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Phänomenologie der Wahrnehmung: Das implizite Gedächtnis und die reine

Im Dokument "Verschiedene Arten zu sein." (Seite 75-82)

II. Künstler_innenteil: Maria Lassnig – Christoph Schlingensief – Anahita Razmi: Die

II.1. Maria Lassnig: leibliche Pluralität

II.1.1 Phänomenologie der Wahrnehmung: Das implizite Gedächtnis und die reine

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II. Künstler_innenteil: Maria Lassnig – Christoph Schlingensief –

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ihrer Kunst. Mit dem Fokus auf ihrem Spätwerk ab den ausgehenden 1990er Jahren,304 kann an dieser Stelle vorweggenommen werden, dass ihr durch Kreuzung von Innen- und Au-ßenwahrnehmung eine veritable Ganzheitlichkeit in der Selbstdarstellung gelingt.305 Ganz dem Anspruch einer realistischen Momentaufnahme des eigenen Ichseins verschrieben, schneiden sich sensorische und mentale Realitäten auf einem Materialgrund und bilden zusammen eine umfassende Dokumentation der Verankerung der Künstlerin im Hier und Jetzt.

Übertragen formuliert repräsentiert der mathematische Koordinatenursprung als Schnitt von x-Achse (sensorischer Innenperspektive) und y-Achse (mentaler Außenperspektive) in Lassnigs künstlerischem Koordinatensystem den eigenen Leib der Künstlerin. Die derartige Identifizierung des Leibes als „den Nullpunkt eines orientierten Raums […], deren Koordina-ten er selbst entwirft und permanent durch jede seiner Bewegungen verlagert“306 korres-pondiert mit den Theorien Edmund Husserls. Ferner kann konstatiert werden: „Hier und Jetzt, Oben und Unten, Rechts und Links wären ohne den leiblichen Nullpunkt, der sie ortet, leere Worthülsen.“307 Diese „Nullerscheinung“308 bildet somit das „Orientierungszent-rum“309 des individuellen Weltzuganges und schafft damit die Grundlage für die Konstrukti-on des Thomas Metzinger´schen „Ego-Tunnel[s]“310, welcher als zugeschnittene Realitätser-fahrung die äußere Welt in Bezug auf die körperliche Verfasstheit des Individuums hin fil-tert.

Gleichzeitig kann der Leib in Lassnigs Werk nicht nur als Nullpunkt und Entstehungsort be-ziehungsweise Ausgangspunkt ihres Kunstschaffens beschrieben werden, gilt er auch als Zentrum ihrer malerischen und zeichnerischen Auseinandersetzung mit dem Paradoxon von Körpersein und Körperhaben. Helmuth Plessner theoretisiert anhand dieser Begrifflichkei-ten die beiden Seinsmodi von unreflektierter und instinktbasierter Gegenwartspräsenz und reflektierter Instrumentalisierung des Körpers. Dieser ist, mit Husserl gesprochen, ein „Wil-lensorgan […], das einzige Objekt, das für den Willen meines reinen Ich unmittelbar spontan

304Zum „Alterswerk“, siehe II.1.4

305 So auch: Schuemmer, Silke Andrea: Das bewohnte Körpergehäuse. Die introspektive Methode der Maria Lassnig, Hamburg 2014 (Diss.), S. 137.

306 Alloa, Emmanuel/Depraz, Natalie: Edmund Husserl „Ein merkwürdig unvollkommen konstituier-tes Ding“, in: Alloa, Emmanuel u.a. (Hg.): Leiblichkeit. Geschichte und Aktualität eines Konzepts, Tübingen 2012, S. 7-22, S. 21.

307 Alloa/Depraz 2012: S. 21.

308 Husserl 1973a: S. 510.

309 Husserl 1952: S. 158.

310 Metzinger 2014

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beweglich ist“.311 Plessner differenziert an dieser Stelle jedoch genauer, sodass konstatiert werden kann, dass neben der Beherrschung und Verfügungsgewalt über den eigenen Kör-per, „der Mensch bezüglich seiner Körperorganisation ein Tier bleibt“312. So ist auch der Mensch an einen Schlaf-Wach-Rhythmus, an Instinkte und schließlich an die faktische Ma-terialität des eigenen Körpers gebunden: „Die Tatsache, dass ich ein Körper bin [sic!], ver-unmöglicht es mir, hier und gleichzeitig woanders, jetzt und gleichzeitig gestern oder mor-gen zu sein.“313 Der entscheidende Unterschied zur animalischen Ausrichtung bildet, entge-gen deren zentrischer Körperangebundenheit, die exzentrische Position der Selbstreflexion.

