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Ähnlichkeit und Differenz – das basale Prinzip der Kategorie der Kategorie

Heuristiken und analytische Unterscheidungen

2.2 Ähnlichkeit und Differenz – das basale Prinzip der Kategorie der Kategorie

Ähnlichkeit im Inneren – »Lumping« und Kommensurabilität

Rein logisch ist jede Einheit nur mit sich selbst identisch – allen anderen Einheiten kann sie zwar mit Blick auf bestimmte Eigenschaften ähneln, mit Blick auf andere wird sie sich jedoch notwendigerweise unterscheiden.

Kategorienbildung beruht nun darauf, dass bestimmte, für die Kategorisie-rung entscheidende, Eigenschaften in den Fokus gerückt werden, während Unterschiede zwischen diesen Einheiten, die potentiell auch beobachtbar wären, ausgeblendet werden. Damit sich Kategorien etablieren können, müssen wahrgenommene Ähnlichkeiten überwiegen: »As we lump those things together in our minds, we allow their perceived similarity to outweigh any differences among them« (Zerubavel 1996: 422; Hervorhebung H.B.). Ein-heiten, die sich mit Blick auf diese Eigenschaften ähneln, werden mit einem gemeinsamen sprachlichen Label versehen und einer Kategorie zugeordnet.

Die »Ungleichen«, die sich in dieser Ungleichheit wiederum gleichen, werden einer komplementären Kategorie zugewiesen.

Kategorien reduzieren Komplexität, indem sie die jeweils einzigartigen Einheiten ihrer Einzigartigkeit berauben und sie aus der Reichhaltigkeit des sozialen Kontextes, in dem sie verortet sind, herauslösen. Sie beruhen notwendigerweise auf Bewegungen der Abstraktion und Generalisierung.

Einheiten, die als kategoriale Ausprägung beobachtet werden, teilen einen oder mehrere »kleinste gemeinsame Nenner«. Formal heißt dies, dass alle Objekte, die einer Kategorie X zugeordnet werden, über eine bestimmte gemeinsame Eigenschaft y verfügen müssen. Tun sie das nicht, sind sie Ausprägung einer Kategorie Y oder, im Falle von nicht binären Kategorien, von Z (vgl. etwa ebd.).13 Wird beispielsweise das Merkmal »Geschlecht« zur

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13 Von diesen »klassischen«, auf geteilten Ähnlichkeiten beruhenden, »monothetischen Klassifikationen« können »polythetische Klassifikationen« unterschieden werden. In die-sem Fall gibt es nicht ein Merkmal, das alle Einheiten teilen, sondern eine Vielzahl von relevanten Merkmalen, hinsichtlich derer sich die kategorisierten Einheiten lediglich äh-neln. So kann Einheit A die Eigenschaften a, b, c aufweisen, Einheit B die Eigenschaften b, c, d und Einheit C die Eigenschaften d, e, f. Es gibt kein Kriterium, das alle Einheiten aufweisen; trotzdem können sie als Ausprägung einer polythetischen Klasse gelten (vgl.

Levi/Maybury-Lewis 2012). Allerdings bleibt auch in diesen Fällen die Beobachtung von Ähnlichkeit und Differenz konstitutives kategoriales Prinzip. Zudem kann die Tendenz unterstellt werden, diffuse Ähnlichkeiten auf einen generalisierten Begriff zu bringen, der

Grundlage von Kategorisierungsprozessen, ist eine grünäugige, weiße, in der Landwirtschaft tätige Person mit weiblichen primären Geschlechts-merkmalen ebenso eine Ausprägung der Kategorie »Frau« wie eine braun-äugige, wohlhabende, adlige Person mit weiblichen primären Geschlechts-merkmalen und einem Herzfehler – unabhängig von den konkreten Lebensumständen und davon, was Weiblichkeit in der jeweiligen Lebenswelt bedeutet.14 Kategorisierung impliziert also immer auch Dekontextuali-sierung und »Entbettung« (Giddens 1990): Für die kategoriale Ordnung der Dinge ist charakteristisch, dass sie im Prinzip unabhängig von sozialen und räumlichen Variablen existiert. Auch muss sie nicht notwendigerweise auf realisierten Kontakten und etablierten Beziehungen beruhen. Aus-schlaggebend sind nicht direkte Beziehungen zwischen Entitäten oder deren Position in einem relationalen Gefüge – etwa einer Verwandt-schaftsbeziehung oder in einem Rollenverhältnis –, sondern geteilte Cha-rakteristika wie beispielsweise Geschlecht oder Alter (vgl. Brubaker/

Cooper 2000: 15).

