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Reflexion und Beschreibung der zweiten Gruppensitzung- 26.04.2018

Im Dokument MASTERARBEIT / MASTER S THESIS (Seite 45-49)

3. Auswertungsprozess und tiefenhermeneutische Interpretation

3.3 Reflexion und Beschreibung der zweiten Gruppensitzung- 26.04.2018

Aufgabe war es, eine korrektive Funktion einzunehmen, um Unklarheiten und Widersprüche in der Deutung aufzudecken. Die Gruppe prüfte dazu den Inhalt der Deutung auf manifester (logisches und sprachliches Verständnis) und latenter Ebene (das nicht Versprachlichte, unbe-wusste Aspekte, unterdrückte Lebensentwürfe). Zur Klärung von Uneindeutigkeiten wurde das Rohmaterial zur Hilfe genommen. In dieser Sitzung waren mehrere Personen anwesend, die bei der ersten Interpretationssitzung nicht dabei waren. Allerdings bestand die achtköpfige Gruppe aus vielen langjährigen Gruppenteilnehmer_innen.

Im Folgenden werden die positiven und kritischen Rückmeldungen der Teilnehmenden erläu-tert. Daran anschließend werden die aus der Diskussion entstanden neuen Aspekte sowie der gruppendynamische Prozess dargestellt.

3.3.1 Rückmeldungen zur Interpretation

In der Eingangsrunde erhielt die von mir ausgearbeitete Interpretation viel Zustimmung. Die Teilnehmenden konnten der Argumentationsweise folgen, da die wesentlichen szenischen As-pekte des Materials für sie vorhanden waren. Positiv hoben sie hervor, dass durch eine Szene den Leser_innen ermöglicht wurde, sich dem Material zu nähern, und so einen Eindruck der Gesprächsdynamik zu erhalten. Die Gruppe regte an, zur besseren Verständlichkeit an einigen Stellen des Materials stärker mit Belegen zu arbeiten. Ein Teilnehmer hatte den Eindruck, es sei zu schnell eine bestimmte Sichtweise angenommen worden, die die Deutung sehr linear und geordnet wirken ließ. Besonders der Schluss der Deutung sei zu schnell verlaufen und bedürfe daher weiterer Erklärung.

Im Schlussteil wurde übereinstimmend empfunden, dass die Interviewte ‚den Linken‘ alles zuschreibt, womit sie nicht zurechtkommt. Andererseits sei die Auseinandersetzung und der Zusammenhang mit (Anti-) Feminismus im Interview, sowohl an dieser Stelle als auch im ge-samten Interview, zum Teil unklar geblieben. Insgesamt müsse verstärkt der Frage nach der Attraktivität des rechten Denkens nachgegangen werden. Spannend sei insbesondere die Her-ausarbeitung der Leerstelle des Materials geblieben, da die damit verbundene Frage des Un-glücks der jungen Frau im Interview zwar mehrfach auftauche, aber nicht beantwortet werde.

Ebenfalls wurde das in der Deutung herausgearbeitete strebsame und angepasste Verhalten der Interviewten von der Interpretationsgruppe als passend empfunden. Viel Zustimmung durch die Gruppe bekam zudem die Darstellung des Interviewers in der Rolle des Oberlehrers, die allerdings durch weitere Beispiele verdeutlicht werden müsste.

3.3.2 Vertiefung der Inhalte

Nach der ersten Rückmeldung zur Deutung erhielten die Teilnehmenden die Möglichkeit, nä-her auf ausgewählte Aspekte einzugehen. In dieser Phase spielten neben der Prüfung der Deu-tung auch Prozesse des freien Assoziierens eine Rolle. Neue und alte Aspekte wurden in der Gruppe diskutiert und anhand des Materials überprüft.

In der Diskussion der Gruppe wurden über eine längere Zeit unterschiedliche Bilder zu einer fantasierten Mutterrolle der Interviewten entwickelt. Franziska verbinde Kinder im Interview an verschiedenen Stellen mit Krankheit und Tod (Vergleich Schwangerschaft als häufigste Ge-schlechtskrankheit (Anlage 1, S.5, Zeile 234-235); Schwangerschaft wird mit dem Ende des

glücklichen und aufregenden Leben verbunden (Anlage 1, S.6 Zeile 236-239) ; Schreiende Kinder mit der Assoziation sie Tod schlagen zu wollen Anlage 1, S.7, Zeile 284-287). Die im Interview fehlenden positiven Bilder konnten von einer Gruppenteilnehmerin nachvollzogen werden, allerdings hatte sie den Eindruck, dass die Autorin die Wirkungsebene der Interview-ten zu wenig berücksichtigt und sie stattdessen zu sehr auf die Schlüssigkeit ihrer Aussagen reduziert (Anlage 3, S. 41-42, Zeile 33-51). Zwar seien keine positiven Bilder zu Kindern zu finden, allerdings würde sie sich fragen, ob die Interviewte von der Autorin nicht auch für eine positive Fantasie kritisiert worden sei.

