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Autor-Akteur

Im Dokument Der östliche Westen (Seite 80-83)

Eine Soziologie der Wahrnehmung

2. Reisen nach Europa: sozialpolitische Lage des frühen 19

2.1. Das Buch über Erstaunlichkeiten für Gesandte (1809/1224- (1809/1224-1811/1225) 36

2.1.1. Autor-Akteur

Mirza Abo-l-Ḥasan Ḫān-e Īlčī wurde 1776 in der südöstlichen Stadt Schiras geboren. Er war ein Neffe des berühmten Ḥāǧī Ebrāhīm Ḫān ʾEʿtemād ad-Dowleh, Fatḥ ʿAlī Šahs Großwesir, der durch seinen spektakulären Putsch gegen den Zand-Herrscher Lotf ʿAlī Ḫān (1789-1794) die Machtübernahme der Kadscharen großteils begünstigt hatte. Aufgrund dieser nahen Verwandtschaft zu Haji Ebrahim begann Abo-l-Ḥasan Ḫān frühzeitig seine Karriere als Gouverneur von Shushtar. Um das Jahr 1800 verlor der Großwesir seinen Machtstatus und

80 wurde samt eines Großteils seiner Verwandtschaft liquidiert. Nach diesem Vorfall um sein Leben bangend verließ Abo-l-Ḥasan Ḫān das Land Richtung Arabien (Mekka) und später Indien (Haydarabad), wo er mehrere Jahre residierte (vgl. Farmayan 1968: 134, Fragner:

1979: 25). Hier bekam er die Möglichkeit, erste Kontakte mit den Engländern zu knüpfen.

Nach einiger Zeit, am 1807, wurde er vom Schah persönlich begnadigt und kehrte daraufhin in den Iran zurück. Zunächst trat er als Leibwächter (yasāwol) in die Dienste von Ḥossayn ʿAlī Mīrzā Farmān Farmā, einem Sohn Fatḥ ʿAlī Šahs und Statthalter der Provinz Fars.

Anschließend begleitete er als Führer einer diplomatischen Mission nach London Ḥaǧī Moḥammad Hossayn Ḫān ʾAmīn ad-Dowleh, einen Schwiegersohn Haji Ebrahims, dem späteren Großwesir, der ihn dann auch förderte (vgl. Ekbal 1987: 30).

Abo-l-Ḥasan Ḫān war der erste iranische Botschafter, der nach Europa gesandt wurde. Am 7.

Mai 1809 brach er in Begleitung des britischen Sekretärs James Morier38, der bereits seit einem Jahr im Iran residierte, nach London auf, um dort über die Einzelheiten des vorab geschlossenen Vertrages und die versprochenen Unterstützungszahlungen zu verhandeln (vgl.

Fragner 1979: 24 f.).

Von unterschiedlichen Autoren gibt es eine Reihe verschiedener Begründungen, warum gerade er für diesen Auftrag ausgewählt wurde. Nicht nur Amin al-Dowlehs Vermittlungen und die engen Beziehungen zu hochamtlichen, iranischen Staatsmännern sollten ausschlaggebend sein (vgl. Ekbal 1987: 31). Auch die Engländer sollen daran interessiert gewesen sein, unbedingt ihn als Verhandlungspartner zu gewinnen. So trat nicht zuletzt Sir Harford Jones, der ihn schon von seiner Amtszeit in Indien kannte, für seine Bestellung als iranischer Botschafter ein (vgl. Sohrabi 2012: 25). Zudem zeigen einige Quellen, dass Abo-l-Ḥasan Ḫān aufgrund der Weigerung anderer iranischer Staatsmänner, ins Land der Ungläubigen (koffār) zu fahren, den Auftrag angenommen hat (vgl. Rāʾīn 1969/1348: 25).

Während seines Aufenthalts in London wurde Abo-l-Ḥasan Ḫān von Englands High Society umworben. Nicht nur sein kurioses Aussehen zog die Blicke auf sich. Auch sein humorvoller Charakter und seine durch kluge Witze und persische Verse gewählte Ausdrucksweise lockte die Neugier seiner Zuhörer und mehrte sein Ansehen. Jeden Tag wurde von ihm in den englischen Tageszeitungen berichtet. In seinem Namen feierten der Prinz und die Prinzessin von Wales, der Duke und andere Würdenträger der britischen Gesellschaft unzählige Feste (vgl. Wright 1988: 13). Es entsteht der Eindruck, dass vor allem iranische Historiker ihn

38 Der bereits erwähnte Autor von „Adventures of Haji Baba“, worin er eine karikaturartige Darstellung Mirza Abul Hassan Kahns veröffentlichte.

81 verurteilt haben. Einige nannten ihn sogar einen Verräter, Anhänger und Söldner der britischen Regierung (vgl. Rāʾīn: 1969/1348: 20ff., Javadi 2011: 308f.).

