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Präzisierung und Selektion – politisch-rechtlich kommunizierte Humandifferenzierungen kommunizierte Humandifferenzierungen

Heuristiken und analytische Unterscheidungen

2.1 Präzisierung und Selektion – politisch-rechtlich kommunizierte Humandifferenzierungen kommunizierte Humandifferenzierungen

Kategorien und kategoriale Beobachtungen sind omnipräsent. Das Typisie-ren, Klassifizieren und Kategorisieren ist ein basaler Mechanismus der Konstitution von Sinn, auf dem die »gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (Berger/Luckmann 2012) beruht. Geoffrey Bowker und Susan Star (1999) bringen es auf den Punkt: »To classify is human« (ebd.: 1). Alles und jeder kann zum Gegenstand von Klassifikationen werden – Krankheiten genauso wie Weizensorten, Situationen genauso wie Hand-lungen, Mikrowellen genauso wie Staaten, Tiere oder Pflanzen genauso wie Menschen (vgl. ebd.: 165ff.; Heintz 2016). Auf Klassifikationen Bezug genommen wird immer und überall: in Gedanken, in Interaktionen, in Organisationen, im Kontext von funktional spezifizierten Kommunikatio-nen ebenso wie im Alltag. Um das analytische Potential des Begriffs besser nutzen zu können und sein Profil zu schärfen, beziehe ich mich im Fol-genden auf in dreierlei Hinsicht spezifizierte Kategorien: auf Kategorien von Personen, die zum Gegenstand von politischen bzw. rechtlichen Kommunikationen werden.

1. Personenkategorien: Aus einer wissenssoziologischen Perspektive sind alle Kategorien insofern sozial, als sie gesellschaftliche Übereinkünfte re-präsentieren und nicht durch die »Natur der Dinge« determiniert sind. In diesem Kapitel interessiere ich mich jedoch vorwiegend für Kategorien, die in einem doppelten Sinne sozial sind: Es geht um Personenkategorien, um

»Humandifferenzierungen«, wie Stefan Hirschauer (2014) sie nennt – also um Schemata, die soziale Einheiten auf der Grundlage angeborener oder erworbener Eigenschaften wie Geschlecht, Klasse, Alter, Ethnizität oder Gesundheitszustand ordnen (zur den unterschiedlichen Kriterien vgl. etwa Hirschauer/Boll 2017: 7f.). Ich beschränke den Begriff jedoch nicht auf Klassifikationen von menschlichen Individuen, sondern schließe Kollektive und korporative Akteure ein: »Indigene Völker«, »Minderheiten« oder

»Entwicklungsländer« sind also genauso gemeint wie »Frauen«, »Schwarze«

oder »Homosexuelle«. Wenngleich zwischen »einfach« und »doppelt sozia-len« Kategorien viele Gemeinsamkeiten bestehen, die den Kern kategorialer Beobachtung betreffen, unterscheiden sie sich insofern, dass im Falle

»doppelt sozialer Kategorien« »Klassifizierer« und »Klassifizierte« (Bourdieu 1992) der gleichen Gattung angehören. Beide sind gleichermaßen Subjekt und Objekt von Klassifikationen, weshalb Personenkategorien ein besonderes Moment der Dynamik innewohnt (vgl. ausführlicher Kap. 2.3).

2. Kommunizierte Kategorien: Kategoriale Zuordnungsakte vollziehen sich in Bewusstseinen und in sozialen Systemen. Beide sind insofern sozial, als sie sich auf erlernte und im gesellschaftlichen Gedächtnis verfügbar ge-machte kategoriale Unterscheidungen beziehen – so die zentrale Annahme der kognitiven Soziologie, die die gesellschaftliche Bedingtheit und kultur-spezifische Varianz von Kategorisierungsprozessen betont (Zerubavel 1996;

1999). Wann immer Menschen in Interaktionen aufeinander treffen, ordnen sie ihr Gegenüber auf der Grundlage ihrer kopräsenten Körperlichkeit notwendigerweise in Kategorien ein und begreifen sie als ähnlich oder different – etwa als Person gleichen Alters, aber gegensätzlichen Ge-schlechtes und überlegenen sozialen Status (zu Geschlecht vgl. instruktiv Hirschauer 1989). Im Zentrum der folgenden Überlegungen stehen aber nicht mentale Prozesse der Aktivierung von Unterscheidungen (für einen Überblick zu entsprechenden sozialpsychologischen Arbeiten vgl. etwa Jenkins 2000). Harold Garfinkels (1963) berühmter Forderung folgend versuche ich also nicht, Menschen unter die Schädeldecke zu schauen (ebd.:

190), sondern richte den Blick auf kommunizierte Kategorisierungen: Erst wenn eine Information mitgeteilt und sozial verstanden wurde, ist sie der

soziologischen Beobachtung zugänglich (vgl. etwa Luhmann 1987: 210; für Interaktionen vgl. auch Goffman 1975; zu »membership categorization« in Anschluss an Harvey Sacks vgl. etwa die Beiträge in Hester/Eglin 1997).