Damit ist „[d]er Mensch ist in der Lage, sich seiner Zentriertheit bewusst zu werden (Hier-Jetzt-Bindung des Erlebens) und steht gleichzeitig durch die Frontalstellung zu sich selbst […] nicht mehr im Hier-Jetzt, sondern ist ortlos geworden.“314 Mit anderen Worten ist der Mensch einerseits untrennbar ein impulsgeleitetes Körperwesen und andererseits zugleich ein rationaler äußerer Analyst in Distanz zu sich. Damit verfügt der Mensch über die zusätz-liche Ressource, nicht nur sein Körper zu sein, sondern diesen instrumentell einzusetzen und darüber hinaus reflektieren zu können. Plessner zufolge „lebt und erlebt [der Mensch]

nicht nur, sondern er erlebt sein Erleben.“315 Auch diese beiden Modi bilden die Achsen eines zweiten künstlerischen Koordinatensystems, welches sich demzufolge aus den Para-metern von intentionalem und reflexivem Sein speist. Lassnig beschreibt, vor dem Hinter-grund der Auseinandersetzung mit der Unterwerfung und dem Untworfenseins des eigenen Körpers, das Spannungsfeld von Selbstwahrnehmung in Form eines inneren Gewahrwer-dens und der aktiven Transformation dessen in eine materielle Selbstdarstellung unter dem Einfluss mentaler Prägungen.

Genau an dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass hierbei nicht der überkommene316 Dualismusgedanke von Geist und Körper thematisiert wird. Vielmehr ist es das Konzept der Homolokie, welches an dieser Stelle zum Tragen kommt. Wie die beiden Eingangszitate bezüglich des Œuvres von Lassnig es nahelegen, müssen die Arbeiten der Künstlerin im Kontext der Homolokie von Körperlichkeit in Anschluss an Jörg Michael Kastl insbesondere

311 Husserl 1952: S. 151-152.

312 Haag, Hanna: Das Gesicht als Gedächtnis des Körpers eine soziologische Spurensuche, in: Hein-lein, Michael u.a. (Hg.): Der Körper als soziales Gedächtnis, Wiesbaden 2016, S. 49-57, S. 52.

313 Gugutzer, Robert: Soziologie des Körpers, Bielefeld 2004, S. 147.

314 Haag 2016: S. 52.

315 Plessner, Helmuth: Gesammelte Schriften. Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einlei-tung in die philosophische Anthropologie, Bd. 4, hg. von Günter Dux, Odo Marquard und Elisabeth Ströker, Frankfurt a. Main 1981, S. 364.

316 Dimbath, Oliver/Heinlein, Michael/Schindler, Larissa: Einleitung: Körper und Gedächtnis Per-spektiven auf Zeichnungen der Vergangenheit und inkorporierte Verhaltensorientierungen, in: Hein-lein 2016, S. 1-16, S. 1.

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im „Spannungsverhältnis von Phänomenologie, Körpersoziologie und (neurowissenschaftli-cher) Gedächtnisforschung“317 untersucht werden. Konkret geht es darum, dass die ge-nannten Achsen von Außenwahrnehmung und Innenwahrnehmung beziehungsweise In-strumentalisierung und Intentionalität lebensweltlich in dieser Reinform nicht existieren.

