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Im Sinne der sem iotisch en Theorie von M ORRIS (1938, dt. 1979) untersucht die linguistische Pragmatik die R elation zw ischen den natürlichsprachlichen Zeichen und den Z eich en b en u tzem , den M enschen, die diese Zeichen produzieren und in spezifischen V erw endungssituationen zu kom m unikativen Zwecken benutzen. In A bw andlung der L assw ellschen Formel zur Komm unikationsstruktur beschäftigt sich die Pragmatik m it folgender Fragestellung: Wer bzw. w elche sozialen Gruppen verwendet(n) zu w elchem Zeitpunkt w elche Z eichen m it welcher Intention unter w elchen m edialen Bedingungen im Hinblick a u f w elchen Adressaten m it welcher Wirkung?

D ie in der vorliegenden Arbeit verwendete M ethode der Handlungsmuster•

analyse erforscht als ein Teilbereich der linguistischen Pragmatik die Bedingungen, unter denen Interaktanten zur Erreichung eines bestim m ten kom munikativen Zwecks nach einem bestim m ten Sprechhandlungsm uster handeln und beschäftigt sich mit den H andlungsm itteln, d. h. den sprachlichen Äußerungsform en, die zur Realisierung des M usters dienen. Insbesondere der Handlungszweck und die H andlungsbedingungen eines Sprechhandlungsm usters interessieren unter pragma- tischen G esichtspunkten.

V ollzieht ein Sprecher eine persuasive Sprechhandlung^ verfolgt er das Ziel, den Adressaten zu einer positiven bzw. negativen Handlung zu veranlassen. Um dieses Ziel zu erreichen, m uß der Sprecher eine Einstellungsänderung beim Rezi- pienten bewirken, dam it der antizipierte oder tatsächlich vorhandene Widerstand gegen das H andlungsziel überwunden wird. Folglich wird eine persuasive Sprech- handlung m it der Intention der Persuasion vollzogen. D ie Faktoren, die für das Erreichen der persuasiven Intention des Sprechers eine ausschlaggebende Rolle spielen, sollen in den weiteren Ausführungen ausführlich untersucht werden.

Das Forschungsinteresse an den K onstituenten und den Handlungsbedin- gungen der Produktion von persuasiven Texten ist nicht neu. Traditionell beschäf- tigt sich die Rhetorik, deren W urzeln bis in die Antike hineinreichen, mit der Ge- staltung und D arstellung von au f Persuasion bedachter Rede. Die antike Rhetorik als Theorie und Praxis überzeugungsintentionaler Rede verfolgte das Ziel, die Ge- nese von persuasiven Texten anhand des M odells des Redners, der unter Berück- sichtigung sein es Publikum s und des R edeanlasses eine Rede ausarbeitete und vortrug, zu operationalisieren. D ie Funktionskategorien zur Produktion von Rede- texten hatte die antike Rhetorik an dem heuristischen M odell des (Sprach-) H andelns des A nw alts vor Gericht, der im Sinne seines M andanten das Gerichts- verfahren zu beeinflussen versucht, gewonnen. H eute kann die m oderne sprech- handlungsorientierte Pragmalinguistik gewinnbringend au f diese rhetorischen Funktionskategorien zurückgreifen.

Sow ohl die Rhetorik als auch die Pragmatik setzen sich m it der R elation zwi- sehen dem sprachlichen Z eichen und den Zeichenbenutzern auseinander. Die Rhetorik interessiert dabei vor allem die Wirkung des Z eichens au f den Rezipien- ten und die (sprachlichen sow ie extralinguistischen) Bedingungen, die für eine ma- xim ale W irkungsentfaltung des sprachlichen Z eichens verantwortlich sind. Außer- dem beschäftigt sie sich m it der Frage, wie diese Bedingungen optim iert werden

Zu den Begriffen ‘p ositive’ bzw. *negative’ H andlung vgl. Kapitel 2 .2 .2 .

tenorientierten T exten und untersucht die Bedingungen, unter denen sich die Wir- kungsintentionalität der Texte entfalten kann.

Ab den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann sich die pragmatische Linguistik unter sprechhandlungstheoretischem Vorzeichen m it der antiken Rheto- rik auseinanderzusetzen und sie in handlungstheoretisch fundierte Rhetorikent- würfe einzub in d en (vgl. die Arbeiten von KOPPERSCHMIDT 1973; 19762 und

G E ISSN E R 1973; 2., verb. и. erw. A ufl. 1981)2.

Im folgenden A bschnitt sollen einige Grundaussagen der Rhetorik rekapitu- liert und a u f ihre A ffinität mit m odernen sprechhandlungstheoretischen Überle- gungen hingew iesen werden. Dabei ist nicht beabsichtigt, die antiken Rhetorik- theorien ausführlich darzustellen (diesbezüglich verweise ich au f PERELM AN, Ol- BRECHTS-TYTECA 1958; 1971, T 0U L M IN 1958; 1975, LAUSBERG 1960; 19903, PLETT

1973; 19897, SCHLÜTER 1974; 1977, M A R TIN 1974, FUH RM A NN 1984; 1990, GÖT- TERT 1991; 1994 und U E D IN G 1992-1994), vielm ehr geht es mir um die Herausar- beitung von pragm alinguistischen Kategorien, die für die weitere Untersuchung von persuasiven Sprechhandlungen relevant sind.

