• Keine Ergebnisse gefunden

Das Warum und die Postulate

Einige allgemeine Betrachtungen über die Politik in ihrem Verhältnis zum Wesen der Menschen scheinen mir hier unerlässlich. Allzuoft passiert es, dass man auf der po-litischen Ebene vergisst, dass der Mensch, auch insofern er regiert oder regiert wird, außerdem noch ein Mensch ist. Es gibt profunde Geister, durchaus fähig, das mensch-liche Sein in all seiner Komplexität in Betracht zu ziehen, wenn es sich um Religion oder Ethik handelt, die aber plötzlich nur noch mit dem Schatten eines Gespenstes an einer Wand ohne jedes Geheimnis operieren, wenn sie politische Probleme be-handeln. Als ob der Mensch im Gemeinschaftsleben plötzlich kein Wesen mit einem ganzen Körper mehr wäre, sondern nur noch ein wandelndes Gehirn; als ob er keine Lüste, keine Instinkte mehr hätte, keinen Versuchungen mehr ausgesetzt wäre; als ob man ihn ganz genau kennte und keine Überraschung zu gewärtigen hätte, und als ob man deshalb, ohne sich zu irren und ohne ihn zu schädigen, diesem Menschen unbekümmert seinen Rang und seine Aufgabe zuweisen könnte; als ob das Böse sich völlig vom Guten trennen ließe und reine Entscheidungen möglich wären.

Aber die Gesellschaftsformen, und demnach auch die Politik, sind in gewisser Hinsicht nach dem Bild des Menschen geschaffen; sie sind untrennbar aus Fleisch und aus Geist, aus Gegebenheiten und Transzendenz gestaltet, vieldeutig in ihren Be-weggründen und ungewiss in den Folgen. Jede Handlung setzt hier mehr und andere Faktoren in Bewegung, als man gewollt hat. Realität und Fiktion werden ein unent-wirrbares Knäuel. Die Gemeinschaften sind – wie der einzelne Mensch so grundsätz-lich der Geschichteverhaftet, dass die Hoffnung, ihr in ein Goldenes Zeitalter oder eine Apokalypse zu entgehen, innerhalb dieser Welt keinen Grund finden kann. Wie der einzelne Mensch auch, werden sie von der Geschichteüberflutet, weil deren Bezo-genheiten sich endlos verketten und damit jede erschöpfende Erkenntnis illusorisch machen, und weil diese Geschichte jede Gemeinschaft rings umgibt, und sich deshalb auf keine Weise von ihr objektivieren lässt. Es kann also innerhalb der Geschichte nie totales Wissen, noch totales Planen geben, und das schließt von vorneherein die Legitimität eines zuständigen Geschichtsingenieurs im sowjetischen Sinn aus, dem man alle Machtvollkommenheit zugestehen müßte. Aber mehr noch: Man muss hier dem Bösen einen Platz einräumen. Welche Auffassung immer man vom Bösen

ha-ben mag – und sie ist bei jedem Einzelnen verschieden –, selbst ein «kompetenter Geschichts-Ingenieur» liefe Gefahr, böse zu handeln, sei es vor sich selbst, sei es in den Augen der Regierten. Da doch das Böse eine solch große Rolle im individuellen Leben, im Verkehr jedes Einzelnen mit den Anderen spielt – mit welchem Recht soll-ten wir denn so tun dürfen, als existiere es im kollektiven Leben nicht, wo doch seine Folgen im Gegenteil massenhafte und vernichtende Ausmaße anzunehmen drohen?

Es gibt das Böse. Und weil es das Böse gibt, gibt es Politik. Es macht sie notwendig.

