• Keine Ergebnisse gefunden

Die Linke und ein Tabu

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 49 (Seite 77-81)

Ein Tabubruch

»Keine Gewalt!« – in der demokratischen Linken ein unantastbarer, identitätsstif-tender Wert – eben ein Tabu.

Gewalt bedeutet: das Brechen des Widerstandes eines Gegenübers mit Mitteln des Zwangs. Weil so ein zwangsweiser Widerstandsbruch nur zu einem zeitwei-sen Aussetzen des Widerstands, zu einer Neuformierung des Widerstands führt, der sich mit gewachsener Kraft auf anderen Wegen erneut der Konfrontation stellt, gilt Gewalt bei jeglicher Konfliktaustragung als untauglicher Weg. Die so in Gang gesetzte Gewaltspirale führt allenfalls bei höchster Eskalationsstufe zur Strategie »gemeinsam in den Untergang«. Martin Luther King beschrieb diesen Zusammenhang so: »Die äußerste Schwäche der Gewalt ist, dass sie eine Spirale nach unten darstellt und genau das erzeugt, was sie zu zerstören sucht. Anstatt das Übel zu vermindern, vervielfältigt sie es. Du magst durch Gewalt einen Lüg-ner ermorden, aber du kannst nicht die Lüge töten, noch weniger der Wahrheit Geltung verschaffen. Durch Gewalt mordest du den Hassenden, aber nicht den Hass. In der Tat, Gewalt vermehrt nur Hass. Gewalt mit Gewalt zu erwidern, ver-vielfältigt die Gewalt und fügt einer sternlosen Nacht noch tiefere Finsternis zu.

Dunkelheit kann keine Dunkelheit vertreiben, nur Licht kann das tun. Hass kann nicht Hass vertreiben, nur Liebe kann das.«

Gemeinhin stimmt das für physische Gewalt. Dennoch, der biblische Grund-satz »Wenn man nach Dir mit Steinen schmeißt, wirf mit Brot zurück«, scheint nicht nur für den politischen Alltag ein frommer Wunsch zu bleiben. Gewaltver-zicht kann leicht zur Vernichtung des Brotverschwenders führen. Ein Dilemma, in dem sich auch friedliche, phantasievolle, gut gelaunte, aber dennoch in ihrem Wi-derstand gegen die G8 in Heiligendamm entschiedene Demonstranten befanden.

Natürlich, wenn es gegen die körperliche Unversehrtheit geht, gibt es eins auf die Mütze und das ist unumstritten erlaubt.

Wie ist das nun mit der Gewalt – darf man oder darf man nicht?

In der Politik ist das nicht so einfach, wie im alltäglichen Konfliktmanagement, wo es um bessere Arbeitsbedingungen, gerechte Verteilung, Konkurrenz um den Gartenzaun u. ä. geht. Hier gilt der Grundsatz: Es geht nur gemeinsam, oder gar nicht miteinander. Gewinnen ist Unsinn – Sinn macht nur eine Win-win-Lösung.

78

Schon die Voraussetzungen sind in der Politik anders: Ein gemeinsames Ziel zwischen den verfeindeten Parteien ist zumeist nicht zu finden und eine Begeg-nung auf gleicher Augenhöhe, scheitert an den realen Machtverhältnissen ebenso wie an Verhältnissen von Unterdrückung und Benachteiligung.

Bleibt also nur die Gewalt aus legitimierender defensiver Position? Das Brechen des Widerstandes mit Mitteln des Zwangs? Bei Ausschluss physischer Gewalt (von Rosa Luxemburg stammt die Feststellung, dass sie in der Revolution das letzte Mittel ist) bleiben der Politik noch viele legale Zwangsmittel. Und sie werden – immer im Rahmen der Verfassung – und jeglicher Gesetzlichkeit so-wie pseudomoralischer Legitimation kräftig genutzt. Allenthalben wird manipu-liert (einschläfern des kritischen Bewusstseins), herabgesetzt, moralisiert, bloßge-stellt, verbale Gewalt in Wort und Schrift eingesetzt. Und durch strukturelle Gewalt scheint Politik geradezu zu existieren. Auch in der demokratischen Lin-ken! Von medialer Desorientierung, politischem »über-den-Tisch-ziehen« der Bürger, der Diktatur des Kapitals anderer politischer Kräfte nicht zu reden. Politi-sche Gewalt ist heute so selbstverständlich und allgegenwärtig, wie Doping unausrottbar ist.

