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2. Stand der Forschung

2.5 Feminisierung – gut oder schlecht?

Die Meinungen über die Feminisierung der Medizin gehen sehr weit auseinander. Eine Posi-tion besteht darin, den Trend als Gewinn für die Gesundheit der Bevölkerung zu begrüßen.

Frauen nehmen sich mehr Zeit für Patienten und besitzen bessere Kommunikationsfähigkei-ten. Frauen neigen zudem eher dazu, sich als ambulante Ärzte niederzulassen, was in Folge das Primärversorgungssystem stabilisieren und verbessern würde. Eine solide Primärversor-gung korreliere wiederum mit geringerer Mortalität und Morbidität der Gesellschaft (Phillips und Austin 2009). Andere Stimmen, wie die von Professorin Carol Black, Präsidentin der Royal College of Physicians (London) befürchten durch die Feminisierung einen Einfluss- und Statusverlust ähnlich der Entwicklung der Frauen-dominierten Medizin Russlands (Kilminster et al. 2007).

Der Arztberuf hat sich seit den 1990er Jahren im Rahmen der „Outcome-Bewegung“ um die evidenzbasierte Medizin gewandelt. Patienten wünschen sich eine partnerschaftliche Bezie-hung, in der sie an Entscheidungen teilhaben können und Informationen offen ausgetauscht werden (Klemperer 2006). Weibliche Stärken, wie der patienten-fokussierte Kommunikati-onsstil (Roter et al. 2002), könnten besser in diesen Wandel des Arztberufes passen und somit die Patientenzufriedenheit steigern. Das weibliche Geschlecht von Patienten steht, unter anderen Faktoren, in einem signifikanten Zusammenhang mit dem Wunsch, in die ärztliche Entscheidungsfindung integriert zu werden. Frauen wünschen sich eine partner-schaftlichere Beziehung in der Rolle der Patientin und können vielleicht daher eher ein sol-ches Bündnis in der Rolle der Ärztin erschaffen (Say et al. 2006).

Männer hingegen zeigen, dass sie in der Kommunikation den weiblichen Studierenden unter-legen sind, wie eine Auswahl an folgenden Studien belegt. So z.B. in einer retrospektiven Kohortenstudie von 241 Studenten in Schweden, in der die Kommunikationsfähigkeiten anhand von OSCE-Ergebnissen verglichen wurden: Das Risiko, unbefriedigende Leistungen zu erbringen, war für männliche Studenten signifikant höher (Dahlin et al. 2012). Zu

ähnli-chen Erkenntnissen gelangt eine Göttinger Studie. Leistungsergebnisse einer fünfteiligen OSCE-Prüfung wurden in einem Zeitraum von 2005 bis 2008 von insgesamt 887 Studieren-den gesammelt und mithilfe des Wilcoxon-Rangtests verglichen. StuStudieren-denten schnitten insge-samt schlechter ab als Studentinnen, vor allem in den kommunikativen Prüfungsstationen: In der Erhebung einer psychosomatischen Anamnese bekamen männliche Studierende eines Jahrgangs im Schnitt 0,4 Notenpunkte weniger (in einem Notenintervall von 1-5) (Simmenroth-Nayda et al. 2008). Eine US-amerikanische Analyse von Evaluationen standar-disierter Schauspielpatienten, die die Empathie von 577 Medizinstudenten aus vier verschie-denen medizinischen Hochschulen bewerteten, konnte zudem einen signifikant empathische-ren Kommunikationsstil bei Studentinnen feststellen (Berg et al. 2015).

Doch nicht nur Frauen weisen für den Arztberuf wichtige Eigenschaften auf, in denen sie dem anderen Geschlecht eventuell „überlegen“ sind. Männer scheinen in der Literatur z.B.

die effizienteren und auch die „arbeitskräftigeren“ Ärzte zu sein.

Eine retrospektive Analyse von Daten der „Hospital Episode Statistics England“, die u.a. nach Alter und Fachrichtung korrigiert war, ergab, dass männliche Konsiliarärzte in Teil- und Voll-zeit eine hochsignifikant höhere Aktivitätsrate hatten als Frauen und ungefähr 20% mehr Patienten im gleichen Zeitintervall versorgten (Bloor et al. 2008).

