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2 LITERATUR

2.1 Transkranielle Magnetstimulation

2.1.2 Parameter

Nach Stimulation des motorischen Kortex können die generierten TMMEPs über Ableitelektroden an einen Elektromyographen übertragen und auf einem Oszilloskop dargestellt werden. Als Parameter der TMMEPs werden in der Veterinärmedizin üblicher-weise Latenz und Amplitude untersucht (Sylvestre et al., 1993; Nollet et al., 2003). Dabei ergibt sich die Latenz als Differenz der Zeit zwischen dem Stimulusartefakt und der ersten Abweichung der Ableitung des Muskelpotentials von der Basallinie in positiver oder negativer Richtung (Nollet et al., 2002). Sie ist das Abbild der Zeitspanne, die zwischen Reizbildung am motorischen Kortex durch die Weiterleitung bis zum Zielmuskel vergeht und wird in Millisekunden (ms) angegeben. Die Latenz ist abhängig von der Größe der Nervenfasern, der Stärke der Myelinscheiden, sowie der Anzahl zu passierender Synapsen (Sylvestre et al., 1993). Die Amplitude ist der Betrag der Differenz der maximalen und minimalen Werte gegensinniger Polarität der Muskelpotentialableitung und wird in Millivolt (mV) ausgedrückt (Nollet et al., 2004). Die Amplitude wird beeinflusst durch die Anzahl rekrutierter Nervenfasern, die Anzahl der darauffolgend stimulierten Motorneurone und den Eigenschaften des Muskels, aus welchem die Ableitung erfolgt (Sylvestre et al., 1993). Die Amplitude unterliegt einer hohen individuellen Variabilität, was auf den Grad der Relaxation des Muskels zum Messzeitpunkt zurückgeführt werden kann (Dimitrijevic et al., 1992; Nollet et al., 2002). Beide Parameter unterliegen den Einflüssen der Spulenpositionierung, willkürlicher Bewegungen, sowie innerhalb einer Spezies den Einflüssen von Alter, Gewicht, Geschlecht und Größe (Länge der leitenden Bahnen) der Probanden (Kaneko et al., 1997;

Nollet et al., 2004).

2 Literatur

7 2.1.3 Anwendungsbereiche

2.1.3.1 Humanmedizin

In der Humanmedizin hat die TMS in Studien mit diagnostischen, prognostischen und therapeutischen Ansätzen Anwendung gefunden. Der Nutzen der TMS für die Diagnose Zervikaler Spondylomyelopathie (CSM), insbesondere bei Fällen ohne röntgenologische Auffälligkeiten, ist mehrfach beschrieben worden (Maertens de Noordhout et al., 1991; Di Lazzaro et al., 1999; Kalupahana et al., 2008). Darüber hinaus konnte bereits im präklinischen Stadium eine Veränderung der TMMEPs durch kompressive Myelopathien festgestellt werden und eine hohe Übereinstimmung mit Ergebnissen der Magnetresonanztomographie und neurologischen Untersuchung ist beschrieben worden (Maertens de Noordhout et al., 1991; Di Lazzaro et al., 1999; Kaneko et al., 2001; Lo et al., 2004). In einigen Studien ist die TMS auch hinsichtlich prognostischer Zwecke untersucht worden, jedoch sind die Ergebnisse nicht eindeutig. Im Falle von Zervikaler Spondylomyelopathie konnte eine Studie prä-operativer TMS eine prädiktive Bedeutung in hochgradig betroffenen Fällen nachweisen (Lo, 2007). Auch für traumatische Fälle von Rückenmarksläsionen beschreiben Clarke et al.

(1994) in ihrer Studie einen prognostischen Nutzen der TMS, da nur bei solchen tetraparetischen Patienten eine Besserung der motorischen Beeinträchtigung nach sechs Monaten zu beobachten waren, die eindeutige TMMEPs hatten. Gleichsam war die Abwesenheit von TMMEPs in der Gruppe tetraplegischer Patienten mit einer schlechten Entwicklung der neurologischen Beeinträchtigung assoziiert. Allerdings lag eine sehr niedrige Fallzahl für die untersuchten Gruppen vor und Studien von Meyer and Zentner (1992);

McKay et al. (1997); Kirshblum and O'Connor (1998) kamen zu dem Resultat, die TMS übertreffe den Aussagewert der klinischen Untersuchung nicht. Untersuchungen an Schlaganfallpatienten belegten mitunter einen prädiktiven Wert der TMS, wie z.B. von Pennisi et al. (1999) veröffentlicht, jedoch weisen mehrere Studien widersprüchliche Ergebnisse auf (Nascimbeni et al., 2006).

