig die politischen Beziehungen zu Großbritannien nach und nach verschlechterten, wendete sich der Schah mit seinem Hilferuf an Frankreich. Es wurde ein Gesandter nach Frankreich geschickt, um dort militärische Ausbildung und Unterstützung zu beantragen (vgl. ebd., 46). Da Frankreich seine Beziehungen zu Großbritannien auf der einen Seite und zu Russland auf der anderen Seite nicht gefährden wollte, lehnte es ab, offiziell Streitkräfte in den Iran zu schicken und öffentlich zu der Lage in Herat Stellung zu nehmen. Stattdessen wurde eingewilligt, dass einige ehemalige Militäroffiziere iranische Truppen acht Jahre lang in Infanterie, Kavallerie und Artillerie ausbildeten (vgl. Nāṭeq 1989/ 1368: 113)

Außer militärischer Ausbildung verlangte der Schah zusätzlich technisch-handwerkliche Unterstützung von den Franzosen. Im Jahr 1840 brachte der französische Botschafter Experten in unterschiedlichen Sparten (wie Papierherstellung, Kerzenanfertigung, Baumwollspinnerei und Glasherstellung) mit (vgl. ebd., 112). Ein weiterer Vertrag mit dem iranischen Botschafter in Frankreich über die Entsendung französischer Handwerker und Ingenieure nach Iran wurde aufgrund von Moḥammad Šāhs Tod im September 1848 nicht umgesetzt (vgl. Ringer 2001: 46 f.).

Auch während Moḥammad Šāhs Herrschaftszeit wurden Studenten ins Ausland entsandt. Das Reiseziel dieser Studenten war diesmal Frankreich. Die fünf auserwählten Personen stammten wieder einmal aus adligen Familien. Die Fachgebiete der einzelnen Studenten wurden vom Schah persönlich verkündet. Die angestrebten Fächer waren wie bei den Vorläufern meist praktisch-technisch orientiert: Infanterie, Artillerie, Medizin, Bergbau, Schießpulverherstellung und Uhrmacherei (vgl. ebd., 48).

Die ausdrückliche Anordnung des Schahs, sich keineswegs mit „Nutzlosem“67 zu beschäftigen und sich nur dem vorgeschriebenen Studium zu widmen, verkörpert die

67 Der studentischen Gesandtschaft wurden bezüglich ihres Verhaltens im Ausland klare Anweisungen gegeben:

„Absolviert Euer Studium in Paris und widmet Euch keinen nutzlosen und leichtsinnigen Tätigkeiten, damit Ihr ja nicht Eure Religion aufs Spiel setzt.“ (Eigene Übersetzung) Für die Kopie dieser Anweisung siehe: Mahbubi Ardakani (1966/1344: 592-593).

177 Vorstellung, dass der technische Rückstand gegenüber den westeuropäischen Ländern aufgeholt werden muss. Dieser Rückstand sollte im Rahmen eines Programmes auf die Schnelle vermindert und durch große staatliche Kapitalinvestitionen beseitigt werden.

Modernisierung wurde zwar nicht mit Verwestlichung gleichgesetzt, in der Praxis jedoch konnte sich die Gesellschaft der kulturellen Konnotationen der technologischen Reformen nicht entziehen. Der Schah war sich der engen Verknüpfung der kulturell-kognitiven mit der technologischen Ebene nicht bewusst, als er die Studenten ausschließlich für ein technisch-handwerkliches Studium ins Ausland entsandte. Die kulturellen und gesellschaftlichen Auswirkungen durch die Aneignung europäischer Technologien, Bildungssysteme und Institutionen waren für die Herrschenden nicht vorhersehbar. Die Etablierung moderner Einrichtungen erfordert nicht nur, traditionelle Systeme durch moderne Institutionen zu ersetzen, sondern setzt insbesondere kognitive Veränderungen voraus (vgl. Berger 1987: 110).

