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Die Gewaltfrage und DIE LINKE bei den Gipfelprotesten 2007

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 49 (Seite 31-35)

Die Gewalt-Frage1

Bei ziemlich allen Pressegesprächen im Vorfeld tauchte sie über kurz oder lang immer auf – die Frage nach den Methoden des Protests, auch bekannt als die Ge-waltfrage. So mancher Journalist machte sich nicht einmal die Mühe, wenigstens den Eindruck zu erwecken, ihn interessierten die inhaltlichen Botschaften, son-dern fragte nur in diese Richtung nach. Nun war klar, dass die LINKE sich aus-schließlich an friedlichen Aktionen beteiligen würde. Bezüglich der Frage jedoch, wie weit ziviler Ungehorsam gehen darf, gab es innerhalb der beiden Parteien unter-schiedliche Auffassungen. Man hätte im Vorfeld viel Diskussionszeit damit ver-bringen können, dies theoretisch auszuloten und auch noch den Medien mitzutei-len. Wir waren jedoch der Auffassung, dass genau dies dem Interesse der meisten Medien, die Gipfelproteste schon im Vorfeld allein auf die Gewaltfrage zu redu-zieren, nur entgegen gekommen wäre. Insofern zielte unsere Öffentlichkeitsstrate-gie vor allem darauf, die inhaltliche Kritik in den Mittelpunkt zu stellen und zu unterstreichen, dass die Parteien zu unterschiedlichen Aktionen aufrufen, wobei im Mittelpunkt für uns die Großdemonstration und der Alternativgipfel standen.

Die meisten Beteiligten rechneten damit, dass es während der Woche, vor allem während der Blockaden, zu schwierigen Situationen in Hinblick auf die Militanz-frage kommen würde. Dass sich diese Frage schon während der Kundgebung am Samstag stellen würde, damit hatte kaum jemand gerechnet. Für eine Weile schien es, als würden die Bilder der Gewalt die gesamten Proteste überschatten. Nach eini-gen Taeini-gen stellte sich heraus, dass es den Protesten in ihrer Vielfalt geluneini-gen war, andere Bilder sprechen zu lassen. Dass das Bündnis diese Bewährungsprobe über-stand, dass die Proteste in ihrer Vielfalt weitergingen und somit am Ende die Bilder der Gewalt in den Hintergrund drängten – all das war keine Selbstverständlichkeit.

1 In ihrem Artikel »Gipfelproteste 2007 – ein gelungener Start für DIE LINKE« (in: Michael Brie, Cornelia Hilde-brandt, Meinhard Meuche-Mäker (Hrsg.): DIE LINKE. Wohin verändert sie die Republik?, Berlin 2007, S. 90-108) bilanziert Katja Kipping, G8-Verantwortliche der damaligen Linkspartei.PDS, die Beteiligung der sich der-zeit erst neu bildenden Partei DIE LINKE an den Protesten gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm: »Die Etablierung des Themas bei Linkspartei.PDS und WASG war kein Selbstläufer. Umso mehr kann DIE LINKE stolz sein, dass sie letztlich als organischer Bestandteil der Proteste in Erscheinung trat und die Gipfelproteste zu einem guten Startschuss für die neue LINKE wurden.« Die Auseinandersetzung um die so genannte »Gewalt-frage« spielte bereits in dem etwa zweijährigen Vorbereitungsprozess der G8-Proteste sowohl innerhalb der bei-den Parteien als auch bei bei-den verschiebei-denen Bündnistreffen eine nicht unerhebliche Rolle. Im Folgenbei-den ein überarbeiteter Ausschnitt zum Thema aus dem oben zitierten Buchbeitrag.

