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2. Stand der Forschung

2.4 Geschlecht und Arztberuf

2.4.2 Präferenzen in Bezug auf das Arztgeschlecht

Selbst wenn das Geschlecht des Patienten gemäß dem Genfer Gelöbnis für den Arzt keine Rolle spielen sollte, so scheint es dennoch für einen Teil der Patienten für die Arzt-Patienten-Beziehung wichtig zu sein. Von vielen Patienten wird in bestimmten Fällen ein spezifisches Geschlecht des behandelnden Therapeuten bevorzugt.

2.4.2.1 Geschlechtspräferenzen: Hausärzte

In einer US-amerikanischen Studie, in der 92389 ambulante Praxisbesuche der Jahre 1995-2000 ausgewertet wurden, wurde beobachtet, dass es insbesondere für Patientinnen einen Trend in Richtung geschlechtskonkordante Behandlung gibt. Patientinnen, die mit einem Anteil von 59-60% der Besuche generell häufiger zum Arzt gingen als Männer, machten 56%

der Praxisbesuche männlicher Hausärzte aus, während die Prozentzahl bei Praxisbesuchen weiblicher Hausärzte mit 72% (Jahr 1995) deutlich höher lag und im sich Verlauf zu 78% (im Jahr 2000) steigerte (Fang et al. 2004).

Eine Studie von 1990, die 185 Befragungsbögen von Hausarztpatienten (USA) analysierte, kam zu dem Ergebnis, dass 45% der Patienten ein bestimmtes Geschlecht präferierten. Von den Frauen bevorzugten 43% eine Ärztin und 9% einen Arzt, von den Männern wünschten 31% von einem Mann und 12% von einer Frau behandelt zu werden. Für anale oder genitale Untersuchungen stieg die Zahl jedoch an: 64% der Männer wollten hier lieber von einem Arzt, 57% der Frauen von einer Ärztin untersucht werden (Fennema et al. 1990).

2.4.2.2 Geschlechtspräferenzen: Weibliche Patienten und Gynäkologen

Eine US-amerikanische Meta-Analyse von insgesamt 23 Studien, die das von insgesamt 14736 Patientinnen präferierte Arztgeschlecht im Bereich der Gynäkologie und Geburtshilfe erfragten, ergab, dass eine Mehrheit von 50,2% einen weiblichen, 8,3% einen männlichen und 41,3% keinen bestimmten Arzt bevorzugten (Tobler et al. 2016).

2.4.2.3 Geschlechtspräferenzen: Männliche Patienten und Urologen

Die Studienlage für die Präferenz von männlichen Patienten ist vergleichsweise unzurei-chend. Es gibt Hinweise darauf, dass männlichen Patienten das Geschlecht im Vergleich zu weiblichen weniger wichtig sein könnte. Beispielsweise ergab eine Befragung von 1087

männlichen Patienten eines medizinischen Zentrums für Veteranen in Texas (USA), dass von den fast 70% der Patienten mit erektiler Dysfunktion 43% den Wunsch nach einem bestimm-ten Therapeubestimm-tengeschlecht angaben, 75% davon wünschbestimm-ten sich einen männlichen Arzt (Carrejo et al. 2007). Andere Studien ergaben leicht abweichende Ergebnisse, wie z.B. eine britische Befragung von 429 urologischen Patienten (davon 326 männlich und 103 weiblich):

80% der Patienten hatten keinen Wunsch, was das Geschlecht ihres Therapeuten anging, während nur die restlichen Teilnehmer einen geschlechtskonkordanten Arzt präferierten (17%

der Männer und 26% der Frauen) (Tempest et al. 2005).

Auch in Bezug auf endoskopische Untersuchungen, die bei vielen Patienten als schambe-setzt gelten, gibt es ähnliche Ergebnisse für das von Männern und Frauen präferierte Arztge-schlecht: In einer Befragung von 500 Patienten (286 Männer und 214 Frauen, USA) war für Frauen ein bestimmtes Geschlecht signifikant wichtiger als für Männer (42% der Frauen, 21% der Männer) (Schneider et al. 2009). Ähnliche Ergebnisse für Frauen (45%), jedoch geringere für Männer (4,3%), wurden von einer US-amerikanischen Studie mit 150 Teilneh-mern berichtet (Varadarajulu et al. 2002).