3.1 Rhetoriken der griechisch-römischen Antike

D i e Rhetorik als hom ogene Theorie und Praxis existierte weder in der griechisch- röm ischen A ntike noch im M ittelalter und sie existiert auch nicht in der Neuzeit:

״Aristoteles interessierte sich für die Rhetorik unter dem Gesichtspunkt des Um- gangs mit einem Alltagswissen, das über Wahrscheinlichkeit nicht hinauskommt, und zeigte Wege auf, wie man es auch auf diesem Gebiet (neben dem der ‘exakten’

Wissenschaft) zu befriedigenden Ergebnissen bringen könne. Cicero, der eine ver- schulte Rhetorik übrigens völlig ablehnte, konzentrierte sich auf die Möglichkeiten einer Herbeiführung von Übereinstimmung unter den Voraussetzungen republikāni- scher Auseinandersetzungen und beschrieb entsprechende Anforderungen an die Rednerpersönlichkeit. Augustinus wollte mithilfe der Rhetorik die Auslegung und Verkündigung der Heiligen Schrift befördern. Im Mittelalter gewann die Disziplin für die Formuüerung der Poetik entscheidende Bedeutung. In der Neuzeit taucht sie als Bildungsprogramm auf, in dessen Zeichen eine Kultur der ‘Form’ bzw. der Va- nation von ‘Formen’ entsteht. Hinzukommen schließlich noch fließende Übergänge zu den benachbarten Künsten (artes). Die Rhetorik gehörte mit Grammatik und Lo- gik zu jenem Trivium, das zusammen mit dem Quadrivium (bestehend aus Geome- trie, Arithmetik, Astronomie und Musik) die sieben freien Künste darstellte. Aber es gab ebenso Phasen, in denen rhetorische Lehrstücke als bloße Anhängsel der Gram- matik behandelt wurden, wie solche, in denen die Logik ihre Dominanz errichtete...“

(GÖTTERT 1994, 15)

N ichtsdestow eniger ״hat es eine beachtliche M enge von Begriffen und Orientie- rungsschem ata gegeben, die im m er wieder benutzt wurden und dam it alle Wand- lungen überdauerten“ (GÖTTERT 1994, 15). D eshalb kann im folgenden ein kurzer

Im folgen den b ezeich n et die erste Jahreszahl das Jahr der Erstausgabe und d ie zw eite Jah reszahl das Jahr der A uflage, d ie im Literaturverzeichnis aufgeführt ist.

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Überblick über grundlegende A ussagen der rhetorischen Theorie gegeben werden, der m odellbildend die historischen Varianten zusam m enfaßt.

G egenstand der Rhetorik ist die Redekunst und deren Wirkung au f den Adressaten der R ede. In der rhetorischen Kunst gilt dem nach das Primat des Hö- rers, und der W irkungsintentionalität eines rhetorischen Textes werden der Text- Produzent und die sprachliche G estaltung sow ie das M edium untergeordnet.

D ie antike Rhetorik beschäftigt sich m it der Rede in drei Situationstypen.•

Der R ede vor Gericht, bei einer V olksversam m lung und bei einem Fest. In der A ntike ist es dem zufolge nicht üblich, sich m it K om m unikation und Sprachwir- kung allgem ein, unabhängig von deren Situationsanlaß, zu beschäftigen. Jedoch fragt schon bei Pl a t o n (1957-59) Sokrates den Phaidros, ob die Rhetorik sich nicht a u f alle Bereiche der K om m unikation beziehe, ob sie nicht ״Seelenleitung durch R eden“ sei:

Phaidros: ״Ist also nicht überhaupt die Redekunst eine Seelenleitung durch Reden, nicht nur in Gerichtshöfen und was sonst für öffentliche Versammlungen, sondern auch im gewöhnlichen Leben, dieselbe sowohl in kleinen als großen Dingen, und um nichts vortrefflicher ist ihr Richtiges, ob es nun große oder geringfügige Dinge betrifft?“ (Phaidros, 261a-b/41)

In der antiken rhetorischen Theorie besteht das übergeordnete Ziel einer Rede in der Persuasion des Hörers. D ieses persuasive Ziel, das die Z ustim m ung des Hörers beinhaltet, beruht letztendlich a u f der Überzeugung des Hörers; diese Überzeu- gung soll sich einerseits aufgrund intellektueller Einsicht und andererseits auf- grund em otionaler bzw. affektiver M otivation bilden. Das heißt, der Redner ver- folgt drei Persuasionsziele (officia oratoris): ein intellektuelles, ein em otionales und ein affektives Persuasionsziel, denn sow ohl die Logik als auch das G efühl des Re- zipienten m ü ssen angesprochen werden, um das persuasive Ziel der Rede zu errei- chen.

