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Die PCNL stellt aktuell den Gold-Standard für die Behandlung der Nierensteine dar. Seit der ersten Anwendung in den 80ger Jahren sind die Indikationen sowie das Anwendungsspektrum der PCNL wesentlich geändert 82.

Mit der Einführung der ESWL ist die Anwendung der deutlich invasiveren PCNL an besonderen Fällen limitiert worden, in denen die ESWL nicht einsetzbar ist oder eine geringere Erfolgsrate gezeigt hat. Dies betrifft vor allem:

- Steine > 20 mm in der unteren Kelchgruppe - Ausgusssteine

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- morphologische Obstruktionen wie Ureterabgangsstenosen oder Harnleiterstrikturen - Nierenanomalien wie Hufeisenniere

- Transplantatniere oder

- Calcium-Oxalat-Monohydrat oder Cystinsteine > 10 mm 83–87

Einer hoch angesiedelten Erfolgsrate der konventionellen PCNL mit bis zu 90 % steht ein bis zu 83 %iges Risiko für Komplikationen gegenüber, die dem operativen Zugang geschuldet sind: Blutungen mit einer Transfusionsrate bis 17,5 %, Infektionen oder Extravasationen von Spülflüssigkeit im Retroperitoneum sind bei der Verwendung der 26 Charrière dicken Instrumente beschrieben. Es muss letztlich auch über die Traumatisierung der Niere immer aufgeklärt werden, bis hin zum Verlust der Niere als gravierendste Komplikation 8. Kontraindikationen stellen hier deswegen nicht beherrschbare Gerinnungsstörungen, Gravidität und florider Harnwegsinfekt dar 85. Um die Komplikationsrate der PCNL bei vergleichbarer Steinfreiheitsrate zu minimieren, wurden zum Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts die ersten miniaturisierten PCNL (Mini-PNL oder Mini-perc) mit Schaftdurchmessern zwischen 12 und 20 Charrière verwendet 88. Die Leitlinien zur Behandlung der Urolithiasis empfahlen jedoch in 2008 aufgrund ihrer längeren Operationszeiten die Anwendung der Mini-PNL bei Steinen mit Durchmessern bis zu 2 cm 64. Zur weiteren Optimierung der Operationstechnik wurde mit dem Ziel der Reduktion der Operationszeiten und der konsequenten Ausbreitung der Indikationen die sogenannte minimalinvasive PNL oder MIP etabliert. Diese ist durch die Verwendung von miniaturisierten Instrumenten, ballistische Lithotripsie mit Bergung der Steinfragmente mittels Niederdruckspülstrom und direktem Traktverschluß mit einer Gelatine-Thrombin-Matrix definiert 89. Die MIP ermöglicht damit eine mit der PCNL vergleichbare Steinfreiheitsrate bei sogar höherer Rate an primärer Steinfreiheit und dramatisch niedrigerer Komplikationsrate, vor allem

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von transfusionspflichtigen Blutungen, die letztendlich mit denen der ESWL und URS vergleichbar sind 90.

Tabelle 3- Definitionsvorschlag für die PCNL-Benennung nach folgenden Kriterien: Patientenlagerung (p), Nephroskopschaftkaliber (c), Spülstrom (f), Harnableitung (u), eventueller Traktverschluß (t) (Quelle: Schilling, D.

et al. World J. Urol. 2015) 91

Term Acronym Definition

Patient position (p)

CF Continuous flow, low-pressure irrigation

CO Closed/open irrigation

PC Pressure-controlled irrigation flow

Urinary diversion (u)

DT Double tube: nephrostomy tube und ureteral stent

TU Tube: only nephrostomy tube

TL Tubeless: only ureteral stent

TT Totally tubeless: no stents in place TTa Removal of ureteric catheter within procedure a

TTb Removal of ureteric catheter within 24 h

Tract treatment (t)

SL Sealed: closure of access tract

NS Not sealed: no closure of the tract

a Before admission to the ward

b Only applies for tubeless or totally tubeless technique

Bei der Wahl der Behandlungsmethode fließen letztlich auch Aspekte wie persönliche Erfahrung, therapeutische Ausstattung, Vor- und Nachteile der jeweiligen Extraktionsmethode und auch nicht unwesentlich der Wunsch des Patienten ein. Der Wunsch nach einer planbaren schnellen und wenn möglich sofortigen Steinsanierung führt aktuell als neuer Trend hin zu invasiverer Therapie. Die MIP mit ihrer neuesten Evolution stellt nun die Antwort auf diese Anfrage 92.