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Bei Auswertungsrunden im Nachhinein wurde die Gewaltfrage vorrangig aus zwei Gesichtspunkten erörtert: erstensaus einer moralischen Perspektive (Ist Ge-walt generell gerechtfertigt?) und zweitensaus einer strategischen Perspektive (Können Ausschreitungen unser Anliegen befördern?). Beide Fragen sind klar zu verneinen. Man muss nicht einmal Pazifistin sein, um die erste Frage zu vernei-nen. Bei dieser Demonstration kam noch verstärkend hinzu, dass es eine klare Verständigung aller Beteiligten gegeben hatte, dass diese Demonstration gewalt-frei ablaufen solle. Es gibt Menschen, für deren Teilnahme ein solches Signal aus-schlaggebend ist, z. B. für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen sowie für MigrantInnen mit prekärem Aufenthaltstatus. Letztere müssen immerhin mit existentiellen Konsequenzen rechnen, falls sie im Zuge eines Polizeieinsatzes bei Ausschreitungen festgenommen werden, selbst schon als Unbeteiligte. Schon aus diesem Grund ist es unentschuldbar, dass Einzelne durch Steinwürde aus der Kundgebung heraus den Einsatzkräften einen Vorwand zum Eingreifen geliefert haben.

Auch aus strategischer Sicht sind solche Steinwürfe abzulehnen. Sicherlich, es gibt auch Diskussionen, dass erst Randale der Kritik das Feld der Sichtbarkeit eröffnen und Aufmerksamkeit die Währung ist, in der sich Anerkennung berech-net.2(Ich selbst als Pazifistin würde Gewalt, bei der nur die Gefahr besteht, dass Menschen in Gefahr kommen, auch dann ablehnen, selbst wenn sie strategisch gerechtfertigt wäre.) Doch für die Großdemonstration in Rostock trifft dies nicht zu. Es gab auch ohne die Ausschreitungen ein entsprechendes Medienaufgebot.

Vielmehr verstellten die Bilder der Gewalt für viele Stunden komplett den Blick auf die Argumente der G8-Kritiker/-innen und stellten das Bündnis auf eine harte Zerreißprobe. Ohne das überlegte Handeln Einzelner wäre das Bündnis womög-lich an diesem Punkt zerbrochen. In diesem Fall hätte für den Rest der Woche die Berichterstattung nur noch das Zerwürfnis innerhalb der G8-Kritiker/-innen eine Rolle gespielt und das argumentative Rüstzeug gegen den angeblichen Sach-zwang Globalisierung wäre komplett unter dem Tisch gefallen. Zudem lieferten die Ausschreitungen genau die Bilder, die Schäuble, Beckstein und Co. sich si-cherlich gewünscht hatten, um ihre massiven Repressionen im Vorfeld zu recht-fertigen. Die wenigen Steinewerfer/-innen haben ergo all denjenigen, die zum Sturm auf demokratische Grundrechte blasen wollen, einen großen Dienst ge-tan.

Das Verhältnis der LINKEN zur Gewalt sollte kein taktisches, sondern ein prinzipielles, und von einer klaren Bejahung der Gewaltfreiheit geprägt sein. Die Frage ist jedoch: Wie reagiert man, wenn es zu Ausschreitungen kommt? Ist es klug und hilfreich, sofort unter dem Eindruck der ersten spektakulären, empörten Presseberichte mit pauschalen Distanzierungen gegenüber dem Schwarzen Block in die Öffentlichkeit zu gehen? Ist es im Sinne der Aufklärung, sofort und ohne

2 Vgl. dazu Robert Misik: Genial Dagegen – Kritisches Denken von Marx bis Michael Moore, Berlin 2006, S. 30.

genaue Kenntnis der Ereignisse vor Ort als Ferndiagnose eine Beurteilung und Schuldzuschreibung zu verfassen?3Ist es sinnvoll, die Polizei in einer Phase der Ausschreitungen für Ihren Einsatz zu loben und damit den Schwarzen Peter für die Ausschreitungen ohne gründliche Untersuchung und kollektiv dem so genann-ten Schwarzen Block zuzuschieben? Die gründliche Aufarbeitung hat mich darin bestärkt, all diese Fragen verneinen.