In dieser Hinsicht ist die Politik wie das Recht: Der Zwang, das Böse in Schach zu halten oder vielmehr den Umfang der von ihm verursachten Verwüstungen einzu-schränken, hat sie beide entstehen lassen. In einer Gesellschaft von Engeln oder von vollkommenen Menschen gäbe es kein Recht, weil die Liebe von allen Seiten die Ge-rechtigkeit überschwemmen würde. Es gäbe da auch keine Regierung. Es gäbe zwar auch kein Recht und keine Regierung, wenn der Mensch ein Tier wäre. Aber der Mensch ist genau das Wesen, das, ohne sich vom Bösen (in sich) zu befreien, dar-um weiß und ihm den Krieg erklärt. Deshalb ist er ein juridisches und politisches Lebewesen.80

Wer findet, die Politik sei zu sehr korrumpiert, und sich deswegen weigert, sich damit abzugeben, der hat recht und unrecht zugleich. Es ist wahr, dass die Politik mit dem Bösen zu tun hat; da sie die Aufgabe hat, dessen Folgen zu begrenzen, muss sie sich oft genug mit ihm einlassen und ihm ihrerseits mit unreinen Mitteln begegnen.

Aber das nicht erkannte Böse bleibt das Böse; ihm freien Lauf zu lassen heißt noch lange nicht, saubere Hände behalten; und per saldo kommt die Ablehnung der Politik um der sauberen Hände willen darauf hinaus, sich für die Unschuld der Tiere zu entscheiden, weil man den Engel spielen wollte. Aber der Mensch bleibt Mensch, und das heißt: Schuldig.

Da die Politik nun einmal durch die Existenz des Bösen im menschlichen Ver-halten nötig geworden ist, ist es auch absurd, dieses oder jenes politische System dadurch rechtfertigen zu wollen, dass es doch von so hervorragenden Menschen verkörpert werde.Jedespolitische System ist hervorragend, sobald man fordert, die Regierenden müßten außerordentliche Menschen sein: Tyrannis, Monarchie, Aris-tokratie, Oligarchie und Demokratie.81Aber eben: Es gibt wenig außerordentliche Menschen; und selbst diese Außerordentlichkeit ist recht relativ, und sie hängt von recht verschiedenen Wertschätzungen ab; ein außerordentlicher Mensch kann von ei-nem ersetzt werden, der es weniger ist; und schließlich kann ein und derselbe Mensch Charakter und Verhalten ändern – und sei es nur unter dem Einfluss der Macht.

Das politische Hauptproblem besteht gerade darin, ein System zu errichten, das zwar der Regierung das Regieren gestattet, aber das Böse, das sie anrichten könnte, beschränkt. Es handelt sich darum, eine Technik derKontrollezu finden.

In einem wirklich autokratisch oder monarchisch regierten Staat gibt es kei-ne eigentliche Inkei-nenpolitik. Das Problem der Kontrolle stellt sich gar nicht, weil es gänzlich von dem der Legitimität absorbiert ist, und das ist sozusagen nicht poli-tisch, sondernsubstantiell. Der Monarch rechtfertigt sich nicht mit Gründen, sondern durch sein Sein, weil er Er ist. Seine Kontrolle vollzieht sich durch die Werte selbst, die er verkörpert, und das auf die allerintimste Weise, wenn seine Würde erblich, al-so im tiefsten Grund der Kontinuität des Blutes verwurzelt ist. Welche Missachtung der Vernunft, meinen die aufgeklärten Geister, diese willkürliche Hochschätzung der Geburt – ja, aber gerade hier schöpft diese Missachtung aus ihrem tiefsten Quell, er entzieht sich jeder Kritik, erübrigt jede Diskussion und lässt damit die Politik gar nicht aufkommen.

Das Problem der Kontrolle stellt sich vom Moment an, wo die Person des Re-gierenden sich von der Macht trennt, und das heißt, wo diese Macht nicht mehr als eine natürliche oder von der Vorsehung verliehene Verlängerung seiner körperlichen Existenz erscheint. Von diesem Augenblick an muss der Gebrauch der Macht gerecht-fertigt werden. Der Regierende beruft sich auf ein Ethos, er anerkennt eine Autorität, er ruft eine Kontrolle an. – Politik ist entstanden.