27 1.6. Fragestellung und Literaturhintergrund

Mit der vorliegenden Arbeit soll zum einen der diagnostische Stellenwert des Stein-CT in der akuten Notfall-Vorstellungssituation für die Therapieentscheidung bei Urolithiasis sowie die Faktoren, die für die Entscheidung zur Durchführung eines CT relevant sind, überprüft und mit den Empfehlungen der AWMF abgeglichen werden. Zum anderen soll anhand der getroffenen Therapieentscheidungen der Therapie-Algorithmus der MHH mit dem der Leitlinien verglichen werden.

In mehreren Studien wurde bereits versucht, Faktoren zu identifizieren, die die Notwendigkeit einer urologischen Intervention bei Nierenkoliken vorhersagen. Nahezu alle diese Studien haben jedoch die Limitierung, CT-Befunde in die Berechnung der oben genannten Faktoren einzubeziehen 93,94.

Daher können sie keinen wirklichen Beitrag zur Suche nach Kriterien leisten, die den Diagnostikpfad leiten können, um überhaupt die Notwendigkeit der Verwendung des CT auszuschließen.

Eine kürzlich durchgeführte Studie hat zum Beispiel einen Score mit dem suggestiven Namen STONE Score entwickelt, die drei Risikoklassen (niedrig, mittel und hoch) für das Vorhandensein von obstruktiven unkomplizierten Harnleitersteinen identifiziert 95. Diese Studie liefert jedoch keine Informationen prognostischer Art, die eine Notfalltherapie leiten könnten, wie Sepsiszeichen oder das Vorhandensein eines akuten Nierenversagens 96. Des Weiteren weist die höhere Risikoklasse in einer Studie von Wang et al. zur externen Validierung des STONE Scores lediglich eine 53 %ige Sensitivität für Uretersteine auf 97.

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Aktuell bietet einzig die Studie von Wang et al. die Möglichkeit der Bewertung existentieller Parameter: die gleichzeitige Identifizierung klinischer Prädikatoren für Harnleitersteine, welche einen Notfalleingriff erfordern sowie alternativer Befunde, welche einen Krankenhausaufenthalt innerhalb von 30 Tagen nach der ersten Vorstellung erfordern und somit als signifikant definiert sind 98.

Diese Studie analysiert retrospektiv Daten aus einer Multicenter-Studie von Smith-Bindman et al. 23. Ziel war es, den unterschiedlichen diagnostischen Stellenwert von US und CT für den Verdacht einer Nephrolithiasis zu bewerten 23, wobei hier als Endpunkt eine mehrdeutige Definition unerwünschter Ereignisse verwendet wurde und eine Klassifizierung der Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins von Harnleitersteinen, basierend auf undefinierten Kriterien oder sogar auf der klinischen Intuition des Notarztes, vorgeschlagen wurde.

Die Studie von Wang et al. 98 weist jedoch erhebliche Bias auf. Beispielsweise wurden Leukozyturie und abnorme Kreatininwerte nicht in die Auswertung einbezogen. In Anbetracht dessen, dass die Indikation für eine Notfalloperation durch ein akutes Nierenversagen sowie durch eine infizierte Hydronephrose oder durch auf Spasmoanalgesie refraktäre Schmerzen gegeben ist, ist das Fehlen solcher Parameter diskutabel.

Ein weiteres Bias ist die getrennte Betrachtung der prädiktiven Faktoren für wichtige alternative Nebenbefunde und der prädiktiven Faktoren für das Vorhandsein einer Urolithiasis, die eine Notfallintervention erfordert. Zusätzlich wurden Patienten mit

„hohem Risiko“ für signifikante alternative Befunde in der Studie von Wang et al.

Grundsätzlich ausgeschlossen.

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Emblematisch ist die Bewertung des prädiktiven Werts der Hydronephrose bei der Detektion der zu behandelnden okkludierenden Harnleitersteine. Wofür Patienten, die einem CT unterzogen wurden, von der Analyse ausgeschlossen wurden. Auf diese Weise wurden verschiedene Vorhersagefaktoren für heterogene Populationen bewertet.

Daher ist es kein Zufall, dass die Spezifität dieser Entscheidungsalgorithmen im Gegensatz zur hohen Sensitivität (negatives likelihood ratio von etwa 0,1) begrenzt ist (18 % – 26 %, abhängig davon, ob die Hydronephrose in die Berechnung einbezogen wird oder nicht) 98.

