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Perspektivische Betrachtungen im Überblick

3 .3 .1 Die österreichische Literatur bis 1918

Die Bukowina befand sich an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert in einem beachtlichen Aufholprozess. Seit der Erlangung der Autonomie als Kronland bzw.

Herzogtum (1848) und der Eröffnung des ersten Landtages (1861) hatte v. a. die Ge-bietshauptstadt Czernowitz eine bemerkenswerte Entwicklung zurückgelegt. Eine Ent-wicklung, die bewusst auch mit dem Entstehen einer gewissen Regional- oder Lan-desidentität verbunden war. Die 1875 gegründete Franz-Josephs-Universität mit einem griechisch-theologischen Lehrstuhl, einer Kanzel für rumänische und ukrainische Spra-che strahlte bald weit über die eigentliSpra-chen Grenzen des Kronlandes aus. An der Uni-versität bildete sich mit dem Lehrstuhl für österreichische Geschichte (seit 1875)45 – wie auch in anderen Teilen Cisleithaniens – besonders unter R. F. Kaindl (seit 1905 ordent-licher Professor an der Universität Czernowitz) ein klarer Schwerpunkt der Landes-kunde, aus dem zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte der Bukowina hervor-gingen.46 Das Bukowiner Landesmuseum (dessen Nachfolger heute im Gebäude der ehemaligen Religionsfondsverwaltung in der Kobyljans’ka-Straße untergebracht ist) stellte mit seinem Jahrbuch ein wichtiges Kommunikationsorgan für die wissenschaft-liche Erforschung des Kronlandes bereit. Im Umfeld beider Institutionen erwuchs eine Reihe von Gelehrten, die einen Gutteil ihres Schaffens der Geschichte der Bukowina widmeten.47 Der Großteil dieser Arbeiten vertrat einen ausgesprochen pro Österreich-, d. h. pro Habsburg-Kurs und war stets bemüht, die Errungenschaften der österreichi-schen Herrschaft in der Bukowina herauszuheben. Eine Linie, an die sichtbar auch die spätere (nach 1918 erschienene) Literatur aus dem deutschsprachigen Raum über das ehemalige Kronland anknüpft.

3 .3 .2 Die großrumänische Literatur bis 1945

Nachdem die Bukowina 1918 ein Teil Großrumäniens geworden war, begann v. a. wäh-rend der 1930er-Jahre ein nachhaltiger Rumänisierungskurs der Bukarester Regierung, der letztlich zu einem Verdrängen der ‚österreichisch orientierten‘ (deutschsprachigen)

45 Der erste Lehrstuhlinhaber war der gebürtige Brunecker (Südtirol) Ferdinand Zieglauer v. Blumenthal.

46 Vgl. die Arbeiten R. F. Kaindls.

47 Vgl. etwa die Arbeiten von Biderman, Ficker, Polek, Simiginowicz-Staufe, Zieglauer u. a.

Historiker führte. Der Schwerpunkt der universitären und landeskundlichen Forschung verlagerte sich nunmehr auf die Geschichte der Moldau. Sofern es die Bukowina betraf, verwendete man zumeist Termini wie Besetzung oder Befreiung der rumänischen Ge-biete von der habsburgischen Herrschaft. Der ukrainische Bevölkerungsanteil, der laut Volkszählungen bis 1914 die relative Mehrheit bestimmte, geriet durch diese Politik suk-zessive in die Defensive und sah sich im Vergleich zur vorhergehenden Periode erheblich in Nachteil gesetzt. Aspekte des nationalen Befreiungskampfes der Rumänen standen im Mittelpunkt zahlreicher Arbeiten, v. a. bei dem damals führenden Historiker I. Nistor, der viele Jahre den Posten des Rektors der König-Ferdinand-Universität in Cernăuţi be-kleidete und seit 1911 Mitglied der rumänischen Akademie der Wissenschaften war.48 Mit dem Einmarsch der Sowjettruppen im Frühsommer 1940 in der Nordbukowina radikali-sierten sich die Standpunkte weiter. So erarbeitete etwa T. Balan in den Jahren 1933–1943 eine viel beachtete Urkundensammlung zur Geschichte der Moldau/Bukowina, die sich v. a. auf die vor-österreichische Zeit konzentrierte und nach neuen Editionskriterien an-gelegt war.49

3 .3 .3 Die national-ukrainische Literatur nach 1991

Die Politik der gelenkten inneren Öffnung und des propagierten Wandels von M.