Nichtsdestotrotz durfte die Differenz zu den europäischen Staaten nicht vollkommen nivelliert werden. In vielen Bereichen wurde lange Zeit keine moralische Überlegenheit Irans unterstellt. Die Religion, der wichtigste Bestandteil iranischer Identität und ein bedeutendes Abgrenzungskriterium sowohl den Nachbarstaaten als auch den westeuropäischen Staaten gegenüber, wäre durch eine Verwestlichung stark bedroht worden. Daher wurde den Studenten geraten, sich keinesfalls der fremden Kultur anzunähern oder gar anzupassen. Die Idee war, sich ausschließlich das praktisch-handwerkliche Know-How anzueignen, während man sich der Anpassung an fremde Bedeutungssysteme entziehen sollte. Vor allem sollte der Prozess des Technologieerwerbs so rasant wie möglich passieren, um das „Versäumte“

schnell nachzuholen.

Moderne Institutionen ließen sich jedoch nicht auf schnelle Art aneignen, denn moderne Institutionen verlangen nicht nur „sehr spezifische Fertigkeiten, sondern auch, […] eine sehr spezifische Bewußtseinstruktur. Diese Fertigkeiten und dieses Bewußtsein müssen in einem Lernprozeß erworben werden, der oft mühselig und langsam ist.“ (Ebd., 113). Mit anderen Worten, der Aneignungsverlauf muss in einem Lernprozess geschehen, der in diametralem Gegensatz zu den oben geschilderten Erwartungen steht.

Der Tod Moḥammad Šāhs 1848 und der gleichzeitige Ausbruch von Unruhen in Paris veranlassten eine frühzeitige Rückkehr der Studenten. Obwohl sie ihr Studium unvollendet abgebrochen hatten, wurden sie nach ihrer Heimkehr alle in hochrangige Staatsämter eingesetzt (vgl. Ringer 2001: 49)68. Bezeichnend ist zudem, dass während der Herrschaftszeit

68 Dies war nicht die einzige offizielle studentische Gesandtschaft, die Europa in der Herrschaftszeit Mohammad Schahs besuchte. Einzeln oder im Rahmen einer Delegation wurden weitere Personen nach Europa geschickt.

Für mehr Information siehe: Mahbubi Ardakani (1966/1344).

178 Moḥammad Šāhs zum ersten Mal auch Studenten nach Europa kamen, die nicht von offizieller Seite ausgewählt, sondern von ihren Familien auf eigene Kosten zu Studien- und Ausbildungszwecken ins Ausland geschickt wurden. Im Großen und Ganzen unterschieden sich die Richtlinien in der Zeit von Moḥammad Šāh nicht allzu sehr von seinen Vorgängern (Fatḥ ʿAlī Šah und Kronprinz ʿAbbās Mīrzā). Wie zuvor war auch hier das Hauptziel, kompetente Studierende auszubilden, die dann wiederum im Staatsapparat (Regierung, Militär und Handwerk) als Hauptakteure und meist Führungspersonen fungieren konnten.

Die Reformvorhaben zielten nur auf die Erneuerung der Regierungskader, des Militärstabs und weitere praktisch-pragmatische Bereiche, wie etwa Ingenieur- und Bauwesen und Medizin. Soziale und zivile Institutionen, Kommunen, Vereine und Zünfte, die Landwirtschaft und wirtschaftlicher Eigenproduktivität wurden hingegen stark vernachlässigt.

Die staatliche Zentralisierung brachte die Zunahme an Statthalterpositionen in den Provinzen mit sich. Als Nebeneffekt entwickelte sich unter den Prinzen und dem Adel die Versteigerung staatlicher Positionen aller Art zu einem korrupten Geschäft, das die Kontrollmacht der Regierung nach und nach schwächte. Die Dezentralisierung der Kadscharenherrschaft lag auch teilweise in der unzusammenhängenden Nomadenbevölkerung der iranischen Gesellschaft begründet. Die Nomadenstämme bildeten relativ autonome, zudem militärisch eigenständige und bewaffnete Gruppen, die souveräne – für die Zentralregierung unzugängliche – Terrains in Gebirgen besiedelten. Für die Regierung in Teheran war es eine große Herausforderung, zu diesem Teil der Bevölkerung Zugang zu finden, geschweige denn sie unter Kontrolle zu halten (vgl. Keddie 1971: 4).

