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2.3 Bandscheibenvorfälle und andere Diskopathien

2.3.2 Pathogenese, Symptome und Epidemiologie

Intervertebrale Bandscheiben (Disci intervertebralis) besitzen einen äußeren Faserring (Anulus fibrosus) und einen exzentrisch lokalisierten, im physiologischen Zustand elastischen Galertkern (Nucleus pulposus). Der Faserknorpel des Anulus fibrosus ist ventral mächtiger als dorsal, besteht aus spiralig-schräg zur Wirbelkörperachse verlaufenden, parallel und konzentrisch angeordneten Kollagenfasern und geht in einer Übergangszone in die chondralen Teile der Wirbelendplatten über, so dass eine hohe Stabilität des Intervertebralspaltes erreicht wird (Hansen, 1952; Liebich and König, 2005). Der physiologisch intakte, muköse Nucleus pulposus besteht im Wesentlichen aus negativ geladenen Proteoglykanen, etwa 5%

Kollagenfasern Typ II, welche von großen Notochordalzellen produziert werden, sowie einem hohen Anteil gebundenen Wassers (Hansen, 1952; Ghosh et al., 1976; Cappello et al., 2006;

Bergknut et al., 2013).

Die intervertebrale Bandscheibendegeneration ist ein multifaktorielles Geschehen, dessen Pathophysiologie in der Humanmedizin gut beschrieben ist. Es werden genetische Faktoren, mechanische Überbelastung und Trauma als triggernde Elemente einer fortschreitenden Degeneration angesehen (Adams and Roughley, 2006). Diese ist durch Insuffizienz von Blutversorgung und Nährstofftransport, Abnahme der Glykosaminoglykane bei Zunahme der kollagenen Fasern und folgender Matrixdegeneration bei gleichzeitiger, verfrühter Notochordalzellalterung gekennzeichnet (Adams and Roughley, 2006; Bergknut et al., 2013).

Histologisch wird insbesondere bei chondrodystrophen Hunden im Nucleus pulposus neben

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einer Spaltbildung ein Ersatz der Notochordalzellen durch Chondrozyten-ähnliche Zellen beobachtet, welcher begleitet wird durch die Zunahme ungeordnet verlaufender kollagener Fasern im Sinne der sogenannten Chondrifikation oder auch chondroiden Metaplasie (Hansen, 1951, 1952; Ghosh et al., 1976, 1976; Hunter et al., 2004; Bergknut et al., 2013).

Die Wasserbindungskapazität des Nucleus pulposus nimmt ab und eine rasch zunehmende Kalzifizierung setzt ein, so dass bereits mit Abschluss des ersten Lebensjahres eine deutliche Degeneration fast aller Nuclei bei chondrodystrophen Rassen nachgewiesen wurde (Hansen, 1952). Auch der Anulus fibrosus ist vom Einwandern Chondrozyten-ähnlicher Zellen betroffen und zeigt eine Faserdegeneration (Hansen, 1952; Bergknut et al., 2013).

Vorwiegend bei nicht-chondrodystrophen Rassen ist eine fibroide Degeneration des Anulus fibrosus zu beobachten. Durch wiederholte Mikrotraumatawird der Zusammenhalt der kollagenen Fasern des Anulus beeinträchtigt und durch die Druckwirkung nach dorsal durch einen langsam degenerierenden Nucleus pulposus kann es zur Vorwölbung des Discus intervertebralis kommen (Hansen, 1952; Jeffery et al., 2013). Jüngere Untersuchungen legen nahe, dass die Degeneration des Nucleus pulposus bei nicht-chondrodystrophen Rassen - unter Erhaltung einer höheren Notochordalzellzahl im Nucleus - weitestgehend homolog zu den Prozessen der chondrodystrophen Rassen verläuft (Hansen, 1952; Cappello et al., 2006;

Bergknut et al., 2011; Jeffery et al., 2013; Kranenburg et al., 2013). Eine Abgrenzung fibroider und chondroider Metaplasie unterscheidet demzufolge die Reifung des Gewebes bei nicht-chondrodystrophen Rassen von der Degeneration der intervertebralen Bandscheiben, die sowohl bei chondrodystrophen, als auch nicht-chondrodystrophen Rassen auftriit (Hansen, 1952; Bergknut et al., 2011; Kranenburg et al., 2013).

Als Folge dieser Umbildungsprozesse verlieren die Strukturen des Intervertebralspaltes ihre Funktion und final kommt es zu einem partiellen bis kompletten Einriss des Anulus fibrosus mit Nucleus-Extrusion (Hansen Typ I) beziehungsweise einer Vorwölbung (Levine et al., 2014) des Anulus fibrosus und jeweilig konsekutiver Rückenmarks- und oder Nervenwurzelkompression (Hansen, 1952).