Gorbačev seit der Mitte der 1980er-Jahre brachte auch an der Universität von Czernowitz ein zunächst nur vorsichtig geäußertes Überdenken bestehender Doktrinen mit sich. Re-lativ bald schon aber stellten sich für die Situation der Ukraine als Teil der Sowjetunion drängende Fragen nach den ‚weißen‘ Flecken der Geschichtsschreibung, die vorerst die emotionalen Berührungspunkte vieler Menschen betrafen und mit dem Terrorsystem J.

Stalins unmittelbar in Verbindung standen, die die Bukowina allerdings aus der ukrai-nischen Perspektive erst relativ spät (ab 1940, mit Unterbrechung zwischen 1941–1944) betrafen. Dennoch drängten Arbeiten und Aktivitäten zur national (ukrainischen)

Be-48 Vgl. die Schriften Nistors.

49 Balan (1933–1943). Balan kritisiert darin zu Recht die methodisch ungenaue Arbeit von F. A. Wicken-hauser, der allerdings kein ausgebildeter Historiker war. Andererseits merkt man der Arbeit, besonders im Band VI/1943 die apologetisch ausgerichtete Haltung nach dem Verlust der Nordbukowina an: „Dar nici noi Românii nu am prezentat până acum material istoric suficient pentru dovedirea romanităţii Bucovinei“ (Obwohl wir Rumänen bis jetzt nichts präsentiert haben, ist das historische Material ausrei-chend, um den Beweis der ‚Rumänischheit‘ der Bukowina zu führen.), Vorwort Band VI. Ein weiterer Band aus dem Nachlass ist in Bearbeitung. Ein Vergleich zum Urkundenwerk über Tirol von O. Stolz nach 1918 drängt sich hier auf. Stolz (1927–1934).

freiung in den Vordergrund und nicht selten überschritt die Historiographie klar die Grenze zur Geschichtspolitik.50

Thematiken wie der Holocaust auf den von der Wehrmacht und rumänischen Trup-pen besetzten Territorien der Sowjetunion in diesem Raum (Nordbukowina/Bessarabien etc.), die nicht in das neue Geschichtsbild eines entstehenden ukrainischen Nationalstaa-tes einpassbar waren, erfuhren zunächst vor Ort zumeist nur eine Behandlung von ins-titutionell nicht verankerten, selbst in irgendeiner Weise davon betroffenen Personen.51 Daran hat sich bis in die Gegenwart wenig geändert. Zumal kritisch zu beurteilende Nationalhelden wie S. Petljura und S. Bandera, deren Organisationen z. T. maßgeb-lich an der Vorbereitung oder Durchführung von Pogromen an Juden nach dem Ersten und während des Zweiten Weltkrieges beteiligt waren, gleichzeitig aber für eine sowohl vom Deutschen Reich als auch von der Sowjetunion unabhängige Ukraine kämpften, unreflektiert in den Status von Helden erhoben wurden, die zu kritisieren oftmals von vornherein einen Angriff auf die nationale Souveränität darstellt, zumal deren politi-sche Nachfolger immer noch eine gewichtige Rolle spielen.52 Der personelle wie men-tale Generationenschwenk von der sowjetischen über die nationale zur ‚supranationalen‘

Perspektive an den Forschungszentren ist in der Ukraine im Allgemeinen und in Czer-nowitz im Speziellen noch nicht vollzogen. Ein Umstand, der ohne Zweifel auch mit der seit 1991 anhaltend instabilen innenpolitischen – eine wirkliche Reformkontinuität verhindernden – Konstellation zusammenhängt. Parallel dazu existiert für die Bukowina eine ukrainische Exilhistoriographie, die in ihren Ansichten und nicht selten fast schon chauvinistischen Standpunkten extrem einseitige Darstellungen über die Geschichte der Bukowina vertritt.53

