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Gewalt-Fragen. Das Beispiel Südafrika – ein Gespräch

Was bedeutet »politischer Kampf« für Dich?

P. B.: Der langfristige dauerhafte Einsatz für gesellschaftliche Veränderung, der nicht nur ein oder zwei Momente der Auflehnung zulässt, sondern ein Leben lang.

Wenn ich das Wort höre, fällt mir in unserer Gemeinschaft des »Zentrums für Zi-vilgesellschaft« (Centre for Civil Society) exemplarisch Dennis Brutus ein, ein 83-jähriger Literaturprofessor und Dichter (einer der größten in Afrika), dem 1963 im Kampf gegen weißen Rassismus in den Rücken geschossen wurde – fast tödlich – , der mit Mandela auf Robben Island inhaftiert war, international ent-scheidender Stratege für Anti-Apartheid-Sanktionen, und heute ein Anhänger von Aufklärung und Protest gegen das, was wir Globale Apartheid nennen. Niemand kann die Traditionen des politischen Kampfes besser beanspruchen, und bei Den-nis geschieht das außerdem im radikalsten »gewaltfreien Geist« (wobei anderen von uns ein bisschen Sachbeschädigung die Nerven stärkt), im Geist der Boston Tea Party während der US-Revolution. Dennis nimmt auch dies so ernst, dass er Kurse über Thoreau, Ghandi und King hier an der Universität von KwaZulu-Natal gibt.

Gibt es eine Debatte über das Konzept des politischen Kampfes in Südafrika?

Existiert eine Debatte über die moralische und legale Legitimität des politischen Kampfes und wer sind die, die sich daran beteiligen?

P. B.: Wir haben insofern Glück, als sich der spaltende Kampf über »Taktik« in Südafrika nicht auf die Organisierung auswirkt. Es hat nicht so viele kontroverse Situationen gegeben wie die Streitereien rund um die Taktik des Schwarzen Blocks in Seattle 1999 oder Prag 2000 oder Göteborg 2001 oder Heiligendamm 2007 (nur eine, ein Kampf auf den Barrikaden bei der Weltkonferenz gegen Ras-sismus hier in Durban 2001, als 15 000 gegen Zionismus und das Fehlen einer Agenda für Reparationen demonstriert haben, und die Sache war angespannt, bis die OrganisatorInnen die Protestierenden in einen nahen Park zu einer Kundge-bung bewegen konnten). Es gibt auf jeden Fall eine Debatte darüber, ob autonome oder sozialistische mittelfristige Strategien die richtigen sind, die auch weiterge-hen wird, während wir mehr von den entscheidenden Orten erfahren, an denen diese Debatte stattfindet, wie Chiapas, Buenos Aires, Montreal und Italien – und natürlich die Townships von Soweto und Durban.

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Die Debatte über Formen des Widerstands – wie die Debatte über zivilen Unge-horsam und über Gewaltfreiheit – hat »in Deutschland« eine lange Tradition, vom Beginn der neuen Sozialen Bewegungen Ende der 60er Jahre über die Anti-Atombewegung in den 80er Jahren bis zum Auftauchen der Anti-Globalisierungs-bewegung in den 90er Jahren. Tatsächlich ist die Diskussion über Gewaltfreiheit als kategorische Bedingung für linke Politik im Sommer 2007 entstanden im Kon-text der Proteste gegen den G8-Gipfel. Wie bewertest Du diese Debatte?

P. B.: Obwohl eine unserer engagiertesten Mitarbeiterinnen am 2. Juni in Rostock war, beteiligt an den Aktionen des Schwarzen Blocks – und sie hat einem vollbe-setzten Seminar in Durban einige Tage danach darüber berichtet – ist es, offen ge-sagt, schwierig, eine Beziehung dazu zu finden angesichts der riesigen Unter-schiede zwischen den Traditionen. Politiken der Rebellion haben hier vor allem die Formen der Massenmobilisierungen und breiten Streiks angenommen, im Un-terschied zur Guerilla-Aktivität, der sich einige wie die Baader-Meinhof-Gruppe zugewandt haben – und die für den bewaffneten Flügel des African National Con-gress Umkhonto we Sizwe von 1961-1964 nicht sehr wirksam war. In ihrer eige-nen Zeit des Kampfes, von 1976 bis in die frühen 1990er Jahre konnten der African National Congress und seine Verbündeten regelmäßig zehntausende Demonstrie-rende – von denen die meisten den begeisternden »Toyi-toyi«-Kriegstanz gegen die Apartheid tanzten – zu Kundgebungen mobilisieren. Heutzutage zählt die Polizei allerdings mehr als 10 000 lokale Proteste im Jahr, »gegen die neoliberale Politik der Regierung des African National Congress«, was Südafrika gemessen an der Einwohnerschaft zur aktivsten Gesellschaft weltweit macht.

