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2. Reaktivität von Allenyliden-Komplexen

2.4. Reaktionen mit geminalen Dinukleophilen

2.4.1. Vorbemerkung

Alle bisherigen Untersuchungen zur Reaktivität von Allenyliden-Komplexen der Verbindungsgruppe 1 gegenüber N-Nukleophilen deuten darauf hin, dass

stets zuerst selektiv die Methoxygruppe substituiert wird. Ist danach noch ein weiteres Nukleophil vorhanden – sei es aufgrund des eingesetzten Überschusses oder durch ein Dinukleophil – so wird nachrangig die Dimethylaminogruppe ersetzt. Im Fall von vicinalen oder längeren Diaminen entstehen Allenyliden-Komplexe mit 5- bis 7-gliedrigen, di-N-heterocyclischen Endgruppen. Ein nukleophiler Angriff am Cα-Atom der Allenylidenkette konnte bei keiner der Reaktionen beobachtet werden.

Von Interesse war daher die Reaktivität gegenüber geminalen Dinukleophilen.

Hierbei sollte eine zweifache Substitution am Cγ-Atom ungünstig sein, da dabei ein 4-gliedriger Ring entstehen würde. Geminale Diamine wie z.B.

Diaminomethan sind jedoch als freie Basen instabil und zerfallen meist under Eliminierung von Ammoniak. Erste Versuche[45] ergaben dabei, dass dann vorrangig Ammoniak mit dem Eduktkomplex reagiert. Amidine, im speziellen Benzamidin-Derivate und Guanidin, stellen dahingegen stabile geminale Dinukleophile dar.

2.4.2. Reaktionen mit Amidinen

Zunächst wurden die Methoxy(dimethylamino)-substituierten Komplexe 1a bis 1c bei Raumtemperatur mit Benzamidin umgesetzt. Ein sofortiger Farbumschlag von hellorange nach tiefrot zeigte eine Reaktion an. Im IR-Spektrum hingegen waren keine großen Veränderungen erkennbar – die Lage der ν(CCC)-Bande änderte sich innerhalb der Fehlergrenzen nicht. Die ν(CO)-Banden verschoben sich um wenige Wellenzahlen in Richtung kleinerer Werte.

Nach Entfernung des Lösungsmittels und Umkristallisation zeigten die NMR- und massenspektrometrischen Daten jedoch eindeutig die Substitution der Methoxygruppe gegen einen Amidinylrest (vgl. Abb. 38).

Wie bei den bisherigen Reaktionen wurde auch hier selektiv die Methoxygruppe substituiert. Zusätzlich fand jedoch eine Tautomerisierung zum thermodynamisch günstigeren, konjugierten System statt[45]. Durch das vergrößerte π-System ist auch die drastisch unterschiedliche Farbe im Vergleich zu den bisherigen Bis(amino)allenyliden-Komplexen zu erklären. Die Produkte

16a bis 16c konnten durch Umkristallisation in nahezu quantitativen Ausbeuten analysenrein erhalten werden.

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Abb. 38: Umsetzung mit Benzamidin.

Bemerkenswert ist, dass beim Versuch einer säulenchromatographischen Aufarbeitung über SiO2 die Komplexe mit Chrom und Molybdän als Zentralmetall teilweise zu einem gelb gefärbten Carben-Komplex weiter reagierten. Dieses Phänomen wurde im Verlauf der Arbeit weiter untersucht (siehe Abschnitt 2.4.3).

Die Synthesemethode konnte auf weitere Amidine übertragen werden. Hierzu wurden die Amidiniumchloride von Guanidin und substituierten Benzamidinen in situ mit 5 M NaOH in die freien Basen überführt. Zu diesen Lösungen wurde dann ein leichter Unterschuss (ca. 0.9 Äquivalente) an Komplex 1a gegeben (vgl. Abb. 39). Säulenchromatographische Aufreinigung der Benzamidinyl-Derivate führt wie bei den Komplexen 16 zu einer partiellen Umsetzung zu gelben Carben-Komplexen. Fast quantitative Ausbeuten ließen sich durch Umkristallisation erreichen.

Die Farbe der Komplexe unterscheidet sich beträchtlich, abhängig vom Substituenten am Amidin-C-Atom. Das Guanidinyl-Derivat 19 ist in Lösung und als Feststoff gelb, während die Benzamidinyl-Derivate mit abnehmender Elektronen-Donorkapazität des Aromaten zwischen orange (Verbindung 17) und dunkelrot (Komplex 18) variieren.