Lediglich eine junge Generation von Forschern beginnt sich von diesen Spurrillen zu lösen und greift vermehrt Themen auf, die abseits nationalukrainischer ‚Unvermeid-barkeiten‘ liegen und sich mit dem Raum wie der Gesellschaft in seiner Ganzheit aus-einandersetzen. Die universitäre Geschichtsschreibung, die bis 1991 die Beziehungen der Nordbukowina mit Russland durch die Jahrhunderte sowie die soziale und kultu-relle Entwicklung, den Klassenkampf der Arbeiter und Bauern erforschte, vollzog einen ausgeprägten, national gesinnten Wandel. Die Forschung schränkte sich neuerlich in

50 Vgl. dazu den Artikel von Jilge (2006 u. 2008) und die Arbeit von Niedermüller (1997).

51 Zinger et al. (1991–1996), Al’tman (2002).

52 So ist etwa die Organisation von Bandera, der „Kongress ukrainischer Nationalisten“, Teil der Partei des bis 2010 amtierenden Präsidenten der Ukraine: „Naša Ukraina“ (Unsere Ukraine).

53 Vgl. Žukovs’kyj(1991/1993). Während der Ukrainistikkonferenz in Czernowitz 2003 nahm auch der in Frankreich lebende Žukovs’kijan einer Sitzung über die Bukowina teil und wurde dort als Grand Doyen der Bukowiner Geschichtsschreibung vorgestellt.

zweierlei Hinsicht ein. Einerseits galt es, den jungen Staat historisch zu untermauern und an der Konstruktion nationalen Selbstverständnisses mitzuarbeiten. Andererseits blieb der Raum nach wie vor auf die nördliche, mehrheitlich ukrainische Bukowina, die Černivec’ka Oblast’, beschränkt. Etwa ganz im Gegensatz zur rumänischen, neuen His-toriographie nach 1989 – hier freilich aus anders gelagerten Gründen.

Grundsätzlich anders als in Rumänien54 oder der Republik Moldova55 erfährt die Frage nach dem sowjetischen Einmarsch in die ‚Nordbukowina‘ im Frühsommer 1940 und die damit verbundene offizielle Eingliederung in die Ukrainische SSR wenig Berücksichti-gung in der ukrainischen Historiographie.

Hier scheint die national selektive Wahrnehmung besonders ausgeprägt. Sind in der uk-rainischen Historiographie die angesprochenen sowjetischen Deportationen vom Juni 1941 – kurz vor Ausbruch des Vaterländischen Krieges – zumeist national auf die Ukrainer re-duziert oder zumindest fokussiert –, so bleiben Themen wie das an (rumänischen) Flücht-lingen auf dem Weg in die Südbukowina verübte Massaker der Roten Armee bei Fântâna Albă (Bila Krinicja) ein vorwiegend rumänischen Historikern vorbehaltenes Feld.56

In Bezug auf die österreichische Periode der Bukowina musste die sowjetische, his-toriographische Doktrin57 einer durchaus Österreich-freundlichen ukrainischen Ge-schichtsschreibung ihren Platz abtreten. In der österreichischen Politik (Cisleithanien!) im Rahmen des Herzogtums Bukowina sieht man dabei eine vergleichsweise zum Um-feld (Galizien-Lodomerien, Kaiserreich Russland) der politischen Emanzipation der Ukrainer/Ruthenen förderliche Ausgangssituation. Diese Ansicht spiegelt sich auch in der Rezeption neuerer deutschsprachiger Literatur über die Bukowina in der Ukraine wider. So wird etwa die Arbeit von M. Hausleitner58 zur Rumänisierungspolitik in der Bukowina während der Zwischenkriegszeit von ukrainischen Historikern durchaus posi-tiv gesehen – unterstützt sie doch eigene Ansichten, während rumänische Kollegen dem eher kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Beide Positionen sind aus ihrer spezifischen Lage heraus verständlich, gleichzeitig aber symptomatisch für die Gesamtsituation einer noch kaum vorhandenen, sich gegenseitig wahrnehmenden und miteinander in

Diskus-54 Vgl. Heppner (Hg.) (1997 u. 2000).