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2.3.2.2 Konsequenzen eines Bandscheibenvorfalls – Schädigung und Regeneration Im Falle einer Bandscheibenextrusion geschieht das perakute Austreten von Material des Nucleus pulposus aus dem Faserring unter Druckeinwirkung und erzeugt in Abhängigkeit von Masse und Geschwindigkeit des Materials beim Aufprall eine Kontusionsläsion; die Verdrängung des Rückenmarks im Spinalkanal durch das vorgefallene Material bedingt eine Kompressionsläsion, deren Schwere von der Dauer der Kompression beeinflusst wird (Anderson, 1985; Carlson et al., 2003; Jeffery et al., 2013).

Diese Läsionen werden unter primären und sekundären Schäden zusammengefasst und wurden überwiegend in artifiziell induzierten Modellen untersucht, welche die tatsächlichen Prozesse gemischter Kontusion und Kompression, meist von ventral erfolgend, nur bedingt widerspiegeln können (Kwo et al., 1989; Young, 2002; Scheff et al., 2003; Rowland et al., 2008; Ouyang et al., 2010; Jeffery et al., 2013). In unmittelbarer Folge der Bandscheibenextrusion wird in geringem Umfang eine histologisch nachweisbare strukturelle Schädigung von Axonen, Neuronen, der Blut-Rückenmarksschranke, sowie Gefäßen beobachtet, in deren Folge Ödeme und Hämorrhagien auftreten (Smith and Jeffery, 2006;

Rowland et al., 2008). Eine unmittelbare Folge der Kompression ist die Veränderung der rigiden Anordnung spannungsgesteuerter Kalium- und Natriumkanäle in der juxtaparanodalen Region von spinalen Axonen, welche zu einer reversiblen Konduktionsblockade führt und so im frühen Stadium der Erkrankung zur funktionellen Beeinträchtigung beträgt (Ouyang et al., 2010; Papastefanaki and Matsas, 2015). Die sekundären Schäden bei Rückenmarkstraumata sind pathogenetisch bedingt durch die Aktivierung von MHC II-exprimierenden Mikroglia, deren Zytokine eine Inflammation fördern können; auch kommt es zur Freisetzung mitochondrialer freier Radikale, Exzitotoxizität durch Neurotransmitter wie Glutamat, dem Einstrom von Ca in Gliazellen und Axone, sowie einer Aktivierung der NO-Synthase in deren Folge Membranschädigungen einsetzen und weitere Zellen zugrunde gehen (McEwen and Springer, 2005; Spitzbarth et al., 2011; Boekhoff et al., 2012; Jeffery et al., 2013). Daraus resultierend werden Hämorrhagien, Apoptose, perivaskuläre und parenchymatöse Inflammation und Myelinophagie histologisch nachgewiesen (Smith and Jeffery, 2006;

Rowland et al., 2008). In der Substantia alba treten degradierte Axone, axonale Sphäroide und eine zeitlich verzögert einsetzende Apoptose von Oligodendrozyten auf, während in der

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Substantia grisea nekrotische Neuronen und zystisch-kavitäre Veränderungen kennzeichnend sind (Beattie, 2004; Jeffery et al., 2013).

Endogene Regenerationsmechanismen in Form der spontanen Remyelinisierung tragen zur Wiederherstellung der neurologischen Funktionen bei, indem die saltatorische Konduktivität wiederhergestellt werden kann und die strukturelle Integrität der Axone geschützt wird (Jeffery and Blakemore, 1997; Ouyang et al., 2010; Fancy et al., 2011). Zur Remyelinisierung tragen ortsständige Glia-Progenitorzellen bei, welche in die Läsion einwandern und sich zu Myelin-bildenden Oligodendrozyten differenzieren (Zawadzka et al., 2010; Powers et al., 2013). Auch die Schwannzellen des peripheren Nervensystems besitzen die Fähigkeit die Remyelinisierung zu fördern durch die Expression des platelet derived growth factor receptor α (Zawadzka et al., 2010; Papastefanaki and Matsas, 2015). Diese Prozesse setzen direkt im Anschluss an eine Läsion ein und werden durch die Plastizität neuronaler Gewebe unterstützt, jedoch ist das Regenerationsvermögen begrenzt und wird durch die fortwährenden Prozesse der sekundären Schädigung beeinträchtigt (Jeffery and Blakemore, 1997; Hu et al., 2010;

Zawadzka et al., 2010; Papastefanaki and Matsas, 2015).