Neben den bereits erwähnten Parametern wird in der Humanmedizin meist die Zentral-Motorische-Konduktionszeit (ZMKZ) berechnet, welche durch Subtraktion der peripheren Nervenleitdauer von der gesamten Latenz eine spezifische, distinktive Aussage über die Konduktivität der motorischen Bahnen des ZNS erlaubt (Lo et al., 2004; Kalupahana et al.,

2 Literatur

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2008). Eine Limitierung der TMMEPs besteht in der niedrigen Sensitivität zur Unterscheidung der Ätiologie, welche einer Myelopathie zugrunde liegen. So konnten Brunholzl and Claus (1994), sowie Nakamae et al. (2010) verlängerte ZMKZ im Falle einer Beeinträchtigung des oberen motorischen Neurons (OMN) feststellen und bereits in subklinischen Fällen zervikaler Myelopathien verschiedener Ätiologie zeigte sich die hohe Sensitivität der ZMKZ für einen bestehenden Schaden, jedoch bestand kein signifikanter Unterschied zwischen den Ursachen der Schädigung.

Die hohe Sensitivität der TMMEPs für Schädigungen der deszendierenden motorischen Bahnen kann zur intraoperativen Überwachung bei chirurgischen Interventionen am Rücken-mark genutzt werden (Levy, 1988; Owen et al., 1988; Van Soens and Van Ham, 2011).

Aufgrund der höheren Aussagekraft einer Kombination aus Muskel-evozierten-Potentialen und D-Wellen, ist jedoch die TES die Methode der Wahl für die elektrophysiologische intraoperative Überwachung bei spinalen chirurgischen Eingriffen (Deletis and Sala, 2008).

Mit Hilfe der TES ist neben der Verminderung iatrogener Läsionen laut Fotakopoulos et al.

(2013) bereits intraoperativ eine Prognosestellung bezüglich der funktionellen Verbesserung bei Patienten mit Rückmarkskompressionen möglich; hingegen zeigten Überwachungsstudien an Patienten mit chirurgischer Resektion spinaler Tumoren widersprüchliche Ergebnisse (Deletis and Sala, 2008; Choi et al., 2014).

Ein weiteres diagnostisches Einsatzgebiet der TMS stellt die Unterscheidung von Amyotropher Lateralsklerose (ALS) und Zervikaler Spondylomyelopathie mittels Ableitung der TMMEPs in verschiedenen Muskelpartien dar (Truffert et al., 2000). Darüber hinaus konnten Veränderungen der TMMEPs bei Patienten mit zahlreichen weiteren Erkrankungen nachgewiesen werden wie z.B. multipler Sklerose, Epilepsie, Cauda-equina Kompressions-syndrom und Dystonien (Abbruzzese et al., 2001; Tassinari et al., 2003; Di Lazzaro et al., 2004).

In der Humanmedizin wird die TMS sowohl in der Epilepsieforschung und -therapie, als auch in der Therapie manifester Depressionen Anwendung. In der Epilepsieforschung konnte beispielsweise die TMS zur Evaluation der hemmenden Wirkung von antikonvulsiven Medikamenten auf den motorischen Kortex nachgewiesen werden (Ziemann et al., 1998;

2 Literatur

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Tassinari et al., 2003). Therapeutischer Nutzen geht von der repetitiven TMS (rTMS) aus, die durch Modulation der kortikalen Erregbarkeit die Anfallshäufigkeit in bestimmten Fällen reduzieren kann (Sun et al., 2012). Weitere neuropsychiatrische Krankheitsbilder, bei denen die rTMS therapeutische Bedeutung besitzt, sind Myoklonus, Tourette-Syndrom, akustische Halluzinationen, posttraumatisches Stress-Syndrom und Depressionen (Hoffman and Cavus, 2002)