Erstmalig in Moḥammad Šāhs Regierungszeit kamen Proteste seitens der Basar-Bevölkerung auf. Sie protestierte hauptsächlich gegen die unfairen Bedingungen, die den iranischen Handelsmarkt beherrschten. Der Konkurrenz mit günstig aus Europa importierten Gütern konnten die im Inland produzierten Waren kaum standhalten. Diese Bedrohung sollte ein ganzes Jahrhundert lang den iranischen Markt dominieren (vgl. Keddie 1999:25).

2. Nāṣer ad-Dīn Šāhs Herrschaftszeit

Bei seiner Thronbesteigung war Nāṣer ad-Dīn Šāh (1831-1896) erst siebzehn Jahre alt. Mit Hilfe seines erfahrenen Ministers schaffte es der junge Monarch, seine Herrschaft zu konsolidieren. Der reformorientierte Premierminister Nāṣer ad-Dīn Šāh, Amīr Kabīr

(1807-179 1852), setzte sich effektiv ein, um die geschwächte Zentralregierung mit Vorhaben zu stärken.

Da er die Gelegenheit hatte, am Tabrizer Hofe aufzuwachsen und sich dort aus der Nähe mit ʿAbbās Mīrzās Modernisierungsprozessen auseinanderzusetzen, erwies er sich in seiner Zeit als besonders einflussreich. Seine zukunftsweisenden Entscheidungen, die er in seiner Amtszeit für die iranische Gesellschaft traf, waren außerdem stark von seinen Jugendreisen nach Russland und in die Türkei geprägt.

Die zwei reformorientierten Premierminister Nāṣer ad-Dīn Šāhs, Amīr Kabīr (Amtszeit: 1848-1851) und Mīrzā Ḥossein Ḫān Mošīr ad-Douleh (Amtszeit: 1871-1873), auch bekannt als Sepahsālār-e Aʿẓam, setzten die Modernisierungsbemühungen in diversen Bereichen fort. Sie fokussierten sich auf die Schaffung effizienterer zentralisierter Verwaltungseinrichtungen, das Überführen des gesamten Steuereinkommens in die zentrale Staatskasse sowie die Modernisierung der Armee (vgl. Ringer 2001: 9). Beide Reformer waren fest davon überzeugt, dass der Schlüssel zur Modernisierung Irans in der Schulung qualifizierter militärisch-administrativer Kader läge, die den Reformprozess in der Gesellschaft fördern würde.

Amīr Kabīr gründete im Dezember 1851 die erste staatliche Hochschule Irans nach europäischem Vorbild, bekannt als Dar al-Fonūn (Polytechnikum). Seine Vorstellungen über die Führung einer in Iran etablierten Hochschule folgten im Großen und Ganzen dem gleichen Muster staatlich-elitärer Aneignungspolitik westlich-europäischer Disziplinen. Ringer beschreibt die nichtintendierten Konsequenzen einer solchen Hochschule im Kontext der sozialhistorischen Lage des damaligen Iran:

„The political, intellectual and cultural implications of the adaptation of European institutions became painfully apparent with the establishment of the first state-sponsored European-style secondary-school in Iran […]. Despite Amir Kabir’s intend to spread technology and military expertise while at the same time limiting the cultural and political influence of Europe by a) not sending students abroad to study, and b) by limiting Iran’s dependence on foreign experts, the new school emerged as the intellectual locus of European influence in Iran, and constituted a rallying point for reformers.” (Ringer 2000:

61).

Genau dreizehn Tage nach der Einweihung der Schule wurde Amīr Kabīr Opfer eines gegen ihn geschmiedeten Komplotts: Dem Schah wurde eingeredet, sein Premierminister wolle ihm den Thron streitig machen. Daraufhin wurde der Minister seines Amtes enthoben und nach Kashan verbannt, wo er einige Tage danach auf brutale Weise erdrosselt wurde.