2.3.2.3 Bandscheibenextrusion

Die Ätiologie der kaninen Bandscheibendegeneration, die zur Bandscheibenextrusion bei chondrodystrophen Rassen führt, ist multifaktoriell, es gilt jedoch als gesichert, dass polygenetische Faktoren eine Rolle spielen (Stigen and Christensen, 1993; Parker et al., 2009;

Mogensen et al., 2011; Bergknut et al., 2013). Die chondroide Metaplasie des Nucleus pulposus findet vorwiegend bei chondrodystrophen Rassen statt, es existiert zwar keine einheitliche und vollständige Zuordnung aller Rassen entsprechend dieser Klassifizierung nach Hansen (1952), jedoch werden unter anderem Dackel, Bassett, Französische und Englische Bulldogge, Welsh Corgi, Beagle, Shih-Tzu und Cavalier King Charles Spaniel als solche angesehen (Hansen, 1952; Smolders et al., 2013). Darunter ist der Dackel insgesamt deutlich überrepräsentiert (zwischen 48% bis 72%) und war in einer Studie mit 8117 Fällen von Bandscheibenerkrankungen mit einem 9,9 fach erhöhtem Risiko gegenüber der Kombination aller anderen Rassen betroffen (Gage, 1975; Priester, 1976).

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Mit der Degeneration des Discus intervertebralis geht eine Änderung der biomechanischen Eigenschaften einher, welche das Auftreten fokal erhöhter Druckverhältnisse auf den Anulus fibrosus begünstigt, in deren Folge kollagene Fasern reißen können (Hansen, 1952). Dieser Prozess verläuft fortwährend, die strukturelle Integrität des Faserrings schwächend; so dass letztlich meist ein Bagatelltrauma zur Zerreißung größerer Faserbündel genügt (Jeffery et al., 2013). Dieses Ereignis geschieht meist plötzlich und ebnet der Extrusion von degeneriertem Material des Nucleus pulposus den Weg - vorwiegend nach dorsomedian bis dorsolateral aufgrund der exzentrischen Lage des Gallertkerns – durch das Ligamentum longitudinale dorsale (Hansen, 1952; Bergknut et al., 2013; Jeffery et al., 2013).

Eine Kalzifizierung der intervertebralen Bandscheiben wird bei chondrodystrophen Rassen häufiger beobachtet, als bei nicht-chondrodystrophen, betrifft vorwiegend den peripheren Teil des Nucleus pulposus und es wird ein pathogenetischer Zusammenhang mit Bandscheibenextrusionen angenommen (Hansen, 1952; Stigen and Christensen, 1993). Eine Studie an Dackeln von Jensen et al. (2008) ergab ein um den Faktor 1,42 erhöhtes Risiko eines Bandscheibenvorfalls an beliebiger Lokalisation pro kalzifizierter intervertebraler Bandscheibe, allerdings treten Kalzifikationen generell häufiger auf als Bandscheibenvorfälle (Bergknut et al., 2013). Aus der Bandscheibenextrusion resultieren Rückenmarksschäden als Folge des variablen Ausmaßes an Kontusion und Kompression (siehe 2.3.2.2), welche wiederum die klinischen Symptome bedingen (Jeffery et al., 2013). Eine Dolenz entsteht durch die Dehnung von Fasern des Anulus fibrosus und des Ligamentum longitudinale dorsale oder direkte Wirkung auf neuronale Strukturen, wie den Tractus spinothalamicus (von During et al., 1995; Jeffery et al., 2013). Bei zunehmender Schwere der Läsion tritt eine Beeinträchtigung der motorischen, sensorischen und vegetativen Rückenmarksfunktionen ein (Ferreira et al., 2002; Mayhew et al., 2004; Griffin et al., 2009). Daraus folgend und in Abhängigkeit von der Lokalisation der Bandscheibenextrusion werden propriozeptive Ataxie, Paresen bis zur Plegie einzelner, oder aller vier Gliedmaßen mit, oder ohne Tiefenschmerzwahrnehmung, sowie Harn- und Kotabsatzbeschwerden beobachtet (Coates, 2000; Olby et al., 2003; Cerda-Gonzalez and Olby, 2006; da Costa et al., 2006; da Costa, 2010).

Es liegt eine mehrfach bestätigte Überrepräsentation der intervertebralen Bandscheiben der thorakolumbalen Wirbelsäule zwischen Th11/12 bis L1/2 mit 66 bis 86,1% der Fälle vor, die

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durch den Übergang der vergleichsweise statischen Brustwirbelsäule zu der mobileren Lendenwirbelsäule verstärktem mechanischem Stress ausgesetzt sind (Coates, 2000; Brisson et al., 2004; Mayhew et al., 2004; Ruddle et al., 2006; Itoh et al., 2008; Naude et al., 2008).

