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Prä-klinische Untersuchungen

Bei EVAR handelt es sich um ein relativ junges Verfahren, so dass klinische Erfahrungen insbesondere im Langzeitverlauf mit den einzelnen Stentgrafts gering sind. Die mesiten Pub-likationen beschreiben nur Befunde an relativ kleinen Patientenzahlen mit inhomogenen Komplikationsraten. Auch bei einer großen Zahl von Patienten ist es schwierig, homogene Gruppen zu bilden, um Versagensursachen und Auswirkungen von Komplikationen eindeutig klinischen Parametern zuordnen zu können. Zudem sind klinische Studien nur selten direkt miteinander vergleichbar, da kein einheitliches Patientenspektrum vorliegt 183 und die Güte der diagnostischen Mittel zur Evaluierung der Versagensursachen beschränkt und teilweise unterschiedlich sind 100,172,214. Umso wichtiger sind in diesem Fall geeignete prä-klinische Untersuchungen. Die Lebensdauer der Stentgrafts und der Fixierung, die Offenheit des Grafts und die Abdichtung des Systems stehen dabei im Vordergrund 7. Die hohen Komplikationsra-ten zeigen allerdings, dass die notwendigen mechanischen und hämodynamischen Eigen-schaften von Stentgraftprothesen entweder noch nicht vollständig erfasst oder noch nicht in konstruktive Maßnahmen zur Verbesserung des Stentgrafts umgesetzt worden sind.

Ein ideales Tiermodel zur Evaluierung von Stentgraftprothesen existiert nicht. Insbesondere die pathologischen Faktoren des Aneurysmas wie Arteriosklerose, Thrombus im dilatierten

Bereich, Degeneration der Gefäßwand, verwinkelte Gefäße oder Morphologieänderung des Aneurysmas können nicht nachgestellt werden 7. Bis auf Ausnahmen wie Truthähne oder genetisch veränderte Mäuse, welche jedoch durch ihre geringen Gefäßdurchmesser ungünstig zur Untersuchung von Stentgraftprothesen sind, treten bei Tieren keine Aneurysmen auf 127. Zumeist werden Hunde oder Schweine wegen der großen Gefäße und des ähnlichen Aufbaus der Neointima zu Druckstudien im überbrückten Gefäßbereich oder zur Untersuchung des Einwachsverhaltens von Prothesen herangezogen 127. Als Aneurysmamodell werden zumeist Gefäß- oder PTFE-Flicken verwendet, welche die Aussackung am Gefäß simulieren 127. Untersuchungen bezüglich Gewebeeinwachsen, Entzündungsreaktionen und Implantation sind in der Regel im Tierversuch durchführbar. Jedoch haben Tiere in der Regel ein höheres Potential zur Endothealisierung als Menschen 27,123,126.

In vitro Versuche bezüglich der Fixierung und Abdichtung bilden die Grundlage der prä-klinischen Versuche. Jedoch variieren die Versuche in Ihren Randbedingungen, da kein koor-dinierter Teststandard präzisiert wurde 7. Die bestehenden Richtlinien zur Testung von Stentgraftprothesen (DIN CEN/TC 285:2003; DIN/ISO 14630:1997; EN 12006-3:1998 und EN ISO 11070:1999) werden als unvollständig angesehen 7, da sie sehr allgemein formuliert sind und sich größtenteils auf die Erfahrung der konventionellen Prothesen- und koronaren Stenttestung stützen. In vitro Experimente sollten jedoch nicht nur an idealisierten Modellen, sondern ebenfalls an Modellen, welche klinische oder „worst-case“ Szenarien widerspiegeln, erfolgen 7. Erstellung von Sicherheitstoleranzen, Tests bis Versagenseintritt und Versagens-grenzen, nach denen sich der behandelnde Arzt richten kann, fehlen bislang 7.

Kapitel 3

M IGRATION

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In diesem Kapitel wird ein Überblick über den Forschungsstand des Migrationsmechanismus und der Migrationsursachen von Stentgraftprothesen gegeben. Darauf aufbauend wird eine Migrationsanalyse vorgestellt und deren Ergebnisse in Bezug auf die Prüfung von Stentgrafts und deren Auslegung diskutiert. Es wird insbesondere auf die Migration der Stentgraftprothe-se aus der proximalen Verankerung eingegangen.

Prinzip der Migration

Eine mangelhafte Fixierung führt zur Migration des Stentgrafts, d.h. zu einer Abstandsände-rung zwischen Renalen und Prothesenbeginn um mehr als 10 mm im post-operativen Verlauf (Abbildung 3.1) 36,76. Mit einer caudalen Migration der Prothese geht zumeist eine Wiederbe-lastung des erkrankten Gefäßabschnittes einher 76,218.

