• Keine Ergebnisse gefunden

2.2 Erkrankungen des Strahlbeins

2.2.1 Podotrochlose-Syndrom

Unter diesem Begriff werden nach HERTSCH und HÖPPNER (1999) Veränderungen im kaudalen Hufbereich zusammengefasst, die einzeln oder in Kombination zu einer Lahmheit führen können. Abhängig von den beteiligten Strukturen können dabei nach HERTSCH et al. (1982) drei Erscheinungsformen differenziert werden: die eigentliche Podotrochlose, die Insertionsdesmopathien und Strahlbeinerkrankungen mit Hufgelenksbeteiligung.

2.2.1.1PODOTROCHLOSE

Die Podotrochlose ist eine Erkrankung der Hufrolle, bei der es zu Veränderungen am Strahlbein (Sesamoidose podotrochlearis), am Hufrollenschleimbeutel (Bursitis podotrochlearis) und an der tiefen Beugesehne (Tendinitis podotrochlearis) kommt (HERTSCH et al. 1982). Die Veränderungen am Strahlbein betreffen vor allem die Beugeseite, wo es zu Erosionen und Ulzerationen des Faserknorpels kommt. In fortgeschrittenen Fällen sind auch eine Osteitis und Rarefikation der Kortikalis sowie Degeneration und Kavitation der Spongiosa festzustellen (ASQUITH 1994). Im

Endstadium kann es zu einem zentralen Einbruch der Facies flexoria kommen, ohne dass dabei Veränderungen der Canales sesamoidales vorhanden sind (HERTSCH et al. 1982).

Die pathohistologischen Veränderungen sind vergleichbar mit denen einer entzündlichen Gelenkserkrankung, weshalb BAUM (1974) die Podotrochlose als eine Osteoarthritis des Strahlbeins definiert.

2.2.1.2INSERTIONSDESMOPATHIEN

Im Ansatzbereich der Strahlbeinbänder kann es durch Zerrung und Dehnung zu röntgenologisch sichtbaren Knochenzubildungen kommen (HERTSCH et al. 1982).

Diese Veränderungen treten hauptsächlich am Ligamentum distale impar als schalenförmige Apposition von Knochengewebe am Margo distalis des Strahlbeins auf, wodurch die Facies flexoria nach distal verlängert erscheint (TOTH 1989). Auch im proximalen Insertionsbereich des Fesselbein-Strahlbein-Hufbein-Bandes kommen breitflächig aufsitzende Exostosen von spongiöser Struktur vor. Die Desmopathie kann dabei zentral am Strahlbeinkörper oder an einem Seitenteil (meist medial) oder an beiden Seitenteilen (meist asymmetrisch) ausgebildet sein.

2.2.1.3STRAHLBEINERKRANKUNGEN MIT HUFGELENKSBETEILIGUNG

Die Hufgelenksentzündung (Podarthritis) ist eine häufige Ursache für Vorderhandlahmheiten und wird dem Podotrochlose-Syndrom zugeordnet (LANGFELD und HERTSCH 1988). Im Zusammenhang mit Podotrochlose sind unter anderem entzündliche Veränderungen an der Synovialmembran des Hufgelenks mit Hyperplasie und Hypertrophie des Stratum synoviale und vermehrt vorkommenden

Synoviadeckzellen beschrieben (RIJKENHUIZEN et al. 1989, DROMMER et al.

1992). Durch die Synovialitis kommt es zu verstärkten exsudativen Vorgängen am Stratum synoviale, einem Gelenkerguss und zur Steigerung des Gelenkinnendrucks (MC CARTY et al. 1966, JAYSON und DIXON 1970). Nachfolgend können am distalen Rand des Strahlbeins Deformationen der Canales sesamoidales entstehen.

Bei sehr starker Deformation kann es zu Einbrüchen an der Facies flexoria und zu dem unter Podotrochlose (s.o.) beschriebenen Krankheitsbild kommen (HERTSCH et al. 1982).

2.2.1.4ÄTIOLOGIE UND PATHOGENESE

Die drei Erscheinungsformen des Podotrochlose-Syndroms werden durch drei unterschiedliche Ätiologien erklärt (HERTSCH 1999):

1. Adaptationstheorie: Das Strahlbein unterliegt während der Bewegung einer starken mechanischen Belastung, der es sich durch Adaptionsvorgänge anpasst.

Reicht der Grad der Adaptation nicht aus, führt dies zur Entstehung einer Podotrochlose. Hierzu wird bereits die Entstehung der Ernährungslöcher am distalen Strahlbeinrand gezählt. Steigt die mechanische Belastung weiter, kann dies zu einer chronischen Traumatisierung des Strahlbeins mit Zerstörung von Mikrostrukturen führen. Wenn die Regenerationsfähigkeit und das Adaptationsvermögen des Knochens ausgeschöpft sind, kann es zur Ausbildung von Defekten im Sinne einer Podotrochlose kommen (WINTZER 1964, DÄMMRICH et al. 1983, DOIGE und HOFFER 1983).

