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Potenzial für künftige genossenschaftliche Neugründungen

6. Ergebnisse der Experteninterviews

6.7 Potenzial für künftige genossenschaftliche Neugründungen

Was Potenziale für künftige Neugründungen betrifft, so herrscht wieder weitgehend Einigkeit zwischen den befragten Experten. Auch decken sich die von ihnen identifizierten Bereiche weitgehend mit den in Kapitel 5.1 genannten, auf welche für eine systematischere Beschreibung verwiesen sei. An dieser Stelle sollen zusätzlich die Einschätzungen der Experten Erwähnung finden, weshalb die jeweiligen Potenziale bislang nicht realisiert werden.

Großes Potenzial für Selbsthilfe wird entlang verschiedener demografischer und geografischer Linien ge-sehen. Hier würden sich die Tätigkeitsbereiche von Genossenschaften in der Regionalentwicklung, Sozi-algenossenschaften und genossenschaftlichen Wohnprojekten vielfach überschneiden. Wo die Bevölke-rungsdichte abnehme, während sich der Staat immer mehr aus der Versorgung zurückziehe, sei eine mögliche Reaktion die Selbstorganisation von Akteuren (wie Senioren, Familien, Studierenden etc.) vor Ort, die den Erhalt lokaler Infrastruktur und/oder die Erbringung sozialer Dienstleistungen soweit wie nötig selbst in die Hand nehmen könnten. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Möglichkeiten verstärk-ter Zusammenarbeit von Kommunen und Bürgern verwiesen, etwa im Rahmen von „Public-Citizen-Partnerships“. Dies habe auch den Vorteil, dass mehr Transparenz geschaffen werden könne, weil bei-spielsweise Aufsichtsräte kommunaler GmbHs Auskünfte (z. B. gegenüber Parlamenten) mit Verweis auf das GmbH-Recht verweigern könnten. Hier geben die Befragten allerdings zu bedenken, dass die Reali-sierung des plausiblen Potenzials in vielen Fällen von den Rahmenbedingungen im jeweiligen Bereich ab-hänge. So erschwere das kommunale Haushaltsrecht z. T. das Engagement von Kommunen in Genos-senschaften; auch seien Entscheidungsträger in der Politik oft nicht gewillt, Kontrolle aus der Hand zu ge-ben. Auch bei Sozialgenossenschaften täten sich Schwierigkeiten auf, weil in diesem Bereich bereits eine etablierte (Wohlfahrts-)Verbandsstruktur mit eigenem Prüfungswesen existiere, deren Interessen leicht mit denen der genossenschaftlichen Prüfungsverbände kollidieren könnten.

Im Gesundheitsbereich gebe es zwar eine ausreichende Anzahl sinnvoll zu vernetzender Akteure, aber das Interesse sei nicht immer ausreichend groß. So seien Ärztegenossenschaften mit Blick auf politische Rahmenbedingungen gegründet worden, die inzwischen schon wieder revidiert seien. Bei

genossen-Potenzial wird auch bei Familiengenossenschaften gesehen. Gerade im ländlichen Raum sei der Zusam-menschluss von KMU zum gemeinsamen Betrieb von Betreuungseinrichtungen für Angehörige (meist Kinder, aber auch Senioren) von Beschäftigten ein guter Weg, im Wettbewerb um Mitarbeiter mit größeren Unternehmen konkurrieren zu können. Gleichzeitig werde die Attraktivität der Region als Wirtschafts-standort auf diesem Weg erhalten bzw. ausgebaut.

Einige Experten sehen auch nach wie vor Potenzial im Energiebereich. Zunächst sei zu erwarten, dass die weiteren Novellierungen des EEG sowie das KAGB zunächst Vorzieheffekte auslösten, bevor die Gründungsaktivität im Photovoltaik- und Windenergiebereich abebben werde. Noch ungenutztes Potenzial bestehe jedoch weiterhin im Bereich der Nah- bzw. Fernwärme, also bei Tätigkeiten, die eine genuin ge-nossenschaftliche, unmittelbare Förderung der Mitglieder als Eigentümer und Kunden bedeuteten.

Mittelständische Kooperationen in genossenschaftlicher Rechtsform werden immer wieder genannt und haben eine lange Tradition. Sie können eine ganze Reihe betrieblicher Funktionen abdecken. Beispielhaft genannt werden Zusammenschlüsse auf Angebots- und auf Nachfrageseite, um oligopolistischen Struktu-ren entgegenzuwirken. Dabei komme die Genossenschaft in besonderem Maß (durch Demokratie, aber auch durch Prüfung/Transparenz) dem im Handwerk besonders ausgeprägten Bedürfnis nach Selbststän-digkeit entgegen. Ob eine solche Kooperation attraktiv sei oder nicht, hänge von den Prozessen in den beteiligten Betrieben ab und von den Märkten, auf denen sie agierten; ob sie zustande käme dagegen vom kaufmännischen Denken und der Kooperationsneigung der Akteure. Im Handwerksbereich werden immer wieder gewerkeübergreifende Zusammenschlüsse als großes Potenzial angesprochen, jedoch in der Regel in Verbindung mit der Feststellung, dass sowohl das strategische kaufmännische Denken als auch der Wille zur Zusammenarbeit unter Handwerkern nicht sehr ausgeprägt seien. Dazu komme, dass die eG unter vielen der kaufmännischen Seite des Geschäfts ohnehin nicht sonderlich zugeneigten Hand-werkern als vergleichsweise aufwendige Rechtsform gelte, vor allem aufgrund der Organstruktur (parallele Betriebsführung nötig) und der Prüfungspflicht, zumal diese mit einer Offenlegung von Interna einhergehe, die auf besondere Ablehnung stoße. Hier seien in der Vergangenheit die GmbH, aber auch der e. V. be-vorzugt worden. Da letzterer in jüngster Zeit immer seltener zur Geschäftstätigkeit zugelassen werde, tue sich hier neues Potenzial für eG-Gründungen auf. Der wirksamste Hebel, der die Realisierung des Koope-rationspotenzials in diesem Bereich befördern könne, sei Aufklärung. Es sei nötig, ein Bewusstsein für die handfesten Vorteile von (nicht nur – wie in diesem Bereich oftmals üblich – informeller) Kooperation im Allgemeinen und genossenschaftlicher Kooperation im Speziellen zu schaffen.

