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Rechtsbeugung als Willkürakt

Im Dokument DDR-Justiz vor Gericht (Seite 146-150)

G. Die Aufarbeitung von DDR-Justizunrecht und das Rückwirkungsverbot des Art. 103 II GG

I. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Aufarbeitung des in der DDR begangenen

2. Rechtsbeugung als Willkürakt

Am Tatvorwurf der Rechtsbeugung fehlt es nach Ansicht des Bundesgerichtshofs dann, wenn die Richter und Staatsanwälte sich an den Wortlaut der jeweiligen Strafrechtsnorm halten. Die Schwelle zur Rechts-beugung soll erst bei dem Vorliegen eines Willküraktes überschritten sein. Ein solcher ist nach Ansicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn die Entscheidung der jeweiligen Richter und Staatsanwälte in der DDR offensichtlich rechtswidrig war und durch sie die (Menschen)Rechte anderer schwerwiegend verletzt worden sind. 263).

Die Beschränkung der Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung auf das Vorliegen von Willkür bei Rechtsakten der DDR-Justiz leitet die höchstrichterliche Recht-sprechung unter anderem aus Grundsätzen früherer Urteile ab, welche in der Bundesrepublik begangenen Fälle der Rechtsbeugung betrafen und aus denen sie

262) Vgl. dazu BGH, Urteil v. 6. Oktober 1994, a. a. O.

263) BGH, Urteil v. 13. Dezember 1993, a. a. O.

eine Einschränkung des objektiven Tatbestandes des

§ 339 StGB schlussfolgerten.

Unter Bezugnahme auf zwei frühere Urteile stellte der BGH fest, dass nicht mehr jede unrichtige Rechtsanwendung als Rechtsbeugung und Rechtsbruch im Sinne des § 339 StGB zu qualifizieren sei, sondern nur noch ein „elementarer“ Verstoß gegen die Rechtspflege so zu betrachten ist. 264)

Der Bundesgerichtshof klammert weniger schwerwiegende Rechtsverletzungen aus dem Anwendungsbereich der Rechtsbeugung im Wesentlichen mit folgender Argumentation aus:

Der BGH stützt sich einerseits auf eine Äußerung des Regierungsvertreters von Bülow, die dieser 1973 in den Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform traf und die besagte, dass der

§ 339 StGB (§ 336 a. F.) nicht schlechthin jede unrichtige Rechtsanwendung, sondern nur die Beugung des Rechts erfasst. 265) Zur Untermauerung dieses Ergebnisses kommt der Bundesgerichtshof im Rahmen einer historischen und einer Wortlautinterpretation des § 339 StGB. Er führt dabei insbesondere das Argument an, unter Rechtsbeugung sei eine sich von anderen Rechtsverstößen abhebende Tathandlung zu verstehen. 266)

Bei einer Bestrafung wegen Rechtsbeugung auch bei

„Bagatellsachen“ sieht der BGH zudem eine „ernsthafte

264) BGH Urteil v. 29. Oktober 1992 – 4 StR 353792 - BGHSt. 38, 381.

265) Vgl. dazu Dt. Bundestag, 7. Wahlperiode, Protokoll des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, S. 1062 f. (18. Sitzung vom 17.11.1973).

266) So BGH-Urteil vom 23. Mai 1984 – 3 StR 102/84 - BGHSt 32, 357 ff.

Bedrohung der richterlichen Unabhängigkeit“ 267), die dem Entscheidungsträger ein „Gefühl der Rechts-unsicherheit“ 268) vermitteln würde.

Schließlich macht der BGH geltend, dass die Rechtsbeugung als Verbrechenstatbestand (mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe) mit den entsprechenden beamtenrechtlichen Folgen so einschneidende Sank-tionen vorsieht, dass diese durch eine restriktive Auslegung des objektiven Tatbestandes abgemildert werden müssen. 269)

Es ist in der Literatur seit langem höchst streitig, ob die vom Bundesgerichtshof vorgenommene teleo-logische Reduktion des objektiven Tatbestandes der Rechtsbeugung recht- und auch zweckmäßig ist oder eine nicht im Gesetz verankerte unzulässige Täterprivilegierung darstellt. 270) Dementsprechend umstritten ist auch das Kriterium des Willküraktes, das der Bundesgerichtshof zur Bewältigung des Justizunrechts der DDR in Anlehnung an die oben dargestellten Grundsätze entwickelt hat. 271)

Die Kritik an der Einschränkung des objektiven Tatbestandes des § 339 StGB für in der Bundesrepublik

267) So eine Entscheidung des BGH vom 27.Mai 1987 – 3 StR 112/87 - BGH NStZ 1988, 219.