Alle Entwicklung in unseren Gesellschaften hat sich in dem Sinn einer zuneh-menden Auseinanderentwicklung von Elementen und Faktoren vollzogen, die ur-sprünglich in einer substantiellen, zugleich körperlichen, symbolischen, sittlichen und bewaffneten Einheit begründet waren. Solange diese Einheit sich erhalten hat, bot sie den Geistern eine unproblematische Fülle – die weder die Sklaverei noch das Leiden ausschloss –, eine soziale Welt, deren innerer Zusammenhang der natürlichen Ordnung ähnlich und ebensowenig bestreitbar zu sein schien. Als diese Einheit zer-fiel, sah man zugleich mit dem König aus Fleisch und Blut die göttliche Satzung fallen, und die Staatsgewalt trennte sich von der Moral und von der Fatalität; seither tritt das politische Bewusstsein, angeregt von denMöglichkeiten, die sich vor ihm ausbreiten, ins Spiel. Die Kontrolle setzt ein. Die Gewalt verbündet sich weiterhin mit der Macht – das ist eine natürliche, problemlose Verbindung. Aber sie muss sich rechtfertigen, sich also ständig auf die Moral beziehen, und deshalb ist sie immer in Frage gestellt.

Erfolg und Ethos,82Machiavelli und Kant83

Es ist wichtig, hier das Wesen dieser jeder Politik grundsätzlich eigentümlichen Ver-bindung von Macht und Sittlichkeitwohl zu verstehen. Und wenn ich sage «verstehen», dann bedeutet das nicht «erklären». Viele Probleme sind in unseren Tagen in un-angemessenen Begriffen gestellt worden, weil man in sie eine analytische Klarheit projiziert, die sie nicht vertragen und die ihre Natur grundsätzlich verändert. Die

Vereinigung von Macht und Sittlichkeit in der Politik ist ein unklares Ineinander. Es geht auch hier um die «choses vagues»,84die Valéry gemeint hat, um das «Ungefäh-re». Und wie Valéry es wohl gesehen hat, ist manchmal auf dem sozialen Gebiet dieses unklare Ineinander notwendig, es kann die Voraussetzung von Gesundheit sein, wäh-rend die allzu genaue Analyse fiktiv und tödlich wirkt.

Schauen wir hier ein wenig näher zu. Von allen Denkern hat Kant, so will mir scheinen, mit dem größten Erfolg aus dem unklaren Gemisch unseres konkreten Da-seins theoretisch die reine moralische Substanz zu extrahieren vermocht. Das ist doch der theoretische – und eben nicht praktische – Sinn der «Kritik der praktischen Ver-nunft».85

Man hat sich meiner Ansicht nach immer geirrt, wenn man dieser Schrift eine psychologische oder moralische Absicht – im Sinne von Vorschriften – untergescho-ben hat: Kant sagt weder, wie sich der moralische Akt vollzieht, noch was er ist. Er zieht aus dem unendlich komplexen empirischen sittlichen Akt, wie er sich in den De-terminationen durch die Vergangenheit und dem Ausgerichtetsein auf die Zukunft findet, die zeitlose moralische Essenz. Er charakterisiert ihn, indem er ihn von Ver-gangenheit und Zukunft, also von seinen wirklichen Bedingungen isoliert: Von der Vergangenheit trennt ihn die Freiheit, von der Zukunft das Kategorischsein des Impe-rativs, sein völliges Absehen von den Folgen. Aber wenn Freiheit und kategorischer Imperativ unterschieden wären, dann würde Zeit noch in dieser ihrer Zweiheit selbst fortbestehen. So sind sie in der Kantischen Kritik nicht unterschieden. Frei sein heißt gemäß dem kategorischen Imperativ handeln. Nach dem kategorischen Imperativ handeln heißt, sich ebenso von der Kausalität wie von der Finalität losreißen und sich frei machen. Die freie Tathandlung ist ihrem Wesen nach sittlich, und zwar völ-lig unabhängig von ihren empirischen Folgen; sie wird nicht um eines Zieles, ja nicht einmal um einer Absicht willen gerechtfertigt. Sie ist ihrem Sein nach punktuell und absolut. Damit ist sie fiktiv.