55 Vgl. Ungureanu (2002a).

56 Vgl. Căruntu (2004). Auf diese divergierenden historiographischen Wahrnehmungen hat auch Schroeder-Negru (2006) in einem Beitrag zum Aufstand von Tatarbunar 1924 im südlichen, moldau-isch/bessarabisch-ukrainischen Grenzgebiet hingewiesen.

57 Lopatjuk (1971). Der hier zitierte Reiseführer gibt durch seine konzentrierte historische Darstellung in wesentlichen Zügen die z. Zt. der Sowjetunion politisch korrekte Sichtweise über die Geschichte der Bukowina bis zu ihrer Befreiung durch die Rote Armee wieder.

58 Hausleitner (2001).

sion stehenden Historiographie mit dem Ziel einer ausgewogenen, themenbezogenen und nicht national ausschließend-selektiven Forschung eines gemeinsam geprägten und geerbten Kulturraumes, wie ihn die Bukowina verkörpert.59 Die aktuellen Existenzpro-bleme der Bukowina-Institute (Augsburg, Czernowitz und Rădăuţi) stehen damit in ei-nem ursächlichen Zusammenhang. Auch hier blieb eine anhaltende, grenzübergreifende Zusammenarbeit seit der Öffnung aus und beschränkte sich gewissermaßen auf eine Pa-rallelexistenz fallweisen Austausches in Konferenzen.

Die Nationsfindung und Existenzrechtfertigung des neuen ukrainischen Staates seit der Unabhängigkeit 1991 hat die Suche ukrainischer Historiker und das Verlangen von Politikern nach möglichst ungebrochenen Wurzeln früher staatlicher Vergangenheit er-heblich intensiviert und der Geschichtspolitik einen wesentlichen Auftrieb verliehen. Im Czernowitzer Kreis bot sich dafür in besonderem Maße die Geschichte Chotyns an. 2001 setzte der Präsident der Ukraine L. Kučma per Ukas für September des gleichen Jahres die Tausendjahrfeier für Chotyn an.60 Nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten (auch des bereits 1991 schnell errichteten Denkmals für den bei der Schlacht verwundeten Ko-sakenhetman P. K. Sagajdačnyj) fand diese letztlich am 29. September 2002 statt. An die-sem Tag jährte sich auch der siegreiche Ausgang der Schlacht gegen die Türken von 1621.

Beides, neben dem 24. August (Unabhängigkeitstag der Ukraine), z. T. grundlegende Daten des neuen ukrainischen Selbstbewusstseins.61 Zu diesem Anlass erschienen neben zahlreichen kleineren Aufsätzen ein kurzer historischer Führer62 und eine umfangreiche, von den ‚Anfängen‘ bis zur Gegenwart reichende Monographie63 über diesen Ort.64

Bei-59 Die Bukowina resp. Rumänien und die Ukraine darf aber letztlich in dieser Hinsicht nicht als Ausnah-meerscheinung betrachtet werden. Beispielsweise auch die gemeinsame Wahrnehmung und Erforschung der Vergangenheit zwischen Italien und Österreich ist erst ein Ergebnis der letzten Dekade, nach jahr-zehntelangen Divergenzen. Vgl. Mazohl-Wallnig (Hg.) (1999).

60 „Über den Beschluss zur 1000jährigen Erwähnungsfeier Hotins“. In: Dobržans’kij et al. (2002): 400.

61 Allerdings zeigt gerade dieses Beispiel die historischen Verwerfungen dieses Raumes. So erwähnen etwa westliche Internet-Seiten in Bezug auf diese Schlacht lediglich den polnischen Heerführer und ‚Ko-sakenhetman‘ Jan Karol Chodkiewicz (1560–1621), während ukrainische konsequenterweise nur von Sagajdačnij sprechen. Beispielsweise:

http://www.1911encyclopedia.org/C/CH/CHODKIEWICZ_JAN_KAROL.htm oder http://heraldry.com.ua/index.php3?lang=E&context=info&id=1296 bzw. auch http://www.castles.com.ua/index.php?id=chocim (alle Abrufdatum 23. IX. 2009).

