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Einordnung der empirischen Ergebnisse in den theoretischen Kontext

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4. Diskussion der Ergebnisse

4.1 Einordnung der empirischen Ergebnisse in den theoretischen Kontext

Aus der vorangestellten tiefenhermeneutisch-szenischen Deutung zeigt sich eine wesentliche Dynamik, in Richtung einer Ambivalenz zwischen Anpassung und dem Ausagieren von Ag-gressionen. Dieses ambivalente Verhältnis der zwei diametral entgegengesetzten Bedürfnisse zeigt sich im vorliegenden Fallbeispiel als intrapsychischer Konflikt der jungen Frau, der sich

ebenso in ihrem Verhalten (Interview, Position innerhalb der Identitären ‚Bewegung‘) reinsze-niert. Der ersten Forschungsfrage folgend, lässt sich dieser Konflikt aus psychoanalytischer Perspektive als ein Widerspruch ‚weiblicher‘ Subjektivierung darstellen (Rohde-Dachser &

Menge-Herrmann, 1995; Flaake & King, 1995; King, 2013).

Als ‚weibliche‘ Subjektivierung wird der Prozess der Subjektwerdung im vergeschlechtlichten Sozialisationskontext beschrieben, bei dem sowohl bewusste als unbewusste Vorgänge betei-ligt sind, die zu verschiedenen Konflikten führen (Flaake & King, 2003). Aggression wird in der psychoanalytischen Literatur im Sinne seiner ursprünglichen Wortbedeutung (aggredi = herangehen) verstanden. Diese Definition inkludiert jede Form des Herangehens, ohne diese zu bewerten (Musfeld, 1997). Dies zeigt sich sowohl durch die Lust an der Bewegung als auch durch die Aktivität oder innere Neigung, etwas „in Angriff zu nehmen“, um innere Spannung zu reduzieren, und reicht von „Selbstbehauptung bis zur Grausamkeit“ (Hacker, 1985, S.80;

Nolting, 1978, S.74). Musfeld unterscheidet zwei verschiedene Formen der Aggressionen, eine

„positive, selbsterhaltende und produktive“, sowie eine die von Destruktivität, Hassgefühlen und rachesüchtigen Impulsen geprägt ist (Musfeld, 1997, S.290). Die Psychoanalyse sieht die Aufgabe des Subjekts darin, sich dieser unterschiedlichen Formen der Aggression bewusster zu werden, um sie für die Gestaltung des eigenen Lebens zu nutzen. Musfeld (1997, S.290-291) beschreibt dies folgendermaßen:

...es [ist] notwendig, die Aggressionen in ihrer positiven, selbsterhaltenden und produktiven Form auch als eigenes Potential anzuerkennen und zu lernen, sie von destruktiven, haßerfüllten (sic!) und rachesüchtigen Impulsen zu unter-scheiden. Wichtig ist darüber hinaus allerdings, zu wissen und zunächst zu ak-zeptieren, daß (sic!) Frauen sowieso über beide Formen der Aggression verfü-gen, ob sie es wollen oder nicht, und daß (sic!) Verleugnung kein Weg ist, um etwas Unliebsames loszuwerden.

Die Ausbildung und der Umgang ‚weiblicher‘ Aggression kennzeichnet sich psycho-dynamisch in der Gleichartigkeit des Mädchens mit seiner Mutter und der stärkeren Identifizierung mit ihr im Vergleich zum Jungen (Leeb, 1998). Das Ablösen von der Mutter wird als fortdauernder Prozess beschrieben, mit dem Nachteil, dass „zwischen dem Ich des Mädchens und dem Du der Mutter“ keine klaren Grenzen bestehen (Leeb, 1998, S.23). Nach Leeb (1998) führt genau dieser Umstand dazu, dass sich das Mäd-chen und später die erwachsene Frau ihrer eigenen Grenzen nur schwer bewusst wird.