Fiktiv – aber nicht inexistent. Sie existiert im Gegenteil, gewollt oder nicht ge-wollt, in jeder menschlichen Handlung, als reines Gesolltes in einer unreinen Verbin-dung. Jede Verbindung ist unrein; aber sie hörte auf, es zu sein, wenn man das Sollen aus ihr entfernen könnte. Wir haben es also weder mit der unnützen Theorie einer unerreichbaren sittlichen Reinheit zu tun, noch mit der Verdammung der menschli-chen Moral wegen ihrer Unreinheit schlechthin. Kant extrahiert das sittliche Sollen im reinen Zustand, stellt dessen Theorie auf und gibt zugleich diesem Appell einen neuen imperativen Akzent, indem er sowohl den Erfolg, als auch den Verzicht aus-schließt.

Aber um welches Sollen geht es denn hier? In Wahrheit weiß man von ihm nur, dass es bedingungslos ist. Kein «Umstand» kann es je aufheben. Es ist unter keinen

Umständen untergeordnet, alles wird ihm untergeordnet, sonst hat der Begriff «Sitt-lichkeit» keinen Sinn mehr. Das Gegenteil der sittlichen Tathandlung ist nicht das Böse, sondern die einer Erfolgstechnik untergeordnete Handlung. Die Absolutheit des sittlichen Sollens zeigt sich darin, dass die Frage nach dem Erfolg sich nicht stellt.

«Tue was du sollst, dann komme was mag.»

Wohlverstanden, im konkreten Verhalten stellt sich das Problem des Erfolgs immer, werden die Folgen einer Handlung bei der Entscheidung überschlagen – je-denfalls, solange es sich nicht um jene befremdend reinen und tragisch vieldeutigen und nicht zu rechtfertigenden Akte handelt, die man absolute Tathandlungen ge-nannt hat. Aber was Kant sagen will, ist, dass die Tathandlung in dem Maß sittlich ist, in dem das Problem des Erfolgs oder selbst die Vorausberechnung dem kategori-schen Imperativ untergeordnet sind – in dem Maß, in dem dieser durch empirische Überlegungen hindurch sich faktisch selbst durchsetzt, in dem er ihnen ihren Wert verleiht – und nicht umgekehrt. Der Erfolg hat keinen Anteil an der Pflicht. Er ist ihr radikal, wesensmäßig fremd.

Als Gegenstück dieser «Kritik der praktischen Vernunft», in der Kant aus dem menschlichen Verhalten das Element «Sittlichkeit» im reinen Zustand extrahiert, kann man den «Principe» Machiavellis ansehen, der den Untertitel «Kritik der politi-schen Vernunft» verdiente. Was die Größe des «Fürsten» ausmacht, ist in der Tat nicht sein Zynismus, sondern die theoretische Sauberkeit. Ebenso wie Kant im mensch-lichen Handeln das sucht, was es sittlich macht und so einen Aspekt isoliert, der nur mit allen andern vermischt existiert, sucht Machiavelli im «Principe» im Verhal-ten des Staatsmannes das, was es zu einempolitischenmacht, und so isoliert auch er, was faktisch nur in Mischung vorkommt. Und wenn für Kant das Kriterium des sittlichen Elementes darin besteht, sich dem Gewissen absolut, unbedingt aufzuer-legen – unbekümmert um jeden Erfolg, so sehr, dass die Kategorien des Erfolges oder des Misserfolges ihm gar keinen Eindruck mehr machen –, dann ist für Ma-chiavelli das politische Element dasjenige, dessen Wert sich gänzlich vom Erfolg, von der Wirkung herleitet, und das sich wie eine Zahl aufdrängt, die man einer Additi-on beifügen sollte, deren Resultat im voraus bekannt ist. Hier sind die Kategorien des Erfolges und Misserfolges die allein gültigen, die einzigen Quellen der Wertung.