62 Komarnic’kyj (2001).

63 Dobržans’kyj et al. (2002).

64 Ebenfalls zu diesem Thema erschien 2002 eine ukrainische Fernsehdokumentation, die sich sichtlich bemüht, ein eher ausgeglichenes Geschichtsbild dieses traditionsreichen Ortes zu zeichnen, wenngleich der Anteil an der ukrainischen Geschichte besonders hervorgehoben wird: ‚На Днистр Хотин’ (Am Dnister. Chotyn), AV-Studio Ukraine, Černivci.

den Arbeiten liegt ein stark ukrainezentrisches, nationales Konzept von Geschichte zu-grunde, das im Zuge dieser ersten gerade zehnjährigen staatlichen Souveränität zu sehen ist. Eine Übergewichtung des kontinuierlichen ukrainischen Nationalelementes in Cho-tyn seit seiner ersten Erwähnung unter den Kiewer-Rus bleibt dabei durch die Autoren unvermeidbar. Allein 250 von den 450 Seiten der Monographie beschäftigen sich mit der Periode seit 1991. Seit 2005 liegt auch eine umfassende ukrainische Aufsatzsammlung über die Bukowina vor, die grundsätzlich denselben Ansichten folgt.65 Trotzdem bieten diese Werke bei dementsprechend vorsichtiger Lektüre eine sehr detaillierte Zusammen-stellung der Gebietsgeschichte. Leider sind beide Arbeiten nur in ukrainischer Sprache erhältlich.66

Die Wiederentdeckung der Bukowina ist nicht nur durch die eingangs angesproche-nen Ereignisse um den Fall des Eiserangesproche-nen Vorhanges bedingt, sondern bezieht ihr Profil gerade in den sehr unterschiedlichen im Maßstab regional orientierten Zugängen zwi-schen ‚westlichem‘ und ‚östlichem‘ Betrachtungsstandpunkt. Wenden wir uns zunächst noch einmal der schon angesprochenen ‚östlichen‘ Perspektive zu. Mit dem Aufbrechen der zentrumsorientierten Wissenschaftshierarchie – nicht aber der fortbestehenden staatlichen Machthierarchie – versuchten die Geographen vornehmlich an der Jury-Fed’kovyč-National-Universität in Czernowitz während der vergangenen Jahre einen be-wusst regionsorientierten, landeskundlichen Zugang zu forcieren, leider nicht ohne auch dabei eine übergewichtete nationalukrainische Komponente mit einzubringen. Eine die nationalen Grenzen überschreitende Geographie einer gemeinsamen Kulturlandschaft, wie sie die Gesamtbukowina oder der östliche Teil der Waldkarpaten verkörpert, ist mo-mentan aufgrund der mannigfachen zwischenstaatlichen Differenzen Rumäniens und der Ukraine noch in weiter Ferne. Dieser Umstand galt und gilt aber gerechterweise auch für viele Staaten innerhalb der EU, wo sich erst seit wenigen Jahren ein überstaatliches Regionsdenken breitmachen konnte, die allerdings nicht vom jahrzehntelang durch den Sowjetimperialismus geförderten Misstrauen belastet sind.

Ein kleiner, aber sehr schön gestalteter, zum 125-jährigen Gründungsjubiläum der Czernowitzer Universität herausgegebener Regionalatlas des gleichnamigen Gebietes67 ermöglicht einen weit gestreuten Überblick auf Basis der amtlichen Statistik, die

aller-65 Botušans’kyjet al. (2005). Während die Titelseite das Bukowiner Wappen und eine österreichische Schulwandkarte von F. Fischer (in ruthenischer Sprache zeigt), ist auf der Rückseite nur der ukrainische Teil der Bukowina in Form einer Inselkarte aus dem neuen Gebietsatlas abgebildet.