Die ersten Angaben zur Zahl der verletzten Polizist/-innen erwiesen sich hoch-gradig übertrieben. Die Pressearbeit der Polizeieinheit Kavala war von vielen haltlosen Unterstellungen geprägt. Es verdichten sich die Indizien, wonach Stein-würfe von eingeschleusten Polizeiprovokateuren ausgegangen sind. Fakt ist – und davon habe ich mich selbst direkt vor Ort bei stundenlangen und letztlich erfolg-reichen Deeskalationsversuchen überzeugen können – der überwiegende Teil des so genannten Schwarzen Blocks verhielt sich während der Kundgebung friedlich und hat an der Deeskalation mitgewirkt. Das Vorgehen von Teilen der Polizei hin-gegen trug nicht immer dazu bei, die Ausschreitungen zu beenden, sondern heizte im Gegenteil die Stimmung noch an. So stießen beispielsweise immer wieder kleine Stoßtrupps der Polizei in die inzwischen beruhigte Kundgebung vor, um einzelne Personen herauszuzerren und festzunehmen.

Wir als LINKE haben gut daran getan, in dieser Phase besonnen zu reagieren.

Die Akteur/-innen der LINKEN vor Ort haben sich auch in für sie persönlich ge-fährlichen Situationen aktiv um Deeskalation bemüht. DIE LINKE hat sich nicht dazu hinreißen lassen, sich von der Protestbewegung zu distanzieren. Es gibt Si-tuationen, da ist die Presselage erdrückend und hegemonial im Sinne eines Di-stanzierungsgebotes. So gerechtfertigt die klare Verurteilung von Gewalt gerade bei dieser Kundgebung war, linke Politik muss sich gerade in schwierigen Situa-tionen die Freiheit nehmen, ihr Urteil unabhängig von wie auch immer gearteten Distanzierungsgeboten der Presse zu fällen. Innere Freiheit von Erpressbarkeit durch Stimmungsmache in den Medien ist eine Frage der inneren Einstellung. Für eine LINKE, die auf eine andere Gesellschaft hinwirkt, ist diese innere Freiheit von Medienhetze eine zentrale Vorraussetzung für erfolgreiches Agieren auch in konfliktreichen Situationen. Im Gegenteil. Sie hat aktiv deeskalierend und das Bündnis stabilisierend gewirkt und politisch auf die wahren Gewaltverhältnisse verwiesen. Wir haben zudem darauf hingewiesen, dass die Gewalt genutzt wird, um weiter demokratische Rechte abzubauen.

In diesem Zusammenhang ist noch ein interessantes Phänomen festzuhalten:

Unter dem akuten Eindruck der Ausschreitungen forderten einzelne Vertreter von attacim Bündnis, die geplanten Blockaden zu rein symbolischen Aktionen herab-zustufen. Nur die Intervention der attac-Basis auf dem Camp verhinderte den of-fiziellen Rückzug von den Blockaden, den eine Mehrheit der attac-Führung ange-strebt hatte. Und auch hier bewies sich, dass man gut beraten ist, besonnen zu

3 So geschehen in dem Papier »In der Sackgasse«, rls-Standpunkte 9/2007 von Lutz Brangsch und Michael Brie.

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reagieren und sich nicht komplett von der Presselage erpressbar zu machen. Die Blockaden wurden zu einem politischen Erfolg. Interessanterweise waren diejeni-gen von attac, die nach dem Ausschreitundiejeni-gen am Samstag am intensivsten die Absetzung der Blockade betrieben hatten, diejenigen, die dann stolz vor den Ka-meras die erfolgreiche Fünffingertaktik der Blockaden erläuterten. Spätestens an dieser Stelle wurde deutlich, dass die Gefahr der Vereinnahmung einer Bewegung nicht nur von Seiten der Parteien droht.

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