Hier hat sich einer gefragt, was denn die Mittel rechtfertigen sollte, wenn nicht der Zweck.

Es ist ebenso absurd, Machiavelli des Immoralismus anzuklagen wie Kant der Wirklichkeitsferne. Kant weiß sehr gut, dass der kategorische Imperativ sich kaum je, vielleicht nie anders als durch hypothetische Imperative hindurch durchsetzt. Und ebensogut weiß Machiavelli, dass kein Politiker nur eine einfache Maschine ist, die Unternehmungen zum Erfolg zu bringen hat, und dass die Erfolgsforderung fast

im-mer mit moralischen Forderungen vermischt ist. Sie stellen eine theoretische, reine Analyse jeder dieser Forderungen für sich an.

Was aber als Komplikation der Sachlage dazukommt, ist, dass auf der Ebene der reinen Politik Erfolg haben eine Verpflichtung, eine sittliche Verpflichtung darstellt.

Wie kommt es, dass ausgerechnet dieser Aspekt, aus dem Kant im Hinblick auf das individuelle Gewissen ein Kriterium der Nicht-Moralität macht, in der Politik eine sittliche Forderung darstellen kann? Es ist das ein Zug der politischen Existenz von entscheidender Bedeutung, dem man nicht genügend Beachtung geschenkt hat. All-zu oft verlangt man von einem Staatsmann, von einer Nation, von einer politischen oder sozialen Organisation, sich dem gemeinsamen Ideal zu «opfern», auf jeden «Ego-ismus» zu verzichten, den Gegnern «Vertrauen zu schenken» usw. Das sind Redensar-ten, welche die gewohnten sittlichen Forderungen, wie sie für das Individuum gelRedensar-ten, mit denen zusammenfallen lassen, die bei einem Kollektiv, bei einer politischen oder sozialen Körperschaft in Geltung kommen sollten. Aber das ist falsch; denn wenn das Individuum sich für das allgemeine Wohl opfern kann – und manchmal muss – (es opfert im Prinzip nur sich selbst; ich sage «im Prinzip», denn die Dinge liegen selten so einfach), so ist der Staatsmannfür Andere verantwortlich; er hat die Aufgabe über-nommen, über eine Menge anderer Menschenwesen zu wachen, und wenn ersein eigenesOpfer auf sich nähme, würde er sie opfern. Aber er muss ihnen helfen und im Fall der Gefahr sie retten. Und da genügt die gute Absicht nicht, er muss sein Ziel erreichen. In gewissem Sinn hat er versprochen, erfolgreich zu sein. Ermuss erfolg-reich sein. Und so ist der Erfolg zur Verpflichtung geworden. Das ist so sehr wahr, dass im Fall des Misserfolges ein echter Staatsmann, der sich dessen bewusst ist, was er übernommen hat, seinen Misserfolg durch seine guten Absichten weder erklärt, noch ihn damit rechtfertigt. Sie haben, und das weiß er wohl, nur für sein eigenes Gewissen eine Bedeutung, für die, die ihm nahe stehen, für Gott; auf der politischen Ebene zählen sie kaum. Sie zählen gerade nur in dem Maß, wie die politische Ebene nicht rein sie selbst ist. Wäre sie das, würden sie überhaupt nicht zählen.

So wird die Politik von einem harten Gesetz beherrscht, das auch in der Welt der Kunst gilt: Nur das Ergebnis zählt. Die Absichten und Bemühungen spielen hier gar keine Rolle. Es gibt keine mildernden Umstände.

Diese beiden Untersuchungen Kants und Machiavellis haben neben ihrem theo-retischen Interesse eine moralische Wirkung. Sie sind so klar, so absolut, jede in ihrer (theoretischen) Isoliertheit, dass sie für den Staatsmann, der über sein Verhal-ten nachdenkt, unerbittlich zwei Verpflichtungen genau bestimmen, die einander fremd und manchmal sogar einander entgegengesetzt sind, und ihn so zu einer kla-ren Entscheidung drängen. Sie verunmöglichen ihm die Neigung, die Dinge leicht zu nehmen, ein Alibi zu suchen, wobei man auf eine Erfolgsforderung mit einem

moralischen Prinzip und auf eine moralische Forderung mit dem Hinweis auf eine politische Notwendigkeit antworten kann.