gen häufig scheitern oder in Notlösungen resultieren, die dem langfristigen Fortbestand der Unternehmen nicht zuträglich seien. Bei einer genossenschaftlichen Nachfolge von Eigentümerunternehmen (wie es vie-le KMU sind), übernähmen die Mitarbeiter den Betrieb vom Eigentümer, dieser könne aber weiter (etwa über den Aufsichtsrat) in das Geschäft eingebunden bleiben. Dass diese Lösung in Deutschland nicht öf-ter gewählt werde, liege an der mangelnden Kenntnis und der mangelnden Förderung bzw. der mangel-haft institutionalisierten Finanzierung, sowohl für die schrittweise, risikokontrollierte Übernahme als auch für die (aufgrund mangelnder Planung häufig nötige) Übernahme ad hoc. Hier seien Konzepte vonnöten, für die andere Länder Pate stehen könnten. Zum Kenntnisproblem kämen oftmals noch gewisse Vorurteile hinzu, nach welchen die Unternehmensform der eG zum Scheitern verurteilt sei, was allerdings empirisch längst widerlegt sei, zumal das Modell andernorts einwandfrei funktioniere. Entsprechende Rahmenbedin-gungen vorausgesetzt könne die Produktivgenossenschaft auch genossenschaftliche Existenzgründungen ermöglichen, wie sie beispielsweise in Spanien in größerer Zahl stattfänden, weil die Mitglieder dort auf Wunsch als Selbstständige behandelt werden könnten.

Im quantitativen Teil der empirischen Analyse wurden, wie einleitend erwähnt, telefonische Befragungen von jungen Genossenschaften und von jungen (Team-)Gründungen in anderen Rechtsformen durchge-führt, um eine vergleichende Analyse der Rechtsformwahlentscheidungen sowie der Gründungsprozesse zu liefern. Insgesamt wurden drei unterschiedliche Telefonbefragungen durchgeführt:

» Befragung eines Samples aus jungen Genossenschaften der Gründungsjahre 2006 bis 2013 (ohne Banken, Wohnen und Dorfläden) sowie ergänzend von kleinen Genossenschaften der Gründungs-jahre 2000 bis 2005 in der Breite bundesweit auf Basis einer Zufallsstichprobe aus der Gesamtheit der Markus-Datenbank der Creditreform,

» vertiefende Befragung im definierten Kernbereich Wohnen, d. h. Befragung junger Genossenschaf-ten (2006–2013) sowie einer nichtgenossenschaftlichen Vergleichsgruppe (Stichprobe aus Markus, ergänzt durch Verbandsdaten und weitere Recherchen),

» vertiefende Befragung im definierten Kernbereich Regionalentwicklung und lokale Daseinsvorsor-ge, d. h. Befragung von jungen Dorfläden (2006–2013) in genossenschaftlicher und nichtgenos-senschaftlicher Rechtsform (Stichprobe aus Markus, ergänzt durch Recherchen zu Vereinen etc.).

Die Stichprobenstruktur und die Grundlagen ihrer Ziehung sind im Detail im Anhang dargestellt. Die Er-gebnisse der Befragungen werden im Folgenden anhand der drei Studienschwerpunkte und der damit verbundenen Forschungsfragen analysiert. Dabei werden die Darstellungen der Ergebnisse aus beiden Samples der Genossenschaften vor und ab 2006 in Kapitel 7.1 dargestellt, anschließend folgen genos-senschaftliche Wohnprojekte mit Vergleichsgruppe in Kapitel 7.2 und Dorfläden mit Vergleichsgruppe in Kapitel 7.3.

Das Sample der jungen Genossenschaften (2006–2013) ist innerhalb der Befragungen das größte und wird daher zunächst ausführlich beschrieben. Um eine Gegenüberstellung mit vor der Novelle gegründe-ten Genossenschafgegründe-ten zu ermöglichen und die Entwicklung der letzgegründe-ten Jahre darzustellen, werden die Er-gebnisse verglichen mit dem Sample der Genossenschaften vor 2006, deren Gründung zwischen 2000 und 2005 erfolgte. Hierunter fallen ausschließlich Genossenschaften, die die Kriterien einer kleinen Ge-nossenschaft entweder im Sinn einer Mitgliederzahl von weniger als 21 oder im Sinn der für die Befreiung vom Jahresabschluss maßgeblichen Umsatz- bzw. Bilanzschwellenwerte (Umsatzerlöse bis zu

führte Erleichterungen umgesetzt werden. Die weiteren Samples aus den Bereichen der Wohnprojekte und Dorfläden umfassen ebenfalls junge Unternehmen, die ab 2006 gegründet wurden.47 Dabei wird un-terschieden zwischen der Genossenschaft und anderen Rechtsformen. Entsprechend werden die Samp-les in genossenschaftliche und nichtgenossenschaftliche Wohnprojekte sowie in genossenschaftliche und nichtgenossenschaftliche Dorfläden unterteilt. Vergleiche erfolgen sowohl zwischen den Samples der je-weiligen Unterkapitel als auch mit anderen Gruppen und werden entsprechend benannt.

7.1 Befragung junger Genossenschaften der Gründungsjahre 2006 bis 2013 sowie