Unterschieden werden kann hier zwischen der Aktualisierung von Kategorien als abstrakte Konzepte und kommunizierten Akten der Kate-gorisierung (vgl. auch Starr 1992: 269). Im ersten Fall werden Kategorien durch die Verwendung von Begriffen, die sie repräsentieren, in die Welt gesetzt bzw. präsent gehalten oder aber zum Gegenstand expliziter Reflek-tion: Die Kategorie des »Menschen mit Behinderung« kann geradezu bei-läufig verwendet werden, oder es kann diskutiert werden, was darunter genau zu verstehen ist und wo ihre Grenzen auszumachen sind. Im zweiten Fall, der kommunikativen Kategorisierung, werden Einheit dies- oder jenseits der kategorialen Grenzen verortet. Paul Starr bezeichnet diese Operation als Akt der »Zuweisung« (»assignment«, vgl. ebd.): etwa, wenn ein Beamter ein Kreuz in der Rubrik »caucasian« setzt, eine transsexueller Mensch mit primären männlichen Geschlechtsorganen sich als »Frau« bezeichnet oder eine Nichtregierungsorganisation einen Überblick über die Lage der

»Minderheiten der Welt« publiziert, der einzelne Gruppen explizit aufführt.11 Kategorien und kategoriale Mitgliedschaften können nicht nur sprachlich, sondern auch über Bilder, Zahlen, Symbole oder Körper mit-geteilt werden – man denke an die Quantifizierung von kategorialen Mit-gliedschaften im Kontext von Statistiken oder die (Selbst-)Markierung von kategorialen Zugehörigkeiten und Differenzen durch Uniformen oder Symbole (zur Unterscheidung von verschiedenen Kommunikationsmedien vgl. Heintz 2010).

3. Politische Kategorien: In unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen wer-den unterschiedliche kategoriale Beobachtungsofferten verfügbar gemacht.

Auf der einen Seite weist jedes Funktionssystem einen spezifischen Fundus spezialisierter Kategorien auf, nicht zuletzt aufgrund spezifischer Publi-kums- und Leistungsrollen. Das Recht kennt andere Unterscheidungen als der Sport, die Medizin oder die Religion. Die Grenzziehung zwischen Gläubigen und Ungläubigen spielt im Fußball eine untergeordnete Rolle, wie auch Kirchen nicht zwischen Stürmern und Verteidigern unterscheiden. Auf

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11 Marion Fourcade (2016) spricht in diesem Zusammenhang von »interpretive acts of categorical fitting« (ebd.: 176) und betont, dass es sich um qualitative Operationen handelt.

Die Frage nach der Stabilität kategorialer Zuweisungen bzw. der Legitimität kategorialer Grenzüberschreitungen diskutiert Rogers Brubaker (2016) instruktiv anhand der Beispiele

»Geschlecht« und »Rasse«.

der anderen Seite werden Aspekte, die als (mehr oder weniger) stabile Personenmerkmale gelten – also z.B. Alter, Geschlecht, Hautfarbe und Gesundheitszustand – aus einer je spezifischen Perspektive ein – oder auch ausgeblendet (zu Geschlecht in der Wissenschaft vgl. Heintz/Nadai 1998;

zu Geschlecht und Wirtschaft vgl. Wobbe 2012; zu Geschlecht und Ethnie im Profifußball vgl. Müller 2009). Im Fokus der folgenden Überlegungen stehen personale Kategorien im Kontext von nationaler und internationaler Politik und, häufig eng daran gekoppelt, Recht. Auch hier lässt sich unterscheiden zwischen genuin politischen bzw. rechtlichen Kategorien (etwa der des Wählers, des Bürgers oder des Sozialhilfeberechtigten) und der spezifischen Bearbeitung von Personenmerkmalen. Kategoriale Unterscheidungen vor allem nach Geschlecht, Herkunft und Religionszugehörigkeit, aber auch nach sozialer Schicht fungierten teilweise bis weit ins 20. Jahrhundert in erster Linie als Exklusionsfaktor: Von der politischen Teilhabe waren ganze Bevölkerungsgruppen aufgrund kategori-aler Eigenschaften ausgeschlossen – man denke an Frauen, Schwarze und Menschen mit Behinderungen. Mit der sukzessiven Institutionalisierung von Gleichheitsprinzip und Diskriminierungsverbot verloren kategoriale Unterscheidungen an Bedeutung und Legitimität – ein »undoing diffe-rences« (Hirschauer 2014, 2017) setzte nach und nach ein.12 Die De-legitimierung von Zugangsbeschränkungen auf der Basis von personalen Merkmalen, die sich in dem Begriff der »Diskriminierung« semantisch verfestigte, produzierte jedoch gleichzeitig neue Bedeutungen: Wo symbo-lische Grenzen mit sozialen Grenzen korrelieren, wurden Personenkatego-rien zu einem Problem, das politisch-rechtlich bearbeitet werden kann (vgl.

etwa Lamont/Molnár 2002) – etwa durch die Einführung spezifischer staatlicher Programme und Maßnahmen, so genannter »affirmative mea-sures«, die auf die Förderung benachteiligter Gruppen abzielten, die Identitätspolitik sozialer Bewegungen, die die Sichtbarkeit, Anerkennung und Aufwertung von Differenzen bewusst einforderten (vgl. nur Calhoun 1994; Bernstein 2005; vgl. ausführlicher Kap. 4), oder die Institutionalisierung von spezifischen (menschen-)rechtlichen Normen, die bestimmten Personenkategorien dauerhafte Rechtsansprüche gewähren (vgl. ausführlicher Kap. 6).

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12 Das gilt nicht für alle Kriterien: Alter und Nationalität bleiben relevant (vgl. etwa Heintz 2017: 88f.).

2.2 Ähnlichkeit und Differenz – das basale Prinzip