2.1.3.2 Veterinärmedizin

Zahlreiche veröffentlichte Studien befassen sich mit den Bedingungen, die geeignet sind, die TMS in der Veterinärmedizin durchzuführen. Zu untersuchende Tiere sollten für die Ableitung der Potentiale so wenig willkürliche Motorik zeigen wie möglich, da sonst Bewegungsartefakte die Interpretation der Daten erschweren (Heckmann et al., 1989; Van Soens et al., 2009). Da die TMS zwar eine schmerzfreie Technik ist, jedoch ein leichtes Unwohlsein hervorruft und laute Klickgeräusche verursacht, ist der Einsatz von sedativen Pharmaka erforderlich (Barker et al., 1985; Barker et al., 1987; Barker, 1991; Van Soens et al., 2009). Anästhetika hingegen, wie Methohexital, Pentothal, Thiopental, Propofol und Ketamin, Halothan und Isofluran führen zu einer signifikanten Verkleinerung der abgeleiteten Potentiale bis zum vollständigen Verlust der TMMEPs (Glassman et al., 1993; van Ham et al., 1994; Young et al., 1994; Van Ham et al., 1996). Um die TMS unter den Bedingungen einer chirurgischen Intervention durchzuführen, ist eine Kombination aus Sufentanil und NO, ebenfalls mit Einschränkungen, eines der wenigen Anästhesie-Protokolle, welches die Ableitung von reproduzierbaren TMMEPs beim Hund erlaubt (Van Ham et al., 1996; Van Ham et al., 1996). Somit wird die TMS, wie auch in der vorliegenden Studie, bei Pferden und Hunden in Sedation durchgeführt, welche eine ausreichende Beruhigung der Patienten unter vermeintlich geringer Beeinträchtigung der TMMEPs bei guter Reproduzierbarkeit ermöglicht (van Ham et al., 1994; Nollet et al., 2002; Nollet et al., 2003; Nollet et al., 2004;

Monteiro et al., 2008; Monteiro et al., 2009; Van Soens et al., 2009). An Hunden hat sich dabei die Kombination aus dem Phenothiazin-Derivat Azepromacin und dem µ-Opioidrezeptoragonisten Methadon als geeignet erwiesen (Monteiro et al., 2009).

2 Literatur

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In der Veterinärmedizin wurde die TMS zur Evaluation von Zervikaler Spondylomyelopathie bei Pferden, Dobermann Pinschern und Deutschen Doggen genutzt, wobei signifikante Unterschiede zwischen betroffenen und klinisch sowie röntgenologisch unauffälligen Patienten detektiert wurden (Nollet et al., 2002; da Costa et al., 2006; De Decker et al., 2011; Martin-Vaquero and da Costa, 2014). Eine Korrelation der Latenzen beziehungsweise Latenzen und Amplituden mit dem Grad der Kompression gemäß den MRT Untersuchungen, sowie der neurologischen Untersuchung konnte von Martin-Vaquero and da Costa (2014) beziehungsweise da Costa et al. (2006) nachgewiesen werden. Bei Equiden mit einer Ataxie der Hinterhand konnte mit Hilfe der TMS zwischen zervikalen und thorako-lumbalen bzw. thorakalen Läsionen unterschieden werden, was eine Erweiterung der Aussagekraft der neurologischen Untersuchung darstellt (Nollet et al., 2003).

Sylvestre et al. (1993) untersuchten Hunde mit Bandscheibenextrusionen und beschrieben mittels TMS auch bei klinisch unauffälligen bzw. nur geringgradig betroffenen Tieren eine signifikante Reduktion der TMMEP-Parameter und untermauerten somit die Hypothese der Sensitivität dieser Technik für Rückenmarksläsionen bei Hunden. Die zunehmende Schwere einer Läsion korreliert mit einer Verlängerung der Latenz bei gleichzeitiger Minderung der Amplitude, eine direkte Übereinstimmung mit einer Graduierung entsprechend der neurologischen Untersuchung konnte jedoch nicht bestätigt werden (Poma et al., 2002).

Studien zur prognostischen Bedeutung der TMS oder Evaluation therapeutischer Effekte stehen in der Veterinärmedizin noch aus (Van Soens and Van Ham, 2011).