Die Ermordung des Premierministers gilt als ein schwarzer Fleck in der Regierungszeit Nāṣer ad-Dīn Šāhs. Amīr Kabīrs Nachfolge trat Mīrzā Āqā Ḫān Nūrī ʾEʿtemād as-Salṭaneh an, der

180 anderes im Sinn hatte als sein Vorgänger (vgl. Ettehadie Nezam-Mafi 2012: 330). Mīrzā Āqā Ḫān war ein britischer Protegé, der vieles zum Nutzen Englands bewerkstelligt hatte. Als Großkanzler (Premierminister) konnte er jedoch einige Versprechen nicht einlösen, was wiederum die Feindschaft britischer Auftraggeber zur Folge hatte.

1858 wurde Mīrzā Āqā Ḫān wegen seiner Unzulänglichkeit entlassen. Anstatt die Macht weiterhin auf die eine Person des Premierministers zu konzentrieren, entschied sich der Schah für die Gründung eines Ministerkonzils. Er ernannte sechs gleich mächtige Minister (vgl. Bill 1970: 23), kurze Zeit später berief er weitere fünf Minister für das Gremium. Parallel zu dem ersten Gremium, das als administrativer Rat [Maǧles-e Šourā-ye Doulatī] bekannt wurde, wurde ein weiteres konsultatives Gremium [Maṣleḥat-ḫāneh] mit sechsundzwanzig Mitgliedern ins Leben gerufen. Das Ziel der Gründung dieser Gremien war vor allem eine Dezentralisierung, die dem Premierminister eine unumstrittene Machtposition einräumte. Die Minister des jeweiligen Konzils wurden in relevanten gesellschaftspolitischen Themen konsultiert und mit bestimmten Aufgaben beauftragt, z.B. die Kluft zu Europas Fortschrittlichkeit zu überwinden. Die Mitgliedschaft in den Gremien entwickelte sich nach und nach in ein Privileg, um das ein harter Konkurrenzkampf entbrannte. Nach einigen Jahren wurden die Gremien wegen Untauglichkeit und fehlender Funktionalität aufgelöst und das Amt des Premierministers wurde wiederbelebt.

Der erste Premierminister nach Jahren war Mīrzā Ḥossein Ḫān Mošīr ad-Douleh, der ehemalige Botschafter Irans im Osmanischen Reich, der im Jahre 1866 auserwählt wurde. Im Mai 1873 nahm Mīrzā Ḥossein Ḫān zum ersten Mal den Schah mit sich auf eine Europareise.

Seiner Ansicht nach würde die Reise die Augen des Königs für den Entwicklungsvorsprung in Europa öffnen (vgl. Ettehadie Nezam-Mafi 2012: 331). Der Schah wurde von den amtierenden Herrschern Russlands, Deutschlands, Belgiens und Großbritanniens empfangen.

Auf dem Heimweg durchreiste er Frankreich, die Schweiz, Österreich, Italien, die Türkei und den Kaukasus. Dies war die erste Europareise eines iranischen Monarchen. Die Erfahrungen auf seiner Reise schrieb er in einem Reisebericht nieder (vgl. ebd.).

Die zunehmende Einmischung Russlands und Englands in die iranische Politik – vornehmlich der Versuch, die Wirtschaft des Landes unter Kontrolle zu bekommen – sowie die autokratische Machtübernahme der Kadscharen waren die wesentlichen Gründe, die die Bevölkerung in den letzten Jahre der Herrschaft Nāṣer ad-Dīn Šāhs zum Widerstand gegen die Kadscharendynastie motivierten (vgl. Steinbach 2005: 248). Die verschiedenen Konzessionserteilungen der Herrschaft an diverse europäische Länder wie England, Russland und Frankreich deckten zumeist die kommerziellen Interessen der Europäer und waren vor

181 allem in Form von Militäreinsätzen und Bewilligung von finanziellen Zuschüssen. Manche dieser Konzessionen, wie die Etablierung der von Russen unterstützten Kosakenbrigade, wurde während Nāṣer ad-Dīn Šāhs zweiter Europareise im Jahr 1879 gewährt. Auf seiner dritten Reise nach Europa im Jahr 1889 räumte der König einem britischen Staatsbürger namens Major Gerald Talbot für den Anbau, Vertrieb und Export von Tabak ein vollständiges Monopol für ganze fünfzig Jahren ein. Die in London mit einem Kapitalwert von £650.000 registrierte Imperial Tobacco Corporation, die die Tabak-Monopolkonzession verwalten sollte, sollte ungefähr 25 % des jährlichen Gewinns plus ein jährliches Fixum von £15.000 an die iranische Regierung zahlen, sprich an Nāṣer ad-Dīn Šāh und seinen Hofstaat. Von dieser Konzession waren Tabakbauern, Tabakhändler wie Tabakraucher betroffen (vgl. Ettehadie Nezam-Mafi 2012: 332).