Eine andere Studie schlägt vor, dass Männer womöglich einen langfristig motivierenderen Beweggrund für das Medizinstudium als Frauen haben: In einer Querschnittsbefragung von 1450 Studierenden der medizinischen Fakultäten Duisburg-Essen und Münster wurden die Motive für ein Medizinstudium erfragt. Fragestellung bei der Studie war, welche Beweggrün-de Ärzte im Beruf halten – auch in Hinblick auf Beweggrün-den geringeren Anteil an längerfristig arbei-tenden Medizinerinnen (siehe 2.1). Folgende eklatante Unterschiede in Bezug auf das Ge-schlecht konnten ermittelt werden: Für Männer waren gesellschaftliches Ansehen und gute Berufsaussichten hochsignifikant wichtiger als für Frauen. Das Motiv „Patienten helfen“

hingegen war hochsifignikant für Frauen ausschlaggebend. Die Studie legt nahe, dass Em-pathie als Motiv womöglich längerfristig nicht motivierend genug ist, um Frauen als Arbeits-kräfte zu halten (Burghaus et al. 2013)

Womöglich haben Männer aufgrund ihrer Motivation auch eine höhere Toleranzgrenze, was den Arbeitsumfang der ärztlichen Tätigkeit betrifft. In einer Querschnittbefragung, an der 637 Assistenzärzte in Bayern teilnahmen, wurde erfragt, ob die Teilnehmer darüber nachgedacht hätten, ihre klinische Arbeit aufzugeben. Beide Geschlechter unterschieden sich hierbei nicht in der Frequenz dieses Gedankens pro Jahr, aber sie unterschieden sich in den Gründen:

Neben anderen Faktoren, die für beide Geschlechter eine Rolle spielten, wie die Unterstüt-zung durch Dienstältere, Feedback, Weiterbildungsmöglichkeiten und ein kontrollierbarer Lebensstil, waren nur für Frauen Überstunden ein positiver Prädiktor dafür, über die Aufgabe

der Tätigkeit nachzudenken. Für Männer hatten Überstunden nicht diesen Effekt, im Gegen-teil waren sie eher mit Karrieredenken, also etwas für sie Motivierendem, assoziiert. Es wird gefolgert, dass sich Prestige- oder Karrieredenken bei Männern protektiv auf die Frustrati-onsschwelle auswirkt (Ochsmann 2012).

Motivation zum Medizinstudium unterscheidet sich von Frauen nicht nur in Hinblick auf die Faktoren „Karriere“ und „Prestige“. Auch der naturwissenschaftliche Aspekt scheint eher männliche Schüler für das Medizinstudium zu motivieren: Die psychologische Fakultät der University College London prüfte mit einem Fragebogen die Assoziationen zum Arztberuf, die für Bewerber das Studium attraktiv macht. Es wurden verschiedene medizinische Szenarien beschrieben, wozu die Teilnehmer unter drei möglichen Teilaspekten des Arztberufes denje-nigen, mit dem sie sich am meisten identifizieren konnten, als Antwortmöglichkeit auswählen konnten. Die Umfrage fand Ende 2003 auf der Medlink, einer zweitätigen Konferenz für am Medizinstudium interessierte Oberstufenschüler in London statt; 2867 Schüler (37,3% männ-lich, 59,2% weibmänn-lich, 5,4% nicht benannt) nahmen teil. Die Analyse ließ folgende Schlüsse zu: Männliche Bewerber motivierte unter den vier herauskristallisierten Aspekten „Indespen-sability“, „Respect“, „Helping Others“ und „Science“ vor allem „to be indispensable“, „to be-come a Scientist“, und auch „Respect“ – und weniger anderen Menschen zu helfen (auch hier eine vornehmlich weibliche Motivation) – was mit der laut Analyse dazu tendierenden Persönlichkeitsstruktur zusammenhängt, nicht so gerne direkten Kontakt zu Menschen zu haben und eher weniger extravertiert zu sein. Anschließend konnten diese Motivationsfakto-ren mit Fachbereichen in Zusammenhang gebracht werden, die nachweislich auch eher attraktiv für das männliche Geschlecht scheinen: „Indespensability“ mit Chirurgie und Not-fallmedizin, „Science“ mit Pathologie und Ophthalmologie (McManus et al. 2006).

Ähnliche Ergebnisse liefert ein Review-Artikel über die Karrierewünsche von Studierenden während der medizinischen Ausbildung. In dem Überblick über 14 Studien der Jahre 2000 bis 2013 zeigte sich, dass chirurgische Fächer vorherrschend von männlichen Studenten bevorzugt werden, wobei dieser Fachwunsch in einem frauendominierten Umfeld noch stär-ker ausgeprägt war. Bei Frauen waren Gynäkologie, Pädiatrie und Allgemeinmedizin die beliebtesten Fächer – vor allem dann, wenn sie als weibliche Studierende in der Minderheit waren (Alers et al. 2014). Gleiches gilt für die späteren Fachbereichsvorlieben der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland – 80% der Assistenzärzte in der Chirurgie sind männlich (Hibbeler und Korzilius 2008).

Frauen und Männer scheinen unterschiedliche Ärzte zu werden – doch beide Arzttypen werden in der Patientenversorgung und Forschung (siehe 2.1) gebraucht.