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Der Ermordung der Juden im Generalgouvernement lagen offenbar keine ins Einzelne gehenden Befehle, sondern nur allgemein gehaltene Weisungen aus Berlin zugrunde. Die Planung und Organisation von weit über 1000 einzelnen Gettoräumungen, Deportatio-nen und Erschießungen sowie einer Unzahl weiterer Verbrechen in den Gettos und La-gern lagen weitgehend beim SS- und Polizeiapparat in Krakau und in den Distrikten. An ihrer Spitze stand der Höhere SS- und Polizeiführer im Generalgouvernement, Friedrich-Wilhelm Krüger, dessen kleine Dienststelle jedoch nur eine koordinierende Funktion besaß.

Die SS- und Polizeiführer in den Distrikten stellten eigene „Judenreferenten“ ab, die eng mit der Sicherheitspolizei zusammenarbeiteten. Bei der Vorbereitung der Gettoräumun-gen kooperierten „Judenreferenten“ und Sicherheitspolizei mit der Zivilverwaltung, vor allem mit der Arbeitsverwaltung und mehr noch mit der Abteilung Bevölkerungswesen und Fürsorge in der Regierung des Generalgouvernements, die von Anfang an die Po-litik gegenüber der jüdischen Bevölkerung maßgeblich mit bestimmt hatte. Diese Zu-sammenarbeit setzte sich in den einzelnen Distrikten und Kreisen fort. Die „Aktionen“

begannen folglich in der Regel mit gemeinsamen Besprechungen aller Behörden vor Ort.Meist umstellten deutsche Einheiten die Gettos, vor allem Beamte der Sicherheitspolizei sowie der zahlenmäßig stärkeren Ordnungspolizei, also der Gendarmerie auf dem Lande und der Schutzpolizei in den Städten.76 Besonders im Distrikt Lublin, aber auch in War-schau wurden diese durch Einheiten aus dem SS-Ausbildungslager Trawniki verstärkt.

Kleine Gruppen von deutscher Polizei, oft begleitet von polnischer oder ukrainischer

75 Wojciech Lenarczyk, Dariusz Libionka, Erntefest 3 – 4 listopada 1943 – zapomniany epizod Zagłady, Lublin 2009; Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren (wie Anm. 73).

76 Christopher R. Browning, Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die End-lösung in Polen, Reinbek bei Hamburg 1993; Stefan Klemp, Freispruch für das „Mord-Bataillon“.

Die NS-Ordnungspolizei und die Nachkriegsjustiz, Münster 1998; Thomas Geldmacher, „Wir als Wiener waren ja bei der Bevölkerung beliebt“. Österreichische Schutzpolizisten und die Juden-vernichtung in Ostgalizien 1941 – 1944, Wien 2002; Wolfgang Curilla, Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei 1939 – 1945, Paderborn 2011.

35 Die Räumung der Gettos

Hilfspolizei, führten die Razzien innerhalb der Gettos durch und trieben die Menschen aus ihren Wohnungen auf die Straße.77 Oft musste ihnen dabei der jüdische Ordnungs-dienst assistieren. Ältere Menschen, die nicht schnell genug laufen konnten, oder zurück-gelassene Kleinkinder erschossen die Polizisten zumeist in ihren Wohnungen. Ebenso ermordeten sie die Patienten in Krankenhäusern, nicht selten zusammen mit dem Sani-tätspersonal, an Ort und Stelle.

Diese „Aktionen“ waren für die Gettobewohner traumatische Ereignisse. Im Frühjahr 1942, aber auch noch in den ersten Tagen nach Beginn der totalen Vernichtungsaktion von Ende Juli an, war die Gettobevölkerung von der ungezügelten, brutalen Gewalt weit-gehend überrascht worden. Die vorab kursierenden Gerüchte fanden erst im Spätsom-mer/Herbst 1942 auch Glauben. Die Bevölkerung wurde nun gewahr, dass auch ihrem Getto ein solches Schicksal bevorstehen könnte. Seit August 1942 bereiteten sich deshalb immer mehr Juden auf das Schlimmste vor: durch den Bau von Verstecken, Fluchtpla-nungen, gelegentlich auch dadurch, dass sie ihre Kinder auf der „arischen Seite“ bei Nichtjuden unterbrachten, mit denen sie aus der Vorkriegszeit bekannt oder befreundet waren.