Der Leiter der Gruppe spricht diesen Vorwurf als Irritation an, da es verwunderlich sei, dass die Interviewte sich zwar an konservativen Familienbildern orientiert habe, im gesamten Inter-view aber eine Aussage, in der Kinder auch mit etwas Schönem in Verbindung gebracht wer-den, fehle. Diese Diskrepanz könne man aus seiner Sicht gut als Irritation aufgreifen und als Möglichkeit zum Einstieg ins Latente nutzen (Anlage 3, S.43, Zeile 86-94).

Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde mit Hilfe von mehreren Interviewszenen nachzuzeich-nen versucht, warum die Interviewte keine positiven Bilder zu Kindern entwickeln konnte.

Eine Teilnehmerin beschreibt wie die Interviewte von der Erzählung das schreiende Kind nicht aushalten zu können, über die Frage der Abtreibung zu der Passage zu den Beziehungen in der Wegwerfgesellschaft kommt (Anlage 3, S.61, Zeile 989-1007). Menschen sind für sie aus-tauschbar und können gewechselt oder besorgt werden wie neue Hosen. Die Frage der zwi-schenmenschlichen Begegnungen bleibt weiter im Unklaren und wird von der Interviewten mit der Metapher verbunden, sich alle Türen offen zu halten, um so „ein Leben im Gang“ zu führen (Anlage 1, S.8, Zeile 357-358). Die Teilnehmerin bringt dies in die Gruppe ein mit der Frage, ob dies nicht für viel Unsicherheit spräche? Sich alle Türen offen zu halten, wäre man da nicht unsicher, wenn man im Gang ist, wäre man da nicht nirgendwo? Der Teilnehmerin fiel auf, dass die Interviewte den Liberalen vorwerfen würde, nichts mehr aushalten, sich nicht mehr binden zu wollen und versuchen würden, schlechte Emotionen zu vermeiden. Bei näherer Be-trachtung würde deutlich, dass es doch gerade die Interviewte sei, die genau das, was sie den Liberalen vorwerfe, selber praktiziere und lebe. Sie könne sich vorstellen, dass dies im Zusam-menhang ihrer eigenen Biografie als Scheidungskind zu sehen sei, da sie in der Krise nicht ausgehalten wurde, sie dies aber als eine große eigene Sehnsucht empfinde (Anlage 3, S.61-62, Zeile 1023-1029).

Im weiteren Verlauf der Gruppensitzung kam die Dynamik zwischen Interviewer und Inter-viewten in den Fokus. Exemplarisch für die Geschlechterdynamik erinnerte sich ein

Teilneh-mer der Gruppe an die Gesprächssequenz über die unterschiedlichen Möglichkeiten von Män-nern und Frauen, wählen zu können. In dieser Situation bestellte der Interviewer zwei Melange für sich selbst und die Interviewte, ohne sie vorher nach ihrem Wunsch gefragt zu haben. Die von der Autorin gedeutete Dynamik des Interviews als latenter Geschlechterkampf wurde von einer Teilnehmerin auch als manifest und nicht nur latent definiert. Aus ihrer Sicht würde sie zwar in den Ausführungen mit der Autorin übereinstimmen, darin allerdings auch einen mani-festen Kampf empfinden (Anlage 3, S. 46, 283-288). Dies konkretisierte sich im weiteren Ver-lauf der Sitzung, indem die ständige Provokation des Interviewers von der Gruppe als manifest, der Konfliktverlauf aber durch die beiden Interviewpartner_innen immer wieder als latent trachtet wurde. Dies geschah vor allem deswegen, da die Aggressionen im Gespräch nicht be-arbeitet, sondern immer wieder in Witzen über Linke umgeleitet und nivelliert wurden (Anlage 3, S.51, Zeile 492-499). Eine weitere spannende Beobachtung kam von einem Teilnehmer, der gerade das Schüren des Konflikts, als Motor für die Stärkung der Bindung an die ‚Bewegung‘