Kategorien produzieren im kategorialen Inneren basale Ähnlichkeiten in Differenz zum kategorialen Äußeren. Diese Ähnlichkeiten sind tatsächlich

»vorhanden« – ob sie jedoch »gesehen«, »erkannt«, als relevant erachtet werden, liegt nicht in der Natur der Dinge, sondern in ihrer Beobachtung.

Wenngleich kategoriale Grenzziehungen sich häufig als natürliche präsen-tieren, sind sie das Ergebnis eines extrem voraussetzungsvollen gesell-schaftlichen Prozesses, den Bettina Heintz (2010, 2016) in ihren Überle-gungen zu einer Soziologie des Vergleiches als »Herstellung von Kommensurabilität« bezeichnet. Das Argument illustriert sie unter Verweis auf Theodore Porter (1986) am Beispiel der Bevölkerungsstatistik: Was heute als absolut selbstverständlich erscheint, nämlich dass ein Bauer ebenso als eine Person gilt wie ein Adliger, ist als Ergebnis eines Prozesses zu interpretieren, im Zuge dessen sich die Einheit »Individuum« als relevant etablieren konnte und mit der Annahme der grundsätzlichen Gleichheit aller Individuen verknüpft wurde. Entscheidend für die Institutionalisierung von Kategorien ist dabei, dass Ähnlichkeiten als bedeutender eingestuft werden als

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wiederum als – wenn auch hoch abstrakter – kleinster gemeinsamer Nenner interpretiert werden kann.

14 Ob (und in welchen Kontexten) eine Person, die keine primären weiblichen Ge-schlechtsorgane hat, sich aber als »Frau« fühlt und möglicherweise auch von anderen als

»Frau« gelesen wird, dies- oder jenseits der Grenzen der Kategorie »Frau« verortet werden soll, ist aktuell Gegenstand von gesellschaftlichen Debatten (vgl. etwa Fourcade 2016:

176f.; Brubaker 2016).

Differenzen (vgl. Heintz 2010: 164).15 Diese beschränken sich nicht allein auf

»harte« Definitionskriterien – Gattungszugehörigkeit, Geschlecht, Alter –, sondern schließen einen breiten Horizont assoziierter Erwartungen und Sinnverweisen mit ein, die nicht mit den für die Kategorisierung ausschlaggebenden Eigenschaften identisch sind, jedoch teilweise aus ihnen abgeleitet werden: So wird Frauen teilweise biologistisch begründet ein besonderes Einfühlungsvermögen zugeschrieben. Das Vorhandensein der entsprechenden Eigenschaft würde allerdings nicht ausreichen, um aus einem einfühlsamen Mann eine »Frau« zu machen.

Differenz nach Außen – »Splitting« und Relationalität

»Lumping«, also das Ausblenden von innerkategorialen Differenzen, re-präsentiert nur eine Seite von Kategorienbildung. Denn während Differen-zen im Inneren zunächst ausgeblendet werden müssen, um Kommensurabi-lität zu erreichen, werden Unterschiede zwischen Kategorien betont, um kategoriale Grenzen zu ziehen und aufrecht zu erhalten – »splitting« impli-ziert, dass Grenzfälle und Grauzonen vernachlässigt werden, während Distanz zwischen verschiedenen Kategorien überakzentuiert wird (vgl.

Zerubavel 1996: 424ff.): Ein anhand kontingenter Kriterien klassifizierter

»Armer«, der 900 Euro monatlich verdient, weist eine größere kategoriale Nähe auf zu einem »Armen«, der nur 850 Euro zur Verfügung hat, als zu einem »gerade nicht mehr Armen« mit einem Einkommen von 950 Euro – auch wenn die faktische Einkommensdifferenz jeweils nur 50 Euro aus-macht.

