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2. Das Genossenschaftswesen in der Bundesrepublik Deutschland

4.1 Die Novellierung des Genossenschaftsgesetzes 2006

4.1.1 Konkrete Änderungen

Im Folgenden werden die wichtigsten und in der Diskussion am häufigsten diskutierten Änderungen kurz skizziert (zum Folgenden vgl. etwa Geschwandtner und Helios 2006; Beuthien 2011; Pöhlmann et al.

2012).

Förderzweck

Der Förderzweck ist das zentrale Charakteristikum der genossenschaftlichen Rechtsform. Nach § 1 Ab-satz 1 GenG alter Fassung beinhaltete der Förderzweck einer Genossenschaft die Förderung des Er-werbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder. Die Novelle des Genossenschaftsgesetzes von 2006 hat den zulässigen Förderzweck der eingetragenen Genossenschaft gemäß § 1 Absatz 1 GenG auf die Förderung der sozialen und kulturellen Belange der Mitglieder erweitert. Unabdingbare Aufgabe der eingetragenen Genossenschaft ist es seither, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale und kul-turelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern. Hiermit hat sich die Diskussion, ob schon das vorher geltende Recht einen sozialen bzw. kulturellen Gesellschaftszweck erlaubte und die No-velle lediglich eine Klarstellung bereits geübter Praxis brachte oder ob erst die NoNo-velle zur konstitutiven Zulassung sozialer und kultureller Zweckbestimmungen geführt hat, erübrigt. Durch die ausdrückliche Er-weiterung des Förderzwecks ermöglicht das Genossenschaftsgesetz nunmehr etwa die Gründung von Schul-, Sport-, Theater- und Museumsgenossenschaften. Unverändert hat dabei jedoch die Förderung der Mitglieder im Vordergrund zu stehen, nicht die Förderung beliebiger Dritter. Die eingetragene Genossen-schaft kann gleichzeitig mehrere Förderzwecke verfolgen. Beispielsweise stellen Wohnungsgenossen-schaften ihren Mitgliedern nicht nur preislich günstigen und qualitativ hochwertigen Wohnraum zur Verfü-gung, sondern fördern zugleich deren soziale und kulturelle Belange durch das arrondierende Angebot von speziellen Dienstleistungen rund um das Wohnen und kulturelle Veranstaltungen. Nach wie vor muss die eingetragene Genossenschaft den gesetzlich festgelegten Förderzweck mittels gemeinschaftlich be-triebenen Geschäftsbetriebs erfüllen. Daran hat die Erweiterung des Förderzwecks nichts geändert.

Nach § 4 GenG alter Fassung musste die Zahl der Gründer einer eingetragenen Genossenschaft mindes-tens sieben betragen. Diese Zahl musste auch später fortbestehen und solange beibehalten werden, wie die eingetragene Genossenschaft aktiv war. Bei Absinken der Mitgliederzahl unter sieben war die einge-tragene Genossenschaft nach § 80 GenG alter Fassung aufzulösen. In Abweichung zur bisherigen Min-destzahl von sieben Mitgliedern hat der Gesetzgeber, wohl nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Forde-rungen nach einer Absenkung der Mitgliedermindestzahl zur Steigerung der Attraktivität der genossen-schaftlichen Rechtsform und zur Vermeidung der Heranziehung uninteressierter Mitglieder durch die No-velle 2006 die Mindestzahl der Gründer auf drei gesenkt (§ 4 GenG). Die Satzung kann eine höhere Min-destzahl vorsehen, aber auch eine mindestens drei Mitglieder umfassende Höchstzahl bestimmen. Infolge der Änderung des § 4 GenG musste auch § 80 GenG entsprechend geändert werden. Die Mindestzahl ist demzufolge auch nach der Novellierung Voraussetzung sowohl für die Gründung und Eintragung der ein-getragenen Genossenschaft als auch deren Fortbestand. Die Mindestzahl darf nicht dauerhaft unterschrit-ten werden.