66 Bei Dobržans’kyjet al. (2002) finden sich im Anhang Zusammenfassungen in Englisch, Deutsch, Rumänisch und Polnisch.

67 Žukovs’kyj et al. (2000). Für das Lemberger Gebiet liegt ebenfalls ein ähnlich konzipierter Atlas vor.

Kravčuk (1999).

dings im Detail mit Vorsicht zu genießen ist und oftmals dazu neigt, die tristen wirt-schaftlichen wie sozialen Verhältnisse zu beschönigen. Ebenfalls unter der Federführung von J. Župans’kyj wurde ergänzend dazu im gleichen Jahr eine geographische ‚Heimat-kunde‘ für die fünfte Schulstufe der allgemeinen Schulen des Czernowitzer Gebietes er-stellt.68 Für Studierende liegen zwei kleinere landeskundliche Arbeiten aus dem Ins titut für Geographie in Czernowitz mit historisch-geographischem Schwerpunkt auf der Bu-kowina, Galizien bzw. die Westukraine als gedruckte Vorlesungsskripten vor.69 Unter den ukrainischen Publikationen zur geschichtlichen Landeskunde ist die 1998 veröffentlichte Monographie von S. Kostišin unbedingt zu erwähnen.70 V. Botušans’kyj widmet sich schon viele Jahre historisch-landeskundlichen Fragestellungen der nördlichen Bukowina und machte dabei einen typischen Schwenk von einer mehr als geforderten sowjetkon-formen hin zu einer überaus nationalukrainischen Sichtweise.71 Die nationalukrainische Grundkonzeption einmal ausgeklammert bietet diese Arbeit unter Miteinbeziehung aus-gewählter älterer wie neuerer deutscher Literatur und Originalquellen den aktuellsten Überblick zur Geschichte der Bukowina in ukrainischer Sprache. Leider beschränkt er sich für die Zeit nach 1945 nur auf den nördlichen Landesteil. Eine kürzlich publizierte und schon wieder vergriffene Monographie zur wirtschaftlichen Entwicklung des Kron-landes Bukowina im neunzehnten Jahrhundert stammt ebenfalls aus seiner Feder.72 Sei-tens der jungen Bukowiner Historiker wird aber immer mehr wissenschaftlich fundierte Kritik an den eingesessenen Professoren laut, die es z. T. verabsäumt haben, sich von ihrer kommunistischen Vergangenheit zu trennen und unter ihre vorangegangenen Ar-beiten einen kritischen Schlussstrich zu ziehen. So mag der Vorwurf des Czernowitzer Historikers V. Zapolovs’kyi in seiner Monographie über den Ersten Weltkrieg in der Bukowina gegenüber Botušans’kyj durchaus gerechtfertigt sein, wenn Letzterer über das geforderte Maß hinaus vor der Wende die ‚Errungenschaften der Oktoberrevolution‘

lobte und die ukrainischen Nationalbestrebungen herabwürdigte.73

68 Župans’kyj et al. (2000).

69 Krul’ (1999).

70 Kostyšyn et al. (1998).

71 Etwa: Botušans’kyj (1990). Der in diesem Aufsatz noch gepriesene Fortschritt der russischen und ukrai-nischen Kultur auf Basis der revolutionären Errungenschaften wurde mittlerweile vom alleinigen natio-nal-ukrainischen Gedanken, die auch bei Botušanskij von einer nationalen Einheit der Nordbukowina mit der Ukraine ausgeht, abgelöst.

72 Botušans’kyj (2000a). Vgl. auch die von ihm und seinem Sohn verfasste Arbeit zu den landwirtschaft-lichen Kooperationsgenossenschaften, Botušans’kyj (2002).