Mit Lassnigs eigener Terminologie gesprochen, können die mentalen „Vorstellungsbilder“318 und die somatisch evozierten Bilder von „Empfindungen“319 nicht dauerhaft monologisch dargestellt werden, um dem Anspruch der umfassenden Selbstdarstellung, des ganzheitli-chen Ichseins und -fühlens in seiner Totalität beizukommen. Den Versuch der Konservie-rung von Binarismen, dem sich Lassnigs „Totalporträts“ entgegenstellen, schmettert auch die aktuelle Erkenntnislage in der medizinischen Forschung ab. Hier fungiert der Körper nicht nur als reiner Gefühlsapparat, sondern agiert auch als autonomer Gedächtnisspeicher und Entscheidungsträger. Gerade unter dem Schlagwort des „Darmhirn[s]“320 wurde in jün-gerer Vergangenheit die Dezentrierung des Bewusstseins und der Entscheidungsgewalt vom ehemaligen Denkmonopol des Gehirns auf andere Körperregionen einer breiten Le-ser_innenschaft (populär-)wissenschaftlich zugänglich gemacht. Die damalige Medizinstu-dentin Giulia Enders schlüsselt in ihrem 2014 erschienen Buch Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ auf, wie „Signale aus dem Darm […] in verschiedene Hirnbereiche gelangen [können]“321. Während die Medizinerin klar auf das frühe Stadium der einschlägi-gen Forschuneinschlägi-gen und erst auf den Beginn der „vorsichtig[en]“ Hinterfragung der „absolu-te[n] Führungsstellung des Gehirns“322 verweist, wird in interdisziplinären wissenschaftli-chen Denkfabriken von Neurologie und Soziologie bereits mit konkreten Terminologien operiert. Im Detail unterscheiden die Wissenschaftler_innen in Bezug auf die Gedächtnis-leistung des Menschen das explizite und das implizite Gedächtnis.323

Ersteres basiert auf der veritablen Gehirnleistung und verfügt über die Zeitdimensi-on der Vergangenheit: „[E]xplizites Wissen erfordert einen reflexiven, bewussten Zugriff auf Gedächtnisinhalte in Form der Erinnerung“.324 Dieser Wissenstypus kann auch mit dem Begriff des „Ereignisgedächtnisses“325 beschrieben werden. Das implizite Gedächtnis

bezie-317 Kastl, Jörg Michael: Inkarnierte Sozialität Körper, Bewusstsein, non-deklaratives Gedächtnis, in:

Heinlein 2016, S. 79-98, S. 80.

318 Engelbach, Barbara/Lassnig, Maria: Vorstellungs- und Empfindungsbilder. Auszüge aus Briefen im Kontext der Ausstellungsvorbereitung, in: Kat. Ausst. Siegen 2002, S. 24-29, S. 24.

319 Siehe dazu die Selbstäußerung der Künstlerin in: Engelbach/Lassnig 2002: S. 26-27.

320 Enders, Giulia: Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ, Berlin 2016 [2014], S. 133.

321 Enders 2016: S. 134.

322 Enders 2016: S. 132.

323 Zur Vertiefung, siehe: Fuchs, Thomas: Leib, Raum, Person. Entwurf einer phänomenologischen Anthropologie, Stuttgart 2000 (Diss.), S. 268-269.

324 Haag 2016: S. 54.

325 Haag 2016: S. 49. Zur Vertiefung, siehe: Hahn, Alois: Körper und Gedächtnis, Wiesbaden 2010.

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hungsweise das „Körpergedächtnis“326 zeichnet sich durch alleinigen Gegenwartsbezug aus, zumal „[d]as implizite Wissen […] in den Körper eingeschrieben“327ist und somit „die Ver-gangenheit […] nicht mehr erinnert werden [muss] – sie hat sich in reine Gegenwart ver-wandelt“328. Hinsichtlich des beschriebenen Verhältnisses von Unterwerfung und Unterwor-fensein gegenüber dem eigenen Körper kann an dieser Stelle mit den Worten Hanna Haags konstatiert werden: „Körper-Haben wird hier mit Vergangenheit-Haben gleichgesetzt: als Subjekt stehe ich mir in der Außenperspektive selbst gegenüber und reflektiere über meine Vergangenheit. Im Leib-Sein […] sind wir hingegen unsere Vergangenheit, können uns ihrer jedoch nicht bemächtigen, sondern gehen in ihr auf.“329