Sie erlebt sich nicht als eigenständige und von der Mutter abgetrennte Persönlichkeit, so dass jede Aggression gegen die Mutter oder andere Personen von dem Mädchen/der Frau gegen sich selbst erlebt wird. Daher wirkt die Aggression für das Mädchen/die Frau zu bedrohlich, um sie direkt auszuleben. Aggression auszuleben bedeutet somit, sich von anderen Personen abgrenzen zu dürfen, und dadurch die eigenen Grenzen ver-treten zu können (Leeb, 1998). Nur durch die Sicherheit, dass die eigenen aggressiven Impulse vom Objekt im Außen und Inneren ausgehalten werden können, entsteht eine Basis, um sich selbst die Erlaubnis zu geben, sich abgrenzen zu dürfen und von der Angst zu lösen, nicht mehr in Verbindung zu sich und den anderen zu sein (Musfeld, 1997). Als äußere Objekte beschreibt Melanie Klein (1981), die realen und bedeutsa-men Objekte (Menschen) des Subjekts. Ebenso entwickeln sich im Subjekt innere Ob-jekte und somit eine innere Realität, die von bewussten und unbewussten Phantasien und Gefühlen bestimmt wird. Diese verinnerlichten Objekte werden von dem Subjekt als real existierende Objekte wahrgenommen und beeinflussen sein Handeln. Die un-bewussten Phantasien können sich auf Dauer jedoch nur halten, wenn sie im Außen Bestätigung erhalten. Weibliche Sozialisierungserfahrungen sind oftmals gekennzeich-net durch fehlende Ermutigung des Auslebens weiblicher Aggressivität und negativer Bewertung weiblicher Aggressivität (Rohde-Dachser & Menge-Herrmann,1995).

Mädchen und Frauen versuchen demnach ‚weiblich‘ akzeptierte Verhaltensweisen (extreme Anpassung, Leistung, Empathie etc.) zu zeigen, um sich mit Anderen und der Welt verbunden zu fühlen. Nach Möller (2005) zeigt sich bei Frauen häufig eine indi-rekte und nicht selten autoaggressive Form der Aggressionsausübung in Form von Co-pingstrategien wie (Mager-)Sucht, psychosomatische Erkrankung, Angst und Depres-sion, was sich in dem hier dargestellten Fallbeispiel anhand der Ergebnisse (Kapitel 3.4) bestätigt hat.

Eine weitere Problematik ‚weiblicher‘ Subjektivierung zeigt sich, mit Blick auf den schicht- und milieuspezifischen Hintergrund, in den widersprüchlichen Rollenkonzep-tionen (Birsl, 2011). In dem vorliegenden Fallbeispiel handelt es sich um eine junge gebildete Frau, die einen akademischen Abschluss anstrebt, und somit auf die Proble-matiken ‚weiblicher‘ Subjektivierung der Mittelschicht, aufmerksam machen könnte.

Nach Siller (1997) beschreiben insbesondere Frauen der Mittelschicht, sich zwischen zwei Lebensrealitäten – der Arbeitswelt und der traditionellen Frauenrolle – gefangen zu fühlen. Diese Frauen geraten mit ihren eigenen Wünschen nach Selbstentfaltung in

Konflikt mit anhaltenden Geschlechtsrollenstereotypen. Durch das Aufkommen gesell-schaftlicher Individualisierungsanforderungen führt dies bei Frauen häufig zu einer verstärkten Verinnerlichung ihrer Wünsche ohne einen Raum zur ‚aggressiven‘ Durch-setzung eigener Interessen, da dieses Verhalten bereits als ‚unweiblich‘ und habgierig deklariert wird (Rohde-Dachser & Menge-Herrmann, 1995). Aus der Forschung rechts-extremer Einstellungen zeigt sich, dass insbesondere jene Frauen der Mittelschicht ver-stärkt zu rechtsextremen Einstellungen neigen, die aufgrund ihrer destruktiven Erfah-rungen der Herkunftsfamilien nur über wenige Ressourcen verfügen, um den als indi-viduelle Anforderungen interpretierten Rollenkonfusionen etwas entgegensetzen zu können und so ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern (Birsl, 2011). Die wahrgenommene Unvereinbarkeit, dem eigenen Bedürfnis nach (beruflicher-) Selbst-entwicklung und dem Ausleben einer traditionellen Frauenrolle Integrität zu verleihen, zeigte sich auch in dem vorliegenden Fallbeispiel.

Bezüglich der zweiten Fragestellung zeigte sich im empirischen Material eine dem Konflikt entsprechende Rollenkonstruktion innerhalb der rechten Gruppierung. Fran-ziska nimmt in der Gruppe die Rolle einer strebsamen und engagierten Bloggerin ein, die provozieren will und den Konflikt im Außen (Linke, Feminist_innen etc.) sucht.