Die Beziehungen zum kategorialen Außen sind für Kategorien konsti-tutiv. Die Identität von Einheiten ergibt sich durch das, was sie nicht sind, ebenso wie durch das, was sie sind. Kategorien sind insofern grundsätzlich relational, als sie auf ein (oder mehrere) Gegenüber bezogen sind. Was eine Frau ist, bestimmt sich im Unterschied zu dem, was ein Mann ist (vgl. bereits Simmel 1985 [1911]). Was ein Jugendlicher ist, bestimmt sich im

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15 Bettina Heintz (2016) konzipiert »Kategorie« und »Vergleich« als zwei unterschiedliche soziale Ordnungsverfahren, wobei der Vergleich voraussetzungsvoller und komplexer erscheint. Das Verhältnis zwischen beiden kann aus zwei Richtungen beschrieben werden:

Auf der einen Seite wird Kategorienbildung als die erste von zwei Operationen, die für Vergleiche konstitutiv sind – und damit auch als Voraussetzung für Vergleiche – gefasst.

Auf der anderen Seite beruhen Kategorienbildung und Akte der Kategorisierung auf Vergleichen (vgl. auch Kap. 3).

Unterschied zu dem, was Kinder und Erwachsene sind. Was ein Homo-sexueller ist, bestimmt sich im Unterschied zu dem, was ein HeteroHomo-sexueller ist. Auch die Kategorie des indigenen Volkes ist relational, beruht sie doch auf der Unterscheidung zwischen den »zuerst Dagewesenen« (bzw. ihren Nachkommen) und den später Eintreffenden (Siedlern, Eroberern, Kolonisatoren), welche sich bereits im Begriff des Indigenen niederschlägt.

Die Beziehungen zwischen Kategorien sind allerdings häufig nicht neutral, sondern implizieren eine hierarchische Rangordnung (zur Differenzierung und zum Zusammenspiel von »nominalen« und »ordinalen« Verfahren vgl.

Fourcade 2016: 176ff.). Eine Sonderform stellen »Dichotomien« bzw.

»Duale« dar, die zwei Kategorien in das Verhältnis eines Gegensatzpaares setzen (vgl. Heintz 2016; grundlegend Derrida 2001). Sie sind in einen Horizont binärer, gegensätzlicher Unterscheidungen eingebettet – beispielsweise hart/weich, rational/gefühlsbetont, vormodern/modern und individualistisch/kollektivistisch. Komplementäre Kategorien weisen häufig ein asymmetrisches Verhältnis zueinander auf, wobei eine Seite der Unterscheidung zumeist als das im Vergleich zum Gegenpart Defizitäre erscheint – man denke etwa an die gesellschaftliche Konstruktion von Differenzen zwischen »Geschlechtern« und »Rassen« (vgl. etwa Bourdieu 2005; Young 1997: 157ff.; Fourcade 2016: 179f.). Die Einheiten, die jeweils auf der einen oder anderen Seite der kategorialen Unterscheidung verortet worden sind, ähneln damit nicht nur mit Blick auf bestimmte, kontingent fokussierte Eigenschaften, sondern auch mit Blick auf die Ausformung bestimmter sozialer Beziehungen zum kategorialen Gegenüber – und kor-relieren mit der Unterscheidung von »Dominanz« und »Marginalität«. Al-lerdings kann die Beziehung zwischen Kategorien nicht nur in der Form von Opposition bestimmt sein, sondern auch Ähnlichkeit repräsentieren, die allerdings nicht, das ist entscheidend, die Auflösung der kategorialen Grenzziehungen impliziert. So ähneln sich »Minderheiten« und »indigene Völker« oder »Behinderte« und »Kranke« in mehr oder weniger umfassender Hinsicht, die manifeste Eigenschaften oder spezifische – relationale – Diskriminierungserfahrungen betrifft. Der grundsätzliche Kategorisie-rungsmechanismus des »lumping und splitting« wird dadurch nicht berührt.