Verstärkt versuchten politisch aktive Gruppierungen, sich mit Waffen zu versorgen, was sich aber als sehr schwieriges, oftmals unmögliches Unterfangen erwies. Vor allem be-mühten sich jedoch alle Gettoinsassen um eine Bescheinigung vom Arbeitsamt oder eine vermeintlich sichere Arbeitsstelle. Der Besitz von Handwerkszeug oder etwa von Nähmaschinen konnte bei der Selektion nützlich sein und das Überleben sichern. Frei-lich wurden die Arbeitsbescheinigungen von den deutschen Behörden immer wieder durch neue ersetzt und in immer geringerer Zahl ausgegeben; dafür waren jetzt zumeist Beamte der Sicherheitspolizei und nicht mehr die Arbeitsämter zuständig. Die Bedeu-tung solcher Bescheinigungen für das Überleben nahm somit seit Ende August 1942 immer mehr ab.

Während der Gettoräumungen waren die Bewohner bestrebt, möglichst schnell in Häu-serblocks zu gelangen, die nicht umstellt wurden, oder in Häuser, die bereits geräumt waren. Doch nur einem Bruchteil der Jüdinnen und Juden gelang es, während der Raz-zien unterzutauchen; auf Flüchtige schossen die Polizeikommandos. Die Festgenomme-nen wurden dann von den Bewachern zu Sammelplätzen getrieben. Dort entschieden die Polizisten, aber auch oft Unternehmer oder deutsche Zivilbeamte, wer zum Leben und wer zum Tode bestimmt war.

Nun drängten die Bewacher die Opfer in bereitgestellte Güterzüge, in extremen Fällen pferchten sie Berichten zufolge bis zu 200 Personen in einen Waggon (Dok. 110). Nicht selten wurden dabei Familien für immer auseinandergerissen. Die Reichs- bzw. die Ost-bahn stellte die Züge, ihre Mitarbeiter wussten recht bald über den Zweck der Transporte Bescheid. Die Todestransporte legten zu den Vernichtungslagern meist keine weiten Strecken zurück, doch fuhren sie sehr langsam, so dass die Menschen unerträgliche Qua-len litten, im Sommer 1942 Durst und Hitze, in den Wintermonaten vor allem infolge der

77 Zur polnischen, wegen der Uniformfarbe sog. „blauen Polizei“: Adam Hempel, Pogrobowcy klęski.

Rzecz o policji „granatowej“ w Generalnym Gubernatorstwie 1939 – 1945, Warszawa 1990; Jan Grabowski, Strażacy, wiejska straż nocna i granatowa policja a zagłada Żydów na obszarach wiej-skich w dystrykcie krakowskim, in: Zagłada Żydów na polskiej prowincji, hrsg. von Adam Sitarek, Michał Trębacz, Ewa Wiatr, Łódź 2012, S. 245 – 264.

Kälte. Manche der Deportierten, insbesondere ältere Personen und Kleinkinder, starben bereits auf der Fahrt. Nur ganz wenigen gelang es, aus den Waggons auszubrechen und als sogenannte Springer zu flüchten. Auf sie wurde sofort geschossen. (Dok. 177). Auf den Bahndämmen lagen nach Durchfahrt der Deportationszüge oft zahlreiche Leichen von ermordeten Flüchtlingen. Aber auch jene, denen die Flucht aus den verplombten Wag-gons gelungen war, hatten nur geringe Chancen zu überleben. Für gewöhnlich lehnte die Bevölkerung nahe der Bahnstrecken jegliche Hilfeleistung für Juden ab, nicht zuletzt aus durchaus begründeter Angst vor den Repressalien der Deutschen.78

Vernichtungslager

Die meisten Juden aus den Städten des Generalgouvernements wurden in den drei Vernichtungszentren der „Aktion Reinhardt“ – Belzec, Sobibor und Treblinka – ermor-det.79 Viele Menschen aus dem Distrikt Lublin, unter ihnen auch Juden aus der Slowa-kei, fanden im Konzentrationslager Lublin-Majdanek den Tod80 (Dok. 79). Aus dem Distrikt Krakau gingen von 1943 an auch einige Transporte ins nahe gelegene Konzen-trationslager Auschwitz-Birkenau, das 1941/42 zum Vernichtungslager ausgebaut wor-den war.