2.1.4 Nebenwirkungen der Transkraniellen Magnetstimulation

Die TMS wird als sichere Methode beschrieben, Nebenwirkungen treten nur vereinzelt auf (Rossi et al., 2009). Die häufigste beschriebene Nebenwirkung neben einer geringen Schmerzwahrnehmung durch die induzierte Muskelkontraktion, ist Kopfschmerz, der auf eine Änderung des zerebralen Blutflusses oder Muskelfaszillationen zurückgeführt wird (Loo et al., 2008; Rossi et al., 2009; George and Post, 2011). Des Weiteren sind Anfallsgeschehen bei Patienten mit Epilepsie, sowie gesunden Probanden dokumentiert worden (Kandler, 1990;

Loo et al., 2008). Das relative Risiko während oder nach der Anwendung von rTMS ein Anfallsgeschehen zu erleiden wird mit <0,5% angegeben (George and Post, 2011). Durch das

2 Literatur

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Klickgeräusch, welches bei der Stimulation entsteht, ist bei Menschen eine erhöhte untere Hörschwelle festgestellt worden, jedoch gibt es keine Hinweise auf einen dauerhaften Hörverlust nach TMS und rTMS (Pascual-Leone et al., 1992).

Es existieren nur wenige Studien an Tieren, welche die Sicherheitsaspekte der TMS evaluieren, aufgrund der Erkenntnisse aus der Humanmedizin wird von einer ebenfalls hohen Sicherheit der Anwendung bei Tieren ausgegangen (Rossi et al., 2009; Van Soens and Van Ham, 2011). In einer Studie an Kaninchen (Oryctolagus cuniculus forma domestica) konnten bei geschützten Ohren durch wöchentlich wiederholte TMS mit 1000 Stimuli (2T) je Versuchszyklus über 4 bis 12 Monate Anwendungsdauer keine Einschränkung des Hörvermögens bei wiederholten Hirnstamm-evozierten Potentialen, sowie keine histopatho-logische Veränderung festgestellt werden (Counter, 1994).

2.2 Magnetresonanztomographie

Die Magnetresonanztomographie (MRT) hat zu einer Revolution der Darstellung der Neuroanatomie in der Human- und Veterinärmedizin geführt und gilt heute als Goldstandard unter den bildgebenden Techniken zur Untersuchung des Gehirns, Rückenmarks und mit Einschränkungen auch des peripheren Nervensystems (Gavin and Bagley, 2009; Dennis, 2011; Parry and Volk, 2011). Als entscheidende Vorteile sind die exzellente, kontrastreiche Weichteildarstellung, welche insbesondere intraparenchymale Einblicke gewährt, des Weiteren die geringe Invasivität bei Verzicht auf Röntgen- und ionisierende Strahlung, sowie Abbildung des Objektes in beliebigen Schnittebenen, beschrieben worden (Dennis, 2011;

Platt and Garosi, 2012). Durch die Arbeiten von Mansfield und Lauterbur vorangetrieben, wurde die Magnetresonanztomographie in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in die humanmedizinische Forschung eingeführt (Lauterbur, 1973; Mansfield and Grannell, 1973). Seit Mitte der 90er Jahre etabliert sich die MRT auch in der klinischen Veterinärmedizin und zahlreiche Studien haben die Zuverlässigkeit dieses Verfahrens zur Darstellung des kaninen zentralen Nervensystems und dessen vielgestaltiger Erkrankungen wie z.B. Tumoren, Entzündungen, degenerative Prozesse, Traumata, Anomalien und Infektionen nachgewiesen (Cherubini et al., 2006; Penning et al., 2006; MacKillop, 2011;

Lowrie et al., 2014; Bentley, 2015; Bentley et al., 2015; De Risio, 2015; Yanai et al., 2015).

2 Literatur

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Für die Diagnose von Bandscheibenvorfällen besitzt die MRT eine sehr große Bedeutung und in mehreren Studien konnten deren Lokalisation und auch Grad, Länge oder das Volumen der Kompression bestimmt werden (Ito et al., 2005; Naude et al., 2008; Levine et al., 2009;

Griffin et al., 2015). Eine Studie von da Costa et al. (2006) zeigte, dass bei Hunden mit CSM mittels MRT gegenüber einer Myelographie eine höhere Präzision bei der Bestimmung von Lokalisation, Schwere der Rückenmarksläsion und den statischen bzw. dynamischen Eigenschaften der Kompression erzielt werden konnte. Neben einer exzellenten Sensitivität (98,5% gegenüber 88,6% mit Hilfe der Computertomographie) für die Diagnose eines Bandscheibenvorfalls belegt die Studie von Cooper et al. (2014) zudem die Überlegenheit der MRT gegenüber der CT zur Unterscheidung von Protrusionen und Extrusionen.