Differenz nach »Innen« – kontrollierte Beobachtung von Unterschieden und Subdifferenzierung

Im Verlauf der bisherigen Überlegungen habe ich vor allem die Herstellung von intrakategorialen Ähnlichkeiten und interkategorialen Differenzen als zent-rales Merkmal von Kategorien betont. Damit sind die Charakteristika von kategorialen Beobachtungsweisen jedoch nur unzureichend erfasst: Kate-gorien reduzieren nicht nur Komplexität, sondern erhöhen sie gleichzeitig.

Sie fungieren als eine Art Lupe, die nur einen kleinen Ausschnitt von Wirk-lichkeit in das Blickfeld rückt, diesen dann aber sehr genau beobachtbar macht. Sie integrieren diverse Einheiten in einen gemeinsamen Beobach-tungs- und Vergleichsraum, sodass weniger und doch mehr gesehen wird:

Sind kategoriale Grenzen auf der Grundlage von radikalen Reduktionen erst einmal etabliert, werden auch interkategoriale Unterschiede beobachtbar. Ich unterscheide im Folgenden zwei – häufig zusammenhängende – Aspekte:

kontrollierte Differenzbeobachtungen durch Vergleiche und durch Subdifferenzierungen.

Den Zusammenhang zwischen der Fokussierung basaler Ähnlichkeiten und der Beobachtung von Unterschieden hat Bettina Heintz (2010, 2016) in ihren Überlegungen zu einer Soziologie des Vergleiches erläutert: Kate-gorienbildung und Herstellung von Kommensurabilität repräsentieren ihr zufolge die erste von zwei Operationen, die für Vergleiche konstitutiv sind.

Von diesem basalen Prozess unterscheidet sie einen weiteren Schritt, die Vergleichsoperation in engerem Sinne. Die als kommensurabel konstruier-ten Einheikonstruier-ten werden mit Blick auf ein gemeinsames Drittes, das tertium comparationis, in Relation gebracht. Unterschiede zwischen Einheiten einer Kategorie werden beobachtet – die basale Konstruktion von Vergleichbar-keit gerät in den Hintergrund (vgl. Heintz 2010: 164).16 Dieser Gedanke lässt sich am Beispiel der Wohlstandsvergleiche illustrieren. Wenngleich Vergleiche zwischen Staaten anhand des Bruttoinlandsprodukts oder ähnli-cher Indikatoren aus der zeitgenössischen Weltwahrnehmung nicht mehr wegzudenken sind, ist ihre Omnipräsenz das Ergebnis eines langwierigen

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16 »Vergleiche sind Beobachtungsinstrumente, die zwischen Einheiten oder Ereignissen eine Beziehung herstellen. Sie beruhen einerseits auf der Annahme, dass die verglichenen Einheiten in mindestens einer Hinsicht gleich sind, und setzen andererseits ein Ver-gleichskriterium voraus, das die Verschiedenheit des (partiell) Gleichen beobachtbar macht. Es ist diese Kombination von Gleichheitsunterstellung und Differenzbeobach-tung, die die Besonderheit von Vergleichen ausmacht« (Heintz 2010: 164; Hervorhebung im Original).

und voraussetzungsvollen Prozesses – sowohl hinsichtlich der Entwicklung und anschließenden Naturalisierung eines universellen Vergleichskriteriums als auch mit Blick auf die Herstellung von Kommensurabilität zwischen

»westlichen Industriestaaten«, »Kolonien«, »Mandatsgebieten C«,

»Dominions«, »Planwirtschaften« oder »failed states«, deren prinzipielle Vergleichbarkeit keineswegs jederzeit vorausgesetzt werden kann und wurde (vgl. Heintz 2012). Ist sie jedoch erst einmal fixiert, können Differenzen zwischen diesen politischen Einheiten mit Blick auf präzise gewählte Krite-rien wie etwa das »Bruttoinlandsprodukt« eingeblendet werden (vgl. in-struktiv Speich Chassé 2013). Intrakategoriale Unterschiede werden auf diese Weise beobachtbar, und spezifische kommunikative Formen der vergleichenden Differenzbeobachtung – wie etwa Rankings – können zum Einsatz kommen (vgl. Heintz 2016). Die Kommunikation von Abstufungen impliziert hier keinesfalls eine Deinstitutionalisierung der Kategorie – im Gegenteil: Die klassifizierten Einheiten werden auf der Ebene der Be-obachtung zueinander in Bezug gesetzt und gewissermaßen verzahnt, so dass die kategorialen Grenzen gefestigt werden (vgl. Heintz 2010, 2016). So ruft es in der Regel keine Verwunderung hervor, dass etwa die USA und China mit Tuvalu und Palau hinsichtlich ihres Bruttoinlandsprodukts ver-glichen werden, die Großkonzerne Walmart oder Royal Dutch Shell hingegen trotz ähnlich hoher Umsatzzahlen nicht in den entsprechenden Rankings auftauchen.