Aber das stimmt nur in Krisenfällen, in denen der Staatsmann, dem der Halt in den Institutionen und Traditionen verlorenging, sich veranlasst sieht, einen his-torischen Ausgangspunkt neu zu finden, statt ein Bestehendes darin fortzusetzen.

(Machiavelli betont, dass seine Theorie nur gilt, wenn sich eine neue Gewalt kon-stituiert.)86Ganz allgemein begegnet man unter gewöhnlichen Umständen kaum je einem rein politischen Bereich gänzlich losgelöst, mit ganz unvermischt spezifischen Anforderungen. Man badet in einer politischen Atmosphäre, die durch und durch ge-schwängert ist mit unbestimmten, abgeschwächten hypothetischen, aber zähen und überall gegenwärtigen moralischen Forderungen. Dieses theoretisch nicht zu recht-fertigende, praktisch recht kraftlose Gemisch ist aber wahrscheinlich für die Gesund-heit des sozialen Körpers notwendig.

Ganz zu Beginn dieses Kapitels haben wir Politik und Recht nebeneinander ge-stellt. Alle beide, so sagten wir, rechtfertigen sich auf pessimistische Weise, durch die Feststellung der Existenz des Bösen und durch die Notwendigkeit, es zu beschränken.

Daher stammt auch bei beiden die Berufung auf die Macht. Das Recht stützt sich auf Gerechtigkeit und Polizei. Eine unbefangene Analyse dieser beiden Hauptkom-ponenten zeigt uns mühelos, dass das Recht, wenn es die Polizei zum Einschreiten veranlasst, das moralische Prestige der Gerechtigkeit verliert: Das Recht kann in der Tat ein bestimmtes Verhalten verlangen, weil esrechtensist, oder dann unter Andro-hung einer Gefängnisstrafe, aber nicht beides zugleich. Wenn die Angst mitspielt und die Fügsamkeit Drohungen gegenüber, wird der moralische Sinn außer Spiel gesetzt, es sei denn, er trotze Angst und Drohung und veranlasse eine Handlung in entgegengesetzter Richtung. Theoretisch müsste also das Bestehen einer Polizei den gesetzlichen Forderungen jede moralische Wirkung nehmen. Tatsächlich laufen die Dinge aber anders. Die Hand des Polizisten, die einer schon an seinem Kragen spürt, der im Begriff ist, ein Delikt zu begehen, ist wie die symbolische Gegenwart einer sozialen Verurteilung, die mit der moralischen in eins gesetzt wird. Eigentlich

Daher stammt auch bei beiden die Berufung auf die Macht. Das Recht stützt sich auf Gerechtigkeit und Polizei. Eine unbefangene Analyse dieser beiden Hauptkom-ponenten zeigt uns mühelos, dass das Recht, wenn es die Polizei zum Einschreiten veranlasst, das moralische Prestige der Gerechtigkeit verliert: Das Recht kann in der Tat ein bestimmtes Verhalten verlangen, weil esrechtensist, oder dann unter Andro-hung einer Gefängnisstrafe, aber nicht beides zugleich. Wenn die Angst mitspielt und die Fügsamkeit Drohungen gegenüber, wird der moralische Sinn außer Spiel gesetzt, es sei denn, er trotze Angst und Drohung und veranlasse eine Handlung in entgegengesetzter Richtung. Theoretisch müsste also das Bestehen einer Polizei den gesetzlichen Forderungen jede moralische Wirkung nehmen. Tatsächlich laufen die Dinge aber anders. Die Hand des Polizisten, die einer schon an seinem Kragen spürt, der im Begriff ist, ein Delikt zu begehen, ist wie die symbolische Gegenwart einer sozialen Verurteilung, die mit der moralischen in eins gesetzt wird. Eigentlich