Neben einer hohen diagnostischen Zuverlässigkeit bezüglich Vorhandensein, Lokalisation und Seitenbetonung bei kaninen thorakolumbalen Bandscheibenextrusionen, konnte auch ein prognostischer Nutzen der Magnetresonanztomographie nachgewiesen werden (Bos et al., 2012). Bei Hunden mit akuten, nicht komprimierenden Nucleus pulposus-Extrusionen war die Ausdehnung von intramedullären Hyperintensitäten in der transversalen Schnittebene T2-gewichteten Sequenzen mit einer guten Sensitivität und sehr guten Spezifität bezüglich eines nicht befriedigenden Behandlungsausgangs verbunden (De Risio et al., 2009). Auch Ito et al.

(2005), Levine et al. (2009) und Boekhoff et al. (2012) wiesen eine prognostische Bedeutung von Hyperintensitäten in T2-gewichteten Sequenzen bei Hunden mit thorakolumbalen Bandscheibenvorfällen nach. In den letztgenannten Studien zeigte sich eine signifikante Assoziation eines Hyperintensität-Längenverhältnisses (HLV) mit der Wiedererlangung gehfähiger Spontanbewegungen beziehungsweise der Dauer neurologischer Verbesserung nach Paraplegie infolge thorakolumbaler Bandscheibenextrusionen (Levine et al., 2009;

Boekhoff et al., 2012).

2 Literatur

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2.3 Bandscheibenvorfälle und andere Diskopathien 2.3.1 Grundlagen

Als Teil des zentralen Nervensystems (ZNS) bildet das Rückenmark mit der Medulla oblongata beginnend, sich bis zur Cauda equina erstreckend eine anatomische Einheit, welche stark vereinfachend beschrieben aus innen liegender grauer Substanz (Substantia grisea) und umgebender weißer Substanz (Substantia alba) aufgebaut ist und in Zervikal- sowie Lumbalschwellung (Intumescentia cervicalis und – lumbalis) zwei große Reflexzentren für die Motorik der Gliedmaßen besitzt (Evans and de Lahunta, 2013). Funktionell betrachtet werden in der weißen Substanz über efferente Bahnen deszendierende Aktionspotentiale motorischer Zentren des Gehirns und regulierende Stimuli des autonomen Nervensystems, sowie über afferente Bahnen aszendierende sensorische Reize vielseitiger Qualitäten weitergeleitet. Der sog. Eigenapparat (Fasciculi proprii) verbindet verschiedene Rückenmarkssegmente. Die graue Substanz wird aus Inter- und Motorneuronen, sowie den präganglionären Neuronen des sympathischen (C8-L5) und parasympathischen (S1-Cd1) Anteils des autonomen Nervensystems gebildet (Evans and de Lahunta, 2013). Die Axone der Motorneurone formieren sich mit denen der Spinalganglien zu Spinalnerven und innervieren die Muskeln des Stamms und der Gliedmaßen (Evans and de Lahunta, 2013). In der klinischen Neurologie wird ein vereinfachendes Schema zur Beschreibung der motorischen und sensorischen Rückenmarksfunktion angewendet. Ausgehend von sogenannten oberen motorischen Neuronen (OMN) im Gehirn, welche die willkürliche Motorik initiieren und regulieren, verlaufen deren Axone als pyramidale und extrapyramidale motorische Bahnen und werden innerhalb der Rückenmarkssegmente C1-C5 und T3-L3 analog als OMN bezeichnet (Lorenz et al., 2011). Die sogenannten unteren motorischen Neurone (UMN) steuern die Reflextätigkeit der Gliedmaßen, liegen im Cornu ventrale der Substantia grisea im Bereich der Intumescentia cervicalis und – lumbalis und von diesen leitet sich die Bezeichnung der Rückenmarkssegmente C6-T2 und L4-S3 als UMN ab (Lorenz et al., 2011).

Eine Schädigung des Rückenmarks hat demzufolge negative Auswirkungen auf sensorische, motorische und vegetative Funktionen, welche sich klinisch insbesondere in propriozeptiven Defiziten, Schmerzzuständen, Lähmungserscheinungen der Gliedmaßen, sowie Miktions- und Defäkationsstörungen äußern (Cudia and Duval, 1997; Scott and McKee, 1999; Ferreira et al.,

2 Literatur

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2002; Olby et al., 2003; Mayhew et al., 2004; Cerda-Gonzalez and Olby, 2006; Griffin et al., 2009). Eine retrospektive Studie von Fluehmann et al. (2006) zeigte, dass circa 14% aller registrierten Patienten im Zeitraum von 11 Jahren aufgrund einer neurologischen Symptomatik in eine Tierklinik aufgenommen wurden. Unter diesen entfielen mit 21% die meisten Diagnosen auf intervertebrale Bandscheibenextrusionen. Darüber hinaus waren in besagter Studie Erkrankungen des Rückenmarks mit insgesamt 42,7% am häufigsten vertreten, wobei der thorakolumbale Bereich zudem deutlicher überrepräsentiert war.