Präferenzen von männlichen Patienten für ein bestimmtes Geschlecht scheinen zum Teil kulturabhängig zu sein. In einer israelischen prospektiven Kohortenstudie, in der 119 männli-che Patienten eines medizinismännli-chen Zentrums befragt wurden, gaben ebenfalls knapp 43%

der Teilnehmer eine Präferenz in Bezug auf das Geschlecht ihres behandelnden Urologen an: Ein vergleichsweise deutlich höherer Anteil von 97% bevorzugten in dieser Studie einen männlichen Arzt. Besonders wichtig war hier den Patienten die Durchführung der körperli-chen Untersuchung und einer chirurgiskörperli-chen Therapie durch einen männlikörperli-chen Therapeuten;

Scham wurde hierbei als häufigster Grund genannt. Wichtigste Faktoren, die die letztendli-che Arztauswahl entsletztendli-cheidend beeinflussten, bezogen sich jedoch auf die medizinisletztendli-che Expertise. Religiosität und bisherige Behandlung durch einen männlichen Urologen waren die wichtigsten Charakteristika, die die Vorliebe für einen geschlechtskonkordanten Arzt signifikant beeinflussten (Amir et al. 2016). Dass eine bestimmte Religionszugehörigkeit – wie die zum Islam – mit einer solchen Präferenz zu korrelieren scheint, beschreibt ein US-amerikanischer Artikel über den Umgang mit muslimischen Patienten im medizinischen Kontext. Sittsamkeit sei im Islam ein wichtiger religiöser Grundsatz, der es Muslimen im Rahmen einer medizinischen Untersuchung beispielsweise erschwere, Körperteile vor dem andersgeschlechtlichen Arzt zu entblößen oder sich mit diesem allein in einem Raum aufzu-halten (Padela und Rodriguez del Pozo 2011).

2.4.2.4 Geschlechtspräferenzen: Kinder und Jugendliche

Es gibt Hinweise darauf, dass auch Kinder ein bestimmtes Arztgeschlecht bevorzugen, wel-ches jedoch von dem Wunsch der Eltern stark abweichen kann. In einer pädiatrischen

Not-fallstation für Wundversorgung (New York) wurden 200 Kinder im Alter von 8 bis 13 Jahren, davon 139 Jungen und 61 Mädchen, zu ihrem Arztwunsch befragt. Die Kinder waren über-wiegend hispanischer, zum Teil afroamerikanischer Herkunft. 78% der Jungen und 80% der Mädchen bevorzugten, wenn Wahlfreiheit bestünde, eine behandelnde Ärztin. Bei Befragung der Eltern wünschten sich nur 19% einen weiblichen, 60% hingegen einen männlichen Arzt, nur 21% der Eltern bevorzugten „den erfahrensten Arzt“ jedweden Geschlechts (Waseem und Ryan 2005). Eventuell spielt hierbei der ethnische Hintergrund eine Rolle. Weiße Kinder bevorzugten in einer anderen US-amerikanischen Studie aus Philadelphia tendenziell eher männliche Ärzte, Kinder mit hispanischem oder afroamerikanischem Hintergrund, Drogen-missbrauch oder niedrigerem sozialen Status in der Anamnese bevorzugten eher Frauen (Kapphahn et al. 1999). Andere Studien berichten ebenfalls von einem eher geschlechtskon-gruenten Arztwunsch, sofern eine Präferenz überhaupt vorlag (Turow und Sterling 2004).

Eine weitere US-amerikanische Studie, die 67 männliche Jugendliche im Alter von 10-18 Jahren zu diesem Thema befragte, folgerte, dass der Wunsch, von einer Ärztin behandelt zu werden durch ein hauptsächliches Großziehen durch die Mutter erklärt werden könnte, und dass ein zunehmendes Alter mit einem steigenden Wunsch nach einem geschlechtskon-gruenten behandelnden Arzt korreliert (van Ness und Lynch 2000).