Es bleibt eine unbeantwortete Frage: Wie viele dieser Patienten mit nachgewiesenen Harnleitersteinen mussten operiert werden? Und dann: Wie viele dieser nicht hospitalisierten Patienten hatten Harnleitersteine? Und noch einmal: Kann der Parameter

„keine stationäre Aufnahme innerhalb von 30 Tagen seit der Erstvorstellung“ ausreichen, um Patienten zu definieren, die keine Notfallbehandlung benötigen?

Um diese Fragen zu beantworten, haben wir eine Bewertung vorgezogen, die auf der aus der Leitlinie kommenden Definition der Indikation zur Harnableitung basiert, und die Möglichkeit evaluiert, die vom CT bereitgestellten Informationen zu nutzen, um diese Indikation zur Intervention zu stellen oder auszuschließen.

In dieser Studie zog ich es auch vor, das „Fehlen prädiktiver Faktoren für okkludierende Harnleitersteine" als Vorhersage für alternative Befunde zu betrachten, um einen einfachen und praxisorientierten Algorithmus zu erstellen.

30 2. Material und Methoden

2.1.Datenerhebung

Im Rahmen der Dissertation wurden in einer retrospektiven Erhebung 124 konsekutive Fälle von Patienten, die sich im Zeitraum über 2 Jahre vom 20. Mai 2009 bis zum 13. Mai 2011 in der Notaufnahme der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) mit der Verdachtsdiagnose Urolithiasis vorgestellt hatten und bei denen eine low-dose Stein-CT-Untersuchung im Rahmen der Notfallversorgung durchgeführt worden war, analysiert.

Ein entsprechendes Votum der Ethikkommission der MHH liegt vor. Die Daten wurden aus dem SAP System der MHH entnommen. Ergänzend wurden die zugehörigen Daten aus Aufnahmebefunden, Laboranalysen, Sonographie-Befunden, Operationsberichten und Arztberichten aus der elektronischen Akte der Patienten verwertet, welche im ALIDA-System und PACS der MHH vollständig archiviert sind. Alle Daten wurden völlig anonymisiert ausgewertet.

Folgende Daten wurden tabellarisch mithilfe einer Excel-Datenbank erfasst: Geschlecht, Geburtsdatum, CT-Untersuchungsdatum, CT-Untersuchungsuhrzeit, Patientenalter zum Zeitpunkt der CT-Untersuchung, positive Anamnese für Urolithiasis, Schmerzcharakter, Serum-Kreatinin bei Aufnahme, Blut-Leukozyten, Serum-CRP, Hämaturie- und Leukozyturie-Nachweise, eventuelle Notinterventionen, definitive Steintherapie, Pyelokalikektasie-Nachweis und Ektasiegrad des Hohlsystems der Niere, eventueller Steinnachweis im CT, betroffene Seite, Steinanzahl, Steinlokalisation und Steingröße, Vorhandensein eines Pigtailkatheters im oberen Harntrakt. CT-morphologische anatomische Besonderheiten und Nebenbefunde sowie relevante Nebendiagnosen wurden in die Tabelle eingefügt.

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Das Ausgangskollektiv dieser Arbeit betrug 435 Patienten, die in dem oben angegebenen Zeitraum in der MHH einem low-dose Stein-CT zugeführt wurden. Nach Filterung derjenigen Patienten, die das low-dose Stein-CT als Notfall-Indikation bekamen, was zum einen anhand der Untersuchungsuhrzeit (zwischen 16:00 Uhr nachmittags und 08:00 Uhr morgens) nachvollzogen werden konnte und zum anderen anhand der anamnestischen Angaben der CT-Anforderung entnommen wurde, verblieb eine Patientenanzahl von 124, welche diese Voraussetzung erfüllten. Ausgeschlossen wurden nun diejenigen Patienten, die das low-dose Stein-CT nicht als Notfall bekamen. Im Weiteren konnte der elektronischen Patientenakte (ALIDA) die Angaben der Laborchemie (Serum, Hämatologie, Urinstatus) entnommen werden. Die Arztberichte lieferten Informationen über die eventuelle Notfallintervention sowie die Empfehlung zur definitiven Steintherapie. Die durch den diensthabenden Urologen erfassten Ultraschallbefunde hinsichtlich Pyelokalikektasie konnten teils in den Aufnahmebefunden, Arztberichten und teils in den vorliegenden Sonographie-Befunden ersehen werden. Sämtliche Angaben zu Steingröße, -lokalisation, -anzahl wurden dem durch das Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie angefertigten CT-Befund im PACS-System entnommen. Im Weiteren erfolgte eine weitere Aussage zum Harnaufstau anhand des CT-Befundes. Letztlich wurden sämtliche seitens – der Radiologie erfassten – Nebenbefunde aufgeführt und tabellarisch ausgewertet.