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3. Niedersächsische Ackerbaustrategie

3.5 Pflanzenzüchtung und Sorte

Ausgangssituation

Der biologisch-technische Fortschritt in der Pflanzenproduktion wird maßgeblich durch neue Sorten, d. h. züchterischen Fortschritt, erreicht. Die Pflanzenzüchtung hat daher eine besondere Bedeutung für die Weiterentwicklung des Ackerbaus. In den letzten Jahrzehnten konnten durch den züchterischen Fortschritt eine Ertragssteigerung und eine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegenüber biotischem und abiotischem Stress erreicht werden. So sind aktuell Kulturpflanzen mit hohen Toleranz-, Resistenz- und Qualitätseigenschaften verfügbar. Im integrierten Pflanzenschutz spielen resistente und tolerante Sorten insbesondere auch für Schadursachen, die nicht anders bekämpft werden können, eine bedeutende Rolle, um die Erträge im Ackerbau zu sichern.

In Niedersachsen gibt es im Vergleich zu anderen Bundesländern eine sehr hohe Konzentration an Züchtungsunternehmen, die z. T. auch international führend sind. Diese Züchtungsunter-nehmen sind für die Weiterentwicklung des Ackerbaus wichtig und haben in Niedersachsen gleichzeitig eine herausragende strukturpolitische Bedeutung für die Entwicklung des ländlichen Raumes.

Eine züchterische Entwicklung von leistungsfähigen Sorten ist kontinuierlich erforderlich, da Umwelt- und Anbaubedingungen dynamisch Änderungen unterliegen. Die durch Züchtungs-unternehmen entwickelten Sorten erhalten über das Bundessortenamt nach Evaluierung in einer bundesweiten Wertprüfung eine Zulassung im Rahmen des landeskulturellen Wertes

(§ 34 Saatgutverkehrsgesetz – SaatG; Landeskultureller Wert). Dieses System muss sicherstellen, dass Zulassungen auch kurzfristig regionale Bedarfe mit leistungsfähigen Sorten bedienen und der landwirtschaftlichen Praxis Sorten mit erforderlichen Eigenschaften zur Verfügung stellen.

Dem Bundessortenamt kommt hierbei als neutraler Institution mit wissenschaftlicher Kompetenz eine hohe Bedeutung zu.

Ziele und Zielkonflikte

Um den züchterischen Fortschritt weiter zu fördern, sind moderne und innovative Züchtungs-techniken erforderlich. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass für diese neuen Züchtungstechniken hinsichtlich der Zulassung von Sorten dieselbe Rechtsgrundlage gelten muss wie bei gentechnisch veränderten Sorten. Dadurch kommt es im internationalen Vergleich zu einer erheblichen Verzögerung innovativer Ansätze für die Praxis, z. B. mit der Folge, dass eine mögliche Reduktion des Einsatzes von chemischen Pflanzenschutzmitteln nicht erfolgen kann.

Niedersachsen wird deshalb eine weitere Diskussion im Bund und in der EU anregen, um den regulatorischen Umgang mit diesen neuen Verfahren erneut zu prüfen und Rechtssicherheit im Umgang auch mit Handelswaren zu erreichen. Dabei wird die Akzeptanz von neuen Züch-tungsmethoden im ökologischen und konventionellen Anbau differenziert gesehen. Insbesondere im ökologischen Landbau gibt es Stimmen, die aufgrund eines möglichen Missbrauchsrisikos die Etablierung von neuen Züchtungstechnologien ablehnen. Es wird deshalb vorgeschlagen, eine ge-trennte Betrachtung entsprechend gezüchteter Sorten für den konventionellen und ökologischen Anbau vorzusehen.

Für die nachhaltige Sicherung der Erträge sollten bei der Sortenwahl für den Anbau vorzugs-weise die Toleranz- oder Resistenzeigenschaften gegenüber wichtigen standorttypischen

Schad-organismen berücksichtigt werden. Im Ackerbau in Niedersachsen ist der Getreideanteil in der Fruchtfolge, insbesondere von Weizen, gestiegen. Somit sind besonders stoppelsaatverträgliche Sorten notwendig, die hohe Erträge und Qualität vereinen und gleichzeitig noch gesund sind.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Krankheitserreger teilweise hoch variabel sind und vermehrt die Bildung resistenzbrechender Rassen beobachtet werden kann. Durch agronomische Maß-nahmen sollte deshalb versucht werden, die Sortenresistenz möglichst lange nutzen zu können.

Dazu sollten spezifische Managementstrategien aufgebaut und gezielt beraten werden, z. B. die stärkere Nutzung der Sortenvielfalt und des breiten genetischen Hintergrunds, um die „Boom- and-Bust-Zyklen“ zwischen Sorte und Erregerpopulation abzuschwächen.

Um den züchterischen Fortschritt gezielt zu nutzen, ist eine objektive, situations- und stand-ortspezifische Beratung, die sich auf mehrjährige Leistungskennzahlen stützt, essenziell. Diese Informationen müssen in eine unabhängige Sortenberatung einfließen und regional spezifische Aspekte berücksichtigen. Dabei stützt sich die Sortenberatung häufig auf die Ertragsleistung von Sorten. In der Beratung ist aber zukünftig ein stärkerer Ausgleich zwischen ökonomisch und ökologisch sinnvollen Maßnahmen zu fordern. Dazu muss der Wissenstransfer in die landwirt-schaftliche Praxis weiter unterstützt und ausgebaut werden. Da nicht für alle Eigenschaften valide Zahlen/Informationen vorliegen, ist es schwierig, diese in der Beratung zu berücksichtigen.