Das intellektuelle Persuasionsziel4 gliedert sich in eine informativ-belehrende (docere), eine argumentativ-begründende (probare) und eine ethisch-ermahnende (monere; prodesse) K om ponente. A lle drei sind nicht voneinander zu trennen, sie durchdringen sich gegenseitig und fließen ineinander über.

Das inform ative docere beinhaltet das em otionsfreie Informieren des Hörers über einen bestim m ten Tatbestand. Es wird daher im berichtenden Teil (narratio) einer R ede, aber auch in sonstigen sachbezogenen Darlegungen (z. B. in Nachrich- ten oder w issenschaftlichen Texten) verwendet.

Das argumentative probare dagegen zielt au f das rationale G laubhaftm achen des R edeinhalts. Seine Intention besteht darin, das U nw ahrscheinliche wahrschein- lieh (verisimile), das U ngew isse (incertum) bzw. Zw eifelhafte (dubium) gewiß (certum) zu m achen. D azu verfügbar sind einerseits der untechnische Beweis (griech. pisteis átechnoi, lat. probationes inartificiales) und andererseits der technische Beweis (griech.

pisteis éntechnoi, lat. probationes artificiales). Zu den pisteis átechnoi gehören vorhan- dene Entitäten, allgem eine gesellschaftliche A uffassungen (z. B. in bezug au f Mo- ral und Ethik^, G esetze, Verträge, Zeugenaussagen und bei ARISTOTELES auch Eide sow ie Folter. D ie pisteis éntechnoi dagegen m üssen vom R edner selber entwickelt

V gl. GÖTTERT (1994, 22 f.).

Zu den Persuasionszielen vgl. P l e t t (1989, 4 fT.).

V gl. Ar i s t o t e l e s, Rhetorik, 1375a.

D ie eth isch e K om ponente des intellektuellen Wirkziels monere/prodesse beab- sichtigt die Belehrung des Hörers au f ethisch-m oralischem G ebiet. Sie schließt ein inform atives bzw. argum entatives M om ent ein, verbunden m it einem Appell an die R atio. D ie G eltung des monere erstreckt sich au f alle didaktischen Texte (z. B.

Lehrgedichte).

D as em otion ale Persuasionsziel gliedert sich in ein m ildes und ein leiden- schaftliches A ffektziel, die nach intendiertem Intensitätsgrad und der Art der be- zw eckten G efüh lszu stän de und -Wallungen unterschieden werden. Das m ilde Af- fektziel besteht aus einer zw eckgebundenen (conciliare) und einer zwecklosen (delectare) K om ponente. Beiden gem einsam ist das Erzeugen einer sanften Emoti- on (beispielsw eise G üte, Liebenswürdigkeit), die als Ethos (>Charakter<) bezeichnet wird.

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Das zw eckgebundene conciliare (>gewinnen<) intendiert die Überredung des Publikum s durch E thos. Seine Zw eckgebundenheit liegt darin, daß sein Überre- dungsziel außerhalb des Textes liegt, z. B. soll ein potentieller Käufer zum Erwerb ein es bestim m ten G egenstandes angeregt werden. Der Aktivitätsbereich des conci- liare erstreckt sich a u f die E inleitung (exordium) einer Rede, aber auch au f ganze

‘eth isch e’ Textsorten (z. B. K om ödie, Werbung).

D as zw ecklose delectare (>erfreuen<) dagegen zielt au f den ästhetischen Ge- nuß des Publikum s. Seine Zwecklosigkeit besteht darin, daß der Text au f sich selbst zurückverweist ( ״l’art pour l’art“). Das delectare ist in der dem onstrativen Textgattung (epideixis) anzutreffen.

Der R edner kann sein Publikum em otional gleichfalls überreden durch das A ufw ühlen heftiger E m otionen wie beispielsw eise Zorn, Haß, Furcht, Bewunde- rung. In diesem Fall strebt er das leidenschaftliche Affektziel (movere >bewegen<

bzw. concitare >aufstacheln<) an. Durch Pathos (>Leidenschaft<) soll das Publikum um gestim m t werden. Pathos bezeichnet im G egensatz zu Ethos kein statisches G efühl, sondern eine m om enthafte Erregung, einen G efühlsausbruch. D ie Wir- kung des Pathos entfaltet sich in der judizialen und deliberativen Textgattung so- w ie in der E inleitung (exordium) und vor allem im Schluß (peroratio) einer Rede.

D ie drei persuasiven H andlungsziele korrelieren m it den drei Ar i s t o t e l

-• ן

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ischen U berzeugungsm itteln _ • • Logik (intellektuelles U berzeugungsm ittel), Ethos und Pathos (em otion ale U berzeugungsm ittel).

D ie oben erläuterten Persuasionsziele werden in Abbildung 1 nochm als ver- deutlicht.7 Sie korrelieren mit:

1. der K om m unikationssituation (vor Gericht, vor einer Versam m lung und bei ei-