2.3.2 Pathogenese, Symptome und Epidemiologie 2.3.2.1 Intervertebrale Bandscheibendegeneration

Intervertebrale Bandscheiben (Disci intervertebralis) besitzen einen äußeren Faserring (Anulus fibrosus) und einen exzentrisch lokalisierten, im physiologischen Zustand elastischen Galertkern (Nucleus pulposus). Der Faserknorpel des Anulus fibrosus ist ventral mächtiger als dorsal, besteht aus spiralig-schräg zur Wirbelkörperachse verlaufenden, parallel und konzentrisch angeordneten Kollagenfasern und geht in einer Übergangszone in die chondralen Teile der Wirbelendplatten über, so dass eine hohe Stabilität des Intervertebralspaltes erreicht wird (Hansen, 1952; Liebich and König, 2005). Der physiologisch intakte, muköse Nucleus pulposus besteht im Wesentlichen aus negativ geladenen Proteoglykanen, etwa 5%

Kollagenfasern Typ II, welche von großen Notochordalzellen produziert werden, sowie einem hohen Anteil gebundenen Wassers (Hansen, 1952; Ghosh et al., 1976; Cappello et al., 2006;

Bergknut et al., 2013).

Die intervertebrale Bandscheibendegeneration ist ein multifaktorielles Geschehen, dessen Pathophysiologie in der Humanmedizin gut beschrieben ist. Es werden genetische Faktoren, mechanische Überbelastung und Trauma als triggernde Elemente einer fortschreitenden Degeneration angesehen (Adams and Roughley, 2006). Diese ist durch Insuffizienz von Blutversorgung und Nährstofftransport, Abnahme der Glykosaminoglykane bei Zunahme der kollagenen Fasern und folgender Matrixdegeneration bei gleichzeitiger, verfrühter Notochordalzellalterung gekennzeichnet (Adams and Roughley, 2006; Bergknut et al., 2013).

Histologisch wird insbesondere bei chondrodystrophen Hunden im Nucleus pulposus neben

2 Literatur

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einer Spaltbildung ein Ersatz der Notochordalzellen durch Chondrozyten-ähnliche Zellen beobachtet, welcher begleitet wird durch die Zunahme ungeordnet verlaufender kollagener Fasern im Sinne der sogenannten Chondrifikation oder auch chondroiden Metaplasie (Hansen, 1951, 1952; Ghosh et al., 1976, 1976; Hunter et al., 2004; Bergknut et al., 2013).

Die Wasserbindungskapazität des Nucleus pulposus nimmt ab und eine rasch zunehmende Kalzifizierung setzt ein, so dass bereits mit Abschluss des ersten Lebensjahres eine deutliche Degeneration fast aller Nuclei bei chondrodystrophen Rassen nachgewiesen wurde (Hansen, 1952). Auch der Anulus fibrosus ist vom Einwandern Chondrozyten-ähnlicher Zellen betroffen und zeigt eine Faserdegeneration (Hansen, 1952; Bergknut et al., 2013).

Vorwiegend bei nicht-chondrodystrophen Rassen ist eine fibroide Degeneration des Anulus fibrosus zu beobachten. Durch wiederholte Mikrotraumatawird der Zusammenhalt der kollagenen Fasern des Anulus beeinträchtigt und durch die Druckwirkung nach dorsal durch einen langsam degenerierenden Nucleus pulposus kann es zur Vorwölbung des Discus intervertebralis kommen (Hansen, 1952; Jeffery et al., 2013). Jüngere Untersuchungen legen nahe, dass die Degeneration des Nucleus pulposus bei nicht-chondrodystrophen Rassen - unter Erhaltung einer höheren Notochordalzellzahl im Nucleus - weitestgehend homolog zu den Prozessen der chondrodystrophen Rassen verläuft (Hansen, 1952; Cappello et al., 2006;

Bergknut et al., 2011; Jeffery et al., 2013; Kranenburg et al., 2013). Eine Abgrenzung fibroider und chondroider Metaplasie unterscheidet demzufolge die Reifung des Gewebes bei nicht-chondrodystrophen Rassen von der Degeneration der intervertebralen Bandscheiben, die sowohl bei chondrodystrophen, als auch nicht-chondrodystrophen Rassen auftriit (Hansen, 1952; Bergknut et al., 2011; Kranenburg et al., 2013).