Das unabhängige Prüfwesen ist deshalb zu stärken und die Nutzung innovativer Informations-ebenen zu fördern. In der Beratung sind die Kapazitäten der Landwirtschaftskammer und der Beratungsringe auszubauen. Ferner bietet sich auch hier der Aufbau von Leuchtturmprojekten und Beispielbetrieben an, um die relevanten Aspekte zu erproben und zu demonstrieren.

Sorten sind durch ihre wertbestimmenden Eigenschaften charakterisiert. Der Katalog dieser Werteigenschaften muss grundsätzlich kontinuierlich überprüft und bei Bedarf angepasst werden, z. B. ist bei Raps und Getreide die Anzahl der geprüften Merkmale und Informationen aus der Bundessortenliste nicht immer ausreichend für eine umfangreiche Sortenberatung. Im Vordergrund stehen dabei Toleranz-, Resistenz-, Ertrags- sowie Qualitätseigenschaften, aber auch die Nährstoffaneignung oder Konkurrenzfähigkeit gegenüber Unkräutern ist relevant. Schließ-lich gilt es, ein schnelles Entscheidungssystem im Austausch der Beteiligten (Bundessortenamt, Züchter, Offizialberatung, landwirtschaftliche Praxis) zu errichten, um auf besondere Situationen reagieren zu können, z. B. das Auftreten invasiver Arten, neuer Schaderreger oder extremer Wit-terungssituationen. Ferner sollte für die Weiterentwicklung der Wertprüfung und der Landessor-tenversuche der fachliche Austausch zwischen Bundessortenamt und Institutionen auf Landes-ebene für eine unabhängige Beschreibung der Sortenleistung gestärkt werden.

Im Rahmen einer vielfältigen Fruchtfolge gilt es, neue Kulturarten und auch alte weniger übliche Kulturarten zu integrieren (z. B. Leguminosen, Urgetreide Emmer, Dinkel, Buchweizen, Flachs). Diese Kulturarten sind züchterisch oft wenig bearbeitet und bringen daher geringere Toleranz-, Resistenz- und Ertragseigenschaften mit. Für eine erfolgreiche Etablierung muss neben geeigneten Absatzwegen (siehe Kap. 3.7 Ökonomie) auch eine züchterische Entwicklung von leistungsfähigen Sorten unterstützt werden. Interessant ist es auch, für Aspekte der Biodiversi-tät und eines nachhaltigen Pflanzenschutzes Sortenmischungen/Artenmischungen im Anbau zu untersuchen und ggf. nutzbar zu machen, wofür gezielte Versuche erforderlich sind. Diese neu-en Artneu-en und Anbausysteme könnneu-en aber nur zum Erfolg führneu-en, wneu-enn Erfahrungneu-en im Anbau über geeignete Beratungsstrukturen an die Praxis übermittelt werden.

trägt auch zum Erhalt der genetischen Vielfalt bei und spielt in Niedersachsen durch die vielen leistungsfähigen kleinen und mittelständischen Züchtungsunternehmen, oft in Kooperation mit ebenfalls in Niedersachsen ansässigen Forschungseinrichtungen, eine wichtige Rolle. Auch ist die gezielte Züchtung von Sorten für den ökologischen Anbau zu fördern. Die relevanten Merk-male und Schwerpunkte unterscheiden sich hier teilweise von MerkMerk-malen von Sorten für den konventionellen Anbau, z. B. schnelle Blattentwicklung zur Unterdrückung von Unkraut. Eine gezielte Förderung entsprechender Züchtungsaktivitäten ist durch das Land anzustreben.

Die Entwicklung von neuen Sorten für den konventionellen und ökologischen Landbau kann auch durch digitale Technologien weiter gefördert und beschleunigt werden. Als Flaschenhals in der Pflanzenzüchtung wird die Phänotypisierung angesehen. Unter der Phänotypisierung ver-steht man die Beschreibung von Leistungsmerkmalen eines Genotyps/einer Sorte in einer be-stimmten Umwelt. Dieser Prozess wird meist händisch/visuell sehr zeit- und kostenintensiv durch Experten durchgeführt. Potenziale, aber auch Grenzen müssen überdacht und erforscht werden.

Die Entwicklung von Sensoriklösungen, z. B. Kameratechnologien und Drohnen-/Robotiklösun-gen, soll weiter gefördert werden, um diesen Vorgang zu unterstützen und zu beschleunigen.

Darüber hinaus wird ein großes Potenzial gesehen, Entscheidungshilfen für die Sortenwahl über digitale Applikationen wissensbasiert zu unterstützen und nutzbar zu machen. Hierfür existiert hoher Forschungsbedarf und darauf aufbauend ein gezielter Wissenstransfer in Beratung und Praxis.

Maßnahmen

• neue Züchtungstechniken unterstützen und Rechtssicherheit für deren Einsatz erreichen

• Sortenwahl stärker auf Toleranz- oder Resistenzeigenschaften ausrichten

• Sortenberatung und unabhängiges Prüfwesen weiter stärken

• wertbestimmende Eigenschaften von Sorten kontinuierlich überprüfen; Entscheidungs- systeme für besondere Situationen im Anbau etablieren und Austausch zwischen dem Bundessortenamt und der Landwirtschaftskammer Niedersachsen stärken

• Züchtungsaktivitäten für neue Kulturarten und Nischenkulturen gezielt fördern und schnellen Züchtungsfortschritt unterstützen

• Züchtung von Sorten für den ökologischen Anbau fördern

• digitale Technologien zur Phänotypisierung und Entscheidungshilfe bei der Sortenwahl durch Forschung und Wissenstransfer fördern

Wertprüfungen und Landessortenversuche sind die Basis für eine unabhängige Sortenberatung.

Foto: Fachbereich Versuchswesen Pflanze, LWK

Foto: Matthias Benke, ML