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Abb. 39: Umsetzung von 1a mit weiteren Amidinen.

2.4.3. Cyclisierung der Amidinyl-Komplexe

Da die Reaktion der Benzamidinylderivate mit Kieselgel zur Bildung von Carben-Komplexen führte, wurde versucht, diese Reaktion gezielt herbeizuführen. Die Vermutung lag nahe, dass der entscheidende Schritt über eine Protonierung der Verbindungen 16 bis 19 verläuft. Daher sollte die Reaktion gegenüber Säuren untersucht werden.

Hierzu wurden jeweils 1 mmol der Allenyliden-Komplexe 16 bis 19 in THF gelöst und bei Raumtemperatur mit wenigen Tropfen einer Säure (HCl oder HBF4) versetzt. Innerhalb von 15 bis 30 Minuten konnte ein Farbumschlag nach gelb beobachtet werden. Die IR-Spektren zeigten das vollständige Verschwinden der ν(CCC)-Bande und eine Verschiebung der ν(CO)-A1-Bande bei höheren Wellenzahlen von ca. 2075 bis 2085 auf etwa 2050 cm-1. Letztere entspricht Carben-Komplexen mit stark Elektronen-schiebenden Resten am Carben-C-Atom. Die Reinigung konnte im Fall der Komplexe 20 bis 22 säulenchromatographisch über Kieselgel erfolgen. Erstaunlicherweise führte die Säulenchromatographie bei Verbindung 23 zur Rückbildung des Edukt-Allenyliden-Komplexes 19. Durch Umkristallisation konnte jedoch auch dieser Komplex analysenrein erhalten werden (vgl. Abb. 40).

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Abb. 40: Säurekatalysierte Cyclisierung von Amidinylallenyliden-Komplexen.

Der Mechanismus der Cyclisierung ist noch nicht vollständig geklärt. Versuche durch Verwendung deuterierter Säuren wie DCl und CH3COOD Aufschluss darüber zu erhalten, an welcher Stelle der Allenyliden-Komplex protoniert wird, waren leider nicht erfolgreich, da die Säure nicht äquimolar, sondern katalytisch reagiert und vermutlich im Reaktionsverlauf wiederum ein Proton abgespalten wird.

C Abb. 41: Vermuteter Mechanismus der Cyclisierungsreaktion.

Ein wahrscheinlicher Mechanismus ist in Abb. 41 dargestellt. Er verläuft über die Protonierung am nukleophilen Cβ-Atom des Allenylidenliganden. Hierbei entsteht intermediär ein kationischer Vinyliden-Komplex. Dieser sollte gegenüber nukleophilen Angriffen sehr reaktiv sein und den Angriff der

entständigen NH2-Gruppe des Amidinyl-Rests erleichtern. Die anschließende Deprotonierung führt dann zur Bildung des beobachteten cyclischen Carben-Komplexes.

Eine weitere Möglichkeit wäre die Protonierung an einem der Stickstoff-Atome in den Substituenten des Allenyliden-Komplexes. Dies würde gleichfalls durch Herabsetzung der Elektronendichte entlang der ungesättigten Kette zu einer Erhöhung der Reaktivität gegenüber Nukleophilen führen und so den Angriff der entständigen Aminogruppe am Cα-Atom der Kette ermöglichen.

Die erhaltenen 6-gliedrigen N-heterocyclischen Carben-Komplexe des Chroms zeichnen sich durch sehr große Stabilität aus, welche durch die stark elektronenschiebenden Substituenten zu begründen ist. Der Molybdän-Carbenkomplex 20b hingegen beginnt in Lösung bei Raumtemperatur innerhalb von wenigen Stunden zu zerfallen und auch eine Lagerung bei -30 °C in Lösung ist nur über wenige Tage möglich. Beim Zerfall bleiben ein grauer Niederschlag und eine farblose Lösung zurück, in deren IR-Spektrum lediglich Molybdänhexacarbonyl nachweisbar ist. Die Carbenkomplexe des Molybdäns weisen also im Vergleich mit Chrom- und Wolfram-Komplexen eine deutlich niedrigere Stabilität auf, wie bereits in vergangenen Arbeiten

[100-102] festgestellt wurde. Warum dagegen die Allenyliden-Komplexe des Molybdäns diesem Trend nicht folgen, bleibt offen.