Eine interessante Spezifikation formuliert an dieser Stelle Kastl, indem er den Be-griff der „non-deklarative[n] Gedächtnisleistungen“330 einführt. Damit erfasst er jenseits des instinktbasierten Impulshandelns eine weitere einzig körpereigene Kompetenz, das „Ge-dächtnis ohne Erinnerung und Plan.“331 Konkret bezieht sich Kastl auf Körperbewegungen als „ein Wirksamwerden vergangener Erfahrung, von Lernen, Training in der Gegenwart, das zugleich Antizipation von Zukünftigem ist, ohne dass auf bewusste Erinnerungen und Erwartungen zurück gegriffen wird“332. Diese werden insbesondere in sozialen Kontexten wirkkräftig respektive dort vorher erworben.333 Kastl führt in Rekurs auf weitere For-schungsliteratur hierfür Alltagsfertigkeiten wie Radfahren, den diffizilen Prozess des Trin-kens aus einem (Sekt-)Glas, das Spielen eines Instruments oder den Korbwurf im Basketball auf. Diese Tätigkeiten sind gerichtet und ursprünglich nicht intentional, „[a]ber sie erfor-dern im Detail keine Erinnerung und keinen Entwurf.“334 Diese in ihren Einzelschritten un-bewussten und kaum zu verbalisierenden Fertigkeiten unterscheiden sich deutlich von de-klarativen Leistungen, die ein aktives Wissen und Erinnern und eine bewusste Thematisie-rung des Sachverhalts erfordern. „Erwerb, Konsolidierung und `Abruf´ [sic!] von nicht-deklarativ Erlerntem dagegen (das, was [sic!] man kann) besteht in der praktischen Bewäl-tigung spezifischer situativer Anforderungen.“335

326 Haag 2016: S. 49.

327 Haag 2016: S. 54.

328 Fuchs 2000: S. 318.

329 Haag 2016: S. 54-55.

330 Kastl 2016: S. 97.

331 Kastl 2016: S. 82.

332 Kastl 2016: S. 82.

333 Kastl 2016: S. 82.

334 Kastl 2016: S. 82.

335 Kastl 2016: S. 94.

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Neben diesen unbewussten non-deklarativen Gedächtnisleistungen sei abschließend noch kurz auf eine weitere, ebenfalls nicht per se reflektierte, passive Körperspezifik verwiesen:

das Körperschema. Dieser aus der Neuro- und Wahrnehmungspsychologie stammende Begriff bezeichnet die „kognitive Repräsentation des eigenen Körpers“336. Anders als das Körperbild337 setzt sich das Körperschema aus verschiedenen „senso-motorischen Erfah-rungen mit dem eigenen Körper“338 zusammen. Nach Barbara Wichelhaus handelt es sich dabei um eine „allgemeine Vorstellung des Subjektes auf der Basis seiner Körperor ientie-rung“339. Damit ist das Körperschema „unbewusste, vorbewusste und bewusste Körper-wahrnehmung und […] bezieht sich auf den Körperbau, die Funktionen rechts-links, die Körperausdehnung (Größe, Volumen), aber auch auf kognitive und perzeptive Leistun-gen.“340 Anwendung erfährt dieses implizite Wissen in zahlreichen Alltagssituationen, beim Durchgang durch eine niedrige Tür, dem (seitlichen) Passieren einer Engstelle oder dem Einschätzen des eigenen Gewichts beim Klettern oder der Körperkraft bezüglich des Tra-gens von GeTra-genständen. Auch hier kommen Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Vergan-genheit zum Tragen, die in der unmittelbaren Gegenwart unhinterfragt zur Körperreaktion beitragen.

Es bleibt zu ergänzen, dass im Vorausgegangenen die Begriffe Körper, Leib, Eigenleib nicht trennscharf voneinander abgegrenzt wurden, zumal ihre Definitionen oftmals je nach ihrer Denkschule minimal bis stark voneinander abweichen. Die Schwierigkeit einer Vereinheitli-chung der Terminologien deutet auch Bernhard Waldenfels in seiner Beschreibung von

„Leiblichkeit“ an: Diese „bildet im Getriebe des Lebens etwas wie eine Unruh, und dies auf Grund einer inneren Ambiguität, einer Verdopplung [sic!] in fungierenden Leib und Körper-ding, in Leibseele und Leibkörper, in Leibsein und Körperhaben, in Subjektleib und Objekt-leib, oder wie immer man diesen Doppelcharakter bezeichnen mag.“341 Regelrecht kapitu-lierend äußert sich diesbezüglich Hans Belting bezüglich des „Körper[s], den ich hier mit einem Pauschalbegriff einführe, wenngleich ich weiß, wie problematisch sein Begriff in der heutigen Wissenschaft geworden ist.“342 Im Folgenden wird sich der pointierten Synthese

336 Schwarz, Henriette: Künstlerische Impulse des 20. Jahrhunderts und ihre Adaption durch Inter-ventionen der Kunsttherapie, Freiburg i. Breisgau 2013 (Diss.), S. 26.

