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Jenseits der Gewaltfrage – Erfahrungen aus Block G8

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 49 (Seite 35-39)

Die Massenblockaden des G8-Gipfels 2007, namentlich die Kampagne Block G8, werden oft als Gegenbild zu den Auseinandersetzungen bei der Großdemon-stration am 2. Juni 2007 in Rostock bemüht. In diesem Bild stehen dann die schwarzen, gewalttätigen Autonomen gegen die bunten friedlichen BlockiererIn-nen. Der Erfolg der Blockadeaktionen, die den G8-Gipfel in Heiligendamm land-seitig für lange Zeit vollständig einschlossen, wird so gegen militante politische Kräfte und Aktionsformen in Stellung gebracht. Diesem Ansinnen ist die Kampa-gne Block G8 bereits im Vorwege deutlich entgegen getreten, zumal es mit funda-mentalen Missverständnissen über den Charakter und die Erfolgsbedingungen von Block G8 einhergeht.

Wenn von Gewalt die Rede ist, dann ist zunächst auf die Gewalt des Staates und in diesem Fall besonders auf die Gewalt der G8 zu verweisen. In Heiligen-damm trafen sich die Chefs der führenden kapitalistischen Staaten, die verant-wortlich zeichnen für Kriege und militärische Besatzungen, für Folter in Lagern und Spezialgefängnissen, vor allem aber für eine Weltwirtschaftsordnung, die für Millionen von Menschen tatsächlich mörderische Konsequenzen hat, weil sie ihnen den Zugang zu ausreichender Nahrung, zu sauberem Trinkwasser oder zu notwendigen Medikamenten vorenthält. Zum Schutz dieses Gipfels wurde eine Bürgerkriegsarmee von fast 18 000 PolizistInnen mobilisiert, die mit allem aus-gerüstet war, was zur modernen Aufstandsbekämpfung gehört. Während der Gip-feltage haben Polizeieinheiten Menschen verprügelt, mit Hochdruckwasserwerfern schwerste Augenverletzungen zugefügt, ihnen medizinische Hilfe verweigert, sie in Käfige gesperrt und auf zahllose weitere Weisen Gewalt ausgeübt. Wer über Gewalt spricht, sollte immer zuerst über diese (Staats-)Gewalt sprechen, um die Verhältnisse nicht aus dem Blick zu verlieren und um schlechte Aktionen, wie es sie bei der Großdemonstration am 2. Juni gegeben hat, nicht aus den falschen Gründen zu kritisieren.

Die Diskussion über Aktionsformen findet unter der Bedingung eines hegemo-nialen staatlichen Gewaltbegriffs statt, der ein Bekenntnis zur Friedlichkeit und zur Abgrenzung von sogenannten Gewalttätern verlangt. Auch bei linker Kritik ist nicht immer klar, ob sie diesem Distanzierungsdruck nachgibt und damit auf staatliche bzw. mediale Anerkennung abzielt, oder ob sie ein Beitrag zur solidari-schen Diskussion über die besten und am meisten Erfolg versprechenden Mittel der Gesellschaftsveränderung sein sollen.

Wenn wir positiv vom letzteren ausgehen, dann müssen wir zunächst die Ver-schiedenheit der Auffassungen innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung

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und der Linken überhaupt akzeptieren. Ohne diese gegenseitige Akzeptanz, die trotz aller lauten und schrillen Töne in der Nachbereitung die überwiegende Hal-tung der TeilnehmerInnen und OrganisatorInnen der Gipfelproteste gewesen ist, hätte es keine derart massenhaften und erfolgreichen Aktionen um Heiligendamm gegeben.

An der Vorbereitung von Block G8 waren sowohl explizit gewaltfreie Gruppen wie X-tausendmalquer beteiligt, wie auch zahlreiche Gruppen aus der undogmati-schen radikalen Linken, die aus einer eher autonomen Aktionstradition kommen.

Nicht zufällig hat Block G8 in seinen Aufrufen und Erklärungen den ideologisch aufgeladenen Begriff »gewaltfrei« nicht verwendet. Denn auch wenn in Block G8 von der Fünf-Finger-Taktik bis zum Zivilen Ungehorsam viele Konzepte und Erfahrungen aus einer gewaltfreien Aktionstradition G8 eingeflossen sind, so hät-ten die explizit Gewaltfreien alleine weder die Mobilisierungs- noch die Organi-sationskraft für Massenblockaden mit mehr als 10 000 Menschen gehabt. Und umgekehrt wären die in militanten Aktionen Erfahrenen und Risikobereiten bei aller Entschlossenheit und sorgfältiger Vorbereitung immer zu wenige gewesen, um den G8-Gipfel wirksam zu blockieren.