2. Ischämietheorie: Im Bereich der Arterien der Zehe können relativ häufig Obliterationen und Stenosen festgestellt werden. FRICKER et al. (1982) sowie FRICKER und HAUSER (1984) stellten die Hypothese auf, dass diese einen prädisponierenden Faktor für die Entstehung einer Podotrochlose darstellen.

COLLES und HICKMANN (1977) nennen eine Thrombose oder Endarteriitis der distalen nutrifizierenden Strahlbeinarterien als eine mögliche Ursache. Es kommt zu

einer Minderdurchblutung des Knochens und als Folge zu ischämischer Nekrose und zentralem Einbruch an der Facies flexoria.

Bei Pferden mit Strahlbeinerkrankungen sind nachweislich die distal in das Strahlbein eintretenden Arterien in Anzahl, Länge und Durchmesser verringert (RIJKENHUIZEN 1990). Jedoch konnten durch die experimentelle Unterbrechung der versorgenden Arterien keine für Podotrochlose typischen klinischen oder radiologischen Veränderungen hervorgerufen werden. Vielmehr besitzt das gesunde Strahlbein ein komplexes Arteriennetz und kann eine ischämische Unterversorgung zunächst ausgleichen. Erst der komplette Verlust der arteriellen Versorgung des palmaren Bereichs führt demnach als begleitender Faktor, nicht jedoch als alleinige Ursache zum Podotrochlose-Syndrom (RIJKENHUIZEN 1990, OSTBLOM et al. 1982, POULOS et al. 1983, ROONEY 1983).

3. Drucktheorie: Eine Strahlbeinerkrankung mit Beteiligung des Hufgelenks wird mit Hilfe der Drucktheorie erklärt.

Mithilfe einer intraartikulären Messsonde kann der im Hufgelenk herrschende Druck bestimmt werden. Durch einen erhöhten Gelenkinnendruck kann es zur Kompression der venösen und arteriellen Gefäße am Margo distalis des Strahlbeins kommen.

Nach HERTSCH (1999) ist der Gefäßverschluss somit nicht als Ursache sondern als Folge der Podotrochlose zu werten.

Als primäre Ursache für den erhöhten Gelenkdruck werden eine chronische Reizung der Synovialmembran, veränderte viskoelastische Eigenschaften der Synovia und eine vermehrte Füllung des Hufgelenks angenommen (HERTSCH 1999). Das Maß des Druckanstiegs korreliert dabei direkt mit dem Grad der Schmerzhaftigkeit. Der erhöhte intraartikulärer Druck bedingt einen erhöhten peripheren Gefäßwiderstand im Bereich der distalen Gliedmaße und führt zu Stauungen im Strahlbein selbst (HERTSCH und MAAß 2009). Die Canales sesamoidales an Strahlbeinen erkrankter Pferde weisen häufig erhebliche Verformungen und Erweiterungen auf (WILKINSON 1952, PFEIFFER 1962, WINTZER 1964, DIK et al. 1978). Es wird vermutet, dass die

Deformation der Canales sesamoidales durch die wiederholt mit hohem Druck in die Canales gepresste Synovia verursacht wird (HERTSCH et al. 1983, HERTSCH und STEFFEN 1986, SCHÖTT 1989).

Die knöchernen Veränderungen, die am erkrankten Strahlbein auftreten, beschreibt MEIER (1993) als eine zentrale Sklerosierung der Spongiosa. Während der Remodellierung des Knochens kommt es zu einer ansteigenden Dichte und Kalzifizierung der ursprünglich locker strukturierten Knochenbälkchen. Die Knochentrabekel verdicken sich und werden von myelofibrotischem Gewebe umgeben. Mit Fortschreiten der Erkrankung geht das schwammartige Grundmuster des Gewebes verloren und weicht einer hochgradigen Sklerosierung und Verkalkung.

Als Ursache der Insertionsdesmopathie werden von TOTH (1989) sowohl eine einmalige, die physiologische Grenze deutlich überschreitende Krafteinwirkung als auch eine sich wiederholende Zugbelastung unterschiedlicher Stärke genannt, die zu einer Überdehnung oder zu einem Riss der Sharpey-Fasern führt. Diese in den Knochen eingebetteten Fortsetzungen der kollagenen Fasern verknüpfen das Band mit dem Knochen und es kommt während der Reparaturvorgänge am Übergang zwischen Knochen und Band zur Bildung periostaler Exostosen.