Die Lager der „Aktion Reinhardt“ waren die zentralen Todesfabriken für die europäi-schen Juden in der Phase zwieuropäi-schen März 1942 und Frühjahr 1943. Erst danach erlangte Auschwitz jene Bedeutung, die dem Lager heute allgemein zugeschrieben wird. Aller-dings sind die Dokumente der „Aktion Reinhardt“, ähnlich wie auch die Lagerbauten, bereits im Herbst 1943 fast restlos vernichtet worden. Deshalb ist die Rekonstruktion der Lagergeschichte vor allem auf Berichte von Zeugen angewiesen, denen die Flucht gelang und die unmittelbar danach über das Erlebte berichteten (Dok. 147) oder nach dem Krieg befragt wurden, sowie auf die Berichterstattung der polnischen Untergrundbewegung (Dok. 136).

Alle drei Lager unterstanden dem in Lublin amtierenden SS- und Polizeiführer Glo-bocnik, der dort im August 1942 ein eigenes Büro für den „Einsatz Reinhardt“ einrich-ten ließ. Dieses leitete der Kriminalpolizist und Inspekteur der Tötungsanstaleinrich-ten der

„Euthanasie-Aktion“, Christian Wirth. Zwar wurden diese Mordzentren später meist

„Lager“ genannt, aber ein Aufenthalt der hierher deportierten Juden war nicht vorge-sehen. Die Lager ähnelten einander im Aufbau, lediglich Treblinka, das als letztes der drei Lager errichtet wurde, erstreckte sich über ein ausgedehntes, eingezäuntes Gelände.

Sie waren relativ einfach aufgebaut und mit einem Gleisanschluss sowie einer

78 Vgl. zum Umfang der Fluchten Grzegorz Berendt, Żydzi zbiegli z gett i obozów śmierci, in: Za-głada Żydów na polskiej prowincji (wie Anm. 77), S. 121 – 158.

79 Adalbert Rückerl (Hrsg.), NS-Vernichtungslager im Spiegel deut scher Strafprozesse. Belzec, So-bi bor, Treblinka, Chelmno, München 1977; Ino Arndt, Wolfgang Scheffler, Organisierter Mas-senmord an Juden in nationalsozialistischen Vernichtungsla gern. Ein Beitrag zur Richtigstellung apologetischer Literatur, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 24 (1976), S. 105 – 135; Yitzhak Arad, Belzec, Sobibor, Treblinka: The Operation Reinhard Death Camps, Bloomington 1987.

80 Barbara Schwindt, Das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek – Funktionswandel im Kontext der „Endlösung“, Würzburg 2005; Tomasz Kranz, Die Vernichtung der Juden im Konzen-trationslager Majdanek, Lublin 2007.

37 Vernichtungslager

visierten Bahnrampe versehen. In einem weiteren Lagerbereich waren die Sonderkom-mandos mit jüdischen Häftlingen untergebracht, in einem anderen – weitgehend ab-geriegelten – Bereich das Gebäude mit den Gaskammern und die Freiflächen für die Massengräber.81

Beim deutschen Lagerpersonal handelte es sich meist lediglich um 25 bis 35 Reichsdeut-sche, in der Regel mit niedrigem Dienstgrad, von denen die meisten aus der Mordaktion an Psychiatrieinsassen, der „Euthanasie“, rekrutiert worden waren.82 Für die innere und äußere Bewachung waren jeweils zwischen 120 und 250 ausländische „Hilfswillige“ aus Trawniki eingesetzt, überwiegend Ukrainer, aber auch Angehörige vieler anderer Natio-nalitäten aus der Sowjetunion (Dok. 92).83

Die Sonderkommandos bestanden – je nach Zeitabschnitt – aus 300 bis 1000 Männern, die aus den ankommenden Transporten selektiert worden waren, meist nach körper-licher Verfassung und handwerklichen Fähigkeiten. Diese Häftlinge mussten vor allem den Lagerfunktionären dienen, aber bei Ankunft der Transporte auch Hilfstätigkei-ten verrichten, etwa die letzte Habe der Deportierten einsammeln und sortieren. Im Tötungsbereich des Lagers lebte, hermetisch abgetrennt, ein spezielles Sonderkom-mando; es hatte vor allem für den Abtransport der Leichen aus den Gaskammern zu sorgen.