268) So BGH-Urteil vom 23. Mai 1984, a. a. O.

269) Ebenda.

270) Zustimmend: Lackner § 339 Rdn. 5; L/M/Schmidt § 339 Anm. zu Nr. 1; ablehnend Spendel JR 85, 485 ff.;

Wagner JZ 1987, 658 ff.; Seebode JR 1994, 1 ff.

271) Insbesondere Spendel, einer der Hauptkritiker der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Bewältigung des Justizunrechts in der ehemaligen DDR, lehnt die vom BGH vorgenommene restriktive Auslegung des Rechtsbeugungstatbestandes auch bei der Bewältigung von DDR-Justizunrecht strikt ab. Vgl. dazu Spendel JR 1994, 221; 1995, 215; 1996, 177; JZ 95, 375; NJW 1996, 809; Unrechtsentscheidungen des SED-Regimes und BGH-Judikatur , S. 241.

begangene Fälle der Rechtsbeugung ist berechtigt. Es darf zwar nicht übersehen werden, dass die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Einschränkung dazu dient, den Richtern einen ihrem Gewissen folgende Entscheidung zu ermöglichen, ohne gleichzeitig strafrechtliche Ermittlungen befürchten zu müssen, wenn (unterlegene) Verfahrensbeteiligte die Unver-tretbarkeit der jeweiligen Entscheidung behaupten.

Dies ist für sich genommen auch einleuchtend, da es nicht Zweck der Rechtsbeugung ist, schlechthin zu gewährleisten, dass Recht richtig angewandt wird.

Dies ist vielmehr der Prüfung des Urteils durch höhere Instanzen vorbehalten. 272) Trotzdem legiti-miert die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgenommene Veränderung des Tatbestandes der Rechts-beugung, welche über seine bloße Auslegung weit hinausgeht. Der Bundesgerichtshof maßt sich hier Befugnisse an, die dem Gesetzgeber vorbehalten sind. 273)

Unabhängig davon, für wie überzeugend man die höchst-richterliche Rechtsprechung zur Reduktion des Rechts-beugungstatbestandes in „bundesrepublikanischen Fällen“ hält, bedarf es einer gesonderten Beur-teilung, ob diese Reduktion, eine Rechtsbeugung nur bei schweren Rechtsverstößen anzunehmen, bei der Aufarbeitung von DDR-Justizunrecht vor dem Hinter-grund der Besonderheiten der Bewältigung von Systemunrecht gerechtfertigt ist.

Raum für eine Bestrafung wegen einer in der DDR begangenen Rechtsbeugung ist nach der höchst-richterlichen Rechtsprechung jedenfalls dann gegeben, wenn das Urteil auch unter Beachtung der Aus-legungsgrundsätze der DDR als unverhältnismäßig und

272) So auch Laufhütte, VIZ 10/2001, 521.

273) Zum Vorschlag einer Neufassung des Tatbestands der Rechtsbeugung vgl. Bemmann/Seebodde/Spendel, ZRP 1997, 307 f.

willkürlich erscheint. Eine Rechtsbeugung ergibt sich nach dem BGH also nicht schon aus der Anwendung der DDR-Norm selbst, sondern aus der im Einzelfall ausgesprochenen Strafe.

Die Schwierigkeit liegt für die höchstrichterliche Rechtsprechung grundsätzlich darin, zu definieren, wo die noch hinzunehmende DDR-Justizpraxis aufhört und ab wann ein strafbarer willkürlicher unverhält-nismäßiger Exzess anzunehmen ist.

Im Dokument DDR-Justiz vor Gericht (Seite 146-150)