2.3.2.4 Bandscheibenprotrusion

Zwar unterliegen degenerierte intervertebrale Bandscheiben nicht-chondrodystropher Rassen homologen Prozessen wie bei chondrodystrophen Rassen, jedoch handelt es sich um einen chronischen Degenerationsprozess, der bei Hunden im Alter von >5 Jahren nachgewiesen wird (Hansen, 1952). Die Degeneration betrifft nicht alle intervertebralen Bandscheiben und zeigt eine Häufung in der kaudalen zervikalen, sowie lumbosakralen Wirbelsäule (Hansen, 1952; da Costa et al., 2006; Martin-Vaquero and da Costa, 2014).

Gegenüber der perakut eintretenden Bandscheibenextrusion verursacht eine Bandscheiben-kompression durch die Chronizität des Prozesses nur statische bis dynamische Kompressions-wirkungen auf das Rückenmark, entsprechend ist die resultierende Schädigung langsamer fortschreitend, wie auch die neurologischen Defizite (Jeffery et al., 2013).

Die Bandscheibenprotrusion trägt zu den Erkrankungsbildern der Zervikalen Spondylomyelopathie (CSM) beziehungsweise der Degenerativen Lumbosakralstenose (DLSS) bei (Smolders et al., 2013). In einer schwedischen Hundepopulation waren von DLSS besonders mittelgroße und große Rassen wie der Deutsche Schäferhund, Boxer, Rottweiler und Dobermann betroffen (Meij and Bergknut, 2010). Die klinische Symptomatik entspricht der neuroanatomischen Lokalisation der Kompression (L7-S1) und umfasst insbesondere eine Lumbalgie oder eine lumbale bis lumbosakrale Hyperästhesie. Ebenso sind Hinterhandschwäche bei sportlichen Aktivitäten, bis zu Mono- und Paraparesen Teil des klinischen Bildes, das auch mit vermindertem Rutentonus, sowie Harn- und Kotinkontinenz verbunden sein kann (Mayhew et al., 2002).

Die CSM hingegen betrifft überwiegend die kaudale Halswirbelsäule (C4/C5-C7), betrifft deutlich überrepräsentiert Deutsche Dogge und Dobermann und ist durch statische, sowie dynamische Kompressionen gekennzeichnet (da Costa, 2010). Dabei sind mit einer Bandscheibenprotrusion-assoziierte Kompressionen überwiegend bei großen Rassen wie dem Dobermann diagnostiziert worden, während ossäre statische und dynamische Kompression

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besonders Riesenrassen jungen Alters betreffen (Lipsitz et al., 2001; De Decker et al., 2012;

Martin-Vaquero and da Costa, 2014; Ramos et al., 2015). Klinisch treten mit großer Häufig-keit zervikale Hyperästhesie und Gangstörungen im Sinne einer propriozeptiven Ataxie bis hin zu Tetraparese, sowie seltener eine Atrophie des M. suprascapularis mit konsekutiver Innenrotation der Vorderbeine auf (da Costa et al., 2006; De Decker et al., 2009; da Costa, 2010). Bandscheibenprotrusionen werden vorwiegend, jedoch nicht ausschließlich bei nicht-chondrodystrophen Rassen beobachtet und stellen somit bei nicht-chondrodystrophen Rassen eine wichtige Differentialdiagnose zu einer Bandscheibenextrusion dar.

2.3.2.5 Traumatische Bandscheibenextrusion und Fibrokartilaginäre Embolie

Neben den vorherig beschriebenen Bandscheibenerkrankungen kann es durch eine perakute traumatische, große Krafteinwirkung zu einer explosiven Extrusion kleiner Teile des mukoiden, nicht degenerierten Nucleus pulposus kommen. Daraus folgend entstehen ver-schiedene Formen nicht kompressiver Rückenmarksschädigungen. Es werden nomen-klatorisch die fibrokartilaginäre Embolie (FCE) als häufigste Ursache der kaninen ischämischen Myelopathie, die nicht-kompressive Nucleus pulposus-Extrusion (ANNPE), sowie die intradurale/intramedulläre intervertebrale Bandscheibenextrusion (IIVDE) unter-schieden (De Risio, 2015). Der Schweregrad dieser Rückenmarksschädigung ist sehr variabel, typischerweise ist klinisch keine Progression nach 24 bis 48 Stunden festzustellen, spinale Hyperästhesie wird seltener festgestellt als bei Hansen Typ I und II und eine Seitenbetonung der neurologischen Defizite tritt besonders bei einer FCE und ANNPE regelmäßig auf (Jeffery et al., 2013; De Risio, 2015).