Differenzen können punktuell beobachtet oder kontinuierlich kommu-niziert werden und sich in Form von Subkategorisierungen niederschlagen und verfestigen. In einem ersten Fall der Verankerung von kategorien-internen Unterscheidungen hinterlässt ein Vergleichskriterium seine Spuren dauerhaft im kategorialen Raum: Einheiten der Kategorie »Länder«, die anhand des Kriteriums der »Entwicklung« verglichen werden, werden dauerhaft in »entwickelte Länder« und »Entwicklungsländer« unterschieden.

Dieser Prozess ist im Prinzip beliebig häufig wiederhol- und verfeinerbar, wenn es zu einem »re-entry« der Unterscheidung kommt. So fand etwa die Kategorie der »am wenigsten entwickelten Länder« (»least developed countries« – LDCs) ihren Platz innerhalb der Kategorie der Entwicklungs-länder (vgl. Fialho 2012); das Konzept der »Frühen Kindheit« etablierte eine kategoriale Grenze innerhalb der Klasse der »Kinder«. Darüber hinaus können sich Subkategorien jedoch auch verfestigen, indem »fremde Unter-scheidungen« eingeführt oder beibehalten werden: Eine »Kreuzung katego-rialer Kreise« wird vor allem mit Blick auf Unterscheidungen wahrscheinlich,

die stark naturalisiert im Beobachtungsfundus verankert und über Interessenvertretung abgesichert sind – ein Paradebeispiel ist hier das Kri-terium Geschlecht. Egal, ob man »frühe Kindheit«, »Indigene« oder »Men-schen mit Behinderungen« fokussiert – die »Kreuz-Kategorien« der »Mäd-chen«, »indigenen Frau« oder »Frau mit Behinderung« wird früher oder später wahrscheinlich anzutreffen sein.17 Häufig sind es zudem sozialräum-liche bzw. kulturelle Kriterien, die den Beobachtungsraum restrukturieren.

Kategorien wie »Frauen der dritten Welt« oder »afrikanische Indigene«

tragen hochgradig institutionalisierte, kulturell-räumlich konnotierte Indizes.

Differenzen, die sich in der Bildung von Subkategorien manifestieren,

»gefährden«, ähnlich wie punktuelle Vergleiche, die kategoriale Einheit in der Regel nicht. Vielmehr repräsentieren sie häufig eine wechselseitige Stärkung der Grenzen: Sobald Differenzen als interne beobachtet und kommuniziert werden können, die Unterstellung von Ähnlichkeiten jedoch überwiegt, kann eine Kategorie als institutionalisiert gelten. Subdifferenzierungen sind also nicht notwendigerweise ein Indiz für das »Auseinanderfallen« von Kategorien. Im Gegenteil: Sie können darauf hinweisen, dass kategoriale Unterscheidungen sich verfestigt haben und kategorieninterne Differenzbeobachtungen verschiedener Art »aushalten«.

2.3 Das Soziale der Kategorie – Responsivität und Gemeinschaftskommunikationen

Alle Kategorien sind, so wurde hier argumentiert, insofern sozial, als sie kontingente Ordnungsleistungen repräsentieren und innerhalb von Gesell-schaften entstehen, sich wandeln und vielleicht auch wieder verschwinden.