73 Vgl. Zapolovs’kyj (2003): 12. Zapolovs’kyj bezieht sich hier u. a. auf Botušans’kyj (1980).

Der Lehrstuhl für ukrainische Geschichte an der Czernowitzer Universität bietet in seinen regelmäßig gedruckten Quellen zur ukrainischen Geschichte eine Reihe von Auf-sätzen und im Anhang eine ausführliche Bibliographie über die ukrainischen Neuer-scheinungen zur Bukowina.74 Botušans’kyj schließt mit seinen wirtschaftlichen Betrach-tungen inhaltlich an die Geschichtsschreibung der Sowjetunion an, die sich – wohl zum größten Teil nur innerhalb der nördlichen, ukrainischen Bukowina – verstärkt Fragen der Arbeiterbewegung und Wirtschaftsentwicklung des Gebietes widmete, aber durchaus brauchbare Einzelstudien lieferte. Noch am Beginn der 1990er-Jahre erschienen kleinere Aufsätze zur Emigration der arbeitsfähigen Bevölkerung aus der Bukowina im neunzehn-ten Jahrhundert75 und über die Entwicklung der Verkehrswege des Landes, vornehmlich auf dem Dnister.76 Ebenfalls in diese Periode fällt ein erstes, gezieltes Interesse für ethno-graphische Probleme in Verbindung mit der ukrainischen Bevölkerungsentwicklung im Kronland77 und den russischen Altgläubigen (Lippowanern)78.

Zum 125-Jahr-Jubiläum der Czernowitzer Universität erschien die stark gekürzte Wiederauflage einer zur fünfzigjährigen Thronbesteigungsfeier Kaiser Franz Josephs I.

erstellten und 1899 erschienenen Landeskunde.79 2004 folgte eine umfassendere, aber immer noch selektive ukrainisch-deutsche ‚Neuauflage‘ dieses Gesamtwerkes.80 2005 war erstmals eine vollständige ukrainische Ausgabe der von R. F. Kaindl verfassten Stadtge-schichte von Czernowitz in den Buchhandlungen zu kaufen.81 Die Tatsache, dass diese Arbeiten in Ukrainisch (und teilweise auch mit deutschem Paralleltext) erschienen sind, belegen, dass man auch unter der eigenen Bevölkerung die regionale Vergangenheit wie-der bewusst machen möchte.82 So wurden etwa regelmäßig nach dem Erscheinen der

74 Botušans’kyj et al. (Ed.) (2002).

75 Kožoljanko (1991).

76 Žaloba (1990), (1991).

77 Sajko (1994). Derselbe Autor hat sich in einer unveröffentlicht gebliebenen Doktorarbeit mit einem etwas weiter formulierten Thema über den Anschluss der Bukowina an Österreich in sozial-politischer Hinsicht eingehender beschäftigt: Sajko (1995).

78 Kabuzan (1991).

79 Botušans’kyj (Ed.) (2000b).

80 Botušans’kyj et al. (Ed.) (2004).

81 Kaindl (2005).

82 Dazu gehören auch Übersetzungen ins Ukrainische von literarischen Arbeiten P. Celans, R. Ausländers u.

a., die in den vergangenen Jahren sukzessive erschienen. Vgl. auch Drozdowski (2001). Die in Ukrainisch vorliegende Ausgabe, versehen mit ausführlichem Vorwort, Index und Kurzbiographie der vorkommenden Persönlichkeiten, basiert auf einer kritischen Bearbeitung von P. Rychlo. Beigaben, die man bei der deut-schen Neuauflage vermisst – Drozdowski (2003). Ebenso zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang ältere, in der Ukraine neu aufgelegte Reisebeschreibungen und historische Arbeiten über die Bukowina.

Fischer (2003), Badeni (2004), Piddubnyj (2005). Zuletzt Kozak & Fischer (Hg.) (2006).

Neuauflage des Buches von R. F. Kaindl zwischen den Werbeblöcken einer lokalen Czer-nowitzer Radiostation Auszüge der Stadtgeschichte präsentiert.83

Nicht wenigen dieser Neuauflagen gemeinsam ist der angesprochene, recht problema-tische Umgang mit dem Original. Streckenweise sind die Übersetzungen ins Ukrainische nicht nur äußerst fehlerhaft, sondern auch (zugunsten der nationalen

Nicht wenigen dieser Neuauflagen gemeinsam ist der angesprochene, recht problema-tische Umgang mit dem Original. Streckenweise sind die Übersetzungen ins Ukrainische nicht nur äußerst fehlerhaft, sondern auch (zugunsten der nationalen