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2.1 Raman-Spektroskopie

2.1.1 Raman-Effekt

Trifft ein Photon auf ein Molekül oder einen Festkörper, so ergeben sich grundsätz-lich drei Möggrundsätz-lichkeiten:[6]

• Der größte Anteil des Lichts durchdringt die Probe oder wird reflektiert.

• Ein geringer Teil der Photonen (ca. 10-4 – 10-3 bezogen auf das eingestrahlte Licht) wird ohne Änderung der Energie in alle Richtungen gestreut. Dies wird als elastische, Mie- oder Rayleigh-Streuung bezeichnet.

• Ein noch kleinerer Anteil (ca. 10-8 – 10-6 bezogen auf das eingestrahlte Licht) wird unter Energieübertrag zwischen Probe und Photonen gestreut (soge-nannte inelastische Streuung, vgl. Abbildung 2.1). Dabei kann das gestreute Photon entweder Schwingungsenergie von der Probe aufnehmen (Anti-Stokes-Streuung) oder Energie an die Probe abgeben (Stokes-(Anti-Stokes-Streuung).

Der Raman-Effekt umfasst sämtliches inelastisch gestreute Licht, also die Stokes-und die Anti-Stokes-Streuung. Er wurde 1923 vom österreichischen Physiker Adolph Smekal erstmals theoretisch vorhergesagt[7] und konnte 1928 vom indischen Physiker Chandrasekhara Raman experimentell nachgewiesen werden.[8] Raman entdeckte, dass Flüssigkeiten, wenn sie von einer Lichtquelle durchschienen werden, zusätzlich zur normalen energiegleichen Streuung (Rayleigh-Streuung) und Fluoreszenz eine oder mehrere weitere Wellenlängen emittieren. Dies konnte er folgerichtig den theoretischen Beschreibungen von Smekal zuordnen.

Nach der klassischen Mechanik kann der Raman-Effekt folgendermaßen erklärt werden.[9–11] Das durch das Licht erzeugte elektrische Feld E ist eine elektroma-gnetische Welle in Abhängigkeit der Zeit t

E =E0cos(2πν0t). (2.1)

Hierin sind E0 die maximale Schwingungsamplitude des elektrischen Feldes und ν0 die Frequenz des Lichts. Wird nun beispielsweise ein zweiatomiges Molekül von diesem Licht bestrahlt, so wird es nach

P =αE =αE0cos(2πν0t) (2.2)

2.1. Raman-Spektroskopie

Abb. 2.1.: Schematische Übersicht der unterschiedlichen Streuungsarten.

mit der Polarisationskonstante α polarisiert. Das Molekül wird hierbei in eine Schwingung mit der Auslenkungq mit der maximalen Schwingungsamplitude q0 und der Frequenz νm versetzt.

q=q0cos(2πνmt) (2.3)

Für kleine Auslenkungen kannαin einer Taylorreihe genähert werden.α0 entspricht dabei der Polarisierbarkeit in der Gleichgewichtslage.

α=α0+ ∂α

∂q

!

0

q0+... (2.4)

Kombiniert man diese Gleichung mit 2.2 und 2.3, so ergibt sich:

P =αE0cos(2πν0t)

Der erste Term in dieser Gleichung beschreibt nach der klassischen Mechanik einen oszillierenden Dipol, der Licht mit der Anregungsfrequenz ν0 ausstrahlt. Dies entspricht der Rayleigh-Streuung. Die beiden weiteren Terme beschreiben die Stokes-bzw. Anti-Stokes-Streuung, bei denen Licht mit niedriger Stokes-bzw. höherer Frequenz

emittiert wird.[9] Schwingungen zeigen eine Stokes- bzw. Anti-Stokes-Streuung,

Dies ist der Fall, wenn sich die Polarisierbarkeit α mit der Auslenkung q der Schwingung ändert. Ein Molekül wird als Raman-aktiv bezeichnet, wenn min-destens eine Normalschwingung Raman-aktiv ist. Die Frequenz der Stokes- und Anti-Stokes-Streuung unterscheidet sich dabei stets um einen festen Betragνm von der Frequenz des einstrahlenden Lichts. Dieser Betrag wird nur von den Schwin-gungszuständen des Moleküls beeinflusst und ist damit unabhängig von der Energie des einstrahlenden Licht. Im Gegensatz zur Infrarot(IR)-Spektroskopie (wo nur das Licht im IR-Bereich absorbiert werden kann) kann also Licht unterschiedlichster Energien (im UV-, sichtbaren und IR-Bereich) gestreut werden. Aus historischen Gründen wird meist der Energieunterschied in Wellenzahlen ˜ν in cm-1 angegeben.

Wellenzahlen sind als reziproke Wellenlängen definiert und damit proportional zur Energie

Zur Veranschaulichung wird in Energiediagrammen oft die Raman-Streuung als Absorption und anschließend erfolgende Emission dargestellt (vgl. Abbildung 2.1).

