• Keine Ergebnisse gefunden

DDR-Gesetze und Verstoß gegen höherrangiges positives Recht

Im Dokument DDR-Justiz vor Gericht (Seite 112-117)

G. Die Aufarbeitung von DDR-Justizunrecht und das Rückwirkungsverbot des Art. 103 II GG

II. DDR-Gesetze und Verstoß gegen höherrangiges positives Recht

Es bleibt zu prüfen, ob die von der DDR-Justiz in Anwendung gebrachten Normen, insbesondere die Tatbestände des politischen Strafrechts, wegen eines Verstoßes gegen höherrangiges positives Recht für nichtig zu erklären sind und deswegen bereits in ihrer bloßen Anwendung eine Rechtsbeugung liegt.

Dabei ist zunächst die Frage zu klären, aus welchen Grundlagen sich solch ein Verstoß gegen höherrangiges positives Rechts ergeben könnte. Als positiv-recht-liche Maßstäbe heranzuziehen sind die von der DDR unterzeichneten internationalen Verträge, wie die allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948, die Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen, die KSZE-Schlussakte und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, sowie die DDR-Verfassung selbst.

1. DDR-Verfassung als positiv-rechtlicher Maßstab Die DDR-Verfassung scheidet als Maßstab aus.

Dies ergibt sich Zum einen bereits aus formalen Gründen, da der Richter in der DDR nicht berufen war, die Verfassungsmäßigkeit eines Straftatbestandes klären zu lassen. Eine Parallelregelung zu Art. 100 GG war in der DDR-Verfassung nicht vorgesehen. 201) Der Richter durfte somit Zweifel an der Gültigkeit der Norm seiner Entscheidung nicht zugrunde legen.

201) Rautenberg/Burges DtZ 93, 71 (73).

Zum anderen kann die Verfassung der DDR nicht herangezogen werden, weil so den in der Verfassung verankerten Rechten ein systemfremder Bedeutungs-gehalt beigemessen würde. Die in der Verfassung der DDR normierten Rechte waren keine Freiheitsrechte des einzelnen Bürgers, die gegenüber dem Staat geltend gemacht werden konnten, sondern waren immer im Rahmen der durch den Staat vorgegebenen sozialistischen Lebensweise zu interpretieren. 202) Diese exekutive Interpretationshoheit auszublenden und diesen Rechten im Nachhinein einen bürgerlich-rechtstaatlichen Inhalt geben zu wollen, wäre mithin ein Verstoß gegen die Grundsätze des Rückwirkungsverbotes.

2. Die allgemeine Menschenrechtserklärung oder die Charta der Vereinten Nationen als

positiv-rechtlicher Maßstab

Ebenso scheitern muss der Versuch, die Nichtigkeit einer DDR-Rechtsnorm aus einem Verstoß gegen die allgemeine Menschenrechtserklärung oder die Charta der Vereinten Nationen abzuleiten. Der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte kommt weder eine unmittelbare innerstaatliche, noch - mangels Ver-tragscharakters - eine völkerrechtliche Verbindlich-keit zu. 203 Eine direkte Einwirkung auf die Rechtsordnung ist damit ausgeschlossen.

Fraglich ist, ob sich aus der Charta der Vereinten Nationen ein tauglicher positiv-rechtlicher Maßstab ergibt. Grundsätzlich einschlägig wären insoweit die Art. 55 und Art. 56 der Charta der Vereinten Nationen:

Art. 55 Charta der VN

202) Vgl. dazu die Ausführungen in Teil C der Arbeit unter I.

203) Verdroß/Simma, Völkerrecht, § 1234.

Wirtschaftliche und soziale Ziele

Um jenen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt herbei-zuführen, der erforderlich ist, damit zwischen den Nationen friedliche und freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen herrschen, fördern die Vereinten Nationen...die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion.

Art. 56 Charta der VN

Zusammenarbeit der Mitglieder

Alle Mitgliedsstaaten verpflichten sich, gemeinsam oder jeder für sich mit der Organisation zusammenzuarbeiten, um die in Art. 55 dargelegten Ziele zu erreichen.