Als die Konzession im Jahr 1891 in Kraft trat, erhoben sich große Teile der Bevölkerung dagegen. Der Widerstand in dieser Ära schmiedete ein enges Bündnis zwischen der Geistlichkeit mit liberal und nationalistisch eingestellten Kreisen des städtischen Bürgertums sowie mit dem Basar.

„Dieses Bündnis gründete sich auf eine Reihe gemeinsamer Interessen gegenüber dem Regime, wobei die Teilnahme der Geistlichkeit an jener Protestbewegung zu einer Mobilisierung breiterer Teile der Bevölkerung beitrug. Die Gemeinsamkeit der Interessen des ‚bürgerlichen‘ und geistlichen Lagers lag in der Abwehr des ständig wachsenden Einflusses des Westens, der angesichts der Schwäche des Regimes unaufhaltsam zu sein schien.“ (Steinbach 200: 249).

Die Kaufmänner im Basar begannen heftig zu protestieren und schlossen ihre Geschäfte. Auf dem Höhepunkt der Protestbewegung erließ Mīrzā Šīrāzī, einer der angesehensten schiitischen Geistlichen Irans, seine Fatwa gegen den Genuss von Tabak. Der Boykott des Tabakkonsums wurde schnell in ganz Iran bekanntgemacht. Die Bevölkerung hielt das Verbot ein und sogar die Frauen in Nāṣer ad-Dīn Šāhs Harem sollen sich dem Tabakgenuss verweigert und ihre Wasserpfeifen zerbrochen haben (vgl. Ettehadie Nezam-Mafi 2012: 333).

Um die Unruhen und Proteste zu beenden, sah sich die Regierung schließlich gezwungen, die Konzession aufzuheben. Die Konzession wurde zwar zurückgenommen, die Briten jedoch forderten Schadenersatz und ließen sich mit einer Summe von £500.000 entschädigen. Da die Staatskasse leer war, wurde der iranischen Regierung ein Darlehen über diese Summe gewährt, das mit 6 % zu verzinsen war. Als Garantieleistung ließen sich die Briten alle Zolleinnahmen der Häfen am Persischen Golf bis zur Tilgung dieses Darlehns überschreiben.

Der Iran hatte ohne jede Gegenleistung seine ersten Auslandsschulden.

182 In solch einer Lage ließen die Russen nicht lange auf sich warten. Auch sie wollten sich aus dieser Situation einen Vorteil verschaffen. Das russische Finanzministerium forderte deshalb die Gründung einer russischen Bank (Banque d’Escompte) mit Hauptsitz in Teheran. Die Bank sollte die Finanzierung russischer Interessen im Iran sichern und als Gegenstück zur konkurrierenden britischen Imperial Bank of Persia fungieren. Die russische Persien-Bank vergab von Anfang an zinsgünstige Kredite und Darlehen an einflussreiche iranische Personen und brachte somit einen Großteil der persischen Elite in finanzielle und dadurch politische Abhängigkeit von Russland (vgl. ebd.).

Die letzten Jahre von Nāṣer ad-Dīn Šāhs Herrschaft verliefen unter Repression, Aufruhr und Unordnung. Unter der Führung seiner inkompetenten Söhne und Minister, die sämtliche staatspolitischen Verhältnisse durch ihre Konkurrenzkämpfe unterminierten, wurden die Regierungskader immer korrupter und bestechlicher. Als im April 1896 der Schah seine fünfzig Jahre zurückliegende Thronbesteigung zelebrierte, wurde er erschossen. Der Todesschütze war Mīrzā Reżā Kermānī, der bekannt war als Anhänger Ǧamāl ad-Dīn Afġānīs.

Im Dokument Der östliche Westen (Seite 176-183)