Nach seiner Ankunft in London “in promoting an alliance with Persia“ (Wright 1988: 17) wurde ihm auf Empfehlung von Sir Gore Ouseley, sein offizieller Begleiter während seines Aufenthaltes in London, eine Lebensrente von monatlich tausend Rupien bewilligt (vgl. Ekbal 1987: 31). Nach Ouseleys Auffassung sollte dies ausreichen, ”to attach himself for ever to the interest of Honourable Company” (Wright 1985: 61). „Ebenfalls auf Ouseleys Empfehlung wurde Mirza Abu’l-Ḥasan Khan im Juni 1810 durch Lord Moira, den späteren Generalgouverneur Indiens (1813-1823), in eine Freimauerloge eingeführt. Er war damit der erste persische Freimaurer.“ (Ekbal 1987: 31).

Das Bündnis Abo-l-Ḥasan Ḫāns mit den Engländern und deren Unterstützung ist, wie angedeutet, stark umstritten. Ebenso ist die Annahme der Lebensrente von den Historikern und Iranforschern unterschiedlich interpretiert worden. Während Sohrabis Auffassung zu einer Berücksichtigung des historischen Kontexts und der Einbettung des Loyalitäts- und Ehrlichkeitskonzepts in die damalige Gesellschaft Irans einlädt (vgl. Sohrabi 2012: 26), halten viele Mīrzā Abo-l-Ḥasan Ḫān für einen Verräter und lehnen seine Leistungen ab. Dennoch steht es außer Frage, dass -obwohl Fatḥ ʿAlī Šah von der lebenslangen Bezahlung wusste und ihn sogar aus demselben Grund nach seiner Rückkehr aus England protegierte (vgl. Wright 1988: 18)- Abul Hassan eine außerordentlich enge Verbindung zur englischen Regierung aufgebaut hatte und sich dementsprechend um deren Gunst sehr bemühte und sich sehr an ihren Wünschen orientierte.

Nicht besonders erfolgreich bei den Verhandlungen39 kehrte Abo-l-Ḥasan Ḫān nach ungefähr einem Jahr, diesmal in Begleitung von Sir Gore Ouseley, in den Iran zurück. Dort erwarteten ihn weitere Aufgaben. Kurz nach seiner Rückkehr wurde er in das berüchtigte Friedensabkommen von „Golestān“ (1813) mit Russland verwickelt. Die Engländer, die zunächst jegliche russisch-iranische Friedensinitiative sabotiert hatten, vollzogen nach Napoleons Russlandfeldzug eine Kehrtwende und zwangen Iran einen Frieden gemeinsam mit Russland auf. Auch hieran war Sir Gore Ouseley beteiligt, damit Abul Hassan von Fatḥ ʿAlī Šah als einer der Unterhändler bestimmt wurde und den Friedensvertrag unterzeichnete, demzufolge Iran einen Großteil seiner kaukasischen Provinzen verlor (vgl. ebd.). Daraufhin wurde er nach Russland geschickt, um bessere Bedingungen auszuhandeln, was jedoch scheiterte (vgl. Teil B, Kapitel III in dieser Arbeit).

39 Bei den Verhandlungen wurde das iranische Hauptanliegen ausgeklammert und nicht berücksichtigt. Die britische Regierung sollte eigentlich keinen Frieden mit Russland schließen, solange die Rückgabe der eroberten kaukasischen Provinzen vertraglich nicht garantiert war (vgl. Ekbal 1987: 32).

82 Im Mai 1819 fuhr Mīrzā Abo-l-Ḥasan Ḫān zum zweiten Mal für eine weitere und erheblich schwierigere Mission nach London. Zu einer Erneuerung britischer Interessen an den iranischen Angelegenheiten kam es jedoch nicht. Denn nach der Niederlage Napoleons und der englischen Allianz mit Russland nahmen die Engländer den Iran als Feind Russlands wahr, daher kam er nicht mehr als Verbündeter Englands in Frage. Außer einigen Verhandlungen zu Waffenimporten aus europäischen Ländern hatte er bis zu seiner Rückkehr nach Iran nicht allzu viel erreicht. Zurück in Teheran fungierte er als Berater des Schahs in der Außenpolitik. Am 1824 wurde er öffentlich als erster iranischer Außenminister berufen.

Diesen Posten behielt er bis zum Tod Fatḥ ʿAlī Šahs im Jahr 1834. Zum zweiten Mal wurde ihm dieser Status zwischen 1840 bis zu seinem Tod 1846 in der Regierungszeit Moḥammad Šāhs bewilligt (vgl. Wright 1988: 19). Bis dahin blieb er auch Gehaltsempfänger der East India Company. Zu seinen letzten Aktivitäten zählt die Schließung des Handelsabkommens mit England (1841)40, nach einer kurzen Unterbrechung der diplomatischen Beziehungen in Folge des englisch-iranischen Krieges von 1838 (vgl. Ekbal 1987: 33).

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