Als Folge dieser Umbildungsprozesse verlieren die Strukturen des Intervertebralspaltes ihre Funktion und final kommt es zu einem partiellen bis kompletten Einriss des Anulus fibrosus mit Nucleus-Extrusion (Hansen Typ I) beziehungsweise einer Vorwölbung (Levine et al., 2014) des Anulus fibrosus und jeweilig konsekutiver Rückenmarks- und oder Nervenwurzelkompression (Hansen, 1952).

2 Literatur

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2.3.2.2 Konsequenzen eines Bandscheibenvorfalls – Schädigung und Regeneration Im Falle einer Bandscheibenextrusion geschieht das perakute Austreten von Material des Nucleus pulposus aus dem Faserring unter Druckeinwirkung und erzeugt in Abhängigkeit von Masse und Geschwindigkeit des Materials beim Aufprall eine Kontusionsläsion; die Verdrängung des Rückenmarks im Spinalkanal durch das vorgefallene Material bedingt eine Kompressionsläsion, deren Schwere von der Dauer der Kompression beeinflusst wird (Anderson, 1985; Carlson et al., 2003; Jeffery et al., 2013).

Diese Läsionen werden unter primären und sekundären Schäden zusammengefasst und wurden überwiegend in artifiziell induzierten Modellen untersucht, welche die tatsächlichen Prozesse gemischter Kontusion und Kompression, meist von ventral erfolgend, nur bedingt widerspiegeln können (Kwo et al., 1989; Young, 2002; Scheff et al., 2003; Rowland et al., 2008; Ouyang et al., 2010; Jeffery et al., 2013). In unmittelbarer Folge der Bandscheibenextrusion wird in geringem Umfang eine histologisch nachweisbare strukturelle Schädigung von Axonen, Neuronen, der Blut-Rückenmarksschranke, sowie Gefäßen beobachtet, in deren Folge Ödeme und Hämorrhagien auftreten (Smith and Jeffery, 2006;

Rowland et al., 2008). Eine unmittelbare Folge der Kompression ist die Veränderung der rigiden Anordnung spannungsgesteuerter Kalium- und Natriumkanäle in der juxtaparanodalen Region von spinalen Axonen, welche zu einer reversiblen Konduktionsblockade führt und so im frühen Stadium der Erkrankung zur funktionellen Beeinträchtigung beträgt (Ouyang et al., 2010; Papastefanaki and Matsas, 2015). Die sekundären Schäden bei Rückenmarkstraumata sind pathogenetisch bedingt durch die Aktivierung von MHC II-exprimierenden Mikroglia, deren Zytokine eine Inflammation fördern können; auch kommt es zur Freisetzung mitochondrialer freier Radikale, Exzitotoxizität durch Neurotransmitter wie Glutamat, dem Einstrom von Ca in Gliazellen und Axone, sowie einer Aktivierung der NO-Synthase in deren Folge Membranschädigungen einsetzen und weitere Zellen zugrunde gehen (McEwen and Springer, 2005; Spitzbarth et al., 2011; Boekhoff et al., 2012; Jeffery et al., 2013). Daraus resultierend werden Hämorrhagien, Apoptose, perivaskuläre und parenchymatöse Inflammation und Myelinophagie histologisch nachgewiesen (Smith and Jeffery, 2006;

Rowland et al., 2008). In der Substantia alba treten degradierte Axone, axonale Sphäroide und eine zeitlich verzögert einsetzende Apoptose von Oligodendrozyten auf, während in der

2 Literatur

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Substantia grisea nekrotische Neuronen und zystisch-kavitäre Veränderungen kennzeichnend sind (Beattie, 2004; Jeffery et al., 2013).

Endogene Regenerationsmechanismen in Form der spontanen Remyelinisierung tragen zur Wiederherstellung der neurologischen Funktionen bei, indem die saltatorische Konduktivität

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