Organisationsverfassung

Im Vorfeld der Novelle wurde die genossenschaftliche Organisationsverfassung als zunehmend reformbe-dürftig angesehen. Kritisiert wurde, dass das Genossenschaftsgesetz unabhängig von der Größe der ein-zelnen Genossenschaft ein Modell mit drei obligatorischen Organen vorschrieb. In der Diskussion zur No-velle des Genossenschaftsgesetzes fanden sich immer wieder Stimmen dafür, die Leitungs- und Organi-sationsstruktur zu öffnen (Beuthien 2000b; Mossler 2000; Blomeyer 2001; Henningsen 2001; Schaffland 2001). Eine bedeutsame Erleichterung für kleinere Genossenschaften mit bis zu zwanzig Mitgliedern brachte die Möglichkeit zum Verzicht auf einen Aufsichtsrat (§ 9 Absatz 1 Satz 2 GenG) und die Möglich-keit eines nur einköpfigen Vorstandes (§ 24 Absatz 2 Satz 3 GenG).

Fakultativer Aufsichtsrat

Die eingetragene Genossenschaft muss einen Vorstand und einen Aufsichtsrat haben. Während der Vor-stand die eingetragene Genossenschaft nach § 27 Absatz 1 GenG eigenverantwortlich leitet, hat der Auf-sichtsrat den Vorstand bei dessen Geschäftsführung nach § 38 Absatz 1 GenG zu überwachen. Bei Ge-nossenschaften mit nicht mehr als zwanzig Mitgliedern kann nach § 9 Absatz 1 GenG durch Bestimmung in der Satzung auf einen Aufsichtsrat verzichtet werden. In diesem Fall nimmt die Generalversammlung oder ein von der Generalversammlung gewählter Bevollmächtigter die Rechte und Pflichten des Aufsichts-rats wahr (in bestimmten Fällen muss nach § 58 Absatz 5 GenG ein Bevollmächtigter bestimmt werden).

Mit der Möglichkeit eines statutarischen Verzichts wird die in § 18 Satz 2 GenG niedergelegte Satzungs-strenge in einem wichtigen Punkt gelockert. Nunmehr haben es die Mitglieder selbst in der Hand, ob sie

Mindestbesetzung des Vorstandes

Gemäß § 24 Absatz 2 GenG besteht der Vorstand einer eingetragenen Genossenschaft aus zwei Perso-nen. Bei Genossenschaften mit nicht mehr als zwanzig Mitgliedern kann die Satzung bestimmen, dass der Vorstand aus einer Person besteht. Das gilt auch, wenn die eingetragene Genossenschaft zulässiger-weise auf einen Aufsichtsrat verzichtet. Im Grundsatz verbleibt es auch nach der Novelle damit bei der Forderung nach einem mindestens zweiköpfigen Vorstand.

Prüfung

Die zuletzt genannten Änderungen werden für kleine Genossenschaften durch Erleichterungen des ge-nossenschaftlichen Prüfungsregimes ergänzt. Auch nach der Novelle müssen sich Genossenschaften gemäß § 53 Absatz 1 Satz 1 GenG mindestens alle zwei Jahre einer Pflichtprüfung unterziehen. Während die genossenschaftliche Förderzweck- und Geschäftsführungsprüfung insofern unangetastet geblieben sind, sieht das Genossenschaftsgesetz nach der Novellierung gemäß § 53 Absatz 2 Satz 1 GenG eine größenabhängige Erleichterung beim Umfang der genossenschaftlichen Pflichtprüfung vor. Der Jahresab-schluss unter Einbeziehung der Buchführung und des Lageberichts muss nur noch bei Genossenschaften, deren Bilanzsumme eine Million Euro und deren Umsatzerlöse zwei Millionen Euro übersteigen, geprüft werden. Die genossenschaftliche Gründungsprüfung gemäß § 11 Absatz 2 Nr. 3 GenG bleibt erforderlich.