Die Häftlinge der Sonderkommandos wurden von ihren Bewachern mit äußerster Ge-walt angetrieben, nicht selten so geschlagen, dass die deutsche Lagerleitung sie anschlie-ßend als „arbeitsunfähig“ einstufte und ebenfalls ermorden ließ. In der ersten Phase der Vernichtungslager tötete die Lager-SS jeweils das gesamte Sonderkommando in periodi-schen Abständen, um Zeugen zu beseitigen; von Mitte 1942 an blieb die Zusammen-setzung des Sonderkommandos dann etwas stabiler. Deren Häftlinge haben – ähnlich wie das Sonderkommando in Auschwitz-Birkenau – Unvorstellbares erlebt. Chaim Hirszman, einer der nur drei namentlich bekannten Überlebenden aus Belzec, erinnerte sich nach dem Krieg: „In einem dieser ‚Transporte‘ aus der Gaskammer war die Lei-che meiner Frau, ich musste ihr die Haare scheren.“ Und Rudolf Reder, ein weiterer Überlebender aus Belzec, hatte nach dem Krieg Mühe, dieses Grauen in Worte zu fassen:

„Ich kann nicht beschreiben, in welcher Stimmung wir uns befanden und was wir empfanden, wenn wir täglich die fürchterlichen Klagen der Erstickenden und die Schreie der Kinder hörten. Dreimal am Tag sahen wir Tausende Menschen, die nahe daran waren, den Verstand zu verlieren. Und wir waren dem Wahnsinn ebenfalls nahe.

81 Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas. Eine Dokumentation, hrsg. von Eugen Kogon, Hermann Langbein, Adalbert Rückerl u. a., Frankfurt a. M. 1983, S. 146 – 193; Stanisław Wojtczak, Karny obóz pracy Treblinka I i ośrodek zagłady Treblinka II, in: Biuletyn Głównej Ko-misji Badania Zbrodni hitlerowskich w Polsce 26 (1975), S. 117 – 185; Ryszard Czarkowski, Cieniom Treblinki, Warszawa 1989; Robert Kuwałek, Obóz zagłady w Sobiborze w historiografii polskiej i obcej, in: Zeszyty Majdanka 21 (2001), S. 115 – 160; Witold Chrostowski, Extermination Camp Treb-linka, London, Portland, Or. 2004; Der Ort des Terrors, hrsg. von Wolfgang Benz, Barbara Distel, Bd. 8: Riga-Kaiserwald, Warschau, Vaivara, Kauen (Kaunas), Płaszów, Kulmhof/Chełmno, Bełżec, Sobibór, Treblinka, München 2008; Robert Kuwałek, Das Vernichtungslager Bełżec, Berlin 2013.

82 Sara Berger, Experten der Vernichtung. Das T4-Reinhardt-Netzwerk in den Lagern Belzec, Sobi-bor und Treblinka, Hamburg 2013.

83 Dieter Pohl, Die Trawniki-Männer im Vernichtungslager Belzec, in: NS-Gewaltherrschaft. Bei-träge zur historischen Forschung und juristischen Aufarbeitung, hrsg. von Alfred Gottwaldt, Nor-bert Kampe, Peter Klein, Berlin 2005, S. 278 – 289.

Wir schleppten uns von Tag zu Tag und wussten selber nicht wie. Wir hatten nicht die geringste Hoffnung. Wir starben jeden Tag ein bisschen mehr […].“84 Immer wieder kam es zu Fluchtver suchen, in Treblinka und Sobibor schließlich sogar zu Massenaus-brüchen.

Wenn die Transporte eines der drei Vernichtungslager erreicht hatten, wurden die meist völlig erschöpften Menschen aus den Waggons auf eine Art Appellplatz getrieben. Hier wurden nur Einzelne, weniger als ein Prozent der Deportierten, zur Zwangsarbeit aus-sortiert und vorübergehend am Leben gelassen. Transportunfähige brachte man auf Bah-ren in einen separaten, zum Teil als Krankenstation getarnten Bereich. Dort wurden sie sofort erschossen. Alle anderen wurden in einen abgetrennten Teil des Lagers geführt, wo sie sich entkleiden mussten. Anschließend wurden sie, zunächst die Männer, danach die Frauen und Kinder, in das Gebäude mit den Gaskammern getrieben und dort mit Motorenabgasen erstickt.

Die Häftlinge des Sonderkommandos mussten die Leichen aus den Gaskammern ziehen, auf versteckte Wertgegenstände durchsuchen und anschließend in riesige Gruben wer-fen. Als im Lager Belzec Mitte Dezember 1942 die Morde aufhörten, wurden die Gräber wieder geöffnet und die Leichen auf großen Rosten aus Eisenbahnschienen verbrannt.

Ähnliches geschah seit Frühjahr 1943 in den Lagern Sobibor und Treblinka, hier wurden die Massenmorde aber bis in den Herbst fortgesetzt.