Dennoch sind Kategorien, die »soziale Einheiten« ordnen – Einzel-menschen oder deren Zusammenschlüsse in einem Zustand mehr oder weniger starker Organisiertheit –, ein Sonderfall: Nicht nur die Subjekte, sondern auch die Objekte der Kategorisierung sind soziale Wesen, die zur Selbsterkenntnis und damit auch zur Selbstbeschreibung fähig sind (vgl. nur Starr 1992; Hirschauer 2014; Heintz 2016). Aufgrund dieser Tatsache wohnt Humandifferenzierungen ein besonders dynamisches Moment inne:

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17 Das Übergreifen von verschiedenen sozialen Kategorien (und den Diskriminierungs-erfahrungen, die an kategorialen Eigenschaften ansetzen) wird häufig unter dem Stichwort der »Intersektionalität« verhandelt (für einen Überblick vgl. etwa Müller 2011).

Machtvolle Fremdbeschreibungen können Einfluss auf die Kategorisierten nehmen – umgekehrt können jedoch auch die Kategorisierten (alternative) Selbstbeschreibungen anfertigen, die wiederum Fremdbeschreibungen infrage stellen, ablehnen, ersetzen und verändern. Hierbei wird zunächst die

»Herstellung« von kategorialen Individuen und imaginierten Gruppen skizziert. Davon ausgehend wird umgekehrt erläutert, wie auch die Katego-risierten ihre Spuren in der Herstellung einer kategorialen Ordnung hinter-lassen.

»Making up people« (Hacking 1986)

Kategorien formen Wirklichkeit – und sie erzeugen Wirklichkeit. Hat sich eine kategoriale Unterscheidung erst einmal etabliert und einen bestimmten Grad an Institutionalisierung erreicht, gewinnt die Beobachtung von Ein-heiten als Ausprägungen dieser Kategorie an Wahrscheinlichkeit: Sobald die Welt aus der Perspektive einer bestimmten kategorialen Brille in den Blick genommen wird, können mehr und mehr ähnliche Einheiten »entdeckt« und innerhalb der kategorialen Grenzen verortet werden. Hat beispielsweise die Unterscheidung zwischen heimischen und fremden »invasiven« Arten erst einmal in den wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs Einzug gehalten, werden weltweit mehr und mehr biologische Eindringlinge identifiziert und Maßnahmen zu deren Eindämmung eingeleitet. Während diese Überlegung für alle Kategorien zutreffen kann, reicht der generative Effekt im Falle der

»doppelt sozialen« Kategorien noch weiter – zumindest, wenn die Objekte der Klassifikation um die Fremdbeschreibung wissen, die ihnen relevante Andere, etwa Psychologinnen, Polizisten, Richter, Lehrer, aber auch Nachbarinnen, entgegenbringen. So hat Ian Hacking (1986) in seinem einschlägigen Aufsatz »Making up people« argumentiert, Klassifikationen von Personen induzierten nicht nur die expansive Zuordnung von Einheiten, sondern würden die Produktion dieser Einheiten anregen, indem sie neue Möglichkeitsräume der Selbstidentifikation bereit stellten.

Individuen können demzufolge zu multiplen Persönlichkeiten, Indigenen oder Verbrechern »werden« – insofern sie diese Beschreibungen adaptierten

und sich entsprechend verhielten.18 Stimmen Selbst- und Fremd-beschreibungen überein, können Kategorien jene spezifisch-stille und un-reflektierte Macht entfalten, die Pierre Bourdieu (Bourdieu 2005) als symbolische Macht bezeichnet: Die Beherrschten werden zu stillen Kom-plizen der Herrschenden, indem sie naturalisierte Unterscheidungen akzep-tieren und – im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung – re-produzieren: Frauen akzeptierten ihre Position im Gefüge der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung als natürlich (vgl. ebd.), abwertende Fremdbeschreibungen graben sich tief in die »kolonialisierten Seelen«, die sich selbst und nicht etwa die Fremdherrschaft infrage zu stellen beginnen (vgl. etwa Fanon 2008), Angehörige der First Nations versuchten ihre indi-viduelle Zivilisierungsfähigkeit zu beweisen, ohne das zugrundeliegende hierarchische System zu hinterfragen (vgl. etwa Hertzberg 1971). Generative kategoriale Effekte sind jedoch auch und vor allem dort zu beobachten, wenn kategoriale Beschreibungen positiv konnotiert oder gar mit besonde-ren Privilegien assoziiert sind. So kann beispielsweise ein Zusammenhang zwischen der Zunahme von Selbstbeschreibungen als »native american« und dem Aufkommen der US-amerikanischen red power-Bewegung hergestellt werden (vgl. instruktiv Nagel 1996). Die Frage, ob Einheiten kategoriale Selbstbeschreibungen »strategisch« aktivieren, ob sie »Identität«