Im Gegensatz zum präferierten Geschlecht vor einer stattfindenden Behandlung steht das Ergebnis einer Studie, die das Therapiebündnis von 600 Jugendlichen untersuchte, die sich aufgrund von Substanzmissbrauch in psychotherapeutischer Behandlung befanden. Es konnte gezeigt werden, dass eine geschlechtsdiskonkordante Konstellation signifikant mit einem verfrühten Abbruch der Psychotherapie korrelierte. Das schlechteste Therapiebündnis wurde hierbei von weiblichen Therapeuten mit männlichen Jugendlichen gebildet (Wintersteen et al. 2005).

2.4.2.5 Geschlechtspräferenzen: Psychotherapie

Im Bereich der Psychotherapie kann das Geschlecht für die Patienten eine wichtige Rolle spielen. Negative Erfahrungen mit einem Geschlecht können auf den Therapeuten projiziert werden und so den Therapieerfolg verschlechtern oder unmöglich machen. Es kann z.B. im Bereich der Kinder- und Jugendpsychotherapie nötig sein, einen gleichgeschlechtlichen Therapeuten einzusetzen, um mithilfe eines positiven Gegenübers desselben Geschlechts die konstruktive Identitätsentwicklung zu fördern oder um negative Erfahrungen mit diesem Geschlecht zu überarbeiten. Unklarheit besteht jedoch über den positiven Therapieeffekt des sogenannten „gender-matching“ (Blow et al. 2008).

Laut einer kalifornischen Studie waren Patienten mit geschlechtskonkordantem Therapeuten signifikant zufriedener mit der Arzt-Patienten-Beziehung als Patienten, die von dem jeweils anderen Geschlecht therapiert wurden (Johnson und Caldwell 2011). Aufgrund der geringen

Anzahl von teilnehmenden männlichen Therapeuten (86,3% der 182 Therapeuten waren weiblich) könnte die Aussagekraft der Studie in Bezug auf die männlich-männliche Konstella-tion allerdings eingeschränkt sein.

Im Gegensatz dazu wurden in einer Studie der Universität Akron in Ohio (USA) 92 Patienten mit affektiver Störung (Achse-I-Störung) gebeten, die Beziehung zu ihren Psychotherapeu-ten, darunter Psychologen, Psychiater und Sozialarbeiter, zu beurteilen. Therapeutinnen bekamen hier in den Kategorien „Empathie“ und „Arbeitsbeziehung“ positivere Werte von weiblichen und männlichen Patienten als männliche Therapeuten. Im Rahmen der Studie wurde die These aufgestellt, dass Therapeutinnen womöglich eine stärkere therapeutische Beziehung zu den Patienten entwickeln können, allerdings scheinen weibliche Patienten generell höhere Bewertungen abzugeben. Auch diese Studie war allerdings in ihrer Aussa-gekraft durch eine sehr geringe Anzahl an männlichen Therapeuten und Patienten als Teil-nehmer der Studie eingeschränkt (Bhati 2014).

Eine andere Studie, die psychiatrische Therapiewünsche von 193 Männern und Frauen verglich, fand einen signifikanten Unterschied zwischen den Geschlechtern: Männer präfe-rierten sehr viel häufiger die Form der Einzeltherapie als Frauen (91% der Männer und 77%

der Frauen) (Sierra Hernandez et al. 2014).

In Bezug auf die Wirksamkeit der Therapie kommt die Forschung zu verschiedenen Ergeb-nissen. So wird zum einen vermutet, dass eine höhere Zufriedenheit der Patienten mit der Arzt-Patienten-Konstellation auch zu einer stärkeren Therapeutenbindung und somit zu einer verstärkten Compliance des Patienten mit besserem Therapieerfolg führt (Chue 2006; John-son und Caldwell 2011). Andere Studien weisen keinen signifikanten Erfolgsunterschied der Therapie bei geschlechskonkordanter Konstellation auf, beispielsweise der Psychotherapie im Rahmen einer US-amerikanischen prospektiven Kohortenstudie mit 238 Patienten (Zlotnick et al. 1998).