Auch kleine Genossenschaften müssen dem Registergericht vor Eintragung nach wie vor eine gutachterli-che Stellungnahme eines Prüfungsverbandes vorlegen.

Finanzverfassung

Im Vorfeld der Novelle des Genossenschaftsgesetzes wurde auch die genossenschaftliche Finanzverfas-sung als struktureller Schwachpunkt der eingetragenen Genossenschaft identifiziert (Beuthien 2000b;

Blomeyer 2000; Münkner 2000; Henningsen 2001; Schulze 2002). Um die Eigenkapitalbasis der Genos-senschaften zu stärken, wurde die genossenschaftliche Finanzverfassung erheblich geändert. So dürfen Sacheinlagen (§ 7a Absatz 3 GenG) und neben nutzenden Mitgliedern lediglich investierende Mitglieder (§ 8 Absatz 2 GenG) zugelassen werden. Außerdem kann ein Mindestkapital statuiert (§ 8a GenG) und die Auszahlung des Geschäftsguthabens ausscheidender Mitglieder eingeschränkt (§ 73 Absatz 4 GenG) werden.

Um das strukturelle Problem der schwankenden Kapitalbasis zu vermindern, bietet das novellierte Genos-senschaftsgesetz zwei alternative Gestaltungsmöglichkeiten. Zum einen kann gemäß § 8a Absatz 1 GenG die Satzung vorsehen, dass ein beitragsmäßig festzulegendes Mindestkapital durch die Auszahlung der Auseinandersetzungsguthaben ausscheidender Mitglieder nicht unterschritten werden darf. Die Auszah-lung der Auseinandersetzungsguthaben wird solange ausgesetzt, wie das Mindestkapital unterschritten würde (§ 8a Absatz 2 GenG). Zum anderen eröffnet § 73 Absatz 4 GenG die Möglichkeit zur Beschrän-kung des Anspruchs ausscheidender Mitglieder auf ein Auseinandersetzungsguthaben, ohne dass eigens ein Mindestkapital statuiert werden muss. Zur Verhinderung kurzfristiger Schwankungen des Eigenkapitals eröffnet § 65 Absatz 2 Satz 3 GenG Unternehmergenossenschaften die Möglichkeit, die Kündigungsfrist für Geschäftsanteile in der Satzung auf bis zu zehn Jahre zu verlängern. In den übrigen Genossenschaf-ten beträgt die maximale Kündigungsfrist fünf Jahre.

Zulassung investierender Mitglieder

Zur Stärkung der Eigenkapitalbasis lässt das novellierte Genossenschaftsgesetz gemäß § 8 Absatz 2 eine neue Kategorie von Mitgliedern zu, die als investierende Mitglieder nur Kapital beisteuern, ohne an der In-anspruchnahme des gemeinschaftlich betriebenen Geschäftsbetriebs interessiert zu sein. Die Zulassung investierender Mitglieder ist wegen der Durchbrechung des genossenschaftlichen Identitätsprinzips teil-weise heftig kritisiert worden (Cario 2005; Pistorius 2006; Scheffel 2008). Gleichwohl eröffnet sie Genos-senschaften die Möglichkeit, neue Finanzierungsquellen zu erschließen, die ihnen vor der Novellierung nicht zur Verfügung standen. Zur Sicherung der Interessen der nutzenden Mitglieder sieht das Genossen-schaftsgesetz Schutzmaßnahmen vor. Genossenschaften, die investierende Mitglieder aufnehmen, müs-sen durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass investierende Mitglieder die anderen Mitglieder in keinem Fall überstimmen können und dass Beschlüsse der Generalversammlung, die einer qualifizierten Mehrheit bedürfen, durch Stimmen der investierenden Mitglieder nicht verhindert werden können. Zudem dürfen gemäß § 8 Absatz 2 Satz 4 GenG investierende Mitglieder zwar in den Aufsichtsrat gewählt wer-den, ihre Zahl darf ein Viertel der Aufsichtsratsmitglieder aber nicht überschreiten.