Nur das Zusammenbringen der verschiedenen Aktionserfahrungen und Kom-petenzen, sowie der Mobilisierungs- und Organisationsfähigkeit aus den unter-schiedlichen Spektren konnte Block G8 tragen. Für die Akzeptanz des Konzeptes von Block G8 in der Bewegung war es zudem entscheidend, ein bewusst und betont solidarisches Verhältnis auch zu anderen Blockadekonzepten, die etwa Materialblockaden oder aktive Gegenwehr gegen Polizeiangriffe beinhalteten, zu pflegen.

Als wir 2005 die ersten Ideen für ein spektrenübergreifendes Blockadekonzept diskutierten, geschah dies bereits in Erwartung eines massiven, einschüchternden Polizeieinsatzes. Gesucht wurde daher ein Konzept, das sehr viele Menschen zum Mitmachen einlädt, das integrationsfähig ist – und vor allem ein Konzept, das uns angesichts der polizeilichen Übermacht rund um Heiligendamm handlungsfähig machen würde.

Der strategische Ausgangpunkt für Avanti, ebenso wie für viele andere Betei-ligte aus der radikalen Linken, war, die praktische Delegitimierung des G8-Gip-fels zu organisieren: Aktionen, in denen ein symbolischer und praktischer Bruch mit dem globalen Kapitalismus vollzogen wird und in denen gleichzeitig viele Menschen positive Aktionserfahrungen machen, Ohnmacht überwinden und er-kennen, dass kollektiver Widerstand möglich ist. Deshalb ging es uns nicht um die radikalste aller Aktionsformen, sondern um diejenige, die am besten geeignet ist, mit vielen Menschen gemeinsam einen bewussten Schritt vom Protest zum Widerstand zu gehen.

Dazu gehören immer auch Elemente der Selbstermächtigung und des Regel-übertritts, weil sich darin die Erkenntnis spiegelt, dass der Kapitalismus nicht im Rahmen der Spielregeln des bürgerlichen Staates, sondern nur durch den Aufbau

einer gesellschaftlichen Gegenmacht zu überwinden sein wird. Das Bewusstsein für diesen Antagonismus kann nicht nur als theoretische Erkenntnis existieren und geschaffen werden, sondern entsteht und verfestigt sich in der gemeinsamen, grenzüberschreitenden Aktion. Die praktische Umsetzung dieser Gedanken war für uns das Konzept Block G8.

Ganz anders als die Erzählung von den autonomen Gewalttätern und den fried-lichen BlockiererInnen glauben machen will, ist die Kampagne Block G8 gerade der Beleg dafür, wie viel Kreativität und Entschlossenheit freigesetzt werden können, wenn die lähmenden Debatten um Gewalt und Gewaltfreiheit beiseite geschoben werden und AktivistInnen aus verschiedenen Spektren anfangen, prak-tisch zusammenzuarbeiten. Das schlug sich übrigens auch in der direkten Beteili-gung an den Blockaden nieder – denn tatsächlich war ein erheblicher Teil der bun-ten BlockiererInnen weniger Tage zuvor noch »schwarzer Block« gewesen.

Deshalb sollten wir weniger über Gewalt oder Nichtgewalt reden, sondern über Prinzipien, die gemeinsame, ermutigende und radikale Aktionen möglich machen.

Hierzu rechnet z. B. ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und Solidarität, das immer die Auswirkungen der eigenen Aktionen auf andere in Rechnung stellt.

Wenn dies am 2. Juni in Rostock alle beherzigt hätten, wären manches Scharmüt-zel mit der Polizei und manche vorschnelle Distanzierung unterblieben. Zu sol-chen Prinzipien gehört ebenfalls Verantwortlichkeit und Organisation, denn vor allem fehlte es am 2. Juni ja an der kollektiven Fähigkeit, die Kundgebung vor den Polizeiangriffen zu beschützen und die Auseinandersetzungen schnell wieder zu beenden. All dies ist übrigens keine wohlfeile Kritik an anderen, sondern im-mer auch Selbstkritik an den eigenen Fehlern und Versäumnissen.

In den Auseinandersetzungen einen „radikalen Ausdruck unserer Unversöhn-lichkeit mit dem System“ zu sehen, wie dies viele Debattenbeiträge zu den G8-Protesten aus autonomer Richtung formuliert haben, ist uns zu selbstbezogen und vielleicht radikal, aber nicht radikalisierend in dem Sinne, dass es anschlussfähig, ansprechbar und verstehbar ist, vor allem aber Handlungs- und Partizipations-möglichkeiten aufzeigt. Diese Haltung ist für uns der Kern eines interventionisti-schen Politikverständnisses.

Was Solidarität, Verantwortlichkeit, Organisation und Radikalisierung angeht, lässt sich (bei aller nötigen Kritik im Detail) aus den Erfahrungen von Block G8 viel auf künftige Aktionen übertragen. Der konkrete Aktionsrahmen war für die konkrete Aktion, Massenblockaden der Zufahrtstraßen nach Heiligendamm, ge-nau richtig. Für uns ist die Frage, ob künftige Aktionen ähnliche oder ganz andere Vereinbarungen brauchen, keine ideologische, sondern eine praktische Frage.

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 49 (Seite 35-39)