337 Die Thematik des Körperbildes wird angesichts des Fokus der vorliegenden Arbeit nicht weiter ausgeführt. Zur Vertiefung, siehe: Schwarz 2013 sowie die dort weiterführende Literatur.

338 Schwarz 2013: S. 26.

339 Wichelhaus, Barbara: Körper, Körperwahrnehmung, Körpererfahrung, in: Kunst und Unterricht.

Zeitschrift für Kunstpädagogik vereint mit Kunsterziehung, Heft 202, 5/1996, S. 15-20, S. 16.

340 Schwarz 2013: S. 27.

341 Waldenfels 1994: S. 465.

342 Belting 2011: S. 57.

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Jörg Sternagels nach Waldenfels angeschlossen, welcher „zwischen Leib [sic!] als Gesamt-heit des Selbst und Körper [sic!] als Materialität des Leibes“343 unterscheidet.344

Angesichts dieser Überfülle an Begriffen, die hier nur ausschnittweise angedeutet werden konnten, und der gleichzeitigen Sprachlosigkeit angesichts ihrer tatsächlichen lebensweltli-chen Entsprechungen und Wirkungen, erscheint Lassnigs Kunst wie ein Ausweg aus der Inhaltsleere der sprachlichen Überbauten. Dieses Defizit konstatiert auch David Espinet:

„Der Leib ist auch dies: ein Ort der unkontrollierbaren Widerfahrnisse am Rande der Spra-che.“345 Lassnigs Bilder hingegen machen die bislang verbal unbeschreibbare346 Facetten-haftigkeit des Nullpunktes, die hier mit dem Begriff der Homolokie erstmals versprachlicht wird, fassbar. Indem sie sich auf Entdeckungsreise des unbekannten Kontinents macht, ver-leiht sie dem Leib Sichtbarkeit und führt am eigenen Beispiel vor, wie Innen und Außen, Empfindung und Vorstellung sowie Impuls und Inkorporation ineinandergreifen. Gerade im Spätwerk zeigt sich ihre Toleranz gegenüber der eigenen Vielstimmigkeit, Vielgestalt und des Facettenreichtums. Die latent homoloke Verfasstheit des Individuums, die Lassnig in zahlreichen künstlerischen Momentaufnahmen festhält, ist untrennbar mit dem spätmo-dernen Anspruch der Simultaneität des gesellschaftlich Inkongruenten verbunden und da-bei jedoch stets gebündelt unter dem eigenen Anspruch eines ganzheitlichen Realismus-denkens in inhärenter wie externalisierter Bildform.

343 Sternagel, Jörg: Bernhard Waldenfels Responsivität des Leibes, in: Alloa 2012, S. 116-129, S. 119.

344 Zur weiteren Vertiefung im vorliegenden Arbeitskontext, siehe: Vogelsang, Frank: Identität in einer offenen Wirklichkeit. Eine Spurensuche im Anschluss an Merleau-Ponty, Ricoeur und Walden-fels, Freiburg/München 2014.

345 Espinet, David: Martin Heidegger Der leibliche Sinn von Sein, in: Alloa 2012, S. 52-67, S. 65.

346So auch Antonia Hoerschelmann bezüglich Lassnigs Arbeiten: „Der Dialog wird auf unterschiedli-chen Ebenen geführt, zwisunterschiedli-chen der Innen- und der Außenwelt, zwisunterschiedli-chen Sichtbarem und Spürbarem, zwischen Realismen und abstrahierten Formfindungsprozessen als Metaphern für das Unvermittel-bare, sprachlich nicht Fassbare.“

Hoerschelmann, Antonia: Ja ja aber sowieso nein. Zu den Zeichnungen und Aquarellen von Maria Lassnig, in: Maria Lassnig Zwiegespräche. Retrospektive der Zeichnungen und Aquarelle, Ausstel-lungskatalog Albertina Wien, hg. von Antonia Hoerschelmann und Anita Haldemann, München 2017, S. 10-22, S. 22.

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II.1.2 Körpersein und -haben sowie Eigen- und Fremdsein: Ein Exkurs in die

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