Diese Proteste thematisieren einfache Sachen wie den Wassermangel. Die Ge-walt wird im allgemeinen gegen Wasser- und Stromuhren gerichtet, die zerstört werden, wenn sie den Menschen von der Regierung abgeklemmt werden, und es ihren barfüßigen KlempnerInnen und ElektrikerInnen überlassen bleibt, die Rohre und Kabel illegal wieder anzuschließen, und die »Roten Ameisen«, die (outge-sourcte) paramilitärische lokale Polizei-Abteilung der Regierung, zurückzuschla-gen. Als Ergebnis hat es eine Handvoll Toter durch Polizeischüsse gegeben, wie Tebogo Mkhonza in Harrismith im August 2004 und Marcel King in Durban ei-nige Wochen zuvor. Obwohl Ikonen heute nicht gern gesehen sind, ist uns ihr Tod im Kampf gegen Neoliberalismus genauso wichtig wie der von Hector Pieterson, der Erste, der im Juni 1976 während der Aufstände in Soweto von der Apartheid-Polizei getötet wurde.

Gibt es ähnliche Diskussionen in »Deiner« Organisation, in den politischen Debatten, die ihr führt? Wie gehst Du mit ihnen um?

P. B.: Im weiteren Umfeld der KollegInnen des »Zentrums für Zivilgesellschaft«

versammeln wir eine Bandbreite an Ideologien des gesellschaftlichen Wandels,

darunter Schwarzes Bewusstsein (Black Consciousness), Autonomie und Anar-chismus, Sozialismus (wo ich mich wohlfühle), revolutionärer Trotzkismus, Um-weltschutz, radikaler Feminismus, Kommunistische Partei Südafrika und selbst NGOs. Und es kann sein, dass ich nicht alle vollständig erfasst habe. Wenn wir also zum Beispiel den zukünftigen Weg für das Weltsozialforum diskutieren – was auf heftige, aber gesunde Weise geschieht – lassen sich einige der seit langem bestehenden Konflikte zwischen diesen verschiedenen Lagern erkennen. Aber nur selten, wenn überhaupt, erleben wir Streit darüber, ob die Aktionen der KollegIn-nen unserer Gemeinschaft zu aggressiv auf der eiKollegIn-nen Seite oder nicht kämpferisch genug auf der anderen sind. Stattdessen ist eine der schmerzhaftesten und schwie-rigsten Lektionen, mit der wir uns auseinandergesetzt haben die, ob diejenigen mit Mittelklasse-Privilegien (ein nicht geringer Teil unserer Gemeinschaft) mit Integrität in Kämpfen operieren können, die von geringem Einkommen bestimmt werden, oder wo Rassen- und Gender-Machtbeziehungen eine Rolle spielen.

Während also Militanz-Debatten im Norden oftmals eine Spaltung verursachen – was gewöhlich auch mit Machismo zu tun hat –, die eine Diskussion zwischen den Lagern in der Linken blockiert, hoffe ich, dass es uns in Durban gelingt, kon-struktive Diskussionen darüber zu erzeugen, wie andere, viel ernsthaftere Spal-tungen zwischen organischen Massenbewegungen (etwa der Gemeinde oder Ar-beitskämpfe) überbrückt werden können, ohne die alltäglichen Symptomatiken der Linken zu erleiden: Avantgardismus und Substitutionismus durch puristische RevolutionärInnen, Egos und Karrierismus durch AkademikerInnen wie mich, Gatekeeping und Ressourcenkontrolle, NGO-Reformismus und ähnliches. Egal in welcher Form sie auch auftauchen, kannst Du sicher sein, dass sie wirkliche Ba-sisaktivistInnen ablenken und abschrecken, die ganz allein meist nicht nur eine gesunde Form des Kampfes gefunden haben, sondern auch ausreichend Kraft um hin und wieder einige Siege zu erringen.

Die Fragen stellte Silke Veth,die Übersetzung besorgte Anneke Halbroth.

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 49 (Seite 73-77)