Fast jeder tut es und der »demokratische« Mainstraim belohnt es sogar (der Ehrliche ist der Dumme, nur wer Erfolg hat, kommt durchs Leben, haste was – biste was …).Es bedarf eines zivilisatorischen Paradigmenwechsels, wollte man in der Politik gänzlich auf Gewalt verzichten. Es bedarf eines allumfassenden politischen Regelwerkes, das die Anwendung jeglicher Gewalt (ob physisch, psy-chisch, verbal, strukturell) verbindlich unter Strafe stellt. Solange es aber ein staatliches Gewaltmonopol, gute und schlechte, legitime und illegitime Gewalt gibt, so lange es einen zunehmenden Rechtsnihilismus, Interpretationsmacht für Recht und Gesetz bei den Mächtigen und die Forderung nach Rechtsverbindlich-keit bei den Ohnmächtigen gibt, kann nur eins gelten:

Außer physischer Gewalt, ist bei Verhältnissen von sozialer Ungerechtigkeit jegliche Gewalt legitim, die mit dem moralischen Anspruch einer solidarischen Gesellschaft kongruent ist. Diese Abgrenzung zu physischer Gewalt, die nur bei aktueller Konfrontation mit Angriffen auf die physische Unversehrtheit als Mittel des Widerstands legitim ist, ist notwendig. Eine Gewaltanwendung in diesem en-geren Sinne ist die sine qua non (letzte Bedingung) eines radikalen Widerstands.

Die Linke muss bei Strafe ihres Untergangs politischen Druck ausüben, ohne Repression geht es nicht. Mit legalen juristischen Mitteln, menschenverachtende Politik offenlegen, mit kritischen Juristen genau so wie mit unabhängigen Journa-listen, mit argumentativer Überlegenheit, mit kritischem Wissen gegen den neoli-beralen Mainstream antreten, mit alternativen Lebensformen, mit politischen Pro-jekten, die wählbar sind. Wo es um Macht, Hegemonie, Sieg und Recht haben geht, wird immer Gewalt eingesetzt. Das Gebot der Partnerschaft (gekennzeichnet durch Empathie, Kongruenz, Akzeptanz) ist durchbrochen. Politik verkommt zum Nullsummenspiel. Die gegenwärtigen Veränderungen in der Parteienlandschaft

sind ein spürbarer Beleg dafür. Politische Gegnerschaft macht generellen Gewalt-verzicht für alle Seiten unmöglich.

Muss sich die linke Bewegung die Form der Mittel in diesem Kampf diktieren las-sen?In Heiligendamm hatte Kavala diese Wirkung. Provokante Polizeiaktionen vor und während des Gegengipfels sollten die linke Bewegung zu physischen Ge-waltakten herausfordern, die Stimmung anheizen, die Kriminalisierung des Pro-tests im öffentlichen Bewusstsein (mit Hilfe der Medien) markieren. Manipula-tion im Interesse der von Schäuble beabsichtigten Grundgesetzänderung! Gewalt durch den Staat! Die linke Bewegung konnte nur noch reagieren, »sich von der Logik solcher Provokationen beherrschen« lassen (vgl. Lutz Brangsch/Michael Brie: In der Sackgasse, rls-Standpunkte 9/2007). Angesichts der widersprüch-lichen Kommentare zu dem Standpunktepapier von Brangsch und Brie, bleibt für mich die berechtigte Schlussfolgerung: »Ein anderer Protest ist dringend nötig.«

Die Qualifizierung der Protestbewegung im Sinne der Kongruenz von morali-scher Überlegenheit der solidarischen Gesellschaft und den adäquaten Formen politischen Drucks ist auch eine Aufgabe politischer Bildung.

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 49 (Seite 77-81)