Im Ergebnis kann auch die Charta der vereinten Nationen nicht herangezogen werden. Sie ist zwar – im Gegensatz zur allgemeinen Menschenrechtserklärung - grundsätzlich ein völkerrechtliche Bindungen auslösendes Vertragswerk, gibt in den in diesem Zusammenhang oben angeführten Artikeln aber lediglich politische Zielvorstellungen wieder, die nicht geeignet sind, die Nichtigkeit von innerstaatlichen Rechtsnormen zu belegen.

3. KSZE-Schlussakte als positiv-rechtlicher Maßstab Für die Bestimmungen der KSZE-Schlussakte gilt dasselbe, das oben für die allgemeine Menschen-rechtserklärung oder die Charta der Vereinten Nationen ausgeführt worden ist. Auch ihr fehlt die rechtliche Bindungswirkung, da sich die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten darauf beschränkt, im Rahmen der bereits anderweitig wahrgenommenen Verpflichtungen zur Einhaltung der Menschenrechte zu bewegen. 204)

204) Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdn. 47; ebenso Rautenberg/Burges, DtZ, 1993, 71 (73).

4. Internationale Pakt über bürgerliche und

politische Rechte (IPBPR) als positiv-rechtlicher Maßstab

Ebenso wenig ergibt sich die Nichtigkeit von DDR-Rechtsnormen aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), durch den die Achtung und Verwirklichung der in Art. 55 Charta der Vereinten Nationen festgeschriebenen Menschen-rechte und Grundfreiheiten in den Mitgliedsstaaten gewährleistet werden sollte. Unabhängig davon, dass die DDR mit ihrem Beitritt zu diesem Pakt am 27. März 1973 politisch-moralische Verpflichtungen eingegangen ist, denen sie niemals gerecht geworden ist, folgt daraus nicht die Ungültigkeit von Rechtsnormen der DDR. Die Regeln des IPBPR können nämlich – nach der allgemeinen Systematik des Völkerrechts - nur dann innerstaatliche Geltung erlangen, wenn neben der Ratifizierung auch eine Transformation dieser Regeln in innerstaatliches Recht erfolgt. 205) Dafür hätte es aber gemäß Art. 51 der DDR-Verfassung von 1974 der Zustimmung der Volkskammer bedurft, die gemäß Art. 48 II S. 1 der DDR-Verfassung das einzig ver-fassungsgebende Organ der DDR war. 206) Nicht ausreichend ist deswegen, dass der Pakt am 27. März 1973 durch den Staatsratsvorsitzenden der DDR ratifiziert, am 26. Februar 1974 im DDR-Gesetzblatt veröffentlicht und sein Inkrafttreten zum 23. März 1976 am 1. März 1976 im Gesetzblatt bekannt gegeben wurde.

Weder durch Darlegungen in der Rechtsliteratur noch durch Politik-Propaganda kann ein förmlichen Gesichtspunkten genügendes Transformationsverfahren ersetzt werden. Es ist deshalb unerheblich, dass in der Rechtsliteratur der IPBPR als geltendes Recht

205) So auch Dannecker JURA, 94, 585 (590).

206) Vgl. zur fehlenden Transformation Rautenberg/Burges DtZ 93, 71 (73); Grünwald StV 91, 31 (36).

bezeichnet wurde, beziehungsweise in der politischen Außendarstellung der DDR sogar so getan wurde, als würde die Verfassung der DDR über die Grundfreiheiten des IPBPR hinausgehen. Es ist allerdings keineswegs bedeutungslos, dass die DDR den IPBPR öffentlich bekannt gemacht und sich sozusagen zu Eigen gemacht hat. Kein Jurist der DDR kann sich darauf berufen, ihm seien dieser Pakt und die darin niedergelegten Grundfreiheiten unbekannt gewesen. Der IPBPR kann deshalb als geeigneter Prüfungsmaßstab herangezogen werden, um die Unvertretbarkeit einer gerichtlichen Entscheidung festzustellen.

5. Zusammenfassung

Die formelle Wirksamkeit der Gesetze der DDR ist nicht in Frage zu stellen. Keine der DDR-Normen war wegen eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht nichtig. Der Vorwurf der Rechtsbeugung kann deshalb auf diesem Weg nicht begründet werden.

Im Dokument DDR-Justiz vor Gericht (Seite 112-117)