empfand. Es wird intern ein Konflikt provoziert, um anschließend die Aggressionen gegen Dritte rauszuschleudern. Dabei wird ein starkes Gefühl von Gemeinsamkeit hergestellt, das für Franziska bedeutet, sich noch mehr an die Ideologie zu binden und sich als Person noch stärker an die ‚Bewegung‘ zu hängen (Anlage 3, S.54, Zeile 638-644). Ein Teilnehmer nahm diese Idee auf und bestätigte sie, indem er noch einmal auf die Dynamik von Franziska verwies, in den Konflikt mit Anderen (hier Feminist_innen, Liberale) gehen zu wollen und dabei den Wunsch zu haben, gehalten zu werden, um nicht unterzugehen (Anlage 3, S.67, Zeile 1303-1318). Dabei wird sie tatsächlich von den Rechten befeuert und gehalten. Auf der anderen Seite zeigt sich im Interview eine interne Dynamik, in der diese Konflikthaftigkeit (siehe oben Ge-schlechterkampf) immer wieder auftaucht, „da wird sie aber nicht gehalten, sondern da ist der Ausweg aus dem Konflikt immer wieder der projektive Feinbildungsprozess sozusagen gegen außen“ (z.B. durch Abwertungen und Witze gegen Linke) (Anlage 3, S. 67, Zeile 1303-1318).

Um sich gehalten zu fühlen, muss der Konflikt daher immer am Laufen gehalten werden. Das Schüren der Konflikte führt immer mehr dazu, sich an die Ideologie und an das Feindbild zu binden.

In der Gruppensitzung zeichnete sich im Anschluss ein Konflikt ab, in Bezug auf Franziskas Angepasstheit und ihr Bestreben, Aggressionen auszuleben. Es kamen viele Aggressionen hoch, ob sie sich als Frau präsentiert, die aktiv ist und etwas bewegt, oder ob sie eher die Rolle

des angepassten Mädchens darstellt, ähnlich wie das von ihr eingebrachte Frauenbild der Kai-serin Sisi13, die den traditionellen Verhaltensmustern treu geblieben ist (Anlage 3, S.58, Zeile 864-871). Es entstand eine heftige Diskussion zur Frage der Dialektik von Anpassung und Ausleben von Aggressionen und Konflikten (Anlage 3, S. 66-67, Zeile 1233-1283). Bei der Betrachtung der dahinterliegenden Bedürfnisse von Franziska waren die Einschätzungen der Gruppe sehr unterschiedlich. Dies wurde in der Gruppe mit Unterstützung des Leiters genutzt, um deutlich zu machen, dass es nicht um eine bruchlose Trennung der verschiedenen Bedürf-nisse von Anpassung und Aggression geht, sondern darum, wie im Interview bereits eine per-manente Ambivalenz hergestellt wurde, die es jetzt wieder zu erklären galt. Dabei ergänzen einander die unterschiedlichen Einschätzungen gegenseitig und schließen einander nicht aus (Anlage 3, S. 66, Zeile 1244 -1249). Daraus entwickelte sich eine intensive Diskussion in der Gruppe, in der eine Teilnehmerin deutlich machte, dass die Integration dieser zwei Seiten von der Autorin in der ersten Deutung bereits gut dargestellt worden sei. Jetzt wäre ihr zusätzlich aus dem Text klar geworden, dass das eigentliche Unglück von Franziska, auf den Punkt ge-bracht, ihre strebsame Angepasstheit sei (Anlage 3, S.66, Zeile 1268 -1274). Denn jedes Mal, wenn irgendetwas dieses Bild der Angepasstheit in Gefahr bringen könnte, passe sie sich in ihrem Verhalten wieder an, und das sei aus ihrer Sicht wirklich ihr Unglück (Anlage 3, S.66, Zeile 1272-1274). Dieses Bild griff der Leiter auf, und verwies auf das Vorhandensein der latenten Dynamik im Sinne ihrer Bedürftigkeit und der damit verbundenen Dialektik von An-passung und Konflikt. Da beides vorhanden ist, ergänzte er, taucht daher sowohl das Bild der Provokation als auch der Anpassung auf, wodurch genau dieser Konflikt zur Anpassung wird.

Diese Dynamik erlaubt Franziska Aggressionen zu agieren und sowohl die eigenen als die vom Gegenüber nicht alleine aushalten zu müssen (Anlage 3, S.69, Zeile 1377-1382).

Im Dokument MASTERARBEIT / MASTER S THESIS (Seite 45-49)