transferieren und inwiefern sie sich in Verhalten niederschlagen, muss im Einzelfall empirisch untersucht werden. Entscheidend ist aus der hier ein-genommenen Perspektive vor allem die These, dass die Institutionalisierung von Kategorien auch die Zunahme von Kommunikationen der entsprechenden kategorialen Selbstbeschreibungen begünstigt.

»Making up imagined communities«

Steine, Mikrowellen und Bücher wissen weder um ihre Klassifizierung noch um die Existenz kategorial Ähnlicher. Das ist für ihren Status auch nicht entscheidend: Ein zentrales Charakteristikum von Kategorien, so wurde hier betont, besteht darin, dass Einheiten allein auf der Grundlage der

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18 Hacking schließt hier auf der einen Seite an die theoretische Tradition des »Labeling«-Ansatzes an, geht aber auf der einen Seite darüber hinaus, indem er auch die Rück-wirkungen von Selbst- auf Fremdbeschreibungen in den Blick rückt (vgl. Hacking 2002:

369ff.; s.u. ausführlicher). Auf der anderen Seite grenzt er sich von radikal konstruktivis-tischen Positionen ab und vertritt die Idee eines »dynamischen Nominalismus« (vgl. Ha-cking 1986).

Beobachtung von Ähnlichkeit oder Differenz in einen gemeinsamen Beobachtungsraum integriert werden. Das gilt auch für Personenkategorien.

Allerdings können Frauen, indigene Völker und Entwicklungsländer dieses Wissen – im Unterschied zu Steinen, Mikrowellen und Büchern – erlangen, etwa durch die Konfrontation mit wirkmächtigen Fremdzuschreibungen oder in der direkten Begegnung, im Zuge derer Gemeinsamkeiten be-obachtbar und kommunizierbar werden und sich kategoriale Selbst-beschreibungen erst herausbilden (können).19 Das Wissen um kategorial Ähnliche eröffnet einen Möglichkeitsraum potentieller Beziehungen – kate-goriale Identifikation kann in intensivierten Beziehungen der Beobachtung, des Vergleichs, der Konkurrenz oder der Kooperation resultieren; sie kann zur Bildung von Gruppen, Organisationen, Gemeinschaften, Netzwerken oder sozialen Bewegungen führen, die ein unterschiedliches Maß an Orga-nisiertheit aufweisen und sich über direkte Interaktionen, medial vermittel-ten Austausch oder »Imaginationen« reproduzieren (vgl. Brubaker 2004).

Die Proliferation von »imagined communities« (Anderson 1991), so die These von Craig Calhoun (1991), ist ein spezifisch modernes Phänomen (ebd.: 108), das sich nicht auf den klassischen Anwendungsfall der Nation beschränken lässt. Verschiedene wahrgenommene kategoriale Eigenschaf-ten – auch Geschlecht, Ethnie, Religion oder sexuelle Orientierung – könnten zur Grundlage imaginierter Gemeinschaften werden (vgl. Calhoun 1991: 108ff.).

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19 Dieses Bewusstsein um Kategorien, kategoriale Mitgliedschaft und das Vorhandensein kategorial Ähnlicher erklärt Roland Jenkins (2000) in seinen Arbeiten zu Identität und Klassifikation zum entscheidenden Kriterium, das »Gruppen« von »Kategorien«

19 Dieses Bewusstsein um Kategorien, kategoriale Mitgliedschaft und das Vorhandensein kategorial Ähnlicher erklärt Roland Jenkins (2000) in seinen Arbeiten zu Identität und Klassifikation zum entscheidenden Kriterium, das »Gruppen« von »Kategorien«