Nach internen Zahlen der deutschen Besatzungsverwaltung wurden allein im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ bis Ende 1942 nicht weniger als 1 274 166 Menschen ermordet (Dok. 204).85

Bis zum Herbst 1943 starben in Belzec zwischen 440 000 und 453 000, in Sobibor etwa 180 000 und in Treblinka etwa 800 000 Menschen, zum weit überwiegenden Teil polni-sche Juden, aber auch Juden aus den Niederlanden, dem Deutpolni-schen Reich und aus ande-ren Staaten.86

Reaktionen

Vor dem Beginn des systematischen Massenmords hatte die polnische Bevölkerung gegenüber den verfolgten Juden meist eine distanzierte Haltung eingenommen. Für sie stand die eigene prekäre Lage unter deutscher Besatzung im Vordergrund. Die Gettos waren teils hermetisch abgeschlossen, die Kontaktmöglichkeiten üblicherweise gering, und so blieb eine stärkere Anteilnahme der christlichen Polen am Schicksal der Juden meist aus. Nicht selten sahen Polen die Juden generell als Unterstützer des Kommu-nismus an und machten sie für die sowjetische Gewaltherrschaft von September 1939 bis Mitte 1941 in Ostpolen mitverantwortlich. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Juni 1941 hatte es dort, etwa im Raum Białystok, blutige Pogrome gegen Juden ge-geben, die oft von der deutschen Polizei angestiftet worden waren. Auch die damals

84 Zit. nach Kuwałek, Vernichtungslager (wie Anm. 81), S. 216 f.; Rudolf Reder, Bełżec, Kraków 1999 (poln. Erstausgabe 1946).

85 Peter Witte, Stephen Tyas, A New Document on the Deportation and Murder of Jews during

„Einsatz Reinhardt“ 1942, in: Holocaust and Genocide Studies 15 (2001), S. 468 – 486.

86 Kuwałek, Vernichtungslager (wie Anm. 81), S. 237 – 246.

39 Reaktionen

noch schwache polnische Untergrundbewegung und die Exilregierung verhielten sich gegenüber der jüdischen Minderheit während des Jahres 1941 eher ambivalent (vgl.

Dok. 8).

Wie das Verhalten der nichtjüdischen Polen im Angesicht des Massenmords einzuschät-zen ist, bleibt bis heute umstritten, zumal eine Beurteilung durch die fragmentarische Quellenlage und methodische Probleme erschwert wird.87 Ohne Zweifel befanden sich auch die Polen während des Kriegs in einer außerordentlich schwierigen Lage. Die Be-satzer hatten Teile der polnischen Elite ermordet und fast zwei Millionen überwiegend jüngere polnische Männer und Frauen zur Zwangsarbeit ins Reich verschleppt. Im Be-satzungsgebiet waren offene Äußerungen zugunsten der Juden nur im engsten Kreis der Vertrauten möglich, da man Gefahr lief, von Mitbürgern denunziert zu werden. Juden Hilfe zu leisten oder sie gar zu verstecken, war lebensgefährlich, denn spätestens von Ende 1941 an bestraften die Sondergerichte dies erbarmungslos.

Die meisten Polen waren über das Schicksal der Juden gut informiert. Die geographi-sche Nähe zu den Vernichtungszentren erleichterte es, Kenntnisse über das Vorgehen der Besatzer zu gewinnen, die dann – trotz der massiven Einschränkung der öffentlichen Sphäre – mit Bekannten und Verwandten innerhalb Polens ausgetauscht werden konn-ten. Zudem fanden Gettoräumungen in nahezu allen polnischen Städten statt, teilweise sogar vor aller Augen. Glaubt man der Berichterstattung des polnischen Untergrunds, so blieb die Haltung der meisten Polen gegenüber den Juden auch nach Beginn der syste-matischen Morde im Frühjahr 1942 eher reserviert (vgl. Dok. 59).