Migration tritt auf, wenn die Fixierungskräfte des Stents und zusätzliche Verankerungskom-ponenten, wie Haken und die Längsstabilität des Stentgrafts, geringer als die durch den Blut-fluss an der Prothese angreifenden Kräfte sind. Die Fixierungskraft des Stents setzt sich aus der Radialkraft des Stents und dem Reibkoeffizienten zwischen Stentgraft und Gefäß zusam-men. Die Radialkraft des Stentgrafts resultiert aus dem Übermaß des Stents im Vergleich zum Gefäßdurchmesser und der Anzahl der Stentsegmente über der Fixierungslänge (Abbildung 3.1). Die Verankerungskraft der Haken ergibt sich aus der Biegesteifigkeit der Hakenspitzen sowie der Eindringtiefe der Spitzen in die Gefäßwand. Die Höhe der Längsstabilität der Pro-these ist abhängig von der Struktursteifigkeit des ProPro-thesenskeletts, vom ProPro-thesenwinkel sowie von der Distanz zwischen den Fixierungsbereichen.

Fixierung der Stentgrafts

Die Fixierungskräfte der einzelne Stentgrafts wurden bislang experimentell durch statische Auszugstests bestimmt 124,156. Die Fixierungskraft bei rein radial fixierten Prothesen lag bei 4,5 N. Bei der Verwendung von Haken stieg diese auf 9-24 N an 156. In Kreislaufsystemen

werden Migrationsuntersuchungen unter dynamischen Strömungsbedingungen durchgeführt 7, jedoch sind keine näheren Angaben zu diesen Testsystemen und deren Resultate in der Litera-tur zu finden.

Dprox – Halsdurchmesser

lprox – Fixierungslänge

A B

Abbildung 3.1: Geometrische Parameter der Fixierung eines Stentgrafts: Längs-schnitt des proximalen Fixierungsbereiches des Aneurysmas (A).

Querschnitt des proximalen Gefäßabschnitts (B). Längsschnitt des Aneurysmas (C).

Belastung der Stentgrafts

Auf Grundlage des Impulssatzes und numerischen Berechnungen wurden die Strömungskräfte in Abhängigkeit der Prothesengeometrie, des Prothesenwinkels und der Druckdifferenz zwi-schen Lumen- und Sackdruck beschrieben (Abbildung 3.2) 117,118,120,136. Bei den vorliegenden Studien wurde keine Migration der Prothese modelliert, sondern die an der Prothese angrei-fenden Kräfte in Abhängigkeit der Untersuchungsparameter betrachtet. Dabei wurde die Kraft, welche in der Längsachse der proximalen Einspannung wirkt, als migrationsrelevant angesehen (Abbildung 3.1 C). Die Fluid-Struktur-Interaktion zwischen Gefäß/Prothese und Blutfluss wurde in den Studien von Morris et al. sowie Li und Kleinstreuer mitberücksich-tigt 115,136. Hohe Strömungskräfte wurden in den Berechnungen mit Bluthochdruck (hoher systemischer Druck) sowie großen Prothesenwinkeln, Verwendung von proximal groß- und distal klein-lumigen Prothesen und mit einer hohen Elastizität des Gefäßes assoziiert 117,118,136. In Berechnungen zeigte sich zudem, dass nicht die Scherkräfte der Strömung die relevante Belastung auf den Stentgraft ausüben, sondern vielmehr die Druckverhältnisse zwischen Lumen und Aneurysmasack die Belastung auf den Stentgraft vorgeben 117,120.

Prothesenwinkel [°]

Strömungskraft [N] Dprox18 mm D

prox20 mm Dprox22 mm Dprox24 mm Dprox26 mm Dprox28 mm Dprox30 mm Dprox32 mm

Abbildung 3.2: Strömungskräfte in Abhängigkeit des proximalen Durchmessers Dprox und des Prothesenwinkels bei konstantem distalen Prothe-sendurchmesse adaptiert nach Morris et al. 136.

Klinische Studien

Die Migrationsrate wurde in klinischen Studien, je nach betrachtetem Zeitraum und Stentgrafttyp, zwischen 0,3% und 27% angegeben 7,36,98,149,179,180. Ein Großteil (>60%) trat davon erst im späteren Verlauf, d.h. nach 12 Monaten, auf 98,218. Als Ursachen für Migration wurden folgende Parameter genannt:

• Halswinkel > 45° 11,114,174,

• post-operative Fixierungslänge < 10 mm 113,114,218,

• Stabilitätseinbuße durch Ermüdung des Stentgrafts 159,217,

• Prothesenwinkel > 60° bzw. Abknicken der Prothese 67,114,179 und

• Übermaß > 30% oder progressiv zunehmender Halsdurchmesser > 2 mm 35,153,161,176. Diese migrationsfördernden Faktoren liegen entweder direkt prä- bzw. post-operativ vor oder entstehen im späteren, sekundären Zeitverlauf (≥ 12 Monate) durch eine Morphologie-änderung des Aneurysmas 114,161,179,218. Ursache, Einfluss und Rahmen der Morphologieände-rung sind unklar 137. Entlastete Aneurysmen schrumpfen im Durchmesser innerhalb der ersten zwei Jahren 152. Eine Abnahme der Strecke zwischen den Fixierungszonen, welche zum Ab-knicken des Stentgrafts führen kann, wurde in bis zu 70% der Fälle beobachtet 83,155,179. In-nerhalb von drei Jahren wurde eine Zunahme des Halsdurchmessers von ≥ 2,5 mm bei 30%

der Patienten im renalen Bereich detektiert 137,152. Die Halserweiterung scheint insbesondere in den ersten zwei Jahren post-operativ stattzufinden 17,137. Der Grund für die Erweiterung des

proximalen Halsdurchmessers wird im Fortschreiten der pathologischen Gefäßdegeneration vermutet 110.

Unter Betrachtung prothesenspezifischer Merkmale wurde eine geringere Migrationsrate suprarenal fixierter Stents im Vergleich zu infrarenal fixierten Stents beobachtet 98. Bei Ge-fäßprothesen mit Hakensystemen wurde keine Reduktion der Migrationsrate festgestellt

133,176,179, obwohl die Fixierungskraft mit Haken höher als bei rein radial fixierten Prothesen ist. Als Ursachen wurden Kalkanlagerungen in der Fixierungszone, welche das Eindringen der Haken in die Gefäßwand verhindern, sowie die post-operative Aufweitung des Gefäßhalses genannt, bei der die Haken aus der Gefäßwand herausgezogen werden. Stentgraftsysteme ohne Haken und ohne suprarenalen Stent sollen jedoch höhere Migrationsraten aufweisen 42. Die Höhe der Struktursteifigkeit (Längsstabilität) der Prothesen soll keinen Einfluss auf die Migrationshäufigkeit haben 42,98,218.

Problematik und offene Fragen

Basierend auf klinischen Studien ist es aufgrund der oftmals niedrigen Fallzahlen, der Viel-zahl an Einflussparametern und der mangelnden Vergleichbarkeit der einzelnen Studien schwierig, Ursachen und Migrationsparameter, welche konstruktiv umgesetzt werden können, zu bestimmen. Darüber hinaus beruht die Auswertung der klinischen Parameter vielfach auf 2-dimensionalen CT-Daten und Röntgenbildern. Die Genauigkeit dieses diagnostischen Vor-gehens ist aufgrund der planaren Beurteilung umstritten 25,54.

Eine Validierung der Experimente oder der Berechnungen im Sinne eines direkten klinischen Vergleichs ist bislang nicht erfolgt. Bei einer Gegenüberstellung der berechneten Strömungs-belastung auf den Stentgraft (2-14 N) 24,136 und der statisch ermittelten Fixierungskraft der Talentprothese (4,5 N) 156, welche häufig bei groß-lumigen Gefäßen Einsatz findet, würde man folgern, dass diese Prothese in vielen Fällen migrieren müsste. Eine erhöhte Migrations-rate im Vergleich zu anderen Prothesen, konnte in klinischen Studien jedoch nicht festgestellt werden. Daher lassen in vitro Experimente und Berechnungen zur Bestimmung der Fixie-rungs- und Strömungskraft neben einer noch ausstehenden Validierung diverse Fragen offen:

Warum tritt Migration erst im späteren Zeitverlauf auf? Inwieweit sind die Fixierungs- und Belastungskräfte von der Implantationssituation (z.B. beim Abknicken) der Prothese abhän-gig? Welchen Einfluss hat die Gefäßveränderung (z.B. in Form einer Gefäßdilatation oder einer Verwinkelung) auf die Fixierung und die Belastung der Prothese? Ist bei elastischen,

nicht verkalkten Gefäßen von jüngeren Patienten das Migrationsrisiko höher? Ist es ausrei-chend, die Belastung der Stentgraftprothese durch die Kraft in der Längsachse der proximalen Einspannung zu charakterisieren oder sollten andere Komponenten wie Querkräfte oder Mo-mente in die Modellierung miteingebunden werden?

Ziel der Migrationsuntersuchung

Ziel dieses Studienabschnittes ist es, migrationsfördernde Parameter zu erfassen und deren Einfluss auf die Fixierung und die Belastung von Stentgraftprothesen quantitativ zu bestim-men. Durch diese Herangehensweise soll eine direkte Übertragung der Einflussfaktoren auf die Implantationssituation einer Stentgraftprothese möglich werden. In diesem Zusammen-hang wird überprüft, inwieweit experimentell ermittelte Fixierungs- und berechnete Strö-mungskräfte eine Aussage bezüglich Migration im patientenspezifischen Fall zulassen. Die Hypothese

„das Auftreten von Migration im post-operativen Verlauf (> 12 Monate) ist auf die Morpho-logieänderung des Aneurysmas zurückzuführen“

wird ebenfalls in diesem Rahmen überprüft.