Dies stellt jedoch nur eine grobe Näherung dar. Der Streuprozess unterscheidet sich deutlich von einem Absorptionsprozess.[11] Zum einen resultiert die zusätzliche Energie nicht in der Anregung von Elektronen in einen höheren Energiezustand, sondern aus einer quantenmechanischen Überlagerung aller beteiligten Zustände.

Dies hat zur Folge, dass die Raman-Streuung im Gegensatz zur Absorption bei allen Wellenlängen erfolgen kann. Weiterhin ist die Lebensdauer des angeregten Elektrons im Vergleich zur Absorption sehr gering; die Freisetzung der Energie erfolgt nahezu unmittelbar. Der Dipol des wechselwirkenden Lichts ist im Vergleich zum Molekül deutlich größer (sichtbares Licht: 400 - 700 nm, Molekül: ca. 0.5 nm), daher kommt es zu einer Polarisierung und Anregung der Elektronen, es bildet sich ein instabiler „Licht-Molekül-Komplex” mit einer sehr geringen Lebensdauer. In diesem ist die Geometrie der Elektronen stark verzerrt, die Lage der Kerne bleibt jedoch unverändert, da für diese nicht genügend Zeit vorhanden ist, auf die äußeren Einflüsse zu reagieren. Da keine stabilen elektronischen Zustände vorhanden sind, welche dieser gestörten Anordnung entsprechen, wird der „Licht-Molekül-Komplex”

auch oftmals als virtueller Zustand bezeichnet.

Betrachtet man ein Molekül, welches aus N Atomen besteht, so besitzt jedes einzelne Atom drei translatorische Freiheitsgrade. Da die Freiheitsgrade bei der Bildung eines Moleküls erhalten bleiben, muss das gesamte Molekül 3N Freiheitsgrade

2.1. Raman-Spektroskopie

Deformationsschwingung

symmetrische Streckschwingung

antisymmetrische Streckschwingung

Abb. 2.2.: Normalschwingungen des Wassers.

Abb. 2.3.: Normalschwingungen des Kohlenstoffdioxids.

aufweisen. Diese setzen sich aus drei Translationsfreiheitsgraden und (bei nicht linearen Molekülen) drei Rotationsfreiheitsgraden zusammen. Lineare Moleküle hingegen besitzen nur zwei Rotationsfreiheitsgrade, da die Rotation um die Achse nicht beobachtet werden kann. Somit ergeben sich für lineare Moleküle 3N-5 und für nicht lineare Moleküle 3N-6 Schwingungsfreiheitsgrade.[10, 11] Bei mehratomigen Molekülen werden die Schwingungsfreiheitsgrade im Allgemeinen als zueinander orthogonale Normalschwingungen dargestellt. Betrachtet man beispielsweise Wasser und Kohlenstoffdioxid, so ergeben sich 3 bzw. 4 Normalschwingungen, welche in den Abbildungen 2.2 und 2.3 zu sehen sind. Bei CO2 benötigt die Anregung der beiden Deformationsschwingungen die gleiche Energie, es existiert nur eine Bande im Raman-Spektrum. Solche energiegleichen Schwingungen werden als entartet bezeichnet.

Die Normalschwingungen kleinerer Moleküle lassen sich üblicherweise in unter-schiedliche Schwingungsarten unterteilen. Diese sind:[11]

• Valenzschwingungen oder Streckschwingungen: Schwingungen in der Bin-dungsachse; bei mehratomigen Molekülen (N ≥ 3) existieren symmetrische und antisymmetrische Streckschwingungen.

Abb. 2.4.: Schematische Übersicht der Raman-Verschiebungen der häufigsten Schwingungen in organischen Molekülen nach [12].

• Deformationsschwingungen: Schwingungen unter Änderung des Bindungswin-kels. Es lassen sich zwei Arten unterscheiden:

Beugeschwingungen: innerhalb der Bindungsebene;

Kipp- und Drehschwingungen: aus der Bindungsebene heraus.

Bei größeren Molekülen hingegen lassen sich die Normalschwingungen oftmals nicht mehr durch empirische Überlegungen bestimmen, hier müssen theoretische Berechnungen, beispielsweise über die Dichtefunktionaltheorie (DFT), durchge-führt werden. Diese sind jedoch sehr zeitaufwändig und können in der Praxis nicht für alle untersuchten Moleküle angewandt werden. Man betrachtet daher für Interpretationen oftmals die einzelnen funktionellen Gruppen der Moleküle und die typischen Frequenzbereiche, bei denen sie auftreten.[10, 11] In Abbildung 2.4 sind die Schwingungen der am häufigsten in organischen Molekülen auftretenden funktionellen Gruppen dargestellt.