Erst im Spätherbst 1942, angesichts der enormen Gewalt in den Städten und der sich abzeichnenden vollständigen Ermordung der Juden, veränderte sich das Bild. In dem Maße, in dem klar wurde, dass die Deutschen ausnahmslos alle Juden zu töten beab-sichtigten, stellten sich immer mehr nichtjüdische Polen die Frage, was danach kommen werde, ob vielleicht sie die nächsten Opfer sein würden. Auch bestand seit der deutschen Niederlage in Stalingrad Anfang 1943 erstmals die Aussicht auf ein Ende der deutschen Besatzungsherrschaft. Diese Erwartung bewog einen wachsenden Teil der polnischen Bevölkerung insbesondere auf dem Lande, kleinere Hilfeleistungen für die verfolgten Juden zu erbringen oder diese gar zu verstecken. Die Gedenkstätte Yad Vashem hat überproportional viele polnische Helferinnen und Helfer als Gerechte unter den Völ-kern ausgezeichnet. Sogar auf Seiten der Besatzer belegen deutsche Unternehmer wie Berthold Beitz oder Oskar Schindler, die jüdische Arbeitskräfte für ihre Betriebe re-klamierten und damit vor der Vernichtung bewahrten, aber auch Offiziere wie Wilm Hosenfeld, dass auch Deutsche nicht zwangsläufig Teil der Vernichtungsmaschinerie werden mussten, es vielmehr vielfältige, wenn auch nur allzu oft geringe Handlungs-spielräume gab.88

Freilich sind auch zahlreiche Fälle bekannt, in denen Polen versteckte oder aus den Get-tos entflohene Juden wegen der dafür von der Besatzungsmacht ausgeschriebenen Beloh-nungen denunzierten oder gar ermordeten.Die verfolgten Juden reagierten enttäuscht

87 Polacy i Żydzi pod okupacją niemiecką 1939 – 1945. Studia i materiały, hrsg. von Andrzej Żbikow-ski, Warszawa 2006.

88 Sandkühler, „Endlösung“ (wie Anm. 30); Wilm Hosenfeld, „Ich versuche jeden zu retten“. Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern, hrsg. von Thomas Vogel, München 2004; David M. Crowe, Oskar Schindler. Die Biographie, Berlin 2005.

bis entsetzt auf das Verhalten der Bevölkerungsmehrheit; Emanuel Ringelblum verfasste im Warschauer Getto einen umfang- und kenntnisreichen Essay über das polnisch-jüdi-sche Verhältnis unter den Bedingungen der deutpolnisch-jüdi-schen Herrschaft.89

Die Reaktion der katholischen Kirche, der gerade unter den Besatzungsbedingun-gen in der Lebenswelt der Polen eine besondere Bedeutung zukam, ist bisher noch we-nig erforscht und weiterhin umstritten. Individuelle Hilfeleistungen wie etwa die heim-liche Unterbringung jüdischer Kinder in Klöstern, stehen dem Schweigen der Kirche angesichts des Massenmords gegenüber. Allerdings waren die geringen Handlungs-möglichkeiten der Kirchenführung schon früh offenkundig geworden, nachdem der Krakauer Fürsterzbischof Adam Stefan Sapieha auf seine mehrmaligen Interventio-nen bei Gouverneur Frank zugunsten der zum Christentum konvertierten Juden im Ge neralgouvernement nicht einmal eine Antwort erhalten hatte.90 In der griechisch-katho lischen Kirche der Ukrainer in Ostgalizien trat vor allem der Metropolit Andrij Scheptyzkyj hervor, der die Verbrechen an Juden intern und öffentlich kritisierte (Dok. 55).91

Die Untergrundbewegung und durch sie auch die polnische Exilregierung in London waren vergleichsweise gut über die Mordaktionen informiert. Zwar hat die polnische Exilregierung schon frühzeitig die internationale Öffentlichkeit über die Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht im Lande unterrichtet, dabei jedoch das besondere Schicksal der Juden zunächst nur sehr zögerlich berücksichtigt. Erst im Mai 1942, fast neun Monate nach Beginn der großen Massenerschießungen in Ostpolen, wies die Exilregierung öffentlich auf diese Verbrechen hin. Von da an bemühte sie sich, Nachrichten über den Massenmord in der Welt bekannt zu machen.

Freilich erlangte die „jüdische Frage“ nach wie vor keine Priorität in ihrer Politik, und eine klare Stellungnahme, die den überlebenden Juden den Verbleib als gleichberechtigte

89 Emanuel Ringelblum, Polish-Jewish Relations During the Second World War, New York 1976;

siehe auch Zygmunt Klukowski, Dziennik z lat okupacji (1939 – 1944), Lublin 1958; Barbara Engel-king, „szanowny panie gistapo“. Donosy do władz niemieckich w Warszawie i okolicach w latach

siehe auch Zygmunt Klukowski, Dziennik z lat okupacji (1939 – 1944), Lublin 1958; Barbara Engel-king, „szanowny panie gistapo“. Donosy do władz niemieckich w Warszawie i okolicach w latach