Sie hat sich innerhalb des ersten Jahres in der ‚Bewegung‘ ein eigenes Sprachrohr ent-wickelt und ist damit eine der wenigen Frauen, die sich öffentlich zu Wort meldet. Sie bezeichnet sich selbst als politische Frau, die insbesondere zu frauenpolitischen Fragen (Abtreibungsgesetze etc.) etwas zu sagen haben will. Ihre Bestrebungen und inhaltlich ambivalenten Positionen, die der gruppeninternen hierarchischen Struktur und den ide-ologischen Inhalten widersprechen, erfordern eine enorme Anpassungsleistung von ihr, um gruppeninterne Konflikte zu vermeiden. Ihr Wunsch, einerseits das klassische Frauen- und Familienbild zu rehabilitieren, und andererseits das Leben einer jungen Studentin, Bloggerin und Aktivistin zu verkörpern, zeigt zudem ihre ambivalente Hal-tung auf. Den Feminismus sieht sie als Hauptursache für die Abwendung vom klassi-schen Frauen- und Familienbild, da dieser die Fixierung auf die berufliche Karriere der Frauen vorsehe. Dies motiviert sie insbesondere, den Konflikt und die Provokation mit Feminist_innen zu suchen.

Durch den zuvor beschriebenen Selbstentwurf der jungen Frau ermöglicht sie sich, ihre Aggressionen auszuagieren eine Ausdrucksform, die für Frauen in der Gesellschaft im Allgemeinen nicht vorgesehen ist. Die Aggressionen zeigen sich zunächst in einer hass-erfüllten und destruktiven Ausdrucksform gegen Andere (Linke, Feminist_innen etc.),

wobei die Gruppe als bestärkende, haltgebende und sicherheitsstiftende Instanz fun-giert. Sie stellt den wesentlichen Rahmen dar, intrapsychisch ausreichend Energie be-reitzustellen und Sicherheit zu erzeugen, um in den Konflikt gehen zu können. Dadurch ist die Ausübung ihrer Aggression und der damit verbundene Antrieb sowohl an ein fixiertes Objekt gebunden als auch vom Halt an die Gruppe abhängig. Somit muss sie sich anpassen, um ihre innere Aktivität aufrechtzuerhalten zu können. Ihre konstrukti-ven Aggressionen – in Form von Wünschen nach Selbstentfaltung und -wirksamkeit – zeigt sich in ihren Bestrebungen, eine mündige, politische Frau zu sein, einen eigenen Blog zu betreiben und studieren zu gehen. Diese Persönlichkeitsanteile scheinen jedoch von ihr gleichzeitig als ambivalent und störend wahrgenommen zu werden, die sie nicht integrieren kann. Die eigenen Bestrebungen nach Selbstentfaltung schreibt sie dem Fe-minismus und der davon ‚durchzogenen‘ Gesellschaft zu – mit der damit verbundenen Problematik, kein Bild einer traditionellen Frauenrolle entwickeln zu können. Die Spal-tung dieser verschiedenen Bilder zeigt die Unfähigkeit, die bewussten und unbewuss-ten Vorschrifunbewuss-ten, Bilder, Wünsche, Anforderungen und Konflikte der ‚weiblichen‘

Subjektwerdung zusammenzuführen. Der Selbstentwurf der jungen Frau ermöglicht keine direkte Bearbeitung ihres Konflikts von Anpassung und Ausagieren eigener Ag-gression, sondern dient zunächst dazu, diesen aufrecht zu erhalten, um die intrapsychi-sche Stabilität zu sichern und dem Gefühl der Traurigkeit über das eigene, als (zum Teil unbewusst) sinnlos empfundene Leben, etwas entgegenzusetzen.

4.2 Psychische (Abwehr-)Mechanismen und Konflikte

Im Folgenden werden einige in der Konfliktdynamik als wichtige erachtete Abwehrwehrme-chanismen und psychische Konflikte zur vertieften Erläuterung der Einzelfallstudie beschrie-ben.

4.2.1. Projektion

Projektion ist ein Abwehrmechanismus, bei dem negative Selbstanteile auf ein Objekt übertra-gen und somit nicht mehr als eiübertra-gene wahrübertra-genommen werden, sondern als Aspekte des Objekts.

Die Objekte können „andere Personen, Gruppen, oder imaginäre Gemeinschaften (Nationen, Staaten, Religionsgemeinschaften usw.)“ sein (Lohl, 2017, S.10). Durch die Verlagerung des Problems ins außen sieht das Subjekt die Möglichkeit, diese als negativ empfundenen

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